Ich erinnere mich noch an die Zeit vor Weihnachten im letzten Jahr. Damals führten wir zu AEG diese peinliche Diskussion, als Sie sich nicht zu sagen trauten, was dort passiert. Jetzt lassen Sie sich von Siemens wieder vorführen. Ich sage Ihnen: Wer mit den Pierers und Kleinfelds dieser Welt ständig kuschelt, wer sie in Kommissionen beruft, in denen das Geld der Allgemeinheit verteilt werden soll und wer diesen Menschen die Blaupause für Bayern 2020 überlässt, der darf hinterher den Mund nicht mehr aufmachen, wenn die Folgen dieser Wirtschaftspolitik deutlich werden.
Meine Redezeit ist zu Ende. Ich hätte Ihnen noch sagen können, dass Sie in der Mittelstandspolitik versagen und dass sich die Investitionsquote in diesem Land unter Stoiber exakt halbiert hat. Das ist also die Politik, die Arbeit schafft. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie kündigen die Verbindung von Wirtschafts- und Sozialpolitik an. Das lässt für die Menschen in Bayern nichts Gutes erwarten; denn Sie können beides nicht, weil sie innerlich keinen Begriff mehr davon haben, was eine gute und gerechte Sozialpolitik ist.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Die Frage, ob die Familie in diesem Land ein Armutsrisiko ist, ist in dieser Aktuellen Stunde schon einige Male angesprochen worden. Ich will nicht hinwegdiskutieren und auch nicht leugnen, dass in dem einen
oder anderen Fall Familie ein Armutsrisiko sein kann, vor allem dann, wenn ein gewisses Bildungsdefi zit damit verbunden ist. Darauf werde ich am Schluss noch einmal zurückkommen.
Damit die Familie nicht von vornherein zum Armutsrisiko wird, ist es notwendig, dass der Staat die Situation reguliert und über den Familienleistungsausgleich eingreift. Darüber sind wir uns sicherlich einig. Für Familien in Deutschland und in Bayern gibt es vielfältige Leistungen. Ich würde mir im Steuersystem wünschen, dass wir den Familien das Geld gleich lassen und es ihnen nicht erst nehmen und dann wieder geben.
Die Familien sollten pro Familienmitglied einen entsprechenden Freibetrag erhalten. Das ist vielleicht noch Zukunftsvision.
Wenn ich mir das Elterngeld, das auf Bundesebene durch die Große Koalition geschaffen wurde, ansehe, dann stelle ich fest: Das ist der richtige Weg, um die erbrachte Familien- und Erziehungsleistung, gerade in den ersten Lebensjahren, durch die Gesellschaft zu honorieren und zu würdigen. Im Zusammenhang mit diesem Elterngeld war es ganz besonders wichtig, ein Mindestelterngeld von 300 Euro sowie die Geringverdienerkomponente und die Verbesserung beim Geschwisterbonus einzuführen. Dies kommt der klassischen Familie zugute.
Ganz besonders wichtig sind auch die Aspekte, über die wir in der vergangenen Woche diskutiert haben, nämlich das Landeserziehungsgeld im Anschluss an das Bundeselterngeld zu erhalten. Wir haben lange darüber diskutiert, ob und wie wir das durchführen. Wir haben uns dazu entschlossen und es mit der Anhebung der Einkommensgrenzen ab dem Jahr 2008 verbunden. Dies wird dazu führen, dass nicht nur 47 % der jungen Eltern – wie das bisher der Fall war –, sondern über 60 % unserer jungen Eltern in den Genuss des Landeserziehungsgeldes kommen. Es handelt sich dabei genau um die mittleren Einkommensgruppen, die wir damit stützen und stärken wollen, damit sie ohne Armutsrisiko Familie leben und realisieren können.
Sie von der SPD fordern die Abschaffung des Landeserziehungsgeldes und eine stärkere Investition in die Kinderbetreuung. Damit hätten wir keinen zusätzlichen Effekt, im Gegenteil: Der Einstieg in das kostenfreie letzte Kindergartenjahr würde allen Eltern, unabhängig von ihrer Leistungsfähigkeit, Vergünstigungen verschaffen und das wäre nach meinem Dafürhalten ein Gießkannenprinzip, welches wir ablehnen. Wir wollen in die Qualität der frühkindlichen Bildung investieren.
Ja, Sie werden es erleben, Frau Kollegin Werner-Muggendorfer, wir wollen in die Qualität investieren.
Der Erhalt des Landeserziehungsgeldes auf der einen Seite und der weitere Ausbau der Kinderbetreuung – der Krippenbetreuung sowie der Plätze für die unter Dreijährigen –, den wir in den letzten Jahren massiv vorangetrieben
haben, schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern es muss beides möglich sein. Das ist unsere Zielrichtung.
Sie müssen sich ansehen, wie sich die eingesetzten Mittel in den vergangenen Jahren nach oben entwickelt haben: Wir haben in die Kinderbetreuung insgesamt in Bayern viel investiert und investieren jetzt in die Qualität, in die Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher und in die Elternbildung. Genau das ist der richtige Weg sicherzustellen, dass sich Kinderbetreuung, Familie und Beruf miteinander vereinbaren lassen. Über frühe Bildung wollen und werden wir im Wesentlichen Chancengerechtigkeit herbeiführen.
Sie wollen die Probleme durch mehr Umverteilung in diesem Land lösen; den Reichen nehmen und den Armen geben. Das ist nicht der richtige Weg. Wir müssen jedem Bürger in diesem Land, jedem jungen Menschen die Möglichkeit eröffnen, insbesondere über Bildung von Anfang an und in bester Qualität, seine Chancen zu nutzen und damit eigenständig an der Gesellschaft teilzuhaben, ohne dem Risiko der Armut anheim zu fallen. Das ist der richtige Weg. Falsch ist – wie Sie das immer machen –, immer nur drauf zu hauen, umzuverteilen, dem einen etwas zu nehmen und dem anderen etwas zu geben. Damit erhöhen wir die Chancen der Menschen, die von dem genannten Risiko betroffen sind, sicherlich nicht.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Vergangene Woche wurden wir durch neue entsetzliche Zahlen aufgerüttelt, dass nämlich in Deutschland pro Woche zwei Kinder an den Folgen von Misshandlungen durch ihre Eltern sterben, unbemerkt von den zuständigen Stellen, unbemerkt aber auch von den Nachbarn, Bekannten und Familienangehörigen. So dramatisch diese Erkenntnis ist und so hilfl os sie einen macht, so muss man richtigerweise dennoch sagen: Auch das beste System kann nicht all diese Fälle verhindern. Der Herr Ministerpräsident hat sich – das ist schon gesagt worden – zuletzt aktuell dieses Themas angenommen und gesagt, diese Kinder brauchten einen starken Staat. Das fi nden wir auch,
allerdings gibt es in der Bewertung dessen, was dieser starke Staat ist und was er tun muss, massive Differenzen. Herr Unterländer hat uns Konzeptionslosigkeit vorgeworfen. Das ist bei diesem Beispiel geradezu dreist und unverschämt.
Wer war es denn, der im Juni bereits unter dem Titel „Hilfe statt Strafe“ zwei Anträge in den Bayerischen Landtag eingebracht hat, um genau diesen Familien und diesen Kindern zu helfen? Es war die SPD-Fraktion und wir haben zum Ersten ein Frühwarnsystem für Risikofamilien gefordert. Wir haben aus der Erkenntnis, dass der wesentli
che Grund für das Versagen von Institutionen, wie im Fall Kevin, die fehlende Vernetzung ist und nicht die fehlenden Angebote sind, gefordert, bayernweit einen Runden Tisch einzurichten. Im Protokoll vom 29. Juni ist nachzulesen, dass die bayerische Sozialministerin uns erklärt hat, das bräuchte es nicht, in Bayern sei alles schon gut, es sei alles schon vernetzt. Jetzt fordert Frau Stewens genau diese Vernetzung. Sie fordert sie aber – anders als wir – nicht fl ächendeckend für Bayern, sondern in einzelnen Pilotprojekten. Nachdem Sie die Erkenntnis gewonnen haben, dass es an der Vernetzung fehlt, fordere ich Sie noch einmal auf: Kommen Sie auf unseren Vorschlag zurück und richten Sie diesen Runden Tisch ein.
Unsere zweite Forderung bezog sich auf die Wiedereinführung der zentralen Rückmeldestelle für die Untersuchungen im Kindesalter. Diese Stelle ist vor einigen Jahren fi nanziellen Kürzungen zum Opfer gefallen. Sie haben eine Bundesratsinitiative der Staatsregierung gefordert, die abgelehnt worden ist. Gestern auf der „Consozial“ hat die Frau Ministerin vom „Datenfriedhof“ in Bezug auf die Daten gesprochen, die erhoben, aber nicht ausgewertet werden, und hat dies bemängelt. Warum haben Sie denn unseren Antrag nicht aufgenommen und warum haben Sie diese Initiative noch nicht ergriffen?
Uns ist erzählt worden, es hätte bei der Rückmeldung keine Items – wie das modern heißt – für Vernachlässigung oder Misshandlung gegeben. Dann schaffen Sie doch bitte schön diese Items und schauen Sie, dass auf diese Weise die Daten erhoben und ausgewertet werden können.
Sie wollen hingegen verpfl ichtende Vorsorgeuntersuchungen. Das ist ein völlig untauglicher und hilfl oser Versuch, dieses Problem anzugehen. Sie gaukeln den Menschen eine Scheinsicherheit vor und zerstören auf der anderen Seite das Vertrauen der Menschen in die Ärzte, weil Sie die Ärzte von Menschen mit einer Hilfsfunktion zu Menschen mit einer Kontrollfunktion degradieren.
Sie erreichen damit nur eines, nämlich dass sich Menschen, die Probleme in der Erziehung haben, nicht mehr vertrauensvoll an ihren Arzt wenden. Eine Scheinsicherheit ist das auch deswegen, weil die Abstände zwischen den Untersuchungen so groß sind, dass diese nichts bringen, weil sie keinen zwingen können, immer den gleichen Arzt aufzusuchen und auch der Arztwechsel eines der Probleme darstellt. Sie wollen die Maßnahmen sanktionsbewehren und das berühmte Landeserziehungsgeld für diejenigen streichen, die die Angebote nicht in Anspruch nehmen. Wem, glauben Sie, schaden Sie damit? Glauben Sie, dass der alkoholabhängige Vater bei Kürzung des Kindergeldes sagt: „Jetzt trinke ich weniger, damit meine Kinder mehr Geld haben“ oder wie stellen Sie sich das vor?
In ihrem unmittelbaren Zuständigkeitsbereich liegen die Schuleingangsuntersuchungen. Es gibt eine eindrucksvolle Zahl von Kindern, die dabei gesehen werden, aber nur 13 % werden von Ärzten gesehen. Aber genau die Kinder aus der Risikogruppe, die keine Kindertagesstätte besuchen, fallen durch ihre letzte Schuluntersuchung. Sie haben auch auf diesem Feld in den letzten Jahren dramatisch Personal eingespart. Das passt doch alles nicht zusammen. Sie haben auf Bundesebene mit Ihren Vorschlägen zur Kosteneinsparung durch das kommunale Entlastungsgesetz Jugendhilfe nach Kassenlage der jeweiligen Kommune durchsetzen wollen. Wollen Sie so ernsthaft an diese Probleme herangehen? In allen Landratsämtern werden Einzelfalldiskussionen um Familienhilfemaßnahmen in den Landkreisen Bayerns geführt. Das betrifft doch wieder genau diese Gruppen, für die Sie mit Ihren aktionistischen Maßnahmen meinen eintreten zu wollen.
Sie müssen – zum Abschluss sei dies gesagt – nicht unbedingt uns glauben. Glauben Sie aber wenigstens Ihrer eigenen Bundesfamilienministerin, die Ihrer Schwesterpartei angehört und die wie ich Ärztin ist und vielleicht auch aus diesem Grund in solchen Fragen ein bisschen mehr Kompetenz mitbringt als der durchschnittliche Politiker. Machen Sie im Interesse der Kinder und der betroffenen Familien das, was Frau von der Leyen vorschlägt.
Frau Präsidentin, meine Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Dürr, Sie haben so sehr plakativ über Armut gesprochen. Haben Sie selbst Armut erlebt? Diese Frage richte ich an Sie. Ich weiß, was Armut bedeutet.
Jetzt spreche ich. Ich habe als Kind Armut erlebt. Zur Überwindung von Armut gibt es eine ganz wichtige Voraussetzung: Der Wille, die Armut zu überwinden, ist der Wille, nach Bildung und Wissen zu streben, damit man sich von den Fesseln der Armut lösen kann.
Ich habe als Flüchtlingskind Armut erlebt. Die Integration der Flüchtlinge in Bayern war eine hervorragende Leistung. Auch das sollte man sich beim Thema Integration ins Bewusstsein rufen. Meine Ausführungen werden sich auch danach ausrichten. Ich will das genau analysieren. Wir haben mit der Integration der Immigranten in Bayern eine große Aufgabe,
Herr Dr. Beyer, gestatten Sie mir noch eine Anmerkung. Sie haben gesagt, Wirtschaftsminister Glos spreche über „olle Kamellen“. Sie sollten einmal mit dem Mittelstand darüber diskutieren, wie man Fesseln auf dem Arbeitsmarkt beseitigen kann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich einige Punkte zum Thema Migration als Armutsrisiko ansprechen. Migranten stellen ein riesiges Arbeitskräftepotenzial dar. Allein zwischen 1990 und 2002 sind insgesamt 4,6 Millionen Menschen in die Bundesrepublik eingewandert. Richtig ist, dass die Ausländer bundesweit wie bayernweit überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind. In Bayern ist die Arbeitslosenquote der Ausländer mit 18,9 % doppelt so hoch wie die Arbeitslosenquote insgesamt. Im Jahresdurchschnitt von 2004 waren rund 73 800 Ausländer arbeitslos gemeldet. Diese Fakten schlagen sich natürlich in der Armutsstatistik nieder. Die Sozialhilfequote bei den Ausländern lag 2004 in Bayern bei 5,2 %. Das ist aber doch weitaus weniger als im Bundesdurchschnitt. Dort waren es 8,7 %.
Dieses Ungleichgewicht ist nicht in erster Linie von der Politik zu verantworten. Diese Benachteiligungen sind auch auf eine unterschiedliche Ausgangslage bei Deutschen und Migranten zurückzuführen. Zuwanderer verfügen einerseits oft über beschränkte Finanzmittel. Teilweise richten sie ihre wirtschaftlichen Interessen und ihr Sparverhalten auch an ihrem Herkunftsland aus. Ihre Wirtschaftskraft kann also nicht mit derjenigen der seit Generationen hier lebenden einheimischen Bevölkerung gleichgesetzt werden. Hilfsbedürftigkeit von Ausländern und Hilfegewährung an Ausländer sind also nicht unbedingt ein Gradmesser für Benachteiligungen. Vielmehr sind die Sozialleistungen Ausdruck eines funktionierenden Sozialstaatsgefüges in unserem Land.