Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 78. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde wie immer erteilt.
Am 22. Oktober 2006 verstarb Herr Friedrich Bauereisen im Alter von 79 Jahren. Er war von 1974 bis 1994 Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat den Stimmkreis Ansbach-Süd/Mittelfranken für die Fraktion der CSU.
Als Landwirt und Träger verschiedener politischer Ämter, insbesondere als Bürgermeister, brachte Friedrich Bauereisen sowohl reiche kommunalpolitische als auch landwirtschaftliche Erfahrungen in seine Parlamentsarbeit mit ein. Seiner Herkunft und seinen Ambitionen entsprechend engagierte er sich vor allem in den Ausschüssen für Ernährung und Landwirtschaft sowie für Verfassungs, Rechts- und Kommunalfragen.
Die Landwirtschaft und der ländliche Raum waren ihm ein besonderes Anliegen, das ihm auch den Titel des „Bauern-Bürgermeisters“ im Parlament verschaffte. Mit unermüdlichem Engagement setzte er sich für den Erhalt der kleinen und mittleren Höfe in den strukturschwächeren Regionen Bayerns ein, weil er wusste, dass sie häufi g keine oder keine ausreichende wirtschaftliche Alternative hatten. Er leistete damit einen wichtigen Beitrag zur Stabilität und Vielfalt des ländlichen Raums. Diejenigen, die sich noch an ihn erinnern können und hier im Parlament viele Jahre mit ihm verbracht haben, wissen auch um seine Menschlichkeit und seinen tiefsinnigen Humor.
Am 6. November verstarb Herr Ludwig Ostermeier im Alter von 94 Jahren. Er war von 1950 bis 1954 als Abgeordneter der Bayernpartei Mitglied des Bayerischen Landtags und vertrat die Stimmkreise Eggenfelden und Vilsbiburg/Niederbayern. Ludwig Ostermeier engagierte sich im Ausschuss für Besoldungsfragen und im Ausschuss für sozialpolitische Angelegenheiten.
Der Bayerische Landtag wird den Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich noch einen nachträglichen Glückwunsch aussprechen. Am 22. Oktober feierte Frau Kollegin Karin Pranghofer einen halbrunden Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch im Nachhinein und weiterhin alles Gute für die politische Arbeit, aber auch für den persönlichen Bereich.
Keinen Geburtstag, aber auch einen erfreulichen Anlass hat Kollege Schramm zu feiern: Er wurde am 22. Oktober zum Oberbürgermeister von Kulmbach gewählt. Dazu gratuliere ich im Namen des gesamten Bayerischen
Landtags sehr herzlich und wünsche Ihnen, lieber Herr Kollege, für Ihre neue Aufgabe alles Gute und Gottes Segen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der 9. November ist ein entscheidendes Datum in der deutschen Geschichte – in mehrfacher Hinsicht. Er ist ein Tag des Gedenkens, des Mahnens, der Freude und auch des Brückenschlags in die Zukunft. Daher ist es kein Zufall, dass heute – zwei Wochen nach der Einweihung des Jüdischen Gemeinde- und Kulturzentrums in Würzburg – die Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern im Herzen der Stadt München feierlich eröffnet wird.
Was angesichts der barbarischen Taten der Nationalsozialisten unvorstellbar erschien, ist Wirklichkeit geworden: Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens haben wieder Vertrauen in und zu Deutschland, sind hier zu Hause. Jüdisches Leben fi ndet mitten in unserer Gesellschaft statt. Dafür stehen die vielen jüdischen Gemeinden in unserem Land, in denen die Vergangenheit aufgearbeitet wird, Traditionen und interkulturelle Begegnungen gepfl egt und gelebt werden.
Wir freuen uns, dass mit dem heutigen Tag ein weiterer sichtbarer Baustein der Aussöhnung hinzukommt.
Dazu noch ein organisatorischer Hinweis: Aus gegebenem Anlass endet das Plenum heute bereits um 14.00 Uhr, sodass alle geladenen Gäste rechtzeitig zu den Feierlichkeiten gelangen können.
Für die heutige Sitzung ist die SPD-Fraktion vorschlagsberechtigt. Sie hat die Aktuelle Stunde zu dem Thema „Armut in einem reichen Land – mehr soziale Gerechtigkeit in Bayern“ beantragt.
Ich darf Herrn Kollegen Wahnschaffe, dem Vorsitzenden des sozialpolitischen Ausschusses, das Wort erteilten. Zehn Minuten wurden für Sie beantragt. Bitte sehr, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! „Armut in einem reichen Land – mehr soziale Gerechtigkeit in Bayern“, das ist ein Thema, dem wir uns nicht nur in einer Aktuellen Stunde, sondern darüber hinaus auch als Daueraufgabe in diesem Bayerischen Landtag widmen sollten.
Aber immerhin – wir diskutieren dieses Thema heute einmal grundsätzlich vor aktuellem Hintergrund, und ich freue mich, dass die Spitzen der Fraktionen heute zu so früher Stunde anwesend sind.
(Joachim Herrmann (CSU): Machen wir den Eindruck, dass wir sonst länger schlafen? – Franz Maget (SPD): Wenn schon der Ministerpräsident und die zuständige Ministerin zu diesem Thema nicht gekommen sind!)
Ja, wenn schon der Ministerpräsident und die Ministerin nicht da sind, aber immerhin, der Fraktionsvorsitzende der CSU ist da.
Ich beginne meinen Beitrag mit einem Hinweis auf die Herbstklausur der CSU – auch das ist eine Reverenz an Sie –; dort hat ein wichtiger Mensch gesprochen, nämlich der Landesbischof der Evangelischen Kirche. Er hat es auf dieser Klausurtagung der CSU und auch jetzt zu Beginn der Herbstsynode der Evangelischen Kirche in Bayern als gesamtgesellschaftlichen Skandal bezeichnet, dass sich die Zahl der auf Sozialhilfe angewiesenen Kinder und Jugendlichen in Deutschland in den letzten beiden Jahren auf 2,5 Millionen verdoppelt hat. Viele dieser Kinder leben auch in Bayern.
Meine Damen und Herren, Bildungsarmut und materielle Armut sind die zwei Seiten derselben Medaille. Das hat schon der erste Sozialbericht in Bayern – damals unter Ihrer Verantwortung, Frau Präsidentin, als Sozialministerin – deutlich gemacht. Arm, bettelarm, bildungsarm, so hat Heribert Prantl vor kurzem einen Artikel in der „Süddeutschen Zeitung“ überschrieben.
Dass die Bayerische Staatsregierung das Thema Armut in Bayern, insbesondere die Kinderarmut, nicht zum Gegenstand einer Regierungserklärung machen möchte, mag zwar noch angehen, dass sie aber so tut, als gäbe es dieses Problem in Bayern nicht, ist eine eklatante Missachtung von Menschen, die sich weder wehren noch selber helfen können.
Die amtierende Vorsitzende der Landesarbeitsgemeinschaft – LAG – für die Freie Wohlfahrtspfl ege, Frau BogeDiecker, hat dazu am 28. September auf der Armutskonferenz der LAG sinngemäß ausgeführt, es genüge nicht, wie die Politik – sie hätte eigentlich präziser formulieren müssen: die Staatsregierung – die Augen zu verschließen und zu behaupten, Armut gebe es nicht. Schließlich stünden jedem Menschen, der in Not gerät, Sozialgeld, Sozialhilfe, ALG II oder die Grundsicherung zu. Wer das sagt, so Frau Boge-Diecker, der sollte einmal eine Woche davon leben.
Meine Damen und Herren, ich schlage vor, den von Frau Stewens so hochgelobten Rollentausch, den wir jetzt hier alle hinter uns haben, einmal unter dieses Motto zu stellen, und alle, die dies wagen wollen, sollten probieren, einmal eine Woche lang von dem zu leben, was man heute anderen Menschen zumutet.
Nachdem die Staatsregierung jahrelang einen Landtagsbeschluss missachtet und mit ihrer Mehrheit Anträge der SPD für einen neuen Sozialbericht immer wieder abgelehnt hat, versucht Frau Stewens jetzt Entwarnung zu geben nach dem Motto: Wir haben alles in Griff auf dem
sinkenden Schiff. Sie behauptet, im Haushalt seien Mittel für einen Sozialhilfebericht eingestellt. In Wirklichkeit steht im Einzelplan 10 folgendes: 210 000 Euro – Zitat – „Zur Entwicklung gemeinsamer transparenter Strukturen für eine vergleichbare Armuts- und Reichtumsberichterstattung“. Im Klartext heißt das wohl: Der Bund soll, wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen, seinen Armuts- und Reichtumsbericht weiterführen, dann wird Bayern ein paar zusätzliche Zahlen liefern, und das wars dann wohl. Das ist keine seriöse Armutsberichterstattung, wie wir sie seit Jahren fordern, meine Damen und Herren.
Noch schlimmer als die Verweigerung der Fortschreibung des Sozialberichts ist aber die Tatsache, dass die Staatsregierung aus dem Sozialbericht des Jahres 1998 – so lange ist das schon wieder her – keinerlei Konsequenzen gezogen hat. Die soziale Lage hat sich seither auch in Bayern deutlich verschärft. Die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft hat sich vertieft. Diese Erkenntnis vermitteln nicht nur die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Titel „Gesellschaft im Reformprozess“, sondern auch die auf der bereits zitierten Armutskonferenz der LAG für die Freie Wohlfahrtspfl ege vorgestellten Zahlen. Nicht nur die eingangs erwähnte Zahl der von Armut Betroffenen oder Bedrohten ist gestiegen, sondern auch die Angst vor dem sozialen Abstieg, vor allem die Angst der Jugendlichen vor der Arbeitslosigkeit von 55 % im Jahre 2002 auf jetzt dramatische 69 % im Jahre 2006, und die Angst vor der Armut ist gleichermaßen gestiegen von 62 % im Jahre 2002 auf 66 % im Jahre 2006.
Wie reagiert nun die Staatsregierung? – Chancengleichheit, so hat dieser Tage ihr Generalsekretär Söder vollmundig formuliert, gehöre nach Ansicht der CSU zu den Grundlagen eines Sozialstaats der Zukunft. Schöne Worte! Wo ist denn nun diese Chancengleichheit? Bei der Staatsregierung ist im Augenblick nur eines erkennbar: Sie spart an der Zukunft der Jugendlichen und Kinder.
Dazu einige Beispiele. Mit der Reform des Kindergartengesetzes ist den Kindertagesstätten in Bayern ein so enges Finanzierungskorsett übergestülpt worden, dass die Integration von Kindern mit Sprachdefi ziten und von Kindern mit Behinderung kaum gelingt und damit die Chancengleichheit von Anfang an vereitelt wird. Für das von uns vorgeschlagene beitragsfreie letzte Kindergartenjahr haben sich bemerkenswerter Weise auch Stimmen in der CSU gefunden, so unter anderem Finanzminister Faltlhauser, der vorgeschlagen hat, das Landeserziehungsgeld abzuschaffen und diese Mittel in die Kindertagesstätten für das beitragsfreie Kindergartenjahr zu stecken. Und dazu gehört natürlich auch der besagte Herr Söder. Aber das muss man nicht so werten.
Aber immerhin – und das ist das Bedauerliche –: Die CSU-Landtagsfraktion und auch die zuständige Ministerin haben sich diesem Vorhaben bisher verweigert, auch
Meine Damen und Herren, Armut hat auch in diesem Land viele Gesichter. Bereits „Report“ hat 1998 einen deutlichen Hinweis darauf gegeben, dass 10 % aller Schüler Bayerns die Schule ohne jeden Abschluss verlassen, und dringenden Handlungsbedarf angemahnt. Geändert hat sich seither wenig: 30 000 Schüler verlassen jedes Jahr Bayerns Schulen ohne Abschluss. Eine wirkliche Chance, einen Ausbildungsplatz oder gar einen Arbeitsplatz zu bekommen, ist damit verbaut.
Beschämend ist die Situation auch bei den hoch sensiblen Themen Kindesvernachlässigungen und Kindesmisshandlungen. Wir haben in diesem Hause schon darüber diskutiert. Während sich Anfang des Jahres schon zwei Ministerinnen – beide sind heute nicht da – über die Frage gestritten haben, ob die Verpfl ichtung zu Vorsorgeuntersuchungen dieses Thema befördern könnte oder nicht, hat die SPD konstruktive Vorschläge gemacht.
Man muss es leider sagen: Die CSU hat sich wie immer mit dieser Sache auseinandergesetzt, aber unsere Anträge runtergebügelt. Nun gibt es neuen Streit; denn der Ministerpräsident hat sich vor dem Hintergrund zweier aktueller Ereignisse bemüßigt gefühlt, sich auch zu diesem Thema zu melden, und nun neuen Streit entfacht – nicht mit uns, sondern mit der Bundesfamilienministerin. Gewonnen ist damit für die betroffenen Kinder überhaupt nichts. Eine sachliche Diskussion fi ndet in der Staatsregierung offensichtlich nicht statt.
Noch ein Beispiel zum Thema „Armut in Bayern“: Auf jedem Pfl egestammtisch erzählt Frau Stewens, sie hätte ein Herz für die Pfl egebedürftigen. Nun hat sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, der genau auf das Gegenteil abzielt; der Freistaat Bayern soll sich nämlich nach der Intention der Staatsregierung bei den Altenpfl egeheimen aus jedweder Finanzierung zurückziehen; das gilt sowohl für Modernisierungen als auch für Neubauten. Welch fatale Folgen wird dies für die Zukunft haben! Wir alle wissen, dass es der demografi schen Entwicklung zufolge künftig nicht weniger, sondern mehr heimbedürftige Menschen geben wird. Die Konsequenz wird sein, dass die Heimentgelte steigen werden. Die Freie Wohlfahrtspfl ege hat schon 300 Euro pro Monat ausgerechnet. Dies wird dazu führen, dass immer mehr Menschen, die wir mit der Pfl egeversicherung aus der Sozialhilfe befreien wollten, mithilfe der Staatsregierung in ihre alte Lage zurückgedrängt werden. Das ist ein Skandal.