Protocol of the Session on April 26, 2012

Der Sündenfall war im Mai 2010, als sich Bundeskanzlerin Merkel von ihrer bis dahin einigermaßen soliden Strategie, keine Schulden zu vergemeinschaften, wegbewegt hat. Im Mai 2010 ist dieser Grundsatz erstmals durchbrochen worden. Wir haben dem ersten Griechenland-Rettungsschirm zugestimmt, und dies auch auf Druck Frankreichs, weil vor allem französische Banken den Kopf in der Schlinge hatten. Aufgrund dieser Entscheidung - das ist zumindest meine persönliche Meinung - hat der damalige Bundespräsident Köhler hingeschmissen. Ab diesem Zeitpunkt hat sich die Spirale immer mehr zugedreht. Die sprichwörtliche rote Linie ist mittlerweile zum genauso sprichwörtlichen roten Zebrastreifen geworden. Es hat immer geheißen: Bis hierher und nicht weiter. Die FDP hat vor Kurzem gesagt, sie wolle den ESM zeitlich befristen. Die CSU sagt immer: Nur diese Summe und nicht mehr. Immer dann, wenn sie gesagt haben, bis hierher und nicht weiter, war schon garantiert, dass das Weiter drei Tage später kam.

Deshalb unter dem Strich heute der Appell an Sie: Denken Sie solide. Was machen wir? Ich habe es gesagt. Ich wiederhole es gerne noch einmal. Wir for

dern Regulierungsmaßnahmen für die Banken, wie sie seit Jahren versprochen werden. Bisher ist nichts gekommen. Die Finanzabenteuer werden munter weitergeführt. Sie sagen nur, da können wir nichts machen. Halten Sie sich zumindest an Ihre Verträge. Übernehmen Sie keine Schulden und keine Haftungen für Spekulationswütige. Nur so wird sich dieses System selber sanieren und heilen. Wenn sich der Spekulant nicht mehr darauf verlassen kann, dass es für ihn ein Auffangnetz gibt, wird er besser aufpassen. Wenn Sie sagen, es ist eh schon egal, wir zahlen weiter, dann ist es Ihre Politik. Wir fordern Sie auf und geben Ihnen heute die Chance, klar Nein zu sagen. Wenn Bayern im Bundesrat Nein sagen würde, könnte es dieses System zu Fall bringen. Damit ist es heute in die Hände der CSU und der FDP gelegt, Nein zu sagen und den ESM und den Fiskalpakt spätestens im Bundesrat zu stoppen. Dazu rufe ich Sie auf. Dazu appelliere ich an Sie. Sie haben heute die Gelegenheit, namentlich zu beweisen, wo Sie politisch stehen.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Herr Kollege Aiwanger. Als Nächster hat sich Herr Dr. Runge vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet, bitte schön.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts wird heute im Organ "Nordbayerischer Kurier" mit vielen Sätzen wiedergegeben. Ich trage nur einen Satz davon vor: Die Landtage stünden "einer Abwanderung ihrer Kompetenzen nach Europa als auch zum Bund weitgehend schutzlos gegenüber". Genau da setzt unser heute vorgelegter Antrag an. Wir fordern die Staatsregierung auf, im Bundesrat dem Fiskalpakt in seiner derzeitigen Form nicht zuzustimmen.

(Zuruf des Abgeordneten Eberhard Sinner (CSU))

Wir begründen das mit drei Argumentationssträngen. Erstens. Bundesrat und Bundestag sollen das Fiskalpaket mit jeweils einer Zweidrittelmehrheit absegnen. Das steht ihnen schlicht und ergreifend nicht zu. Das ist ein Eingriff in das Haushaltsrecht Deutschlands und in die Haushaltsautonomie von Bundestag und Landtag. Es handelt sich beim Fiskalpakt um einen völkerrechtlichen Vertrag, der nicht einseitig gekündigt werden kann. Man kann zwar darüber diskutieren, ob es gut ist, eine Kompetenz zu verschieben oder nicht, aber man muss einfach festhalten: Das steht Bundestag und Bundesrat nicht zu. Selbstverständlich sind auch wir als Landtag direkt betroffen, weil mit der Vor

gabe der gesamtstaatlichen Neuverschuldung ab 2015 von einem halben Prozent, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, Länder, Kommunen und Bund gleichermaßen betroffen sind.

(Zuruf des Abgeordneten Eberhard Sinner (CSU))

Man muss ganz klar sagen: Es geht nicht, dass der Bundestag und der Bundesrat mit der Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag die Haushaltsautonomie des Landtags aushebeln.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die zweite Begründungschiene ist die finanz-, wirtschafts- und sozialpolitische Unwucht zugunsten der Finanzmärkte, vor allem zugunsten der großen Spieler und zugunsten der besonders Wohlhabenden. Wenn Sie einmal den Fiskalpakt und die einschlägigen Gesetze durchlesen, werden Sie feststellen, dass er ganz eindeutig auf Haushaltskonsolidierung durch Ausgabenkürzung ausgerichtet ist. Das Hauptziel ist es, das Vertrauen der Märkte in die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen herzustellen. Mit "Märkten" sind die Finanzmärkte und die Spieler auf den Finanzmärkten gemeint. All das, was gerade angesprochen worden ist - dringend notwendige Regulierung der Finanzmärkte, dringend notwendige Umverteilung - wird ausgeblendet. Wenn ich das dann noch mit der Liberalisierungs- und Privatisierungsdoktrin in den bisherigen Verträgen kombiniere, dann sehe ich ganz klar, wohin die Richtung geht. Investitionsprogramme in Bildung und in andere Bereiche werden massiv erschwert; jederzeit kann einseitig eine Austeritätspolitik verordnet werden.

Der dritte Argumentationsstrang sind Exekutivlastigkeit und Demokratieverkürzung. Das gesamte Paket in unserem Antrag ist ausgeführt, was das alles enthält - soll im Schweinsgalopp durch Bundestag und Bundesrat gejagt werden. Ende Mai soll die Dritte Lesung im Bundestag durch sein, und im Juni soll der Bundesrat endgültig befinden. Wir halten die Materie aber für so bedeutsam, dass wir glauben, man kann sich da nicht so schnell durchhecheln. Wenn man sich dann noch vor Augen führt, welche Lücken auch noch im Text sind, kommt man erst recht zur Überzeugung, dass das nicht so schnell durchexerziert werden kann.

Wie würde das Ganze denn dann gelebt werden? Ein allenfalls geringfügig demokratisch legitimiertes Gremium hätte dann über die Maßnahmen zu befinden; das Europäische Parlament und der Bundestag wären außen vor.

Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz auf die beiden anderen vorliegenden Anträge eingehen.

Zunächst gehe ich auf den Antrag der FREIEN WÄHLER ein. Ich bemühe mich immer, in meiner Fraktion für Ihre Anträge gerade in diesem Kontext zu werben. Sie haben vielleicht auch das Abstimmungsverhalten einiger von uns bei Ihrem letzten Antrag bemerkt. Diesem Antrag können wir aber beim besten Willen nicht zustimmen, weil er wirr und das genaue Gegenteil von dem ist, was Sie vorhin gesagt haben. Vorhin haben Sie eine Volksabstimmung gefordert. Jetzt sagen Sie genau das Gegenteil: "Der Landtag erklärt zudem ausdrücklich, dass er jegliche Abtretung von Kompetenzen im Budgetrecht von Bund, Ländern und Kommunen ablehnt." Was geschieht denn, wenn eine Volksabstimmung als Ergebnis hat, dass eine Kompetenzverschiebung gewollt ist? Dann wäre es auf einmal möglich. Aufgrund Ihrer Formulierung wäre es definitiv nicht möglich.

(Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))

- Aktuell ist das klar, aber dann formulieren Sie halt sauberer! Die Frage ist, auf welchem Weg das gemacht wird, und dann geht es um das Materielle. Aus der Begründung geht hervor, dass es tatsächlich einen massiven Unterschied gibt. Wir sagen ganz klar - das haben wir hier auch in vielen parlamentarischen Initiativen vorgetragen -, dass wir keine Haftungsunion wollen. Die Europäische Union ist aber eine Transferunion. Sie ist so angelegt worden, schon als EWG. Selbstverständlich gibt es einen Ausgleich, damit auch Soziales berücksichtigt wird. Dass sie eine Transferunion ist, sehen Sie, wenn Sie sich die Agrarpolitik oder die Strukturpolitik anschauen. Wir sagen: Das ist auch gut so.

Jetzt komme ich zum Antrag der Kolleginnen und Kollegen der CSU betreffend "ESM und Fiskalpakt eng verknüpfen". Ihren Antrag kann ich wirklich nur als Lachnummer und als Offenbarungseid bezeichnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Rote Linien sind nicht einmal mehr rote Gummibänder. Sie haben getönt: keine Parallelität von EFSF und ESM, kein Vorziehen, nicht über die 211 Milliarden Euro hinaus bürgen. Es gibt sogar entsprechende Beschlüsse des Kabinetts. Ich könnte jetzt reihenweise schöne Zitate des Ministerpräsidenten vortragen - alles Schall und Rauch! Wir wissen eines: Mit der Parallelität von ESM und EFSF bürgt Deutschland jetzt für ein Jahr mit 400 Milliarden Euro, die weiteren 30 Jahre mit 250 Milliarden Euro. Wo bleibt da Ihre Ansage, es dürften nicht mehr als die 211 Milliarden Euro sein?

Das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Ohne Erhöhung des Stammkapitals darf das Ausleih

volumen beliebig ausgeweitet werden. Man findet auch die Formulierung, dass alle Mitgliedstaaten unbegrenzt zum Ausgleich von Verlusten verpflichtet sind. Wo bleiben da Ihre schönen Töne und Ihre Kabinettsbeschlüsse? An die halten Sie sich gleich wieder nicht.

Das Risiko Target-Kredite wurde auch angesprochen. Wir haben es hier einfach mit der Situation zu tun, dass ein System des grenzüberschreitenden Giroverkehrs zu einem Darlehensprogramm mutiert ist. Auch daran ist die Bundesbank mit vielen hundert Milliarden Euro beteiligt. Auch da schlummern enorme Risiken.

Hier muss auch noch das Thema Demokratie angesprochen werden, und deswegen müssen Änderungen her. Wie ist das Ganze geschnitzt? Da gibt es einen Gouverneursrat und ein Direktorium, die ganz weitgehende Kompetenzen haben, bis hin zur Ausweitung der ausgereichten Gelder. Das Ganze geschieht ohne jegliche Transparenz und unter dem Schutz der Immunität. Die Parlamente werden ausgeblendet. Auch das sind Dinge, die man an dieser Stelle kritisch ansprechen müsste.

Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie fordern in Ihrem Antrag, dass dem Fiskalpakt und ESM unter engen Voraussetzungen zugestimmt werden soll. Vorher haben Sie immer genau das Gegenteil geschwätzt. Sie sollten sich schämen. Etwas anderes bleibt Ihnen auch gar nicht übrig.

(Beifall bei den GRÜNEN, den FREIEN WÄH- LERN und Abgeordneten der SPD)

Danke, Herr Dr. Runge. Als Nächsten bitte ich für die CSU Herrn Radwan an das Mikrofon, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Jetzt ist sehr viel über Geldwertstabilität und über Interessen der Bürger gesprochen worden. Wir wurden auch dazu ermahnt, dieses nicht als Populismus abzuschmettern. Ich werde den Versuch unternehmen, das nicht in dieser Form zu tun.

Nachdem die FREIEN WÄHLER als Partei nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundes- und Europaebene kandidieren werden, könnten sie ja die Konsequenzen dessen darstellen, was sie fordern und was ihre Lösung bedeuten würde.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Die Banken regulieren, sich an die bisherigen Kriterien halten!)

- Über das Thema Bankenregulierung können wir uns gerne unterhalten. Bankenregulierung ist gewiss not

wendig. Aber Sie tun so, als könnten die FREIEN WÄHLER, die demnächst kandidieren werden, allein schon deswegen eine weltweite Bankenregulierung hinbekommen.

(Zuruf des Abgeordneten Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER))

Diese Art und Weise, sich von Lösungsmöglichkeiten billig davonzustehlen und darzustellen, wohin es gehen soll, ist schon bemerkenswert.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Wir haben uns zu lange auf Sie verlassen!)

- Ich habe damals im Europäischen Parlament gegen Griechenland gestimmt, und da habe ich von Herrn Aiwanger noch nichts gehört.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Und Ihre Kollegen?)

- Die haben auch dagegen gestimmt. Wir haben dagegen gestimmt. Was haben Sie gemacht? Ich habe zu diesem Zeitpunkt keinen Einzigen von den FREIEN WÄHLERN gehört, der gesagt hat, man möge sich rechtzeitig mit dem Thema auseinandersetzen.

(Beifall bei der CSU und Abgeordneten der FDP)

Erstaunlich finde ich auch, dass Sie den Fiskalpakt in Ihre Kritik einbeziehen. Die bisherigen Maßnahmen, die breit diskutiert werden, gilt es darzulegen, und es ist auch zu hinterfragen, wie man die Märkte stabilisiert. Jetzt haben wir einen Fiskalpakt in Europa, der sich an der Schuldenbremse Deutschlands orientiert, indem wir sagen, die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen entsprechende Maßnahmen in ihre Verfassungen aufnehmen und sparen. Das ist die Voraussetzung für eine gemeinsame Währung. Hierzu habe ich von Ihnen nichts gehört.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Freilich! Dazu habe ich doch etwas gesagt! Der Fiskalpakt kommt gar nicht!)

Sie wollen diesen Fiskalpakt, der hart erkämpft wurde, sogar ablehnen. Sie wollen also das Instrument, den zweiten Schritt, nachdem wir den Markt im ersten Schritt gestützt haben, nicht. Wir müssen jetzt aber gemeinsam vorgehen, um dem Euro eine solide Basis zu geben. Wissen Sie übrigens, wer derzeit in Griechenland massiv aufholt? Diejenigen, die weiter Schulden machen wollen. Mit denen können Sie dann gemeinsam im Europäischen Parlament eine Koalition eingehen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Der Fiskalpakt kommt doch gar nicht!)

- Sie lehnen den Fiskalpakt ab,

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie müssen ihn ablehnen!)

weil Sie den Schritt in die Schuldenbegrenzung in Europa ablehnen. Das gilt es, hier festzustellen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie machen die Schulden!)

- Nein, nein, wir machen in Bayern nicht die Schulden. Wir sind diejenigen, die anfangen, zurückzuzahlen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Aber in Europa! - Markus Rinderspacher (SPD): Aber im Bund machen Sie die Schulden schon! - Unruhe Glocke der Präsidentin)