Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat Herr Kollege Dr. Sepp Dürr das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie sich die Karrieren von Künstlern, Schauspielern, Schriftstellern oder Musikern vorstellen, dann denken die meisten Menschen an Glanz und Glamour, Ruhm, Ehre und viel Geld. Aber für die übergroße Mehrheit der Kulturschaffenden sind das leere Versprechen. Es sind nur wenige Ausnahmen, die so leben können, wie es die bunten Blätter vorgaukeln. Stars sind selten, und selbst die gesicherte Lage eines Festangestellten oder einer gut verdienenden Freiberuflerin ist nur wenigen gegönnt. Die allermeisten Künstlerinnen und Künstler fristen eine prekäre und wirtschaftlich miserable Existenz. Weil die wirtschaftliche und soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern so unterschiedlich ist, brauchen wir eine branchen- und berufsgruppenspezifische Bestandsaufnahme.
auf unseren Antrag hin vor fast vier Jahren beauftragt, einen Kulturwirtschaftsbericht vorzulegen. Staatsmi
Aber es ist leider kein Einzelfall, denn statt sich tatkräftig um diesen Wirtschaftszweig zu kümmern, legen die zuständigen Minister Heubisch und Zeil die Hände in den Schoß. Ein weiteres Beispiel dafür ist ihre Antwort auf unsere Interpellation. Das Desinteresse der Staatsregierung an der Lage der Künstlerinnen und Künstler zeigt sich in der erbärmlichen Qualität ihrer Antworten. Da wimmelt es nur so von Gemeinplätzen, falschen Angaben und unbrauchbaren Daten.
Herr Staatsminister Heubisch, Sie erklären in Ihrem Schreiben an die Präsidentin - ich zitiere -: "Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass auch in Bayern Künstlerinnen und Künstler oftmals schwierige Berufs- und Erwerbsbiografien haben."
Das ist schon fast alles, was Sie an Erkenntnissen beitragen, und das haben wir auch schon vorher gewusst.
In Ihrem Anschreiben behaupten Sie auch, Ihre Antwort zeige in beeindruckender Weise das praxisnahe Ausbildungsangebot. Aber wenn ich dann nach der Vorbereitung auf eine meist schwierige Berufsbiografie frage, antworten Sie mit dem Verweis auf Einzelunterricht an den Hochschulen für Musik. Dieser, sagen Sie, ermögliche in besonderem Maße ein Eingehen auf die Stärken und Schwächen des einzelnen Studierenden und damit eine individuelle Vorbereitung auf das spätere Berufsleben. Und das soll dann eine professionelle Vorbereitung auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse sein? Da fragt man sich schon, in welcher Welt die Staatsregierung eigentlich lebt. Dabei bräuchten die angehenden Berufskünstlerinnen und -künstler dringend Unterstützung, damit sie sich auf den Kulturmärkten behaupten können.
Aber wenn es um Kompetenzen zur Selbstvermarktung geht, sieht es in der Berufs- und Weiterbildung in Bayern düster aus. Nur an zwei Instituten gibt es Weiterbildungsmaßnahmen. Nirgends gibt es spezifische Angebote zur Existenzgründung. Nach wie vor ist die Ausbildung fast ausschließlich auf fachliche, nicht aber auf professionelle Qualitäten konzentriert. Als ob alle Studierenden mit Verbeamtung rechnen könnten!
Ähnlich daneben liegt die Staatsregierung mit ihren Antworten auf die Frage nach Ausbildungsangeboten
für Künstlerberufe an Berufsschulen. Da nennt sie Florist, Flechtwerkgestalter und viel Kunsthandwerk. Zu den Studiengängen für Künstler und Kulturberufe zählt sie auch Journalismus, Industrial Design, New Design, Produktdesign, Internet-Webdesign, Medienkommunikation, Informationsdesign, Media- and Communication-Management. Absurder geht es kaum! Die Krönung ist dann die Antwort auf die Frage nach Fortbildungsangeboten für Künstler und Kulturberufe. Da taucht dann der Florist wieder auf, der Form- und Raumgestalter und sogar der Fachingenieur Fassade.
Auch die statistischen Daten, die Sie zu den Beschäftigten liefern, sind völlig unbrauchbar; denn unter die Berufsgruppe 83 der Bundesagentur für Arbeit, auf die Sie sich berufen, fallen ebenso Schildermaler, Raumgestalter, Pferdewirte, Jockeys, Berufsfußballer und Bergführer. Dass Ihnen da nichts auffällt, Herr Staatsminister!
Gleichzeitig fehlen die Schriftsteller, und es gibt keine Angaben zur Anzahl der Selbstständigen. Dies ist umso ärgerlicher, weil wir gezielt nach den Selbstständigen gefragt haben. Außerdem hätte die Staatsregierung mit nur wenig Aufwand brauchbare Ergebnisse liefern können; denn es gibt die Statistiken, das zeigen die Antworten zu Kapitel 4. Aber man hat sich halt einfach keine Arbeit machen wollen. Es geht ja nur um Künstlerinnen und Künstler.
Konsequent liefert die Staatsregierung keine Daten zu Patchwork-Existenzen, zur Anzahl armer Künstlerinnen und Künstler, zur Inanspruchnahme der Grundsicherung oder zur genauen Rentenhöhe. Das will man offenbar alles lieber nicht so genau wissen, sonst müsste man ja etwas tun!
Meine Fragen, ob die Daten ausreichen, um eine verlässliche Aussage über die Lage treffen zu können, beantwortet die Staatsregierung - das ist besonders skurril - mit dem Verweis auf die Verlässlichkeit der Daten. Weil die Daten verlässlich sind, ist es egal, dass sie lückenhaft, unbrauchbar und wenig aussagekräftig sind. Da wiehert der Bürokratenschimmel, Herr Staatsminister!
Die Staatsregierung bleibt leider alles schuldig. Sie verfügt weder über eine brauchbare Bestandsaufnahme noch über Instrumente oder gar eine Vorstellung davon, wie sich die Lage der Künstlerinnen und Künstler in Bayern verbessern ließe. Dieses Desinteresse ist ein Schlag ins Gesicht der Künstlerinnen und Künstler. Damit stellen sich beide Staatsminister Kulturminister Heubisch und Wirtschaftsminister Zeil ein Armutszeugnis aus. Das Desinteresse ist beschämend für die beiden Minister. Aber es ist vor allem
schädlich für Bayern; denn die Kulturwirtschaft ist, worauf die Bundesregierung immer wieder hinweist, ein wichtiger Wirtschaftszweig. In Bayern aber ist sie überdurchschnittlich wichtig.
Die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft erzielte laut Angaben der Bundesregierung im Jahr 2008 eine Bruttowertschöpfung von 63 Milliarden Euro. Bundesweit waren knapp eine Million Beschäftigte in der Kultur- und Kreativwirtschaft tätig. In Bayern betrug die Bruttowertschöpfung im Jahr 2009 laut Angaben der Staatsregierung 13,6 Milliarden Euro bei circa 284.000 Erwerbstätigen. Mehr als ein Viertel aller deutschen Kulturschaffenden arbeitet demnach in Bayern, mehr als ein Fünftel der Bruttowertschöpfung findet hier statt. Das heißt, dass die bayerische Kulturund Kreativwirtschaft weit überdurchschnittliche Bedeutung besitzt. Gleichzeitig weist sie aber eine deutlich geringere Produktivität auf. Umso sträflicher ist deshalb das geringe Interesse der zuständigen Minister Zeil und Heubisch.
Wie sieht nun die wirtschaftliche und soziale Lage der Künstlerinnen und Künstler in Bayern aus? Diese Frage kann man allein mit der Auskunft der Staatsregierung nicht beantworten. Für ein halbwegs brauchbares Bild müssen wir deshalb auch auf Erhebungen der Berufsverbände und auf die Kulturwirtschaftsinitiative des Bundes zurückgreifen. Insbesondere der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler sowie der Tonkünstlerverband Bayern haben auf unsere Anfrage so geantwortet, dass man mit den Daten tatsächlich etwas anfangen kann. So hätte auch die Staatsregierung antworten können - und müssen.
Wenn wir uns die branchenspezifischen Einkommensund Arbeitsverhältnisse anschauen, können wir das ganze Elend leicht erkennen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft wird oft "Boombranche" genannt - mit Recht! Aber - das ist der Pferdefuß dabei - sie ernährt in der Mehrzahl der Fälle nur prekäre Existenzen. 80 % der Kulturschaffenden sind Einzelunternehmer das heißt, sie sind allein tätig - mit einem Umsatzanteil von gerade einmal 15 %. Die Zahl dieser Einzelunternehmer wächst, aber ihr Durchschnittseinkommen sinkt. Gleichzeitig geht die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zurück; das sind diejenigen, die noch einigermaßen gut verdienen. Das durchschnittliche Jahreseinkommen 2011 der bayerischen Mitglieder der Künstlersozialversicherung betrug sage und schreibe 14.672 Euro. Das ist, wie gesagt, das Durchschnittseinkommen. Viele Künstlerinnen und Künstler leben also am Existenzminimum oder darunter. Dieser Durchschnittswert ist besonders erschreckend, weil in der Künstlersozialversicherung nur die vermeintlich Besserverdienenden sind, nämlich diejenigen mit mehr als 3.900 Euro
Die Einzigen, die einigermaßen auskömmlich leben können - im Kulturbereich sind übrigens die meisten hochqualifiziert - und auf ein halbwegs angemessenes Gehalt kommen, sind die 20.000 Vollzeitangestellten; sie verdienten im Jahr 2010 im Schnitt 3.152 Euro im Monat.
Der Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler hat 2011 seine Mitglieder befragt. Das Ergebnis: "In der Umfrage meldete mehr als jede/r Zweite, dass … Einkünfte aus weiteren (künstlerischen oder nichtkünstlerischen) Quellen zum Lebensunterhalt genutzt werden."
Das heißt, sie müssen dazuverdienen. Über zwei Drittel der Befragten erzielen mit ihrer Kunst keine 5.000 Euro im Jahr, im Schnitt sind es 1.362 Euro. Angesichts dieser Zahlen ist es kein Wunder, dass über 90 % davon nicht leben können.
Am besten wird noch im Bereich Wort verdient. Das Durchschnittseinkommen der Künstlersozialversicherungsmitglieder aus dieser Sparte betrug im Jahr 2011 in Bayern 18.200 Euro. Auch das ist nicht wahnsinnig viel.
Wir gehen davon aus, dass mindestens 60 % unserer Mitglieder in Patchwork-Arbeitsverhältnissen tätig sein müssen, um sich ihren notwendigen Lebensunterhalt zu verdienen.
Darstellende Kunst: Das durchschnittliche Jahreseinkommen der KSV-Versicherten in Bayern liegt in dieser Sparte bei 13.790 Euro. Die Staatszeitung hat im Sommer dieses Jahres unter dem Titel "Eine TV-Kuh verdient oft mehr" eine Studie der Universität Münster zur Lage von Schauspielerinnen und Schauspielern vorgestellt. Laut Studie verdienten über zwei Drittel nicht mehr als 30.240 Euro im Jahr, die Gagen hätten sich in den letzten fünf Jahren halbiert; die Leute sind aber nur kurzzeitbeschäftigt.
Tanz: Zwei Drittel der Theater- und Tanzschaffenden in Deutschland leben unterhalb der Armutsgrenze von
11.256 Euro im Jahr. Deshalb sind sie auch besonders von Altersarmut bedroht. Das ergab eine Studie im Auftrag des Fonds Darstellende Künste im Jahr 2009.
Werfen wir noch einen kurzen Blick auf die Lage von Frauen: Frauen verdienen in der Kulturbranche - wie soll es anders sein - deutlich weniger und haben auch sonst geringere Chancen als Männer. Sie erzielen laut Künstlersozialversicherung in der Sparte Wort 85 % des durchschnittlichen Jahreseinkommens, die Männer 118 %. In der bildenden Kunst liegt das Verhältnis bei 85 % zu 115 %, in der Musik bei 82 % zu 112 %. In der Darstellenden Kunst erhalten Frauen 80 % des Durchschnittseinkommens, Männer 121 %. Alle Jahreseinkommen sind zwischen 2007 und 2011 gestiegen, aber die Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern haben sich absolut vergrößert.
Bei den besserverdienenden sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten ist die Lage ähnlich: Männer bekommen im Schnitt 3.500 Euro im Monat, Frauen 2.758 Euro. Genauso sieht es laut BBK auf dem Kunstmarkt aus. Ich zitiere: "Die durchschnittlichen Einkünfte betrugen 5.347 Euro, mit starken Unterschieden zwischen Künstlerinnen (3.325 Euro) und Künstlern (7.443 Euro)."
Wie reagieren nun wir als Landtag auf diese wenig erfreuliche Bestandsaufnahme? Wegen der knappen Zeit will ich nur sieben Schritte skizzieren; wir werden diese Debatte - dessen bin ich mir sicher - noch ausführlicher im Kulturausschuss führen.
Der erste Schritt ist eine planvolle Kulturpolitik. Diese fordern wir schon lange. Der Freistaat muss endlich neue Wege gehen, hin zu Verlässlichkeit und Mitbestimmung bzw. Mitbeteiligung der Künstlerinnen und Künstler.
Wir fordern die Staatsregierung auf, zusammen mit den Kulturschaffenden einen Landesentwicklungsplan zu erarbeiten; wir haben schon einmal einen entsprechenden Antrag gestellt und werden ihn wieder einbringen. Außerdem sind Richtlinien der Künstlerinnen- und Künstlerförderung sowie jährlich ein Kulturförderbericht vorzulegen.
Zweitens müssen wir den Künstlerinnen und Künstlern neue Einkommensquellen eröffnen. Natürlich können wir nicht allen, die sich berufen fühlen, ein Leben als Künstlerin oder Künstler finanzieren; das wäre absurd. Aber der Glaube, dass es der Markt schon richten werde, das Vertrauen darauf, dass sich
auf dem Markt die für unsere Gesellschaft wichtigen Impulse schon durchsetzen werden, ist schon sehr naiv. Den Künstlerinnen und Künstlern nicht die Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, die sie brauchen, um ihr Leben selbst finanzieren zu können, ist verantwortungslos. Wer versucht, mit Kultur Geld zu verdienen, verdient jede Unterstützung, damit er sich auf dem Markt besser behaupten kann.
Drittens muss der Staat wieder stärker als öffentlicher Auftraggeber agieren. Staat und Kommunen sind trotz aller Kürzungsmaßnahmen nicht nur wichtige Arbeitgeber, sondern auch immer noch bedeutende Auftraggeber, insbesondere für die bildende Kunst. Wir fordern die Einrichtung eines Kunstfonds, der - wie in München - aus 0,75 % der öffentlichen Baukosten gespeist wird.
Außerdem müssen die staatlichen Ankaufsetats wieder aufgestockt werden. Schließlich wollen wir eine Ausstellungsvergütung. An der Ausstellung als Hauptnutzung und wichtigstem Weg, einem breiteren Publikum Kunstwerke zu präsentieren, müssen die Urheberinnen und Urheber - wie sonst auch - finanziell beteiligt werden.
Viertens müssen wir die kulturelle Bildung stärker fördern. Die Kulturförderung beginnt mit der Jugend- und Kinderbildung. - Herr Ministerpräsident, der Minister hat jetzt leider keine Zeit; er muss aufpassen.