Protocol of the Session on July 4, 2012

Die letzten zwei Punkte, die Sie jetzt genannt haben, hatte ich damit explizit nicht gemeint,

(Dr. Martin Runge (GRÜNE): Was haben Sie denn dann gemeint?)

sondern die Interpretation des letzten europäischen Gipfels, die Sie hier benannt haben. Diese sind sicher dort nicht beschlossen worden.

Zu dem Thema Bundesbank: Natürlich gleichen wir etwaige Defizite aus, aber das hat doch nichts mit der Frage zu tun, ob wir eine politische Unabhängigkeit dieser Institution einfordern. Diese fordern wir immer ein, deshalb finde ich es wirklich bemerkenswert, dass Sie beim Handeln der Zentralbanken fordern, dass wir politisch Einfluss nehmen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Für die Bayerische Staatsregierung darf ich abschließend das Wort an Staatsministerin Emilia Müller weiterreichen; bitte schön.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gleich zu Beginn meiner kurzen Rede - denn ich spreche noch zu weiteren Dringlichkeitsanträgen - ganz klar die Bereitschaft der Staatsregierung signalisieren, über die aktuellen Entwicklungen im Euro-Raum jederzeit und im Detail zu informieren und zu berichten. Transparenz in zentralen Europafragen ist auch für uns und für mich ganz besonders wichtig, und alle, die mich kennen, wissen, dass ich mehrfach im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten über aktuelle europäische Fragestellungen diskutiert und mich gedanklich ausgetauscht habe. Wir nehmen unseren Auftrag aus dem

Parlamentsbeteiligungsgesetz sehr ernst, deshalb stehe ich gern jederzeit Rede und Antwort.

Ich nehme heute auch die Gelegenheit wahr, Ihnen in Kürze die Haltung der Staatsregierung zu den Ergebnissen des Europäischen Rates zu erläutern. Wir haben hierzu auch gestern im Kabinett ausführlich beraten.

Eine Anmerkung vorab, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nicht alles, was der italienische Regierungschef Mario Monti nach dem Gipfel in die Mikrofone der Presse gesprochen hat, entspricht den Gipfelergebnissen. Ich bedaure zutiefst, dass die deutsche Seite nicht an der Seite Montis war, als er vor der Presse und vor den Mikrofonen stand. Das war, glaube ich, ein Fehler.

Die Kanzlerin hat in den Verhandlungen der Staatsund Regierungschefs am Donnerstag und Freitag ihre Linie gehalten. Ich darf sagen, der erste Punkt war ich habe sofort nachgeschaut, was hier los ist -: Keine Vergemeinschaftung von Schulden!

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Und ich betone auch: Die Gedankenspiele um EuroBonds und Euro-Bills, über einen möglichen Schuldentilgungsfonds, eine gemeinschaftliche Einlagensicherung oder einen Bankenabwicklungsfonds sind gestoppt.

Ein zweiter Punkt: Leistung nur mit Gegenleistung. Die grundlegenden Voraussetzungen für Finanzhilfen sind nicht angetastet worden. Das Ultima-ratio-Prinzip und die strikte Konditionalität sind weiter genauso gültig, wie sie im ESM-Vertrag festgeschrieben und beschlossen sind.

In ihrer Regierungserklärung vor dem Deutschen Bundestag am Freitag um 17 Uhr hat die Kanzlerin gesagt, jede Anwendung der EFSF und des ESM erfolge entsprechend den Guidelines, den Richtlinien, die im Zusammenhang mit der EFSF und in Zukunft dann auch mit dem ESM verabschiedet worden seien.

Das bedeutet, dass die Vereinbarungen keine Auswirkungen auf die Rettungsschirme und den Fiskalpakt in ihrer jetzt beschlossenen Form haben. Sowohl der ESM als auch der Fiskalpakt wurden mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat beschlossen. Ich sage, das war keine leichte Entscheidung. Die GRÜNEN und die SPD haben diese Entscheidung ebenso mitgetragen wie fast alle Länder im Bundesrat. Es hat im Vorfeld viele Gespräche, viele Verhandlungen gegeben, und es ist nichts so mir nichts dir nichts einfach beschlossen worden, sondern es war wirklich eine Abwägung aller Fakten.

Es ist der Kanzlerin durchaus gelungen, mit dem Fiskalpakt und der Verpflichtung fast aller Mitgliedsstaaten zur Einführung von Schuldenbremsen und zum Abbau von Staatsschulden das deutsche Stabilitätsmodell auf fast die gesamte Europäische Union zu übertragen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die zentralen Eckpunkte der Staatsregierung noch einmal hier bekräftigen, und von diesen Eckpunkten sind wir nicht abgewichen: Wir wollen keinen europäischen Zentralstaat, in dem unser Freistaat Bayern zur Provinz verkümmert und degradiert wird, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Wir wollen also keine Vereinigten Staaten von Europa, nur damit das klar ist. Wir lehnen eine Vergemeinschaftung von Schulden in jeder Form ohne Wenn und Aber ab.

(Beifall bei der CSU)

Eine Haftungsunion oder eine Transferunion tragen wir nicht mit. Wichtig ist: Wir sagen Ja zur Solidarität, und wir betonen auch, dass es Hilfen nur gegen strikte Auflagen geben kann. Bei allen weiteren Rettungsmaßnahmen ist es für uns von zentraler Bedeutung, dass die Leistungsfähigkeit Deutschlands nicht überfordert wird, dass wir unsere Bonität halten können. Das Prinzip der Ultima ratio ist unbedingt einzuhalten. Hilfen der Gemeinschaft dürfen nur als letztes Mittel in Betracht kommen.

Die Einbeziehung der Expertise der Troika ist für uns weiterhin zwingend. Gleiches gilt für die strikte Beachtung des Verbots der Staatenfinanzierung, Stichwort "No bail out".

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich würde am Schluss eine Frage beantworten wollen.

Die Hilfen müssen sofort beendet werden, wenn die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen. Die Vorgaben des Fiskalpaktes sind einzuhalten. Das heißt strikte Begrenzung der Neuverschuldung bzw. Abbau der Gesamtverschuldung. Wir setzen uns für Transparenz und volle demokratische Legitimation von europäischen Entscheidungen ein. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss der Bundestag allen wesentlichen Rettungsschirmentscheidungen zustimmen, und auch der Bundesrat muss entsprechend informiert werden.

Wenn die Konjunktur in Deutschland abflaut, liebe Kolleginnen und Kollegen, wie manche Auguren bereits für 2013 warnen, wenn gleichzeitig die Lasten aus der Schuldenkrise aber immer größer werden, dann ist Gefahr im Verzug. Wir dürfen das deutsche AAA auch im Interesse der Leistungsfähigkeit der Rettungsschirme nicht riskieren. Wir müssen die Risiken für Deutschland aus den Hilfskrediten begrenzen. Überschuldete Staaten sollen die eigenen Refinanzierungsmöglichkeiten stärker als bislang nutzen. Eine Erschöpfung der Mittel des ESM muss vermieden werden. Der ESM ist kein Selbstbedienungsladen, sondern nur als letzte Möglichkeit vorhanden, und ein starkes Europa, meine Damen und Herren, braucht ein starkes Deutschland, und das muss auch bei allen Verhandlungen unsere Richtschnur sein.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Vielen herzlichen Dank, Frau Kollegin. Zu einer Zwischenbemerkung hat sich Frau Abgeordnete Biedefeld gemeldet. Bitte schön.

Frau Ministerin Müller, erlauben Sie mir die Nachfrage, warum Sie heute in höchsten Tönen die sehr weitreichenden Beschlüsse vom Freitag und Frau Kanzlerin Merkel loben, während auf der anderen Seite von Mitgliedern des Kabinetts der CSU, angeführt von Ministerpräsident Seehofer, aufgrund dieser Beschlüsse, die Sie heute nochmals so lobend hervorgerufen haben, sogar wiederum ein Bruch der Koalition angedroht wird. Diese Drohungen standen schon mehrfach im Raum, vollzogen wurden sie nie. Aber eine solche Drohung stand wieder im Raum. Das ist in allen Medien nachzulesen.

Mich würde interessieren, ob Sie uns die verschiedenen Aussagen im Plenum heute und die Position des Ministerpräsidenten erklären können. Könnten Sie uns sagen, wo konkret aus bayerischer Sicht, wo konkret aus Ihrer Sicht, aus der Sicht des bayerischen Kabinetts bei diesen weitreichenden Beschlüssen wirklich gegen bayerische Positionen verstoßen worden ist und wo genau die Kanzlerin die CSU ignoriert hat? Das würde mich schon interessieren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Frau Staatsministerin, zur Erwiderung, bitte.

Ich kann das ganz knapp beantworten. Wir arbeiten in der Koalition hervorragend zusammen. Wir stützen die Kanzlerin bei ihrem Europakurs, gar keine Frage. Wir sehen auch, dass die Kanzlerin unsere

Eckpunkte, die wir permanent mit ihr diskutieren, hier vertreten und die Linie behalten hat. Wir sind sehr zufrieden, wie die Kanzlerin in Europa auftritt. Ich darf Ihnen sagen, wir können dankbar sein, dass wir die Kanzlerin haben. Das gilt übrigens auch für die SPD und für die GRÜNEN.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/13048 seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Ich sehe Hände aus allen Fraktionen. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Antrag einstimmig so beschlossen.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Martin Runge, Margarete Bause, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fiskalpakt und Beteiligungsrechte der Landesparlamente (Drs. 16/13049)

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht der Kollege Runge. Bitte.

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es gibt zwar Schnittmengen zwischen diesem und dem zuvor behandelten Antrag, aber der Kern ist ein anderer. Es geht um das Selbstverständnis des Parlaments, und es geht darum, der Exekutive auch einen Rüffel zu erteilen.

Die Präsidentinnen und Präsidenten der Landtage haben in ihrer Dresdner Erklärung vom 12. Juni 2012 - sie ist also ganz frisch - zu Recht festgehalten, dass der Fiskalpakt erhebliche Auswirkungen auf die Landesparlamente hat. Sie haben wortwörtlich gesagt, spätestens mit dem Fiskalpakt unterliege nunmehr auch das Budgetrecht der Parlamente europäischen Vorgaben. Wir haben immer gelernt, das Budgetrecht sei das Königsrecht der Parlamente. Daher, so meine ich, sollten wir uns einfach nicht mehr gefallen lassen, wie die Dinge hier verhandelt werden und wie hier weiter verfahren wird.

Ich meine zum einen die Erarbeitung des Fiskalpaktes unter Ausblendung aller Parlamente, also sowohl des Bundestags und des Europäischen Parlaments als auch der Landtage, und des Weiteren, wenn es dann um die Verhandlungen geht, die Art und Weise, wie der Fiskalpakt gelebt wird, wie es um die innerstaatliche Umsetzung bestellt ist. Das geschieht wieder allein auf der Ebene der Exekutive. Zuerst war da über

eine kleine Staatssekretärsrunde nachzulesen. Und dann gab es einen Kreis ausgewählter Ministerpräsidenten und ausgewählter Mitglieder der Bundesregierung, die hierüber verhandelt haben. Das ist in unseren Augen schlicht und ergreifend nicht der richtige Weg.

Wir fordern mit dem Antrag die Staatsregierung noch einmal auf, eingehend über den Fiskalpakt und seine Auswirkungen in Bayern zu berichten. Dies werden Sie, Frau Ministerin, mit Sicherheit tun. Ganz wichtig ist auch, dass wir die Staatsregierung auffordern, nach Kräften auch über den Bundesrat dafür zu sorgen, dass künftig die Beteiligungsrechte der Landesparlamente bezüglich aller Maßnahmen, die das Budgetrecht und die Eigenstaatlichkeit der Länder betreffen, sichergestellt werden.

Meine Kolleginnen und Kollegen von der CSU und der FDP - Herr Klein, wir lesen ja viel, auch ganz aktuell -, Sie rekurrieren in Ihrer Argumentation zu Recht auf das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Das Urteil war ein Erfolg der grünen Bundestagsfraktion. Diese hat nämlich gegen die Bundesregierung geklagt, die gesagt hat, ESM und der Fiskalpakt seien rein völkerrechtliche Verträge und Artikel 23 des Grundgesetzes - Europaangelegenheiten - gelte nicht, was die Beteiligung von Bundestag und Bundesrat anbelangt. Das Verfassungsgericht hat aber gesagt, die Verträge stellten sehr wohl eine ganz enge Anbindung an die EU dar, und deshalb müssten Bundestag und Bundesrat beteiligt werden.

Sie fordern hier jetzt zu Recht eine Änderung des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der EU. Da liegt für uns der nächste Knackpunkt bei der Konstruktion bezüglich der Kompetenzen des Bundesrats. Es geht um die Frage, ob Weisungsgebundenheit gelten soll oder nicht. Zurzeit heißt es immer noch, dass sie nicht gelte.

Wir haben gerade im Zusammenhang mit dem ESM sehr heftig den Parlamentsvorbehalt diskutiert. Im Vertrag selber gibt es den nur noch bei einer einzigen Materie, nämlich bei einer Erhöhung des Stammkapitals. Der Mangel soll mit dem ESM-Finanzierungsgesetz geheilt werden. Wir wollen mal schauen, ob es klappt.

Wir meinen, dass es in dieser Angelegenheit einen großen Reformbedarf gibt, was den Parlamentsvorbehalt bei Abstimmungen der Staatsregierung im Bundesrat anlangt.

Es gibt auch die Initiativen der Kollegen Bocklet und Männle. Sie gehen unseres Erachtens in die richtige Richtung. Da heißt es nämlich an einer Stelle: Die

Staatsregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Landtags. Dies müssen wir für möglichst viele Materien verwirklichen.