Protocol of the Session on May 8, 2012

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Uns geht es darum, den unerträglichen pädagogischen Druck, der in den Grundschulen verspürt wird, im Interesse unserer Kinder zu reduzieren. Diesen Druck kann man nicht wegdiskutieren. Deswegen bitte ich Sie, diesen Gesetzentwurf im Rahmen der Beratungen in diesem Haus konstruktiv zu begleiten und ihn nicht von vorneherein abzulehnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Als Nächster hat Herr Kollege Eduard Nöth für die CSU-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN - das haben wir soeben gehört - sieht die Aufhebung der Notengrenzen beim Übertritt an weiterführende Schulen vor und damit auch die völlige Freigabe des Elternwillens. Aus unseren bisherigen Beratungen geht hervor, dass wir diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil er aus Sicht unserer Kinder schlecht ist.

Eine völlige Freigabe des Elternwillens würde dazu führen, dass Kinder durch die Anforderungen der weiterführenden Schule schnell überfordert und durch ständige Misserfolge letztendlich demotiviert würden. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Schule soll Spaß und Freude vermitteln. Kinder und Eltern sollen nach unserer Meinung die Schulform wählen, die den Neigungen, den Fähigkeiten und den Begabungen der Kinder weitgehend entspricht.

Ich darf feststellen, dass sich das Übertrittsverfahren in Bayern bewährt hat. Wie die letzten Umfragen zeigen, stößt das Übertrittsverfahren auf zunehmende Zustimmung bei den Eltern und Lehrkräften. Das Übertrittsverfahren in Bayern wurde das letzte Mal

2009 verändert und angepasst, um die Belastung der Kinder und ihrer Eltern zu senken. Die Information und Beratung der Eltern über die möglichen Bildungswege im differenzierten System wurden intensiviert. Vor allem wurde auch die Verantwortung der Eltern beim Übertritt deutlich gestärkt.

Das veränderte Übertrittsverfahren basiert auf folgenden Säulen: einmal auf der rechtzeitigen Information der Eltern über die Möglichkeiten und Chancen im System, des Weiteren auf einem ausführlichen Grundschulgutachten und letztendlich auf der verantwortlichen Mitwirkung der Eltern. Neben der freien Entscheidung, innerhalb der Notengrenzen 2,33 und 2,66 an das Gymnasium oder die Realschule überzutreten, besteht seit 2009 ein weitgehendes Entscheidungsrecht der Eltern bei Verfehlung dieser Noten. Erreichen Schülerinnen und Schüler im anschließenden Probeunterricht in den Fächern Deutsch und Mathematik mindestens die Note "ausreichend", können die Eltern frei über den Eintritt in die jeweils gewählte weiterführende Schule und somit über die Schullaufbahn ihres Kindes entscheiden.

Es ist bereits angeführt worden, was namhafte Bildungsforscher und Studien belegen: Eine Freigabe des Elternwillens ohne pädagogische Einschätzung der Schule, wie mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN gefordert wird, würde dazu führen, dass die Beratung durch die Grundschullehrkräfte in den Hintergrund träte und weniger Kinder aus bildungsfernen Familien an weiterführende Schulen wechseln würden. Eine Freigabe würde daher nicht zu mehr, sondern zu weniger Bildungsgerechtigkeit führen. Das kann meines Erachtens nicht unsere Aufgabe sein.

Ich möchte noch ein weiteres wichtiges Argument anführen, das für eine Ablehnung dieses Gesetzentwurfs spricht. Es ist eine Tatsache, dass die Bedeutung des Übertritts nach der vierten Jahrgangsstufe für die schulische Laufbahn und für den Bildungserfolg eines Kindes immer geringer wird. Die Durchlässigkeit des bayerischen Schulsystems wurde in den letzten Jahren enorm verbessert. Neben der allgemeinen Bildung ist gerade die berufliche Bildung zu einem wichtigen und nicht mehr wegzudenkenden Weg zur Hochschule geworden.

(Beifall bei der CSU und der FDP)

Von Herrn Kollegen Breitschwert ist heute bereits angesprochen worden, dass über 43 % aller Hochschulzugangsberechtigungen in Bayern mittlerweile über das berufliche Schulwesen oder die berufliche Bildung erworben werden. Um diese im System vorhandenen Möglichkeiten wird Bayern in anderen Bundesländern geradezu beneidet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Aufgabe besteht darin, die Übergänge an die weiterführenden Schulen künftig noch stärker und intensiver zu begleiten. Hierzu sind bereits entsprechende Maßnahmen eingeleitet worden. Ich denke an die Lotsen an den Gymnasien. Ich erinnere an die Einführungsklassen und die Kooperationen zwischen den Schulen. Das dürfte Ihnen soweit bekannt sein.

Daher freuen wir uns auf die Auseinandersetzung über diesen Gesetzentwurf im Ausschuss. Ich darf Ihnen jedoch heute schon sagen, dass wir Ihren Gesetzentwurf, Herr Kollege Gehring, aller Voraussicht nach ablehnen werden.

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Nöth, Frau Kollegin Schopper hat sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Kollege Nöth, ich möchte Sie noch einmal darauf hinweisen, dass wir die pädagogische Einschätzung der Lehrkräfte für unabdingbar halten. Unser Gesetzentwurf beinhaltet, dass die Beratung an den Grundschulen durch die Lehrkräfte Bestandteil des Übertrittsverfahrens sein soll. Wie erklären Sie sich, dass in zwölf anderen Bundesländern diese Regelung bereits gilt? Dort fährt der Zug nicht unaufhaltsam ins Gymnasium. Dort schicken die Eltern ihre Kinder nicht sehenden Auges ins Verderben. Dort wird sehr wohl nach einer ausführlichen Beratung erwogen, welche Kinder in welche Schulart kommen. Bei uns spielen sich regelmäßig Dramen in den Klassenzimmern ab - man denke an den 2. Mai -, wenn der Übertritt nicht geschafft wurde. Sie sollten sich unsere Argumente noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Mich würde interessieren, wie Sie meine Einwürfe einschätzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Kollege Nöth, Sie haben das Wort.

Eine kurze Antwort: Es lässt sich feststellen, dass die Schüler bei länderübergreifenden Vergleichsstudien überall dort, wo beim Übertritt auf Leistung und auf Noten gesetzt wird, besser abschneiden. Zudem sind wir der Meinung, dass ein aussagekräftiges Grundschulgutachten wichtig ist. Dieses sieht Ihr Gesetzentwurf nicht vor. Selbstverständlich ist die Beratung sowohl Ihr als auch unser Anliegen. Wir setzen jedoch auf ein tragfähiges und aussagekräftiges Grundschulgutachten. Das ist in dieser Form im Gesetzentwurf nicht vorgesehen. Darü

ber werden wir sicherlich im Rahmen der Gesetzesberatung noch sprechen.

(Beifall bei der CSU - Theresa Schopper (GRÜ- NE): Die harten Quoten 2,33 und 2,66 sind etwas anderes als ein Gutachten!)

Als Nächster hat Herr Kollege Martin Güll für die SPD das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Manchmal habe ich das Gefühl, dass die CSU-Fraktion den Blick für die Realität komplett verloren hat.

(Christine Stahl (GRÜNE): Den haben sie nie gehabt!)

Gibt es nur eine Wahrheit? Gibt es vielleicht zwei Wahrheiten? Vor nicht all zu langer Zeit hat die "Süddeutsche Zeitung" in einer Wochenendbeilage getitelt: "Die gefürchtete Zahl: 2,33". Das Eingangsstatement möchte ich hier zitieren:

Ihn erhofft man, vor ihm fürchtet man sich, deswegen weint oder kämpft man: Der Wahnsinn "Übertritt". Seit die Schultüte ausgepackt wurde, kennt man diesen dramatischen Termin: Wer schafft es auf das Gymnasium? Wer nicht? Viertklässler werden derzeit irre, Eltern hysterisch und Lehrer laut.

Genauso war es wieder vor einer Woche. Am 2. Mai wurden die Übertrittszeugnisse ausgehändigt. Man muss nicht wiederholen: Wir sind eines der letzten Bundesländer, das ausschließlich auf den Notendurchschnitt setzt, was die weitere Schullaufbahn der Kinder anbetrifft. Dieses Vorgehen ist höchst fragwürdig. Es geht in erster Linie darum, hinzusehen, was mit unseren Kindern passiert. Dass aufgrund des Verfahrens in den Grundschulen ein enormer Leistungsdruck vorhanden ist, der die Grundschülerinnen und Grundschüler belastet, ist mittlerweile unbestritten. Das kann man auch so zugeben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will mich Professor Brügelmann anschließen, der schon 2009 gesagt hat: Es macht mir Angst. Der Druck, der durch Noten und vor allem durch die Aufteilung der Kinder nach der vierten Klasse auf verschiedene Schulformen entsteht, macht Kinder und Eltern krank. - Deshalb entsteht womöglich diese Unsitte, dass in Bayern Kinder wie kaum woanders bereits in der dritten und vierten Klasse Nachhilfe erhalten. Schon im Jahr 2010 hat Professor Klemm in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung festgestellt: Über

16 % aller Viertklässler in Bayern erhalten in Deutsch Nachhilfe und 13 % in Mathematik. All das liegt über dem Durchschnitt der Länder.

Diese Tatsache muss doch etwas mit dem Verfahren zu tun haben. Deshalb ist es richtig und notwendig, dass die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN diesen Gesetzentwurf eingebracht hat. Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen und uns entsprechend in die Diskussion einbringen. Ich weiß, dass Sie - Herr Kollege Gehring hat es schon gesagt - den Einwand der sozialen Gerechtigkeit bringen. Ich weiß nicht, ob es gerechter ist, wenn Eltern Geld in die Hand nehmen, um ihren Kindern einen Durchschnitt von 2,3 oder 2,6 zu ermöglichen oder ob man Kindern aus bildungsnahen Schichten gleich den Weg ins Gymnasium öffnet. Der Druck, der auf Kinder in der Grundschule, deren Eltern und Lehrern lastet, muss in den Blick genommen werden.

Ich weiß nicht, ob Sie wirklich so viel Zutrauen in das Übertrittsverfahren haben. Der Herr Korrekturminister Dr. Spaenle ist nicht da, aber Sie, Herr Staatssekretär, können darüber einmal nachdenken. Sie haben gestern an 700 Grundschulen eine Umfrage gestartet. Darin war keine Frage enthalten, wie belastend die Eltern dieses Verfahren des Übertritts einschätzen. Die Eltern konnten nur angeben, ob das Ziel gut oder schwer erreichbar ist, aber nicht, wie belastend es ist. Von Elternwillen und einem kindgerechten Übertrittsverfahren zu sprechen - ich glaube, davon sind wir meilenweit entfernt.

Deshalb gilt es darauf zu schauen, wie man das Verfahren anders regeln kann. Wir müssen von dem Notenprinzip wegkommen und zu einer echten Beratungssituation kommen. Das geht nur, wenn Eltern Herr Kollege Gehring hat darauf hingewiesen - eine vernünftige und gleichwertige Alternative haben. Die Mittelschule ist keine Alternative, die in den Augen der Eltern gleichwertig ist. Deshalb brauchen wir die Modelle eines gemeinsamen längeren Lernens mit der Möglichkeit, die gleichen Abschlüsse wie bei den anderen Schularten zu erwerben, damit sich die Eltern in Ruhe und mit Bedacht nach entsprechender Beratung für die richtige Schullaufbahn ihrer Kinder entscheiden können.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Nicht mehr wollen wir und das nimmt dieser Gesetzentwurf in den Blick. Deshalb müssen wir darüber diskutieren, Herr Kollege Nöth. Ich weiß nicht, ob diese Diskussion fruchtbar ist, wenn Sie jetzt schon sagen, Sie hätten sich schon längst entschieden. Das ist in diesem Hohen Haus ein schwieriges Kapitel, wenn man schon vorher entscheidet, bevor man darüber

diskutiert. Ich rufe Sie auf, in Ruhe die Argumente auszutauschen und das Übertrittsverfahren so oder in ähnlicher Form weiterzuentwickeln.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Als Redner für die Fraktion der FREIEN WÄHLER hat Herr Kollege Dr. Felbinger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Freigabe des Elternwillens ist ein ganz heißes Diskussionsthema. Man kann fast sagen - Frau Kollegin Schopper hat es vorhin angedeutet -, dass es sich um ein fast ureigenes bayerisches Problem handelt, weil nahezu alle Bundesländer mittlerweile dazu übergegangen sind, die Eltern über die Schullaufbahn ihrer Kinder entscheiden zu lassen.

Das mag auf den ersten Blick durchaus vernünftig erscheinen, und man könnte überlegen, das im Freistaat zu wagen, wie es die SPD und die GRÜNEN fordern. Nur - man muss das ganz deutlich sagen - hat die Sache einen entscheidenden Haken. Deshalb wollen wir von den FREIEN WÄHLERN eine derart vorschnelle Entscheidung nicht mittragen. Es ist wissenschaftlich deutlichst erwiesen - auch das ist schon angedeutet worden -, dass die Freigabe des Elternwillens soziale Ungleichheit eher noch zementiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

- Ja, Sie können ruhig applaudieren. Es stimmt.

Gerade Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern profitieren nicht davon. Man kann sagen: Je freier die Elternwahl ist, desto größer ist die soziale Ungleichheit. In diesem Punkt sind sich alle renommierten Bildungsforscher in diesem Land so einig, wie es sonst selten der Fall ist. Ob es Baumert, Klemm, Maaß oder Trautwein ist - alle kommen zu demselben Ergebnis. Das sollte uns zu denken geben. Wir können doch nicht ernsthaft wollen, dass das deutsche Bildungssystem, dem von allen Seiten vorgeworfen wird, soziale Ungleichheit zu zementieren, das in Zukunft in noch stärkerem Maße tut. Das wäre im wahrsten Sinne des Wortes kontraproduktiv. An dieser Stelle sehen wir von den FREIEN WÄHLERN uns in der politischen Verantwortung.

Ich muss leider sagen, meine Damen und Herren von der Fraktion der GRÜNEN: Gut gemeint ist leider oft das Gegenteil von gut. Das ist auch in diesem Fall so. Mit diesem Gesetzentwurf verschlimmern Sie die ohnehin schon schwierige Situation. Sie schaffen da

durch aber ganz sicher nicht mehr Bildungsgerechtigkeit.

Herr Kollege Felbinger, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Güll zu?

Am Ende.

Wenn wir heute über die Freigabe des Elternwillens diskutieren, dann bin ich davon überzeugt, dass wir das eigentliche Problem aus den Augen verlieren. Wir doktern vielmehr an Symptomen herum, ohne die eigentliche Ursache zu behandeln.

Das eigentliche Problem ist doch, dass unser Bildungssystem seit Jahren aus dem Gleichgewicht geraten ist und wir gute Lösungen finden müssen, um es wieder in die Balance zu bringen. Die Freigabe des Elternwillens kann nicht das Ziel sein. Wir brauchen stattdessen wirkungsvollere Maßnahmen, die die Möglichkeit eines hochwertigeren Bildungsabschlusses für alle möglichst lange offenhalten. - An dieser Stelle - auch das will ich ausdrücklich sagen - werde ich nicht müde zu wiederholen: Die Staatsregierung hat ihre Hausaufgaben noch längst nicht gemacht. Wir brauchen verstärkte Möglichkeiten der Kooperation und Modellschulen; Letzteres wurde vorhin schon angedeutet. Wir brauchen neue Methoden und neue Möglichkeiten der Beratung und von Beginn an eine ganz aktive Einbeziehung der Eltern. Wir brauchen auch eine Ausweitung der flexiblen Grundschule auf ganz Bayern und eine Ausdehnung auf die Jahrgangsstufen 3 und 4. Wir brauchen ganz sicher den Ausbau einer qualitativ hochwertigen Ganztagsschule auch in der Grundschule und wir brauchen eine Senkung der Klassenstärken. Dazu benötigen wir mehr Förderlehrer und im Zuge der Inklusion künftig auch Inklusionslehrer.