Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 89. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Sie ist erteilt.
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Die Aktuelle Stunde hat das Thema: „Integration statt Ausgrenzung und Abschiebung – für eine humanitäre Bleiberechtsregelung in Bayern!“ In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion darf der erste Redner zehn Minuten sprechen. Ich wiederhole das für die Zuschauer. Die Mitglieder des Parlaments kennen es. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten. Wir beginnen mit der Aussprache. Erste Wortmeldung: Frau Kollegin Scharfenberg.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Das Thema Bleiberecht kann eine entscheidende Bedeutung dafür erlangen, ob die CSU die absolute Mehrheit in Bayern verteidigen kann.“ – Das sagte Herr Beckstein als designierter Ministerpräsident und als Innenminister am Montag, wie in der „Süddeutschen Zeitung“ nachzulesen ist. Ich frage mich, wo die Bekenntnisse eines Herrn Beckstein zum Thema Integration geblieben sind.
Ständig reist er im Land umher und gibt den neuen Landesvater, der sich um alles kümmert, auch um Ausländer, wenn sie denn nur integrationswillig sind. Andererseits setzen Sie sich mit dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Stoiber an die Spitze der Bewegung derer, die das rot-grüne Zuwanderungsgesetz unterwandern wollen, wann immer es möglich ist. Das muss man einfach einmal so sehen.
Am Montag hat Ministerpräsident Stoiber im Koalitionsausschuss kurz vor der Abstimmung im Bundestag und im Bundesrat sein Veto zum Paket Bleiberecht eingelegt, obwohl Herr Beckstein dieses Paket schon im November letzten Jahres mit der CDU und der SPD auf der Innenministerkonferenz unter seiner Präsidentschaft -wohlgemerkt – geschnürt hat. Bravo, sage ich! Soviel zum
Herr Beckstein, diese Menschen zählen auf Sie. In Bayern gibt es circa 12 000 Flüchtlinge, die geduldet sind, weil sie nicht abgeschoben werden können. Sie wollen – und das müssen wir positiv sehen – ihre Kräfte endlich in den Arbeitsprozess einbringen. Sie wollen sich gerne in unsere Gesellschaft einbringen, wenn Sie von der CSU sie nur lassen würden.
Sie müssen feststellen, dass diese Leute arbeitswillig sind. Sie dürfen nicht noch hinter diesem für uns schon sehr dürftigen Koalitionskompromiss zurückbleiben. Wir alle können es nicht zulassen, dass so etwas passiert. Der Koalitionskompromiss sagt ganz klar, dass Ausländerinnen und Ausländer zweieinhalb Jahre lang, also bis 2009, bei uns Arbeit suchen können. Das muss den Ausländern und Ausländerinnen auch mit allen Rahmenbedingungen ermöglicht werden. Sie zahlen dann auch in die Sozialversicherungssysteme ein. Übrigens ist das bei allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern so: Wenn es Arbeit gibt, zahlt man in unsere Systeme ein.
Den Betroffenen soll nach den Vorstellungen der CSU für die Zeit der Arbeitssuche kein Bleiberecht, sondern nur eine Verlängerung der Duldung angeboten werden. Das fi nden wir als GRÜNE untragbar.
Herr Stoiber sagte gestern im „Morgenmagazin“ ganz klar: „Das Ganze wollen wir ohne Zugang zu den Sozialsystemen.“ Das heißt im Klartext: Alles bleibt, wie es ist. Der Ausländer muss sich als langjährig Geduldeter mit der untragbaren Situation abfi nden, dass es für ihn nur Sachleistungen statt Bargeld, Lagerunterbringung und nur eine medizinische Notversorgung gibt. Das ist keine Art, mit Menschen umzugehen, die hier teilweise schon zehn Jahre leben und arbeitswillig und integrationswillig sind.
Die Arbeitgeber stellen viel zu wenig geduldete Ausländer ein. Denn es gibt auch noch die Vorrangprüfung, ob ein Ausländer einem deutschen oder einem EU-Bürger die Arbeitsstelle nimmt. In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit kommt das einem Arbeitsverbot gleich.
Der CSU-Innenexperte Hans Peter Uhl sagte, dass es mit der Neuregelung des Bleiberechts erstmals ermöglicht werde, dass geduldete Ausländer in Deutschland überhaupt arbeiten können. Deshalb ist das Votum Stoibers zum Koalitionskompromiss verlogen. Das Votum ist eine schlichte Irreführung, denn eine Bleiberechtsregelung wird nur dann erfolgreich sein können, wenn Stoiber nicht mit seiner Forderung durchkommt, die lautet: Ohne Arbeit keine Aufenthaltsgenehmigung und
ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Arbeit. Nur weil die Herren Stoiber und Beckstein Angst davor haben, die Stammtischhoheit zu verlieren, fallen Sie Ihrer eigenen Landesgruppe im Bundestag in den Rücken. Die hat bereits dem Kompromiss zugestimmt. Es ist unsäglich von Ihnen, dass Sie gut integrierte Mitbürgerinnen und Mitbürger parteipolitischen Überlegungen opfern.
Deshalb fordern wir Sie auf, dem ohnehin sehr dürftigen Koalitionskompromiss in Berlin unbedingt zuzustimmen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Scharfenberg, es gibt gute Menschen und es gibt Realisten. Der bisherige Beschluss hat sich bewährt. Die Zahlen in Bayern sprechen für sich. Seit 17. November bis heute wurden 400 Aufenthaltserlaubnisse erteilt und 700 Duldungen zur Arbeitsplatzsuche ausgesprochen. Das beweist, dass das bisherige System stimmt. Bayern wird deswegen auch weiterhin auf die Änderung des Bleiberechts bestehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es darf keine Zuwanderung zulasten der deutschen Sozialkassen geben. Ein Erfolg der bayerischen Regierung ist es, dass der Koalitionsausschuss die Entscheidung über die künftige Bleiberechtsregelung für Ausländer wegen der bayerischen Einwendungen vertagt hat. Bayern ist mit seiner Meinung ein Vorreiter für die Bürgerinnen und Bürger. Noch ist nichts entschieden. Nächste Woche wird entschieden.
Die bayerische Position, die Position der CSU, war immer eindeutig und klar. Mit Sicherheit ist dies auch die Position der Mehrheit der Bevölkerung, der Bürgerinnen und Bürger, der Wählerinnen und Wähler und insbesondere auch die Position des Wählerklientels der SPD. Fast täglich sind wir von der CSU in Versammlungen und erfahren von den Menschen, was sie wollen und was wir Politiker tun sollen. Deswegen ist die Position der CSU näher am Menschen.
Mit allen demokratischen und argumentativen Mitteln soll die bisherige Koalitionsaussage in unserem Sinne verändert werden. Ministerpräsident Edmund Stoiber wird in der nächsten Woche bei den Verhandlungen viel Kraft brauchen. Wir wünschen ihm dazu viel Erfolg im Sinne der Bürgerinnen und Bürger. Wir müssen eine Lösung fi nden, die dem Grundsatz „keine höheren Sozialleistungen für Ausländer vor der Arbeitsaufnahme“ entspricht. Sie kennen die Situation in Bayern. Hier sind mehrere Tausend Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Sie erhalten gekürzte Sozialleistungen, oft auch Sachleistungen. Wenn wir dies ändern
würden, müssten wir die Mittel um einen dreistelligen Millionenbetrag erhöhen. Das wollen wir nicht.
Denn nach den Plänen der Bundesregierung und der Großen Koalition sollen die Ausländer volle Sozialleistungen und das Recht auf Wohnung erhalten.
(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Sie haben dem ja auch zugestimmt! – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Wahrscheinlich haben Sie da den Falschen hingeschickt! – Heiterkeit bei der SPD)
Bei all diesen Debatten darf nicht die Frage ausgespart werden, wer das bezahlen soll. Bezahlen muss es der Bürger und der Steuerzahler.
Die Pläne der Großen Koalition würden die Aufgabe des Grundsatzes „Arbeit vor Aufenthaltserlaubnis“ bedeuten. In diesen Überlegungen liegt ein massiver Widerspruch zum Beschluss der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006; man gehe weg vom Grundsatz Fördern und Fordern und weg vom Grundsatz, den Geduldeten eine faire Chance in Deutschland zu geben.
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jahrzehntelang in die Sozialversicherung einbezahlt haben, hätten kein Verständnis dafür, wenn sie bei den Sozialleistungen den Asylbewerbern gleichgestellt würden.
Wir gehen zuversichtlich in die Verhandlungen der kommenden Wochen und hoffen auf eine gute und vernünftige Lösung für all unsere Bürgerinnen und Bürger.
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Ihre Gleichsetzung von Integration mit Ausgrenzung, wie Sie es mit Ihrem Thema formulieren, mag zwar gut klingen, aber es ist nicht die Realität. Und wer sich nicht an der Realität orientiert, wird von der Realität überholt.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Neumeyer! Eine gute und vernünftige Lösung ist bereits gefunden worden. Ich fi nde es außerordentlich befremdlich, dass Sie diese Lösung jetzt wieder in Frage stellen. Darin liegt das eigentliche Problem.
Wie Sie wissen, haben die Innenminister auf ihrer Konferenz im Jahre 2006 bezüglich der Bleiberechtsregelung eine Vereinbarung gefunden, und jetzt geht es darum,
dass insgesamt elf EU-Richtlinien umgesetzt werden müssen. Die Bundesrepublik befi ndet sich damit im Verzug; sie hätte diese EU-Richtlinien bereits im Oktober vergangenen Jahres umsetzen müssen. Sie hat das nicht getan. Sie muss es jetzt tun. Im Rahmen der Novellierung ist in den §§ 104 a und b des Aufenthaltsgesetzes auch diese ergänzende Bleiberechtsregelung aufgenommen worden. Die Regelung ist ohne jede Frage sinnvoll und gibt den Betroffenen die Möglichkeit, sich bis zum Jahr 2009 um Arbeit zu kümmern, bzw. sie müssen bis dahin schon 15 Monate gearbeitet haben, um in den Genuss dieser Regelung zu kommen.
Etwas, was wirklich wichtig ist, aber die Situation in der Bundesrepublik nicht leichter macht, ist Folgendes: Wenn die Vertreter der Großen Koalition in Berlin in einem Arbeitskreis, in dem auch ein CSU-Mitglied dabei ist, und zwar ein sachkundiger und stringenter Vertreter in Ihrem Sinne, nämlich Herr Dr. Hans-Peter Uhl aus München,