Protocol of the Session on January 30, 2007

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 85. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt. Der Bayerische Rundfunk und Phoenix übertragen die Debatte live.

Ich darf zunächst einige Glückwünsche nachholen. Jeweils einen runden Geburtstag feierten die Kolleginnen Dr. Hildegard Kronawitter und Ingeborg Pongratz, beide am 19. Dezember. Kollege Dr. Markus Söder feierte am 5. Januar ebenfalls einen runden Geburtstag. Ich gratuliere den genannten Kolleginnen und dem Kollegen im Namen des Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute.

(Beifall)

Glückwünsche anderer Art darf ich einem ehemaligen Kollegen und einer neuen Kollegin aussprechen. Die Landeswahlleiterin hat mir mit Schreiben vom 23. Januar 2007 mitgeteilt, dass Herr Henry Schramm mit Ablauf des 17. Januar 2007 auf sein Landtagsmandat verzichtet hat und damit aus dem Landtag ausgeschieden ist. Henry Schramm gehörte dem Hohen Haus seit dem 6. Oktober 2003 an. Neben seiner Arbeit im Ältestenrat war er Mitglied im Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit sowie im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. Ich danke Henry Schramm für seinen engagierten Einsatz und wünsche ihm im Namen des Bayerischen Landtags und persönlich viel Erfolg für seine neue berufliche Aufgabe als Oberbürgermeister von Kulmbach.

(Beifall)

Die Landeswahlleiterin hat gemäß Artikel 58 des Landeswahlgesetzes Frau Gudrun Brendel-Fischer aus Heinersreuth bei Bayreuth als Listennachfolgerin festgestellt. Seit 23. Januar 2007 ist Frau Kollegin Brendel-Fischer Mitglied des Bayerischen Landtags. Frau Kollegin, herzlich willkommen in unserer Mitte und viel Erfolg bei der parlamentarischen Arbeit.

(Beifall)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung eine Erklärung zum „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“. Am vergangenen Samstag, dem 27. Januar, begingen wir zum elften Mal den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, der sich auf den 27. Januar 1945, den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, bezieht und an dem wir aller Opfer des Nationalsozialismus gedenken.

Der Name Auschwitz steht als Symbol für die von Deutschen begangenen barbarischen Verbrechen an Juden, an Angehörigen anderer Volksgruppen und an Personen, die dem Nationalsozialismus Widerstand leisteten und deswegen verfolgt wurden.

Die Schritt für Schritt entwickelte Kultur der Erinnerung über Jahrzehnte hinweg ist nicht nur an solchen Gedenktagen wie diesem gegenwärtig, sondern unser ständiger Begleiter. Sie reduziert unsere Verantwortung nicht allein auf die Geschichte. Sie befähigt uns, Verantwortung für Gegenwart und Zukunft zu tragen. Nur so macht Gedenken Sinn. Nur so schaffen wir Vertrauen.

Ein schönes und hoffnungsvolles Symbol dieses neuen Vertrauens ist, dass Ende vergangenen Jahres das Jüdische Gemeinde- und Kulturzentrum in Würzburg und die Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern im Herzen der Landeshauptstadt München feierlich eröffnet wurden. Was angesichts der verbrecherischen Taten der Nationalsozialisten unvorstellbar erschien, ist auch dank einer wahrhaftigen Erinnerungsarbeit Wirklichkeit geworden: Jüdisches Leben findet wieder mitten in unserer Gesellschaft statt. Aber immer wieder begegnen wir den Versuchen der Relativierung, der schleichenden Verharmlosung des Geschehenen. So ist es mit den Vergleichen etwa zu den Verbrechen Stalins oder anderer Massenmörder. Deshalb klar und eindeutig: Wir wollen von dem, was geschehen ist, nichts relativieren. Zu vergleichen heißt, die Einmaligkeit dieser Verbrechen zu leugnen. Damit fügt man den Opfern und ihren Angehörigen ähnlich viel Unrecht und Schmerzen zu wie mit der Leugnung der Wirklichkeit. Wenn Staatspräsidenten die Weltöffentlichkeit mehrmals mit der Behauptung provozieren, die Konzentrationslager seien Erfindung von Geschichtsfälschern, dann ist ein sicht- und hörbares Zeichen der Weltgemeinschaft notwendig.

Anlässlich des diesjährigen Jahrestages der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz haben die Vereinten Nationen eine Resolution gegen die Leugnung des Holocausts verabschiedet. Eine Resolution, die jeden Zweifel an den Greueln des Holocausts verurteilt. Ihre Aussagekraft ist von großer Bedeutung, weil sie sich unmissverständlich gegen Geschichtsfälschung und Leugnung von Wahrheiten ausspricht. Warum ist eine solche klare Aussage so wichtig? Leugnung bedeutet Verharmlosung, und auf Verharmlosung folgt nicht selten Unaufmerksamkeit und Nachlässigkeit. Eine unserer Lehren aus der Geschichte ist es, wachsam zu sein, sensibel für die Anfänge zu sein, damit sich Auschwitz nicht wiederholt.

Als demokratische Gesellschaft müssen wir konsequent Antisemitismus und Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz anprangern und bekämpfen von Anfang an. Dies ist nicht nur im Interesse der Fortentwicklung und des Schutzes unserer parlamentarischen Demokratie, sondern auch ein Gebot der Menschenwürde, das in Auschwitz und an vielen anderen Orten Deutschlands mit Füßen getreten wurde.

In diesem Sinne gedenken wir heute der Opfer, die der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg gefordert haben. Ich bitte Sie, sich zu einer Gedenkminute an die Opfer von Ihren Plätzen zu erheben. –

(Gedenkminute)

Ich danke Ihnen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Antrag gemäß Artikel 44 BV der Abg. Franz Maget, Johanna Werner-Muggendorfer, Susann Biedefeld u. a. u. Frakt. (SPD), Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg und Frakt. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Rücktritt des Ministerpräsidenten (Drs. 15/7170)

Bevor wir in die Aussprache eintreten, mache ich darauf aufmerksam, dass im Ältestenrat beantragt worden ist, auf die Einhaltung der in § 61 Satz 5 der Geschäftsordnung vorgesehenen 48-Stunden-Frist zwischen dem Schluss der Aussprache und der Entscheidung über den Antrag zu verzichten. Die Abstimmung soll in namentlicher Form erfolgen.

Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von 60 Minuten pro Fraktion vereinbart. Ich eröffne nun die Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Maget.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dies ist heute eine außergewöhnliche Sitzung des Bayerischen Landtags, zu der wir zusammengekommen sind. Nach wochenlangem, immer noch anhaltendem Streit innerhalb der Mehrheitspartei, nach unglaublichen Intrigen, nach Bespitzelungen, nach Personalquerelen und nach dem Sturz des bayerischen Ministerpräsidenten

(Lachen bei der CSU)

haben Sie ihn nicht gestürzt? –

(Susann Biedefeld (SPD): Die eigenen Mitglieder! – Dr. Thomas Beyer (SPD): Putsch!)

ist heute für uns die erste Gelegenheit, darüber zu sprechen, welche Ursachen und Folgen die Krise der CSU und der Staatsregierung für Bayern hat und welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

Leider hat uns Herr Präsident Glück unter Verweis auf die Zweidrittelmehrheit der CSU im Hause nicht einmal eine Sondersitzung des Hohen Hauses zu einem früheren Zeitpunkt zugestanden.

(Zurufe bei der CSU: Oh!)

Ich halte das angesichts des Ausmaßes der Regierungskrise in Bayern für unerträglich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In allen Medien, in allen Zeitungen, auf allen TV-Kanälen wird die politische Zukunft Bayerns diskutiert, nur nicht an dem Ort, wo diese Frage hingehört, nämlich im bayerischen Parlament.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist ungeheuerlich, das ist unerträglich.

Zu Ihrer Erinnerung, meine Damen und Herren: Der Sitz des Bayerischen Landtags ist hier im Maximilianeum und nicht in Wildbad Kreuth. Das ist ein Unterschied.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Hier gehören diese Fragen diskutiert. Besser bzw. schlimmer kann man die Arroganz der Macht und die Selbstherrlichkeit der Zweidrittelmehrheit kaum dokumentieren.

Übrigens bei dieser Gelegenheit: Der Ort, wo man mehrfach über den CSU-Vorsitz beraten hat, ist vielleicht die Nymphenburger Straße oder ein x-beliebiges Hinterzimmer, aber garantiert nicht die Staatskanzlei, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

In welcher Weise die staatlichen Einrichtungen und Institutionen für die Zwecke ihrer Partei missbraucht werden, ist atemberaubend bis hin, dass der Leiter des Büros des Ministerpräsidenten herumspitzelt vom Telefon der Staatskanzlei aus im Privatleben von Frau Landrätin Pauli.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Dass Sie dabei keinerlei Unrechtsbewusstsein haben, meine Damen und Herren, belegt eindrucksvoll den Verfall der politischen und demokratischen Sitten in unserem Land.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb darf ich Ihnen in Erinnerung rufen: Die Staatskanzlei ist kein Parteilokal.

(Beifall bei der SPD)

Der Staat gehört dem Volk und nicht der CSU.

Darum müssen und werden sich die politischen Gewichte in Bayern verschieben im Interesse des Landes und der Demokratie, damit endlich das für eine Demokratie notwendige Maß an Fairness und Offenheit einkehrt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Die Entscheidung über die politische Zukunft unseres Freistaates gehört in die Hand des Volkes und nicht in die Hand der Partei, Ihrer Partei allein.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch für mich persönlich ist die heutige Sitzung außergewöhnlich. Vielleicht, sogar sehr wahrscheinlich ist es das letzte Mal,

dass ich mit Ihnen, Herr Dr. Stoiber, auf diesem Weg ins Gespräch komme – ich versuche es zumindest.

(Engelbert Kupka (CSU): Wollen Sie aufhören?)