Natürlich wirft diese Schließung auch Fragen auf. Von derzeit etwa 250 Gefangenen gelten etwa 50 als definitiv unschuldig, darunter eine Gruppe von 17 Uiguren, die als muslimische Minderheit in ihrem Heimatland China verfolgt wird und deshalb nicht dorthin zurückkehren kann. Dieser Gruppe droht dort Folter oder sogar die Todesstrafe.
Der Bayerische Landtag hat heute die Chance, ein Zeichen der Menschlichkeit zu setzen mit dem Ziel einer gemeinsamen Haltung, die die rechtsstaatliche, humanitäre Tradition Europas verkörpert; so formulierte es die FDP-Landesvorsitzende Sabine LeutheusserSchnarrenberger in einer Presseerklärung Ende Januar.
Warum gerade Bayern? Warum gerade die Uiguren? Gerade in Bayern erscheinen unseres Erachtens die Integrationsperspektiven erfolgversprechend. Im Großraum München existiert mit knapp 500 bis 600 Personen die größte uigurische Gemeinde. Diese Gemeinde hat bei einer Aufnahme ihrer Landsleute bereits ihre Unterstützung signalisiert. Morgen will der Stadtradt der Landeshauptstadt München beschließen, München erkläre sich zur Aufnahme jener Uiguren bereit.
Ich zitiere aus der Presseerklärung der Münchener CSU-Stadtratsfraktion vom 2. Februar: Überschrift: "CSU-Stadtratsfraktion spricht sich für die Aufnahme der uigurischen Guantánamo-Häftlinge aus." Es heißt in der Presseerklärung weiter, es sei ein Akt der Humanität und eine völkerrechtliche Verpflichtung, unschuldige Menschen vor der Gefahr eventueller weiterer Verfolgungen zu schützen.
Dem kann man nur zustimmen. Der CSU-Fraktionsvorsitzende und frühere Oberbürgermeisterkandidat vom letzten Frühjahr, Josef Schmid, wird in Bezug auf Me
dienberichte wie folgt zitiert: "Sogar ein US-amerikanisches Militärgericht sieht die Uiguren als unschuldig an." Meine Damen und Herren, Herr Schmid von der CSU hat recht;
denn die Unschuld der Uiguren wird von den US-Behörden mittlerweile in der Tat nicht mehr bezweifelt. Die Antragsteller halten dennoch ein erneutes ClearingVerfahren mit einer individuellen Einzelfallprüfung für notwendig, und zwar aus zwei Gründen:
Wir wollen sicherstellen, dass diese Menschenrechtsfrage nicht zu einer Frage der inneren Sicherheit für den Freistaat Bayern wird. Lassen Sie es mich deutlicher formulieren: Wir sind bereit, Unschuldige aufzunehmen. Unter Verdacht stehenden Terroristen soll aber in Amerika selbst der Prozess gemacht werden. Der Minister hat völlig recht, wenn er sagt, man müsste bescheuert sein, wenn man Terroristen nach Bayern holen wollte. Hier darf aber auch die Gegenfrage mit der gleichen Deutlichkeit erlaubt sein: Wie dreist und wie unverfroren muss man sein, Mitgliedern dieses Hohen Hauses zu unterstellen, sie würden tatsächlich Terroristen nach Bayern einschleusen wollen?
Meine Damen und Herren, es gibt noch einen zweiten Grund, der für ein Clearing-Verfahren und eine Einzelfallprüfung spricht. Den Flüchtlingen ist es nämlich nicht zuzumuten, dass nach Jahren ungerechtfertigter Haft unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen das Stigma des vorverurteilenden Kollektivverdachts im Aufnahmeland mit unverminderter Härte fortgesetzt wird, möglicherweise auch noch befeuert vom dortigen Innenminister. Das ist den Uiguren in der Tat nicht zuzumuten. Es liegt auch in ihrem Sinne, dass ihre Unschuld von einer europäischen oder deutschen Behörde bestätigt wird.
Meine Damen und Herren, unsere amerikanischen Freunde haben um Mithilfe gebeten. Sie allein sind mit der Bewältigung des Guantánamo-Problems überfordert. Es ist völlig unstrittig, dass die Hauptverantwortung für die Insassen von Guantánamo bei den USA selbst liegt. Jedoch ist es in der internationalen Politik in den letzten Jahren auf vielen Feldern gelungen, für die gemeinsamen Werte der westlichen Welt gemeinsam einzutreten. Dies sollten wir hier fortsetzen.
Wieso sollten wir unseren amerikanischen Freunden gerade jetzt, in einer humanitären Frage, die Solidarität verweigern? Wir können in Bayern 17 unschuldige Flüchtlinge aufnehmen. Wir können das, auch im Sinne dessen, was die frühere FDP-Fraktionsvorsitzende Hildegard Hamm-Brücher über die Menschenrechte gesagt hat. Ich zitiere:
Die Einhaltung und die Stärkung der individuellen und kollektiven Menschenrechte muss anerkannt, ermutigt und gefördert werden, noch mehr als bisher. Menschenrechtspolitik muss den Grundstein für eine Welt in Politik legen, die der gemeinsamen Verantwortung für das Fortbestehen der Menschheit gerecht wird.
Soweit Hildegard Hamm-Brücher im Dezember 1988. Meine Damen und Herren, was waren das für Zeiten. Frau Hamm-Brücher war eine große Liberale in Bayern, für die die Menschenrechte immer unteilbar waren. Hildegard Hamm-Brücher hat niemals, zu keinem Zeitpunkt, die Menschenrechtspolitik auf dem Altar von Koalitionsinteressen oder von Sachzwängen geopfert.
Vor diesem Hintergrund waren wir heute Mittag überrascht, dass CSU und FDP einen eigenen Dringlichkeitsantrag eingebracht haben. Bei der CSU waren wir überrascht, weil sie noch vor wenigen Tagen, am Donnerstag im Verfassungsausschuss, die Dringlichkeit bezweifelt hat. Sie fragte, ob es überhaupt notwendig sei, diesen Antrag zu behandeln. Es wäre doch überhaupt keine Dringlichkeit zu erkennen. Nun bringt die CSU einen eigenen Dringlichkeitsantrag ein.
Die FDP hat am Donnerstag im Verfassungsausschuss noch einen eigenen Formulierungsvorschlag eingebracht, der unsere Zustimmung fand. Heute bringt sie einen Dringlichkeitsantrag ein, der mit dem Formulierungsvorschlag vom vergangenen Donnerstag nichts, aber auch gar nichts mehr zu tun hat. Herr Kollege Dr. Fischer, wir haben Ihre Änderungen am vergangenen Donnerstag akzeptiert. Ich frage Sie, warum Sie heute nicht mehr die Formulierung Ihres Änderungsantrags vom vergangenen Donnerstag eingebracht haben. Sie drohen, in diesem parlamentarischen Verfahren zu einer tragischen Figur zu werden.
Meine Damen und Herren, kann es wirklich sein, dass von Ihrem ursprünglichen Antrag nichts, aber auch gar nichts mehr da ist? In Ihrem usprünglichen Antrag war von der Aufnahmebereitschaft im Rahmen einer internationalen Lösung die Rede. Heute legen Sie uns einen geänderten Dringlichkeitsantrag vor. Von einer Aufnahme ist darin keine Rede mehr. Die Uiguren werden mit
keinem Wort erwähnt. Statt der Aufnahmebereitschaft der Bayerischen Staatsregierung wird gefordert, dass dem Landtag berichtet werden sollte, und zwar unter Voraussetzungen, die nie erfüllt werden. Meine Damen und Herren, würde man diese Formulierung, wonach dem Landtag berichtet werden sollte, als windelweich bezeichnen, würde man die Firma "Pampers" und alle Babies weltweit beschämen.
Der letzte Punkt dieses Dringlichkeitsantrags setzt dem Ganzen noch eine Krone auf. Hier formulieren Sie, dass ein konkreter Antrag der Vereinigten Staaten von Amerika an die Bayerische Staatsregierung oder an die Bundesregierung notwendig sei, bevor diese Frage im Rahmen eines Berichtsantrags im Bayerischen Landtag behandelt werden könnte. Sie wissen doch, dass Depeschen nicht mehr zu den Usancen gehören, sondern dass solche Fragen im Wege der Diplomatie gelöst werden. Der Dringlichkeitsantrag, den Sie heute eingebracht haben, ist nicht das Papier wert, auf dem er steht, weil die Voraussetzungen dazu nie erfüllt sein werden.
Ich freue mich, dass sich der Ministerpräsident heute unter uns befindet. Herr Ministerpräsident, ich würde es begrüßen, wenn Sie heute zu dieser wichtigen Menschenrechtsfrage, die weltweit erörtert wird, Ihre persönliche Meinung darlegen würden.
In den letzten Tagen war viel über die ersten 100 Tage Ihrer Amtszeit zu lesen. Ich habe vor allem eine Anekdote in Erinnerung, nämlich, dass Sie Ihren Führungskräften in regelmäßigen Abständen eine SMS mit der Aufforderung schreiben, sich zu bewegen.
Sie fordern Ihre Führungskräfte auf, eine Revolution anzuzetteln und Führungsqualität zu zeigen. Herr Ministerpräsident, ich sage Ihnen heute nicht per SMS, sondern im Parlament: Heute, hier und jetzt ist die richtige Zeit und der richtige Ort, dass Sie sich in dieser Frage bewegen.
Meine Damen und Herren, heute, hier und jetzt ist die richtige Zeit und der richtige Ort, dass Sie Führungsstärke und Führungsqualitäten beweisen. Meine Damen und Herren, der tiefere Sinn unseres Antrags ist es, unsere innerste Überzeugung deutlich zu machen, dass der Freistaat Bayern, unsere gemeinsame Heimat, ein menschliches Gesicht hat. Verehrte Kollegin
Herr Kollege Rinderspacher, bleiben Sie bitte noch einen Moment am Rednerpult. Ich erteile Herrn Prof. Dr. Winfried Bausback zu einer Zwischenbemerkung das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, Sie haben wohlgesetzte Worte gesprochen. Allerdings erweisen Sie den Menschenrechten einen Bärendienst, wenn Sie die USA ohne ein entsprechendes Ersuchen, in vorauseilendem Gehorsam aus ihrer menschenrechtlichen und rechtlichen Verantwortung vorschnell entlassen.
Die USA sind völkerrechtlich für Guantánamo und für die dortigen Vorgänge verantwortlich. Sie sind nach dem internationalen Recht dazu verpflichtet, unschuldig Einsitzende nicht nur freizulassen, sondern ihnen einen sicheren Aufenthalt zu gewähren und sie für erlittenes Unrecht zu entschädigen. Sie sind dafür verantwortlich, die Verfahren gegen Personen, deren Schuld oder Unschuld noch nicht erwiesen ist, auf rechtstaatliche Art und Weise nach den justiziellen Menschenrechten abzuhandeln.
Insofern schwächen Sie die Menschenrechte, wenn Sie vorschnell, ohne ein Ersuchen der USA, eine Entlastung fordern. Sie sagen, dass das nicht internationalen Usancen entspreche.
Ich möchte Sie daran erinnern, dass auch der neue Präsident Obama - wenn Sie der Berliner Rede genau zugehört haben, dann wissen Sie das - sehr deutliche Forderungen in Richtung der Europäer formuliert. Es läuft eben nicht alles im Wege der stillen Diplomatie, sondern gerade im Falle von Menschenrechten sollte man darauf hinwirken, dass sich die Weltmacht USA zu ihrer menschenrechtlichen Verantwortung bekennt.
Herr Kollege Professor Bausback, Sie haben sicherlich vernommen, dass ich gesagt habe, die Hauptverantwortung für die Insassen in Guantánamo habe zweifellos Amerika selbst. Das ist völlig unbestritten. Das schließt aber nicht aus, dass die internationale Solidargemeinschaft trotzdem tätig wird.
Sie sagen, es liege kein Antrag vor. Sie haben doch alle in den Zeitungen gelesen, dass unsere Bundeskanzle
rin Angela Merkel mit Barack Obama über Guantánamo gesprochen hat. Sie haben mitverfolgt, dass FrankWalter Steinmeier mit Hillary Clinton über Guantánamo gesprochen hat.
Das Problem ist also auf der internationalen Agenda. Lesen Sie doch bitte die Zeitung und tun Sie nicht so, als wäre dieses Problem nicht auf der internationalen Agenda, meine Damen und Herren!
(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN - Ernst Weidenbusch (CSU): Das sagt doch keiner!)
Nur deswegen, weil etwas nicht formal in das Parlament eingebracht ist, kann man doch nicht so tun, als würde dieses Problem nicht existieren.