Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte im Freistaat Bayern (Drs. 15/7944) – Erste Lesung –
Der Gesetzentwurf wird vonseiten der Staatsregierung begründet. Das Wort hat Frau Staatsministerin Dr. Merk.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ziel der Staatsregierung ist es, im Zuge der aktuellen Verwaltungsreform auch die Struktur der Gerichtsorganisation weiter zu verbessern. In diesem Zusammenhang sollen die ursprünglich 33 amtsgerichtlichen Zweigstellen in Bayern aufgelöst werden. Damit erreichen wir erhebliche organisatorische und personalwirtschaftliche Erleichterungen. Auf diesem Weg sind wir schon ein gutes Stück weitergekommen. Inzwischen sind elf amtsgerichtliche Zweigstellen aufgelöst. Die Auflösung weiterer Zweigstellen steht entweder unmittelbar bevor oder wird vorbereitet.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird nun einer Besonderheit unter den Zweigstellen Rechnung getragen. Als einzige Zweigstelle soll nämlich Sonthofen, bisher noch Zweigstelle des Amtsgerichts Kempten, zu einem eigenständigen Amtsgericht hochgestuft werden. Ich möchte die Sonderstellung dieser Zweigstelle nochmals kurz erklären: Sonthofen ist mit Abstand die größte amtsgerichtliche Zweigstelle, sie ist sogar größer als das Amtsgericht in Tirschenreuth. Sie ist als einzige amtsgerichtliche Zweigstelle in Bayern ein Gericht mit eigenem Grundbuchamt. Die Zweigstelle Sonthofen befindet sich baulich gesehen in einem hervorragenden Zustand. Der Erweiterungsbau und die Sanierung des Altbaus wurden 1999 mit Gesamtkosten von rund 4,7 Millionen Euro abgeschlossen. Der Unterhalt dieses Gebäudes dieser Zweigstelle ist aus diesem Grund sehr günstig,
in den letzten fünf Jahren sind dafür nur circa 10 000 Euro angefallen. Das heißt, größere Investitionen in das Gebäude müssen wir auch längerfristig nicht erwarten.
Wichtig ist auch, dass Raumreserven vorhanden sind. Telefonanlage und IT-Verkabelung entsprechen neuestem technischen Standard. Auch die Straßenanbindungen über die Autobahn und die Bundesstraße sind gut.
Wie Sie wissen, haben wir alle 33 Zweigstellen in einem sehr aufwendigen Verfahren individuell danach untersucht, welche Zweigstellen der Amtsgerichte in Bayern in welcher Zeit und mit welchen Kosten aufgelöst und in die Hauptgerichte integriert werden können. Dabei stand und steht der Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit an oberster Stelle.
Die Berechnungen für die übrigen 32 Zweigstellen ergaben, dass ihre Zusammenlegung mit dem jeweiligen Hauptgericht zu erheblichen Einsparungen führt. Ganz anders ist es im Fall Sonthofen; denn hier würde eine Zusammenlegung mit dem Hauptgericht in Kempten unter dem Strich für die Staatskasse zu hohen finanziellen Belastungen und zu einem zusätzlichen Raumbedarf von mindestens 1700 Quadratmetern Mietfläche führen. Für die dann in Kempten unterzubringenden Mitarbeiter ergäben sich allein hohe Mietkosten in Höhe von 120 000 Euro.
Das bedeutet, alles in allem hätten wir in zehn Jahren Mehrausgaben von mehr als einer Million Euro zu erwarten.
Die Alternative, Sonthofen als Zweigstelle zu erhalten, kommt nicht in Betracht. Zwar mögen sich angesichts ihrer Größe organisatorische Probleme nicht in dem Maße stellen, wie das bei kleineren Zweigstellen der Fall ist; aber auch hier führt der Umstand, dass das Amtsgericht Kempten bisher auf zwei Standorte verteilt ist, zu erheblichen Reibungsverlusten organisatorischer Art.
Deshalb gehen wir einen anderen Weg. Es ist wichtig: Die Aufstufung der Zweigstelle Sonthofen zum selbstständigen Amtsgericht kann personalwirtschaftlich kostenneutral vollzogen werden. Das bedeutet zum einen, dass das bisher in Sonthofen eingesetzte Personal aller Laufbahnen dort verbleiben kann, zum anderen, dass es beim Amtsgericht Kempten zu einer zahlenmäßigen Reduzierung der Beschäftigten kommt. Die rein formal auszusprechenden Versetzungen vom Amtsgericht Kempten an das Amtsgericht Sonthofen sind aber für die jetzt in Sonthofen tätigen Bediensteten mit keinem Ortswechsel verbunden.
Es wird dennoch einen echten zusätzlichen Personalübergang von Kempten nach Sonthofen erforderlich machen. Denn künftig wird es auch in Sonthofen ein Familien- und Schöffengericht geben. Dazu aber müssen wir kein neues Personal einstellen, weil diese Aufgaben, die den Bezirk Sonthofen betreffen, dann am Amtsgericht Kempten wegfallen. Die für das neue Amtsgericht Sonthofen erforderlichen Beförderungsstellen für Richter stammen aus dem Topf des Amtsgerichts Kempten.
Richtig ist: Die Aufstufung von Sonthofen bedeutet eine Ausnahme vom Grundsatz der sogenannten Einräumigkeit der Verwaltung, also der Deckungsgleichheit zwischen dem Amtsgerichtsbezirk und dem Landkreis. Denn der Landkreis Oberallgäu wird künftig der einzige Land
kreis sein, der zwei Amtsgerichte hat. Diese Sonderregelung ist aber aus den von mir dargestellten Gründen nicht nur gerechtfertigt. Sie ist auch von der Sache her geboten. Die Aufstufung von Sonthofen zum neuen Hauptgericht wird mit erheblichen organisatorischen Vorteilen verbunden sein.
Bei unseren Überlegungen hatten wir zunächst den 1. November 2007 als Termin ins Auge gefasst, was sich in der Begründung des Gesetzentwurfs im Zusammenhang mit der Frage der Übergangsregelungen noch niederschlägt. Im Hinblick auf die damit verbundenen Erleichterungen bei der Haushaltsabwicklung und der Statistik schlagen wir nunmehr vor, das Gesetz zu Beginn des nächsten Jahres, also zum 1. Januar 2008, in Kraft treten zu lassen. Unabhängig davon laufen aber die erforderlichen offiziellen Vorbereitungen bereits ab November 2007.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem die Staatsregierung diesen Gesetzentwurf begründet hat, muss ich nun auch eine sogenannte Sonthofener Rede halten
Erstens: Es ist schon bedauerlich, dass in der Einführung zum Gesetzentwurf von einem Zusammenhang der Auflösung der amtsgerichtlichen Zweigstellen mit der sogenannten aktuellen Verwaltungsreform geredet wird. Es war und ist nämlich Ausdruck der Geringschätzung der Justiz als dritter Säule des Staates, wenn die Organisation der Justiz als Teil der Verwaltung behandelt wird, so wie es der Ministerpräsident in seiner Rede vom November 2003 gemacht hat. Damals gab es noch Naserümpfen, als die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in einem Atemzug mit der Schließung von Eichämtern verkündet wurde. Mittlerweile gibt es nicht einmal mehr ein Naserümpfen und hat offensichtlich sogar das Justizministerium die Diktion übernommen.
Zweitens: Wir stimmen der Aufstufung der bisherigen Zweigstelle Sonthofen des Amtsgerichts Kempten zum Amtsgericht ausdrücklich zu, bedauern aber, dass es offensichtlich viel schneller möglich war, elf Zweigstellen mit den jeweiligen Hauptgerichten zusammenzulegen und die Zweigstellen zu schließen, als eine Zweigstelle zum Hauptgericht aufzustufen.
Drittens: Meine Damen und Herren, wir halten es nach wie vor für falsch, alle anderen 32 Zweigstellen aufzulösen.
Ich weiß auch, dass die Welt nicht untergeht und dass es organisatorische und personalwirtschaftliche Vorteile gibt, wenn in einem Landkreis wie zum Beispiel dem meinen, in Schwandorf, oder in Cham nicht mehr drei oder vier Zweigstellen neben dem Hauptgericht bestehen. Dennoch bedeutet der Abzug der Zweigstellen aus Ebern, Füssen, Donauwörth, Vilshofen, Nabburg, Ochsenfurt, Moosburg, Burghausen, Mainburg, Burglengenfeld und Bad Kötzting einen Verlust an Bürgernähe der Justiz
in denen die Zweigstelle des Amtsgerichts oft nicht nur für eine jahrhundertelange Justiztradition steht, sondern mit der Zweigstelle meist auch die letzte verbliebene staatliche Einrichtung abgezogen wird.
Es ist zwar nicht Angelegenheit des Landtags, über die Schließung der Zweigstellen zu befinden. Aber dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass die Kolleginnen und Kollegen aus der CSU kaum einen Finger gerührt haben, um die Zweigstellen zu erhalten.
Im Gegenteil: Die Mehrheitsfraktion hat im November 2004 der Auflösung der Zweigstellen grundsätzlich zugestimmt, wenn auch mit dem Versuch, das Problem möglichst über das Wahljahr 2008 hinauszuschieben.
Viertens: Meine Damen und Herren, zu der Begründung des Gesetzentwurfs ist noch anzumerken, dass die dort erwähnten Vorzüge der bisherigen Zweigstelle Sonthofen, nämlich ein eigenes Grundbuchamt, 33,75 Arbeitskraftanteile und 39 Bedienstete, dass sie die größte Zweigstelle überhaupt und in baulich hervorragendem Zustand ist, nicht von Natur aus gewachsen, sondern das Ergebnis politischer und gerichtsorganisatorischer Entscheidungen sind. Grundsätzlich könnten auch die anderen Zweigstellen noch über ein eigenes Grundbuchamt und mehr Mitarbeiter verfügen und müssten nicht unter Personaleinsparungen, zum Beispiel durch Arbeitszeitverlängerung, leiden, wenn es die Staatsregierung und die Mehrheit denn gewollt hätten. Wenn es sachgerecht erscheint, im Landkreis Oberallgäu zwei vollwertige Amtsgerichte zu schaffen, stellt sich natürlich die Frage, warum dies in anderen, noch größeren Landkreisen – solche gibt es in Bayern – nicht auch sachgerecht wäre.
Außerdem stellt sich die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt, dass die allermeisten der nach der Landkreisreform 1973 gebildeten zunächst 48, später noch 33 Zweigstellen im Laufe der Jahre durch Änderung der Zuständigkeiten, durch Verlagerung von Aufgaben von den Zweigstellen an die Hauptgerichte systematisch ausgetrocknet und personell so sehr ausgedünnt worden sind, dass sie nur noch mit Minimalbesetzung arbeiten können. Es stellt sich die Frage, wer hierfür die Verantwortung trägt.
Nun ist es leider nachweisbar, dass meine Fraktion die Verantwortung hierfür nicht trägt und dass der frühere Justizminister in seiner Amtszeit ungefragt an fast allen Zweigstellen der Amtsgerichte Bestandsgarantien abgegeben hat. Ich darf noch einmal aus der „Chamer Zeitung“ vom Februar 2000 zitieren, wo sich der damalige Justizminister Manfred Weiß wie folgt geäußert hat – ich zitiere –:
Er bezog vor der Presse klar Position zum Erhalt der vier Zweigstellen im Landkreis Cham und sagte: „Wir wissen um den Wert einer bürgernahen Justiz.“ Er mache diese Feststellung sowohl im Hinblick auf die räumliche Nähe der Justiz zu den Menschen als auch auf den Vorteil, dass ein Richter besser urteilen könne, wenn er die Leute kenne.
In der Antwort auf meine Anfrage vom Januar 2003 hat er noch ausführen lassen, es gebe keine Überlegungen des Staatsministeriums der Justiz, Aufgaben von den amtsgerichtlichen Zweigstellen wegzuverlagern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren es also nicht, die die Bediensteten und Wähler getäuscht haben. Das war schon die Mehrheit in diesem Haus, die sich jetzt wie noch vor und in jedem Wahljahr wieder einmal daranmacht, den ländlichen Raum „zu retten“. Das musste der historischen Wahrheit zuliebe noch einmal gesagt werden.
Herr Präsident, meine Herren und Damen! Man kann es im Grunde genommen sehr kurz machen. Denn wir waren uns alle einig, dass dieses Gericht eine Aufwertung braucht. Gleichzeitig – das kommt hier überhaupt nicht mehr heraus – gab es ansonsten nur Diskussionsbedarf bei der Schließung von Amtsgerichtszweigstellen. Der Kollege Schindler hat es schon dargestellt. Wir werden also diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Gleichwohl hätte ich – das können wir morgen im Ausschuss nachholen – großes Interesse daran, zu erfahren – dafür gibt der Gesetzentwurf nur bedingt etwas her –, wie sich die Schließung der Amtsgerichtszweigstellen Jahre danach tatsächlich darstellt. Welche Einsparungen wurden erreicht? Was wurde tatsächlich an Neuinvestitionen notwendig? Hat man mit dem, was als Verwaltungsreform bzw. Justizreform durchgeführt wurde, die Ziele erreicht, die vorgegeben waren? Oder muss man letztendlich eingestehen, dass man sich etwas vorgemacht hat und die Entscheidungen auf Kosten der Bürger und Bürgerinnen, der Bürgernähe und der Transparenz gingen?
Wir haben über das Thema hier ausführlich diskutiert. Ich muss das nicht weiter ausführen und bin sehr gespannt auf die Debatte morgen, weil ich mir da von der Verwaltung neuere Zahlen erwarte. Die Zwischenbilanz war jedenfalls nicht so, dass man sagen kann, das ist ein voller Erfolg. Im Gegenteil: Bis zum Ende des letzten Jahres hat man eine Million Euro Minus gemacht. Das stellen wir uns nicht unter Reform vor. Das ist das genaue Gegenteil.