Protocol of the Session on March 29, 2007

Der Antrag der SPD und der Dringlichkeitsantrag der CSU unterscheiden sich nicht stark, lieber Klaus Wolfrum. Sie unterscheiden sich darin, dass die SPD ein mehrjähriges Sonderprogramm für Oberfranken fordert, während wir eine schnelle Hilfe für Rosenthal für sehr wichtig halten, und zwar auf der einen Seite eine politische Hilfe, die dafür sorgt, dass es bei uns keine oder so wenige Entlassungen wie möglich gibt. Auf der anderen Seite müssen bei uns neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Diskussion über ein mehrjähriges Sonderprogramm für Oberfranken würde uns viel zu viel Zeit kosten; wir brauchen eine schnelle Hilfe. Deshalb wird die CSU-Fraktion den Antrag der SPD ablehnen.

(Ludwig Wörner (SPD): Was?)

Nach unserer Meinung dauert es zu lange, bis ein mehrjähriges Sonderprogramm erstellt ist. Wir wollen eine sofortige Hilfe im Rahmen der bereits vorhandenen Mittel.

(Ludwig Wörner (SPD): Das ist der schlanke Staat!)

Wenn Sie den Antrag der CSU durchlesen, werden Sie merken, dass er

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Sehr blumig ist!)

nicht blumig ist, sondern – genau das fordert, was jetzt nötig ist: eine schnelle Hilfe für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Rosenthal und mittelbar für die Menschen in der Region insgesamt, soweit es politisch

möglich ist. Deshalb bitte ich Sie, dem Antrag der CSU zuzustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Döhler. Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Hallitzky. Bitte, Herr Kollege.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich hätten bei der Bayerischen Staatsregierung die Alarmglocken in dem Augenblick schrillen müssen, als die Nachricht vom drohenden Abbau von bis zu 380 Arbeitsplätzen im nordöstlichen Oberfranken über den Ticker lief. Sie hätten schrillen müssen, aber sie haben nicht geschrillt.

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Das zeigt, wie wenig sich die Staatsregierung und insbesondere der Wirtschaftsminister für den Bevölkerungsschwund und die wirtschaftlichen Strukturprobleme der gebeutelten Region im Norden und Osten Frankens interessieren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das zeigt gleichzeitig, dass dieser Dringlichkeitsantrag tatsächlich dringlich ist. Er ist zum einen dringlich wegen der vielen von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen, für die es dort kaum eine Beschäftigungsalternative gibt. Man könnte fast sagen: Es gibt keine Beschäftigungsalternative für sie in der Region. Er ist zum anderen dringlich, weil er die immerwährende Untätigkeit der Staatsregierung, wenn es um die Probleme einer ganzen Region geht, endlich wieder auf die Tagesordnung bringt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Im Norden und Osten Oberfrankens haben wir die gravierendsten Arbeitsmarktprobleme in ganz Bayern. Insbesondere im produzierenden Sektor sind die Beschäftigtenzahlen seit Jahren stark rückläufi g. Im Bereich der Geschäftsstelle Selb der Arbeitsagentur Hof ist die Arbeitslosigkeit mit über zehn Prozent bereits heute die höchste in ganz Bayern. Im Raum Speichersdorf würden die zur Debatte stehenden Entlassungen auf einen Schlag ein Viertel der Beschäftigungsmöglichkeiten im produzierenden Sektor vernichten.

Diese wenigen Zahlen sollten genügen, um zu zeigen, dass Nordoberfranken nicht Boomtown ist, nicht München, Freising oder Dingolfi ng/Landau ist, wo sich der Wirtschaftsminister üblicherweise fotografi eren lässt.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ja, genau!)

In Oberfranken produzieren Massenentlassungen in dem bei Rosenthal diskutierten Umfang soziale Härten, die für viele Menschen wegen der Gesamtwirtschaftlage existenzbedrohend sind. Zudem würden die Entlassungen den Verlust weiterer Arbeitsplätze in Dienstleistungsbereichen nach sich ziehen; auch das wissen wir. Den Betrof

fenen wird als einziger Ausweg lediglich die Abwanderung bleiben.

Eine Mitarbeiterin von Rosenthal in Selb drückte es richtig aus: Damit geht eine ganze Region kaputt.

Deshalb muss eine Staatsregierung, die für sich selbst in Anspruch nimmt oder nehmen will, das ganze Land zu vertreten, sofort und mit aller Kraft tätig werden, wenn eine Firma wie Rosenthal vor Massenentlassungen steht. Dazu reicht es nicht, das Telefon nicht abzuschalten, wenn jemand aus Oberfranken anruft, Herr Minister.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielmehr braucht es eigene starke Initiativen, wie sie Ihnen, dem zuständigen bayerischen Minister, das Bundesarbeitsministerium mit der Einberufung eines runden Tisches leider vormachen muss.

Die Menschen in Selb und Speichersdorf fühlen sich vom bayerischen Wirtschaftsminister im Stich gelassen, und die Menschen haben mit dieser Einschätzung recht. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Fall Rosenthal zeigt aber noch etwas anderes. Er zeigt das Desinteresse der Staatsregierung an der Entwicklung der strukturschwachen Regionen in Bayern insgesamt.

Eine Fokussierung der regionalpolitischen Diskussion in Oberfranken auf eine 30-Millionen-Euro-Spritze für den Ausbau des Hofer Flughafens – ich sage das durchaus explizit auch zu denjenigen SPD-Abgeordneten, die sich hierfür ins Zeug gelegt haben – ist kein Ausdruck besonderer regionalpolitischer Verantwortung, sondern ganz im Gegenteil Ausdruck einer krassen regionalpolitischen Verantwortungslosigkeit der Staatsregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zum einen werden die Kommunen, die eine große Eigenbeteiligung leisten müssen, politisch zu einer Übernahme von Kosten genötigt, die sie, bei Licht betrachtet, gar nicht übernehmen dürfen. Sie werden politisch genötigt, weil es sich kein Kommunalpolitiker, schon gar keiner in einer Region, in der den Menschen das Wasser bis zum Halse reicht, leisten kann, eine mehrstellige Millionenspritze des Freistaates auszuschlagen.

Zum anderen aber dient diese absurde Debatte über den völlig überfl üssigen Regionalfl ughafen der Staatsregierung doch dazu, davon abzulenken, dass sie überhaupt kein Konzept hat, mit dem sie die peripheren Regionen in Bayern nachhaltig entwickeln kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das gilt für die Regionen im Allgemeinen, das heißt in ganz Bayern

(Jürgen Dupper (SPD): Bayerwald!)

danke, Kollege Dupper, für das Stichwort „Bayerwald“ –, im Besonderen für den Norden und den Osten Oberfrankens.

Ich nenne ein paar Beispiele, wie es gehen könnte. – Vielleicht schreiben Sie einmal mit, Herr Huber. – Die weitere verstärkte Förderung einer nachhaltigen Energieversorgung, die bis heute im Wesentlichen darauf beruht, was das EEG geschaffen und von Ihnen immer bekämpft wurde, würde viele Arbeitsplätze abseits der Zentren schaffen.

Die Verbesserung der Bildungsinfrastruktur ist gerade für periphere Regionen dringend notwendig, weil besonders dort die Investition in die Köpfe nachhaltig und zukunftsfähig ist.

Datenautobahnen müssen heute verbessert werden und nicht erst zum Sankt-Nimmerleins-Tag mit rosa Versprechungen ohne irgendwelche materielle Substanz; denn nicht nur die Betriebe, sondern auch die gesamte jüngere Generation, die in den Regionen lebt, in denen es die Breitbandverkabelung nicht gibt, empfi nden die Breitbandverkabelung als einen Bestandteil der Grundversorgung, auf den man keinen Tag verzichten will. Während die EU-Kommission staatliche Beihilfen zum Aufbau offener Breitbandnetze empfi ehlt, ist Ihnen der fl ächendeckende DSL-Ausbau – so habe ich es aus den Rückmeldungen der CSU-Bürgermeister in den Regionen erfahren, die DSL bis heute nicht haben – kein Anliegen, sondern wurscht. Das ist eine Katastrophe für die betroffenen Gemeinden, die sich um den Erhalt und die Ansiedlung aller Betriebe, nicht nur der modernen, bemühen.

Ein letztes Beispiel für das, wie es gehen könnte, ist das Regionalmanagement.

(Zuruf des Staatsministers Erwin Huber)

Ja, Sie nehmen das oft nicht wahr. Ich kenne Ihre Selektivität bezüglich Ihrer Ansprechpartner. Aber hören Sie doch einfach mal zu.

Es gibt keine regionale Entwicklung ohne starke Kommunen. Da ist der Aufbau eines regionalen Managements dringend notwendig. Das könnten wir sehr gut von Österreich insgesamt lernen. Ich will Ihnen einmal eine Größenordnung für das aufzeigen, was wir brauchen. In Oberösterreich wird das Regionalmanagement von Region und Land fi nanziert. Für ein Land etwa der Größe wie Niederbayern sind über 20 regionale Spezialisten am Werk. Sie haben zum Ziel, Initiativen aus den Unternehmen und den Kommunen herauszukitzeln und zu entwickeln, also aus der Region heraus. Das geschieht nicht so zentralistisch, wie Sie immer denken. Das Konzept des Regionalmanagements, wie es Oberösterreich kennt, ist höchst erfolgreich. Das zeigen die Arbeitslosigkeitsquoten, auf die Sie so gern verweisen, die in der ganzen Fläche niedriger sind als in Bayern. Dort gibt es vor allem kein Auseinanderklaffen zwischen Boomregionen und vernachlässigten Gebieten. Dabei hat auch Oberösterreich - möglicherweise wissen Sie das – große periphere Regionen entlang der Grenze zu Tschechien. Auch insofern besteht Vergleichbarkeit.

Ein derart umfassendes regionales Management – nicht eine so unzureichende Konstruktion, die wir haben – könnte und sollte ein wesentlicher Inhalt des mehrjährigen Sofortprogramms sein, das mit dem heutigen Dringlichkeitsantrag beschlossen werden sollte. Eigentlich möchte ich sagen: Es müsste beschlossen werden; ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob es gelingt. Genau das braucht die Region, Kollege Dr. Döhler. Über den Tag hinaus muss die Region durch eine solche Konstruktion kurz-, mittel- und langfristig entwickelt werden. Man darf nicht glauben, dass es ausreiche, irgendein Paper zu schreiben, damit die Dinge so weiterlaufen wie bisher. Genau das macht ein Regionalmanagement nicht, und genau deshalb brauchen wir es.

Herr Wirtschaftsminister, nach unserer Auffassung ist es ausdrücklich nicht Ihre Aufgabe, einen unverkäufl ichen Transrapid liebevoll zu streicheln, einen Geisterzug, in den bundesweit bereits nahezu 5 Milliarden Euro gepumpt wurden. Es sind Gelder, die überwiegend nicht aus der Wirtschaft stammen, sondern die Sie den Menschen abverlangen, die Ihr Lieblingsspielzeug mit Recht schon lange nicht mehr wollen, auch wenn Sie jetzt noch weitere Milliarden an Steuergeldern – Geld spielt ja keine Rolle – hinterherwerfen.

Ihre Aufgabe, sehr geehrter Herr Minister – so verstehen wir sie jedenfalls – wäre vielmehr, Arbeitsplätze auch und gerade für jene Menschen in Bayern zu schaffen, bei denen arbeitsmarkt- und regionalpolitische Probleme zusammentreffen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ihre Aufgabe wäre es, sich besonders dann zu engagieren, wenn viele Hundert Arbeitsplätze im strukturschwachen ländlichen Raum im Feuer stehen, wie wir es jetzt bei Rosenthal in Selb und Speichersdorf sehen. AEG und BenQ haben aber gezeigt, dass Sie zwar gern hochglänzend geschminkte Produkte anfassen, aber nicht in der Lage und willens sind, sich dort zu engagieren, wo es wirklich brennt. Dieses Verständnis von Politik erleben zu müssen ist bitter für die vielen betroffenen Menschen. Oberfranken braucht keinen Politiker aus dem Hochglanzprospekt, sondern jemanden, der anpackt, also jemand anderen.

Zum Abschluss habe ich eine Aufforderung an die Eigner der Rosenthal AG, den Waterford-Wedgwood-Konzern: Lassen Sie sich bitte nicht von der regionalpolitischen Unfähigkeit und der arbeitsmarktpolitischen Unwilligkeit der derzeitigen Bayerischen Staatsregierung entmutigen, und stärken Sie Ihr Engagement in den Werken Rothbühl und Thomas am Kulm!

Die Bilanzen von Rosenthal sowie die Umsatz- und Ertragslage geben gute Gründe für den Erhalt der Arbeitsplätze in den Werken. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben mit dem Verzicht auf das dreizehnte Monatsgehalt, mit dem Verzicht auf Urlaubsgeld und der Hinnahme vieler anderer Leistungseinschränkungen gezeigt, dass sie bereit sind, gemeinsam mit der Unternehmensleitung den oberfränkischen Mythos Rosenthal – Kollege Wolfrum hat darauf hingewiesen – wieder nach vorn zu bringen.

Sehr geehrter Herr Dr. Döhler, wenn Sie diese Debatte jetzt mit der Mindestlohndiskussion verbinden, dann fi nde ich das äußerst überraschend und fast zynisch. Zum einen wissen Sie, dass der Mindestlohn nach den höchsten Forderungen der Gewerkschaften bei 7,50 Euro sein soll. Die Höhe ist aber ohnehin noch nicht ausdebattiert; der Mindestlohn wäre jedenfalls nicht so hoch. Zum Zweiten nutzt Ihr Einwurf den Betroffenen überhaupt nicht.