Protocol of the Session on April 17, 2007

Deswegen garantiert der Staat hier – hier gibt es die unterschiedlichsten Modelle – auf jeden Fall ein Mindesteinkommen, und so übernimmt der Staat die Existenzsicherung. Länder, die gesetzliche Mindestlöhne fixiert haben, haben ein ganz anderes Niveau im Bereich der Grundsicherung und der Sozialhilfe. Eine Grundsicherung in diesen Ländern findet keineswegs in der Höhe statt, wie es sie in Deutschland gibt. – Ich bin gerne bereit, mit dem Diözesanrat der Katholiken darüber zu diskutieren.

Vom Grundsatz her teile ich die Auffassung des Kollegen Pschierer zu Ihrer Frage. Ich bin der Überzeugung, dass wir für die 3 Millionen „Working Poor“ in Deutschland andere Zuverdienstregeln benötigen. Darüber könnte ich noch lange Ausführungen machen. Wir müssen auch noch lange darüber reden.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Sie widersprechen sich innerhalb von zehn Minuten!)

Hierzu hat die Große Koalition eine Arbeitsgruppe eingesetzt, Herr Dr. Beyer, die zurzeit Lösungsmöglichkeiten erarbeitet.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Machen! Machen!)

Zu Ihrer Frage nach einer Bundesratsinitiative, Herr Kollege Dr. Beyer, darf ich ihnen sagen: Wir werden von Bayern aus erst dann Bundesratsinitiativen auf den Weg bringen, wenn wir es für nötig halten und vor allem, wenn die Ergebnisse der Arbeitsgruppe der Großen Koalition vorliegen. Dann kann man sehen, ob man über Bundesratsinitiativen handeln muss oder nicht. Im Vorfeld, also bevor wir die Ergebnisse kennen, werden wir von Bayern aus mit Sicherheit keine Bundesratsinitiative einleiten.

Nächste Fragestellerin: Frau Kollegin Steiger.

Frau Ministerin, Fakt ist doch, dass es für immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwieriger wird, durch ihre Arbeit ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen. Betroffen sind vor allen Dingen Dienstleistungsberufe, und die auch noch mit einem besonders hohen Frauenanteil. Nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, dass mehr als 2,5 Millionen, fast 3 Millionen Vollzeitbeschäftigte in Deutschland für Armutslöhne arbeiten, die weniger als 50 % des Durchschnittslohnes betragen. Lassen Sie mich bitte einige Tarifvergütungen aus Bayern anführen – wir brauchen nicht nach Sachsen zu der berühmten Friseurin zu gehen –: Im Erwerbsgartenbau gibt es einen Stundenlohn von 5,41 Euro. Das ergibt bei einer 38-Stunden-Woche im Monat einen Arbeitnehmerbruttoverdienst von 822,32 Euro. In der Landwirtschaft beträgt der Stundenlohn 5,45 Euro, in der Floristik 5,94 Euro, im Friseurhandwerk 6,06 Euro, im Dachdeckerhandwerk 6,13 Euro, im Bewachungsge

werbe 6,26 Euro, in der Zeitarbeit 7,38 Euro, und im Einzelhandel werden 7,54 Euro in der Stunde bezahlt. Diese Arbeitsplätze und auch die Arbeitsplätze im Küchen- und Haushaltshilfenbereich sind Dienstleistungen, die nicht ins Ausland verlagert werden können. Ihre These ist ja, dass ein gesetzlicher Mindestlohn eine Ausweitung der Schwarzarbeit bedeutet. Dazu frage ich Sie: Wo liegt nach Ihrer Auffassung die Untergrenze eines menschenwürdigen Erwerbseinkommens, das Schwarzarbeit verhindert? – Wo soll diese Grenze liegen?

Sie weisen immer darauf hin, dass im Niedriglohnsektor Geringqualifizierte beschäftigt sind. Ist Ihnen bekannt, dass 60 % der Beschäftigten im Niedriglohnsektor über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen? – In diesen Berufen sind die Aufstiegsmöglichkeiten gering.

Frau Staatsministerin, stimmen Sie mit mir der Aussage zu, dass, wer Qualität in der Beschäftigung haben will, auch anständig entlohnen muss? – Denn das hat auch etwas mit der Würde des Menschen zu tun. 500 000 Menschen im Vollerwerb erhalten ergänzende Sozialleistungen, weil ihr Lohn nicht zum Leben ausreicht. Das heißt: Die gesamte Gesellschaft subventioniert Dumpinglöhne.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben vorhin gesagt, dass Menschen über SGB II Lohnersatzleistungen bzw. ergänzende Sozialleistungen bekommen. Sie vermengen dabei Fürsorge mit dem Erwerbseinkommen.

(Beifall bei der SPD)

Soll der Staat nach Ihrer Auffassung als Reparaturbetrieb für Lohndumping auftreten? – Auf diese Frage möchte ich gerne eine Antwort von Ihnen. Die Einführung von Kombilöhnen – das wäre eine Lösung durch die Hintertür – wird das Problem der Lohndrückerei nicht lösen, sondern eher verschärfen.

Frau Ministerin, ist Ihnen bekannt, dass Bundeswirtschaftsminister Glos – er gehört bekanntlich der CSU an – festgestellt hat: Wenn es Kombilöhne gibt, muss es eine Lohnschranke nach unten geben. Nachdem die CSU auch in Berlin Regierungsverantwortung trägt, frage ich Sie: Warum sperrt sich die Staatsregierung angesichts der Tatsache, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien vom erarbeiteten Lohn nicht leben können, gegen die gesetzliche Einführung eines Mindestlohnes, der sich in seiner Höhe am Niveau vergleichbarer europäischer Staaten orientiert? – Diese Frage haben Sie bis jetzt noch nicht beantwortet.

Frau Kollegin, wir sind schon gut über der Zeit.

Ein letzter Satz. – Welchen Lösungsansatz haben Sie denn? – Auch auf diese Frage hätte ich gern eine Antwort. Trotz mehrfachen Fragens haben Sie darauf noch keine Antwort gegeben.

(Beifall bei der SPD)

Frau Staatsministerin.

Frau Kollegin Steiger, diese Fragen habe ich – sie sind schon mehrfach gestellt worden – bereits beantwortet. Ich habe erstens gesagt, dass ich der festen Überzeugung bin, dass wir im Bereich der unteren Tariflohngruppen mehr mit Allgemeinverbindlicherklärungen nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes arbeiten müssen, um ein Abrutschen der Löhne zu vermeiden. Über die Zusammensetzung des Tarifausschusses kann man durchaus reden. Aber immerhin sind beispielsweise 73 % der Beschäftigten des Friseurhandwerks in Bayern mit Tarifverträgen abgedeckt. Das habe ich ganz klar und deutlich gesagt.

Als Zweites habe ich klar und deutlich gesagt, dass unser vorrangiges Interesse darin besteht, zu verhindern, dass eine erhöhte Zahl von Niedrigqualifizierten in der Arbeitslosigkeit hängen bleibt, wie es nach jedem Anstieg der Arbeitslosigkeit bisher der Fall war. Wir haben ja durchaus eine Delle in der Wirtschaftskraft zu verzeichnen gehabt. Vor diesem Hintergrund ist es ganz wichtig, der Wirtschaft die Möglichkeit zu geben, die Niedrigqualifizierten zu Löhnen, die ihrer Produktivität entsprechen, einzustellen. Das ist doch das ganz große Problem, das wir hier in Deutschland haben. Gleichzeitig müssen wir die Zusatzverdienstmöglichkeiten und den Lohnbezug im Bereich der Aufstocker, der 1-Euro-Jobber, regeln.

Die Arbeitsgruppe der Großen Koalition arbeitet auch an Modellen für Kombilöhne.

Frau Kollegin Steiger, ich glaube, Sie haben da etwas falsch verstanden. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hat gesagt, er könne sich die Lohnschranke bei Kombilöhnen für Arbeitnehmer unter 25 Jahren durchaus vorstellen; das ist überhaupt keine Frage. Das ist in der Arbeitsgruppe offensichtlich schon ein Stück weit beschlossen worden. Bei den Kombilöhnen für Arbeitnehmer über 50 Jahren sucht man zurzeit noch nach einer Einigung. Gleichzeitig hat man gesagt, da sollte man durchaus eine Lohnschranke einziehen, deren Höhe sich auf die Grundsicherung nach SGB II bezieht. Das halte ich vom Grundsatz her in diesem Bereich für ausgesprochen vernünftig und richtig, weil hier dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer zusätzlich eine staatliche Subvention gewährt wird. Das möchte ich ganz klar sagen.

Ich bin natürlich der Ansicht, dass die Wirtschaft Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen entsprechenden Lohn und ein entsprechendes Einkommen bezahlen muss. Deshalb bin ich der Ansicht, dass der Staat zusammen mit den Tarifvertragsparteien und dem Tarifausschuss – egal ob auf Landes- oder Bundesebene – noch stärker die Möglichkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung im Bereich des § 5 des Tarifvertragsgesetzes nutzen muss, um das Abrutschen dieser Löhne zu verhindern.

Nächster Fragesteller: Herr Kollege Sailer.

Frau Staatsministerin, wenn wir in das europäische Ausland schauen, dann sehen wir, dass in Tschechien, Ungarn, Polen oder im Baltikum Mindest

löhne von weniger als 2 Euro pro Stunde bezahlt werden. Welche Auswirkungen haben nach Ihrer Ansicht a) dort gesetzliche Mindestlöhne, b) die von der Bundesregierung allgemein oder für bestimmte Branchen für allgemeinverbindlich erklärten Mindestlöhne, c) Lohnanteilsschranken und d) neue gesetzliche Konkretisierungen der Sittenwidrigkeit von Löhnen?

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Was war c) ?)

Frau Staatsministerin.

Soweit ich das verstanden habe, betraf c) die Lohnanteilsschranken.

Ein Stundenlohn von 2 Euro, der in den östlichen Nachbarstaaten und im Baltikum gezahlt wird, wird natürlich Auswirkungen auf Bayern erst im Jahr 2009 oder 2011 haben – ich vermute, im Jahr 2009, denn wir werden im Jahr 2009 kaum einen nachhaltig gestörten Arbeitsmarkt innerhalb der Europäischen Union geltend machen –, und zwar Auswirkungen bei der Dienstleistungsrichtlinie und beim Arbeitnehmerentsendegesetz. Man muss dann sehen, aus welchen Branchen entsandte Arbeitnehmer zu uns kommen und wo es dann tatsächlich Dumpinglöhne gibt. Diese Branchen muss man dann auch in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufnehmen, wie das SPD und Union gemeinsam im Koalitionsvertrag formuliert haben.

Herr Kollege Sailer, ich bin der Ansicht, dass gesetzliche Mindestlöhne zum einen einen Ausstieg aus der Tarifhoheit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bedeuten. Ich halte die Tarifhoheit für ein hohes Gut in Deutschland. Wenn man den gesetzlichen Mindestlohn bei 7,50 Euro festsetzt, dann bedeutet das auf der anderen Seite, dass etliche Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor vernichtet werden. Genau dieses Problem hatten wir bislang im deutschen Arbeitsmarkt, und durch die SGB-Reformen und durch Hartz IV haben wir da wieder etwas Bewegung hineingebracht. Das war übrigens die Regierung Schröder; darauf möchte ich hinweisen.

Zu den Allgemeinverbindlicherklärungen: Ich halte es für notwendig, dass man im Niedriglohnbereich mit Allgemeinverbindlicherklärungen auch in Bayern stärker operiert. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass Bayern – das wird mir immer von meinen Kollegen in anderen Ländern vorgeworfen – eine relativ hohe Anzahl von Allgemeinverbindlicherklärungen ausspricht.

Generelle Lohnanteilsschranken halte ich für falsch. Man muss wissen, dass darüber diskutiert wird, dass der Betrag in der Höhe der Grundsicherung nach SGB II entspricht, also 345 Euro plus durchschnittliche Unterkunftskosten beträgt. Ich halte die Lohnanteilsschranke in Verbindung mit den Kombilöhnen für richtig, weil das sonst in eine nicht gewollte Subvention der Arbeitgeber münden kann.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe (SPD))

Ich halte eine neue gesetzliche Konkretisierung der Sittenwidrigkeit für Löhne für richtig, Herr Kollege Sailer.

Nächste und letzte Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, Frau Ministerin! Ich darf mich in meinen Fragen dem Thema des Mindestlohns grundsätzlich widmen, aber auch dem Feld des Niedriglohnes, des Dumpinglohnes in Grauzonen oder im Illegalen. So wie der Rumäne am Bau, der zwar korrekt nach Tarif bezahlt wird, aber in seinem Heimatland die Hälfte seines Einkommens zurückzahlen, abgeben muss. Weiteres Beispiel: Ein Bauarbeiter erhält zwar auf dem Papier den Tariflohn, arbeitet aber sehr viel mehr Stunden, als eigentlich erlaubt ist.

Wir sind uns darin einig, dass diese Erscheinungen schlecht für die Arbeitnehmer und genauso schlecht für potenzielle Wettbewerber sind. Hier gibt es eine enge Verknüpfung zu den Regelungsfeldern der Arbeitnehmerüberlassung und der Arbeitnehmerentsendung.

Die Bundesregierung wollte hier im Jahr 2002 einige Schieflagen beseitigen. Ich nenne als Stichworte das Antikorruptionsregister und das Tariftreuegesetz auf Bundesebene. Beide Vorhaben sind auch am Widerstand Bayerns gescheitert. Zur Tariftreue haben Sie selbst in einer Presseerklärung ausgeführt, das sei schlecht für den öffentlichen Personennahverkehr; der sei da vor große Probleme gestellt. Dabei haben Sie wohl eine Mitteilung, Leitlinien aus dem Wirtschaftsministerium in Bayern übersehen, in der die Tariftreue im ÖPNV schon Jahre vorher empfohlen wurde. Die Ablehnung des Gesetzes zur Errichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen begründete Bayern damit, dass in das Register nur echte Korruptionsdelikte, aber nicht Verstöße gegen die Vorgaben zur Arbeitnehmerüberlassung und zur Arbeitnehmerentsendung eingetragen werden sollten.

Genau diese Verstöße stellen aber ganz große Probleme im Zusammenhang mit dem heutigen Thema dar. Deswegen meine Fragen: Erstens. Ist die Staatsregierung bereit, jetzt endlich wirkungsvolle Maßnahmen gegen illegales Lohndumping und damit gegen illegalen Dumpingwettbewerb mitzutragen?

Zweitens. Sind Sie bereit, für ein künftiges Antikorruptionsregister auch die Einträge von Verstößen gegen Vorgaben zur Arbeitnehmerüberlassung und zur Arbeitnehmerentsendung vorzusehen?

Drittens. Ich bitte da um eine konkrete Antwort, damit wir nicht denken müssen, Bundesminister Horst Seehofer hätte mit seiner Bemerkung über Sie – ausweislich der heutigen Tagespresse – recht, es gäbe immer wieder Leute, die wenig wüssten, aber viel reden würden. Deswegen appelliere ich an Sie, mir eine konkrete Antwort zu geben. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass entgegen der neoklassischen Ideologie Mindestlöhne in vielen Ländern, in denen es sie gibt, weder zu einem Arbeitsplatzabbau noch zu erhöhter Arbeitslosigkeit noch zu sinkender Wettbewerbsfähigkeit geführt haben?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Staatsministerin.

Staatsministerin Christa Stewens (Sozialministe- rium) : Herr Kollege, gerade auf Ihre letzte Frage kann ich antworten: Ich bin der festen Überzeugung, dass ich durchaus viel weiß und auch über Dinge spreche, von denen ich etwas weiß.

(Zuruf von den GRÜNEN: Tun Sie das hier bitte auch!)

Das tue ich hier auch. Sie sollten dann aber auch zuhören. Sie sollten auch die Äußerungen des Sachverständigenrates und den Bericht der OECD zur Kenntnis nehmen. Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen, dass nicht einmal die Gewerkschaften voll hinter einem gesetzlich festgelegten Mindestlohn stehen; lesen Sie nach, was Hubertus Schmoldt dazu sagt.

(Zurufe des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Nehmen Sie das einfach einmal zur Kenntnis, auch wenn Ihnen das überhaupt nicht passt! Das wäre schlicht und einfach ein staatlich festgelegter Lohn, und damit würden die Tarifparteien aus ihrer Tarifhoheit und aus ihrer Verantwortung für die Lohnfindung in Deutschland entlassen. Das kann man nicht so leichtfertig machen.