Schließlich gibt es auch noch den Fall, den Sie möglicherweise im Auge haben, dass nämlich staatliche Kernkompetenzen auf die europäische Bühne übertragen werden. Da haben wir aber kein Problem der Volksabstimmung, sondern ein Problem mit Artikel 146 des Grundgesetzes. Dann müsste sich das deutsche Volk ein neues Grundgesetz geben, wenn Kernbestandteile der Staatlichkeit weggenommen und nach Europa übertragen werden.
Diese Dinge müssen wir differenziert betrachten und dabei auch bedenken, dass es eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag gibt, in der die wesentlichen Streben enthalten sind. Ich persönlich meine auch, dass der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle wohl recht hat, wenn er sagt, dass der Rahmen der europäischen Integration auf dem Boden des Grundgesetzes wohl weitgehend erschöpft sei und dass für die Abgabe weiterer Kompetenzen an die EU nicht mehr viel Spielraum bestehen dürfte. Das ist die Ansicht des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Das halte ich für beachtlich. Die Konsequenz daraus ist, dass hierüber ein Volksentscheid nötig wäre. Ohne das Volk geht es nicht. Das wollte ich gesagt haben, meine Damen und Herren.
Und weil es so kompliziert ist, kann man dem Antrag der FREIEN WÄHLER so, wie er uns vorgelegt worden ist, nicht zustimmen, zumal nicht klar ist, welche Fragen nun genau gemeint sind, und im Übrigen auch nicht geklärt ist, wie das dann in die Systematik des Grundgesetzes passen soll, in dem bislang keine Volksabstimmungen dafür vorgesehen sind.
Weil wir als SPD, meine sehr verehrten Damen und Herren, einen viel weiter gehenden Antrag gestellt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag durchaus gelesen haben und ernst nehmen, können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Wir meinen, dass er einerseits in seiner sprachlichen Unbestimmtheit zu weit, andererseits aber auch nicht weit genug geht. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass wir ihm nicht zustimmen können.
Danke schön, Herr Kollege Schindler. Als Nächste hat Frau Christine Kamm das Wort. Bitte schön, Frau Kamm.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir kämpfen von Beginn an für mehr Demokratie und haben auch durch ein bayerisches Volksbegehren und einen Volksentscheid dafür gesorgt, dass es in Bayern ein vernünftiges Instrumentarium für Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den Kommunen gibt. Leider wurde dieses Instrumentarium später durch den Bayerischen Landtag ausgehöhlt.
Wir kämpfen aber auch für ein vernünftiges Volksabstimmungsgesetz auf Bundesebene, und zwar eines, in dem alle Fragen geregelt sind und in dem nicht nur detailliert gesagt wird, man wolle Volksabstimmungen, wenn es zu Zuständigkeitsverlagerungen im Rahmen des ordentlichen oder vereinbarten Änderungsverfahrens auf der europäischen Ebene kommt. Das ist uns zu wenig. Wir wollen ein vernünftiges Volksabstimmungsgesetz, in dem alle Fragen geregelt werden. Wir wollen, Herr Kollege Rieger, auch nicht Volksabstimmungen nach Bundesratsermessen. Das lehnen wir ab. Die Bevölkerung muss schon entscheiden können, über welche Fragen sie abstimmt und über welche nicht. Diese Kompetenzen sind klar zu regeln.
Ein Problem sehen wir auch darin, dass es bei entsprechenden Vertragsrechtsänderungsverfahren Volksabstimmungen in jedem EU-Mitgliedsstaat mit unterschiedlichen Ergebnissen gibt. Das ist natürlich ein Problem. Man muss daher Sachfragen auf der Ebene regeln, auf der sie dann auch greifen. Sie können also nicht zu bestimmten Fragen auf unterer Ebene Bürgerentscheide oder Volksentscheide be
schließen, die auf höherer Ebene wirken sollen, sondern Sie müssen eigentlich auch die Frage lösen, was passiert, wenn einzelne Abstimmungen örtlich anders ablaufen als im gesamten betroffenen Gebiet. Volksentscheide müssen jeweils auf der richtigen Ebene durchgeführt werden.
Außerdem möchte ich Sie auf Folgendes hinweisen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von den FREIEN WÄHLERN: Sie fordern per Antrag eine Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger bei Volksabstimmungen zu europarechtlichen Fragen. Heute Nachmittag beantragen Sie, dass der Landtag ausdrücklich erklärt, dass er jegliche Abtretung von Kompetenzen von Bund, Ländern und Kommunen ablehnt, also offensichtlich in diesen Fragen keine Volksabstimmung wünscht. Diese Frage müsste von Ihnen geklärt werden.
Danke schön, Frau Kollegin. Als Nächster hat Kollege Thomas Dechant das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der FDP ist es schon immer ein großes Anliegen, die Bürgerbeteiligung und die Basisdemokratie zu stärken und auch Volksabstimmungen und Abstimmungen der Bürger auf allen Ebenen einzuführen, zu stärken und weiter auszubauen. Im Übrigen, Herr Piazolo, mit Verlaub, auch das Weltbild der FREIEN WÄHLER ist inzwischen weg. Auch Sie sehe ich im Moment nicht.
- Das betrifft auch manche andere Fraktion. Sie haben da völlig recht. Von daher wollte ich Ihnen beipflichten und sagen, dass auch ich mir von den Kolleginnen und Kollegen wesentlich mehr Interesse für dieses Thema wünsche.
Über die Punkte 1 und 2 brauchen wir, glaube ich, nicht zu reden, wie der Kollege von der SPD schon gesagt hat. Diese Punkte enthalten Selbstverständlichkeiten, das ist klar.
Es geht also wirklich um den Punkt 3. Den Punkt 3 begrüße ich. Ich kann ihn nach dem ersten Durchlesen auch nicht wörtlich ablehnen. Das gilt, wie gesagt, für das erste Durchlesen. Ich komme in meinen weiteren Ausführungen zu dem, was dort unter Umständen aus unserer Sicht wirklich problematisch ist.
Ich habe in der Ausschusssitzung schon darauf verwiesen, dass in Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes eine grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der
Gesetzgebung vorgeschrieben ist, was auch Länderangelegenheiten betrifft. Das ist in Ihrem Antrag so nicht berücksichtigt.
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Wir haben nicht nur ein Problem damit, dass die Menschen das Gefühl haben, dass sie nicht mehr mitreden dürfen. Wir haben auch ein Problem damit, dass wir Volksvertreter und wir Abgeordnete teilweise nicht wirklich mitreden dürfen, weil wir Verantwortung auf die Regierungen, auch auf die Landesregierungen, delegiert haben.
So ist es zum Beispiel ganz wichtig, dass wir in Bayern noch in die Verfassung aufnehmen, dass wir unsere Regierung mit Abstimmungen im Landtag, mit Gesetzen auch hinsichtlich ihres Verhaltens bei Bundesratsabstimmungen binden können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn wir erreichen würden, das in der Verfassung zu verankern - das ist ein Anliegen vieler CSU-Kollegen und auch mein Anliegen -, dann würden wir auch über die Volksabstimmung in Bayern hinbekommen, dass wir per Gesetz auch die Bayerische Staatsregierung bei Abstimmungen im Bundesrat über eine Volksabstimmung binden könnten. Das wäre ein wichtiger Punkt und würde diese ganze Angelegenheit wirklich nach vorn bringen sowie ein Defizit bereinigen. Man sollte nicht nur einfach plakativ fordern, wir brauchen Volksabstimmungen, damit wir irgendwie eine höhere Beteiligung hinbekommen. Wir haben schon vorher ein Problem.
Wir haben eine repräsentative Demokratie, die so aussieht, dass der Wähler uns als Abgeordneten für eine bestimmte Zeit die Verantwortung überträgt. Wenn wir diesem Antrag nun folgen, konterkariert dies irgendwo die repräsentative Demokratie ein kleines Stück. Wie gesagt, ich selbst habe große Sympathie für diesen Punkt 3. Die FDP wird diesen Antrag aber ablehnen, und zwar aus den Gründen, die ich schon angesprochen habe: Grundgesetz Artikel 79 Absatz 3 ist nicht berücksichtigt; aber auch wegen der Verpflichtungen gegenüber unserem Koalitionspartner der Antrag wird abgelehnt. Denn wir leben eine vernünftige Partnerschaft mit unserem Koalitionspartner.
Noch eine Schlussbemerkung: Wenn wir diesen Antrag so beschließen wollten und man dieser Absicht folgen würde, müssten wir zunächst einmal diese Absicht zur Durchführung einer Volksabstimmung in
Bayern beschließen lassen, weil man da über die Volksmeinung möglicherweise hinausginge. Die Bevölkerung will das unter Umständen vielleicht gar nicht haben, dass wir auf Bundesebene Volksabstimmungen zu Themen durchführen, die bayerische Kompetenzen auf Europa übertragen. Wenn man dieser Logik folgen würde, müsste man zunächst diesen ersten Schritt gehen. Ich selbst hege, wie gesagt, große Sympathie und werde deshalb persönlich diesen Antrag auch nicht ablehnen. Die FDP wird ihn ablehnen; denn rein formal gibt es Gründe, diesen Antrag abzulehnen.
Danke schön, Kollege Dechant. Nun hat Herr Staatsminister Thomas Kreuzer das Wort. Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Antrag der FREIEN WÄHLER steht unter der Überschrift "Einführung von Volksabstimmungen bei wichtigen Fragen zur Zukunft Europas". Das klingt zunächst einmal gut und richtig. Europa rückt zunehmend ins Zentrum der Berichterstattung und des Alltagsinteresses der Bürgerinnen und Bürger. Dabei geht es oft genug um Geld, um Solidarität mit wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten und um Transferleistungen. Aber auch Fragen wie der Beitritt der Türkei werden kontrovers diskutiert und immer wieder geht es auch um die Macht, die die Brüssler Bürokratie über unser Land bekommen soll, und um die Frage, wo wir in Deutschland lieber selbst die Entwicklung in unserer Hand behalten wollen.
Die Entwicklung Europas, unserer Währung, des Ob und Wie unserer rechtlichen und fiskalischen Verpflichtungen gegenüber anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind Fragen, die viele Bürgerinnen und Bürger derzeit auf den Nägeln brennen und worüber sie sich große Sorgen machen.
Es liegt daher nahe, die Bürgerinnen und Bürger unmittelbar einzubeziehen, wenn es um solche wichtigen Zukunftsfragen in Europa geht.
Auch wir in der Staatsregierung diskutieren über diese Fragen. Meine Partei hat schon in ihrem Europawahlprogramm 2009 die Möglichkeit von Referenden in Europafragen direkt in den Blick genommen. Das Thema als solches ist also aktuell und diskussionswürdig.
Ich habe zugleich amüsiert festgestellt - der Redner der FREIEN WÄHLER hat dies ja auch gesagt -, dass die FREIEN WÄHLER die Grundaussage und vor
allem die Begründung ihres Antrags zum großen Teil Wort für Wort aus dem Europawahlprogramm der CSU von 2009 schlichtweg abgeschrieben haben. Das mindert nicht die Qualität der abgeschriebenen Aussagen. Ganz im Gegenteil.
Ein erster Punkt, der problematisch sein kann: Sie fordern ausnahmslos ein obligatorisches Referendum, also eine verpflichtende Befragung des Volkes bei allen Zuständigkeitsfragen. Derart ausnahmslos ein obligatorisches Referendum für Deutschland zu fordern, würde bedeuten, unser Land in der EU zu isolieren und zum Problemfall zu machen. Fakultative Referenden, also Volksentscheide auf Antrag, können in manchen Fällen der geeignetere Weg sein. Darüber gilt es gründlicher nachzudenken und differenzierter zu diskutieren.
Der zweite Punkt: Sie wollen dieses obligatorische Referendum sogar bei EU-Vertragsänderungen im "vereinfachten Verfahren". Da frage ich Sie: Wissen Sie eigentlich, was das "vereinfachte Verfahren" ist?
Ich will Ihnen ein paar Beispiele geben, was vielleicht einmal Gegenstand solcher vereinfachter Vertragsänderungen und somit Gegenstand von Volksabstimmungen sein könnte. Das sind Vertragspassagen, die im dritten Teil des AEUV (Anm.: Vertrag über die Ar- beitsweise der Europäischen Union) geregelt sind. Dazu gehören auch solche Fragen wie etwa der europäische Sozialfonds, die Raumfahrt, die Verwaltungszusammenarbeit, der Tourismus.
Ich will die Bedeutung dieser Fragen nicht mindern, aber es sind politische Alltagsprobleme. Wollen Sie wirklich zu jeder einzelnen dieser Fragen verpflichtend das Volk befragen, meine Damen und Herren? Wir können nicht ständig 12,5 Millionen Bayern oder 82 Millionen Deutsche über politische Alltagsfragen abstimmen lassen. Das ist vielmehr die Aufgabe der Parlamente. Dafür sind wir und dafür sind unsere Kollegen im Deutschen Bundestag gewählt. Eine Volksabstimmung ist in jedem größeren Land kompliziert, dauert lang und ist kostspielig. Sie ist also nur bei
wirklich bedeutenden Fragen sinnvoll und finanzierbar. Eine Volksabstimmung muss Ausnahmecharakter haben. Eine Inflation von Volksabstimmungen nützt niemandem, sondern führt nur zu Desinteresse beim Wahlvolk, zu politischer Blockade beim Parlament und zu Frustration bei allen, die sich am Ende nicht durchsetzen können.
Ein Drittes kommt hinzu. Ihr Antrag wendet sich unter anderem gegen Zuständigkeitsübertragungen und sieht das vereinfachte Verfahren als einen solchen Fall. Ich will Ihnen vorlesen, was dazu im EU-Vertrag steht und was ein Blick in den Vertragstext sofort offenbart. Dort steht: Eine vereinfachte Vertragsänderung darf - so wörtlich - "nicht zu einer Ausdehnung der der Union im Rahmen der Verträge übertragenen Zuständigkeiten führen", Artikel 48 Absatz 6, Unterabsatz 3 EUV. Meine Damen und Herren, Sie beschwören in Ihrem Antrag ein Gespenst, das nach dem Vertragstext gerade ausgeschlossen ist. Sie haben diesen Text offensichtlich nicht gelesen.
Ich will zusammenfassen: Ihr Antrag ist in entscheidenden Punkten undifferenziert und daher aus der Sicht der Staatsregierung nicht zustimmungsfähig. Ich kann Ihnen aber versichern, dass sowohl in meiner Partei als auch innerhalb der Staatsregierung bereits über Wege nachgedacht wird, in welchen Fällen und auf welche Weise Referenden zu Europafragen sinnvoll und organisierbar sein könnten.
Ihrem vorliegenden Antrag kann ich aber wegen der von mir geschilderten handwerklichen Fehler nicht zustimmen. Ich bitte, den Antrag abzulehnen.
Herr Dr. Piazolo, Sie haben sich zu einer Zwischenbemerkung gemeldet. Bitte sehr, Sie haben das Wort.