Protocol of the Session on May 10, 2007

Letzte Wortmeldung: Frau Kollegin Stahl.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Der Gesetzentwurf scheint mehr, als er tatsächlich ist. Er gibt vor, den Strafvollzug in Bayern modernisieren zu wollen, und er gibt vor, die Interessen von Gesellschaft, Opfern und Tätern zu berücksichtigen. Alle drei Punkte erfüllt das Gesetz nicht. Es betreibt in Teilen

sogar Augenwischerei, und das ist das besonders Ärgerliche.

(Beifall der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Er orientiert sich in Teilen an sehr schweren Tätergruppen, die aber mit der überwiegenden Zahl der Einsitzenden wenig gemein haben.

In einem vierten Punkt, dem Jugendstrafvollzug, zu dem wir hier schon gesprochen haben, widerspricht er unserer Ansicht nach zudem den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Wir werden im Zusammenhang mit dem Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes von der SPD und uns noch einmal darüber reden müssen.

Nach den Mitteilungen aus dem Justizministerium, zum Beispiel im März 2007, oder aus dem Kabinett und auch nach den Äußerungen von Ihnen heute frage ich mich, ob Sie übersehen haben, dass Sie lange, schon in KohlZeiten – Sie brauchen da nicht mit dem Finger nach Berlin zu zeigen –, für den Strafvollzug in Bayern zuständig waren. Herr Welnhofer hat es auch noch einmal betont. Dann frage ich mich, wieso ich in einer dpa-Meldung lesen darf, dass jetzt „endlich“, nach der Föderalismusreform, „der Schutz der Menschen in Bayern möglich ist“. Können Sie mir bitte erklären, wieso Sie die Menschen in Bayern davor nicht geschützt haben und wo das Problem lag? – Das ist ja wohl schlichtweg Humbug.

Mit dem Punkt „Sicherheit für die Bürger und Bürgerinnen“ sind wir auch augenblicklich in der Debatte: Was bringt tatsächlich mehr Sicherheit? Ist es nicht die Resozialisierung – oder ist es das Wegsperren? Ist es nicht sehr wohl das, was Bundesverfassungsgericht, Experten und auch die betroffenen Beamtinnen und Beamten in der JVA selbst meinen: dass der beste Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten die Resozialisierung ist? Gott sei Dank unterhalten wir GRÜNE uns nicht nur mit unseren eigenen eingefl eischten, ideologisch verfärbten Parteigenossinnen und -genossen,

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Was?)

sondern wir gehen raus und unterhalten uns mit den Fachleuten: mit den Ehrenamtlichen, mit der Bewährungshilfe und mit den Betreuerinnen und Betreuern, die eine ganze Masse von Kritikpunkten an diesem Gesetzentwurf haben, die Ihnen auch in Stellungnahmen zugegangen sind. Deswegen frage ich mich, welche Wahrnehmung Sie eigentlich haben, um das, was Sie hier abliefern, derartig schönzureden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie sagen zwar, dass Sie Resozialisierung wollen, und stellen auch weitere Sozialtherapieplätze in Aussicht. Doch die Punkte, die zudem noch sehr viel weniger kosten würden und die wichtige Voraussetzung zur Erreichung des Vollzugsziels sind, fehlen in Ihrem Entwurf oder sind unterbelichtet ausgestattet.

Das beginnt mit Telefonzellen und Besuchszeiten für Kinder und andere Angehörige, mit Weihnachtspaketen, um das soziale Gefüge zu erhalten und die Bindungen zur Familie nicht zu zerstören. Die Resozialisierung ist auch nicht nur eine Frage der Sozialtherapie, weil eben gar nicht alle in eine Sozialtherapie gehören, sondern sie ist insgesamt eine Frage der Vollzugsgestaltung, nämlich zum Beispiel, ob ich offenen Vollzug anbiete.

Hier werden wieder die obskuren Vorstellungen, die über den offenen Vollzug in der Öffentlichkeit bestehen, bestärkt, statt dass Sie aufklären und tatsächlich einmal sagen, was „offener Vollzug“ überhaupt ist. Das tun Sie nicht. Offener Vollzug heißt eben nicht, dass die Gefangenen rein- und rausspazieren, wann es ihnen gerade gefällt. Offener Vollzug ist eher, dass das Lernen in der Gruppe gefördert wird, dass Aggressionen abgebaut werden und psychische Erkrankungen, die aus Isolierung entstehen, gar nicht erst entwickelt werden können. Das sind wichtige Punkte, die für den Vollzug und die Resozialisierung von großer Bedeutung sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Gesetzentwurf weist zudem enorme Mängel bei der Entlassungsvorbereitung auf. Es fehlt an einer ausreichenden Einbeziehung von Fachleuten und Ehrenamtlichen. Die Defi zite in der Drogenbehandlung und in der medizinischen Versorgung sind ganz aktuell, und Ihr Verweis darauf, dass jetzt die Gefangenen das tun müssen, was andere in der Freiheit auch zu tun haben, nämlich eine Eigenbeteiligung leisten, ist der blanke Zynismus. Ich habe vorgestern das Schreiben eines JVA-Insassen bekommen, der etwas älter ist, krank ist und schlechte Zähne hat. Und was ist? Er bekommt keine Behandlung für ein Gebiss. Diese Petition werde ich Ihnen noch vorlegen, und ich bin sehr gespannt, wie Sie damit umgehen.

Wir sind auch sehr gespannt, ob – ähnlich wie beim Kultusministerium heute Morgen – bei den Haushaltsberatungen das entsprechende Geld für die Therapieplätze eingestellt wird. Wir können das zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erkennen, im Gegenteil: Sie haben bei einzelnen Punkten im Gesetzentwurf Rückzieher gemacht.

Wir werden im Ausschuss sehr intensiv beraten müssen, was einzelne Vorschriften anbelangt. Ich denke an den Artikel 207 – und das ist ein sehr wichtiger Punkt, Frau Merk –, in dem Sie das Recht auf Leben einschränken. Das Recht auf Leben steht in Artikel 207. Entweder ist es ein Versehen – auch Herr Welnhofer sollte sich damit auseinandersetzen –, oder aber Sie wollen das tatsächlich. Dann genügt aber verfassungsrechtlich Ihre Vorschrift in Artikel 106 überhaupt nicht.

Mit diesen beiden Punkten müssen Sie sich auseinandersetzen. Sonst haben Sie Probleme vor Gericht.

Wir werden diesem Gesetzentwurf auf jeden Fall nicht zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Die Aussprache ist geschlossen.

In Übereinstimmung mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht Einverständnis? – Dies ist der Fall. Dann ist das so beschlossen, und Tagesordnungspunkt 6 c ist erledigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren! Auf der Ehrentribüne mir gegenüber begrüße ich als Gäste sehr herzlich eine Gruppe ehemaliger Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau. Sie werden begleitet von der Landesvorsitzenden des VdK, Ulrike Mascher, die kürzlich wiedergewählt wurde. Frau Mascher, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Wiederwahl und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.

(Allgemeiner Beifall)

Insbesondere begrüße ich meinen Freund und ehemaligen KZ-Häftling Max Mannheimer. Er nimmt vor allem bei der Jugend eine immens wichtige Aufgabe wahr. Er ist täglich unterwegs und bringt Schülern, aber auch vielen von uns, bei, welch schreckliche Dinge damals passiert sind. Wer darüber noch nichts gelesen hat, muss einen Vortrag von Max Mannheimer hören, um zu ermessen, welch unendliches Leid die Häftlinge damals erlitten haben.

Ich freue mich und der gesamte Bayerische Landtag freut sich sehr, dass Sie heute bei uns zu Gast sind und dass dies gerade auch in Zeiten der Fall ist, die, wenn wir bestimmte Wahlergebnisse in den neuen Bundesländern bedenken, nicht ganz einfach sind. Dies heißt für uns alle: Wir dürfen nicht vergessen, wir müssen immer wieder mahnen.

In diesem Sinne haben wir vorgestern im Landtag eine Gedenktafel für die während der Nazizeit verfolgten Parlamentarier enthüllt. Auch das geschah in diesem Kontext und in Zusammenarbeit mit Ihnen. Ich freue mich, dass Sie hier sind. Das ist ein Zeichen dafür, dass wir inzwischen eine wehrhafte Demokratie sind.

In diesem Sinne nochmals vielen Dank für Ihren Besuch.

(Allgemeiner Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Abstimmung über Anträge, die gemäß § 59 Abs. 7 der Geschäftsordnung nicht einzeln beraten werden

Ausgenommen von der Abstimmung werden die Listennummern 1, 6, 12 und 15. Hierbei handelt es sich um die Anträge auf den Drucksachen 15/6535, 15/7174, 15/7391 und 15/7456, zu denen Einzelberatung beantragt worden ist.

Hinsichtlich der jeweiligen Abstimmungsgrundlagen mit den einzelnen Voten der Fraktionen zu den übrigen Anträgen verweise ich auf die Ihnen vorliegende Liste.

(siehe Anlage 1)

Wer mit der Übernahme des Abstimmungsverhaltens seiner jeweiligen Fraktion entsprechend der aufgelegten Liste einverstanden ist, bitte ich um das Handzeichen. Stimmenthaltungen? – Dies ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Antrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Tempolimit auf Autobahnen (Drs. 15/7238)

Ist da nicht ein Antrag auf Vertagung gestellt worden, Herr Kreuzer? – Wird ein Antrag auf Vertagung gestellt? – Das ist nicht der Fall.

Wir kommen also zum Antrag auf Drucksache 15/7238. Bevor ich die Aussprache eröffne, weise ich darauf hin, dass die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN hierzu namentliche Abstimmung beantragt hat. Ich bitte, dies bekannt zu geben.

Ich eröffne nun die Aussprache. Zwischen den Fraktionen wurde eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion vereinbart. Erster Redner: Herr Kollege Dr. Magerl.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen!

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Nachdem dieser nicht unwichtige Antrag bereits mehrfach auf der Tagesordnung stand, bedauerlicherweise aber nicht aufgerufen wurde, haben wir heute die Chance, über ihn zu reden.

Dieser Antrag gehört zu einem Bündel von Anträgen zum Thema Klimaschutz. Die Beratung dieser Anträge ist leider – wie es in diesem Hause leider hin und wieder geschieht – über mehrere Sitzungen verteilt.

Ich möchte ausdrücklich sagen, dass wir keineswegs meinen, allein mit einem Tempolimit könnten wir die Klimakatastrophe abwenden. Aber dies ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Gesamtkonzepts. So ist dieser Antrag auch zu sehen. Er steht in einem Kontext mit anderen Anträgen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir fordern mit diesem Antrag die Staatsregierung auf, sie möge eine Bundesratsinitiative starten mit dem Ziel, dass auf Bundesautobahnen die Höchstgeschwindigkeit auf 120 km/h begrenzt wird. Für diese Forderung gibt es

eine lange Reihe von Gründen, die ich Ihnen kurz vortragen möchte.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich verstehe nicht, warum diese vernünftige Forderung bis heute in Deutschland nicht umgesetzt worden ist. Wir sind der einzige EU-Staat, der auf Autobahnen kein Tempolimit hat. Auch wenn man über die EU-Grenzen hinweg schaut, gibt es eigentlich kein Land mit einer nennenswerten Anzahl an Autobahnen und mit nennenswertem Straßenverkehr, das kein Tempolimit hat. Mit diesem Tempowahn, damit, dass wir das Tempo nicht begrenzen, stehen wir fast alleine auf der Welt. Wir wollen mit unserem Antrag erreichen, dass sich dies endlich ändert.