Protocol of the Session on September 28, 2006

Die weitere Vergrößerung der Europäischen Union findet am 1. Januar nächsten Jahres statt. Es ist uns allen bewusst gewesen und immer noch bewusst, dass das ein großes, aber auch schwieriges Projekt ist, das entsprechend große Anstrengungen erfordert. Deswegen gibt es bei diesem Beitritt ja auch Auflagen an die beiden Länder, wie sie es in dieser Härte und Strenge noch niemals gegeben hat.

(Beifall des Abgeordneten Günter Gabsteiger (CSU))

Das ist auch sachgerecht, und es war eine der Voraussetzungen, die die Europäische Union – ich denke auch wir in Deutschland – zu Recht an den Beitritt von Rumänien und Bulgarien gestellt haben.

Die Schwierigkeiten auf diesem Weg sind den Menschen in Rumänien und Bulgarien ebenso bewusst. Gestern hat ein deutschstämmiger rumänischer Europaabgeordneter hier bei uns im Hohen Hause im Rahmen einer Ausstellungseröffnung gesagt: Uns ist klar, dass das ein Anfang ist und kein Ende. Er weiß, dass es ein schwieriger Weg ist. Auch in diesen beiden Ländern wird einiges auf die Menschen zukommen. Das müssen die Menschen dort auch wissen. Der Beitritt zur Europäischen Union ist für die jeweiligen Mitgliedsvölker kein Zuckerschlecken, sondern bringt erhebliche Anpassungsprobleme und große Belastungen für die Menschen dort mit sich.

Es ist nicht so, dass das nur bei uns mit Sorge gesehen wird, sondern auch dort wissen die Menschen, dass sie sich anstrengen müssen. Und gerade die Reformkräfte in diesen Ländern wünschen sich, dass der Weg in Richtung mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Demokratie geht und dass die Korruptionsbekämpfung im Interesse von mehr Transparenz und mehr Rechtsstaatlichkeit von der Europäischen Union begleitet und auch mit durchgesetzt werden muss.

Wir in Bayern haben eine besondere Verantwortung für beide Länder. Wir sind das geographisch nächstgelegene Land Deutschlands und wir haben zusammen mit Österreich die engsten Beziehungen zu beiden Ländern sowohl kultureller als auch wirtschaftlicher Art. Viele soziale Hilfsprojekte dort werden von Bayern aus unterstützt. Der Aufbau der Administration wird ebenfalls wesentlich von der Bayerischen Staatsregierung begleitet.

Kollege Beyer, Kollege Förster und ich werden nächste Woche in Bukarest und in Sofia sowie in Hermannstadt sein. Wir wollen sehen, wie der Stand der Dinge dort ist und werden dort auch darauf drängen, dass die notwendigen Maßnahmen, die zu ergreifen sind und die Sie in Ihrem Antrag, wie wir meinen, in richtiger Weise formulieren, dort auch durchgesetzt werden.

Es muss unser Anliegen sein, die Aufnahme dieser beiden Länder zum Erfolg zu führen. Davon leben auch wir. Deswegen sollten wir die Chancen, die darin bestehen, dass wir zwei neue Mitgliedsländer bekommen, in den Mittelpunkt rücken. Wir dürfen nicht immer wieder Ängste beschwören, sondern wir müssen die Chancen nutzen. Wir haben mit der Donau ein kulturelles Band, das uns mit beiden Ländern verbindet. Wir haben innige Beziehungen und ich denke, wir sind deswegen gerade als bayerisches Parlament gefordert, unsere neuen Nachbarn im europäischen Haus mit offenen Armen aufzunehmen und sie dabei zu unterstützen, dass sie wirtschaftlich ganz langsam, aber doch sicher auf unser Niveau gebracht werden. Damit ist uns mehr geholfen, als wenn wir arme Nachbarn vor unserer Haustüre sitzen hätten. In diesem Sinne freuen wir uns auf diesen Beitritt und in diesem Sinne darf ich sagen, dass wir dem Antrag unsere Zustimmung geben.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Dr. Runge.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch wir freuen uns selbstverständlich auf den Beitritt von Rumänien und Bulgarien. Allerdings halte ich den CSU-Dringlichkeitsantrag einerseits ganz massiv für einen Schaufensterantrag und andererseits gibt es sogar eine Spur Scheinheiligkeit dabei.

Ein Schaufensterantrag ist er deswegen, weil das, was hier gefordert wird, selbstverständlich eh schon passiert. Dafür wird schon die Staatsregierung Sorge tragen – da wird nun erfreulicherweise sogar genickt –, ohne dass wir ein Anschieben durch die Fraktion bräuchten. Das ist allerdings halt immer wieder die gegenseitige Selbstbefruchtung.

(Heiterkeit)

Beim Argument der Scheinheiligkeit möchte ich doch etwas tiefer in die Sache gehen. Vor Ort wird immer etwas gehobelt. Es werden Bedenken geschürt, es werden jede Menge Einwendungen gebracht und es wird angekündigt, gegenhalten zu wollen. Wenn‘s ans Abstimmen und an die Realität geht, schaut es dann aber anders aus. Herr Kollege Bocklet, das wissen Sie genauso gut wie ich. Ich war zugegebenermaßen letztes Frühjahr sehr verwundert darüber, wie im Europäischen Parlament zunächst die Ankündigungslinien, dann die Antragslinien und zuletzt die Abstimmungslinien verliefen. Die EVP hatte einen Antrag auf Verschiebung angekündigt. Man wollte zunächst nicht über den vorliegenden Antrag über Rumänien und Bulgarien abstimmen, sondern sich Zeit lassen, zumal diese beiden Länder noch nicht so weit waren.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Das war großartig angekündigt worden. Die Sitzung fand im April statt. Da ist der Antrag von der EVP aber nicht

gekommen. Von wem ist er wohl gekommen, Herr Kollege Bocklet? – Von den GRÜNEN!

(Zuruf von den GRÜNEN: Bravo!)

Die GRÜNEN haben gesagt: Die Mängel und Defizite sind riesengroß, bitte also keinen Zeitdruck aufbauen!

Die Abstimmung am 13.04.2005 ergab dann folgendes Bild: Bulgarien 522 zu 70 zu 69 Stimmen und Rumänien 497 zu 93 zu 71 Stimmen.

Dabei gab es ganz interessante Allianzen. Bei der Abstimmung zu Rumänien fanden sich GRÜNE und CSU geschlossen auf einer Seite und bei Bulgarien gab es bei ihnen ein sehr unterschiedliches Stimmverhalten.

Ich war damals ein böser Mensch und dachte, der CohnBendit sei ein Populist und Taktiker, er mache es nur, um angesichts des Verfassungsvertrages und des Referendums Frankreich zu besänftigen. Aber vorgestern in der Sitzung des Europäischen Parlaments war er derjenige, der am lautesten geschimpft und gesagt hat: Hier ist der Bericht, schaut doch einmal, wie die Realitäten sind. So kann es nicht gehen.

Deswegen habe ich gesagt, dass in diesem Antrag doch eine Spur an Scheinheiligkeit steckt.

Sehen wir uns noch einmal die Situation an: Die Mängel und Defizite sind zugegebenermaßen riesengroß. Die Forderungen nach einem funktionierenden Rechtsstaat und nach Reformen im Justizwesen sind noch nicht in dem Maße erfüllt, wie wir das eigentlich erwarten. Ich nenne außerdem den Kampf gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität sowie die Vorbereitung zur Teilnahme am gemeinsamen Markt. Gerade wegen der Agrarsubventionen ist eine entsprechende Schutzklausel angedacht. Es geht weiter mit Mängeln im Flugbetrieb und auch bei der Lebensmittelsicherheit.

Frau Kollegin Männle, wir haben bei unserer Fahrt nach Bulgarien kommuniziert, dass bei der jetzigen kleineren Erweiterungsrunde sehr viel genauer hingesehen wird als bei der letzten Runde, als es um den Beitritt von zehn Ländern ging. Der Grund dafür ist, dass es eine Geschichte und Erfahrungen gegeben hat. Auch die Anforderungen, die seitens der Wähler an die Politik gestellt werden, haben sich geändert.

Selbstverständlich sind die bisherigen EU-Mitgliedstaaten alles andere als mangelfrei. Ich habe das schon ganz kurz angesprochen. Eine der Schutzklauseln soll wegen der Missstände im Veterinärwesen und bei der Lebensmittelsicherheit eingeführt werden. Das kommt uns irgendwie bekannt vor.

Die Beitrittsoption ist ein Reformmotor. Das ist keine Frage. Das war bei der letzten Erweiterungsrunde so und ist auch dieses Mal der Fall. Auch bei anderen Ländern, die sich noch Chancen auf einen Beitritt ausrechnen, ist

das so. Allerdings muss man auch fragen, ob man den Ländern einen Gefallen tut, wenn der Beitritt partout zum 1. Januar 2007 oder möglicherweise später erfolgt. Gerade diejenigen, die gegen die alte und neue Nomenklatura angehen – in Rumänien und Bulgarien ist das jeweils das Gleiche –, sind nicht glücklich darüber, wie reibungslos vonseiten des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission vorangeschritten wird. Die Staats- und Regierungschefs müssen dazu noch ihre Meinung bekennen. Wenn ich mir Ihre Bedenken anhöre, die wir auch den Zeitungsartikeln entnehmen können, wäre es ehrlicher gewesen, wenn Sie die Staatsregierung aufgefordert hätten, dafür einzutreten, dass der Beitritt dieser Länder zum 1. Januar 2007 noch als sehr wacklig angesehen werden sollte.

Nun zu den Schutzklauseln und den Übergangsbestimmungen. Wir könnten jetzt noch darüber diskutieren, in welchen Feldern Schutzklauseln eingeführt und wie diese ausgestaltet werden sollten. Das würde an dieser Stelle zu weit führen. Darüber müssen wir uns noch einmal im Ausschuss unterhalten. Gerade die Übergangsbestimmungen sehen wir an mancher Stelle als nicht besonders glücklich an. Wir sagen, dass der andere Weg, gerade aus Ihrer Warte, wesentlich ehrlicher gewesen wäre. Diesen Weg gehen Sie nicht. Wir werden uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten. Wir freuen uns über die neuen Mitgliedstaaten, aber wir weisen ganz deutlich darauf hin, dass die Defizite dieser Länder gewaltig sind. Wir alle hoffen, dass diese Defizite in einigermaßen absehbarer Zeit zur Zufriedenheit behoben werden können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile jetzt noch Frau Staatsministerin Müller das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Aufnahme von Bulgarien und Rumänien ist der Abschluss der Osterweiterung vollzogen. Im Bericht der Kommission vom 26. September ist empfohlen worden, diese Länder zum 1. Januar 2007 aufzunehmen. Beide Staaten haben seit der Vorlage des letzten Fortschrittsberichts am 16. Mai viel geleistet, enorme Anstrengungen unternommen und ihrer Bevölkerung etliches abverlangt. Das muss ich hier in aller Deutlichkeit sagen. Dadurch wurden weitere wichtige Fortschritte erzielt. Allerdings konnten bestehende Defizite nicht vollständig beseitigt werden, über die hier diskutiert worden ist. Deshalb halte ich diesen Antrag nicht für einen Schaufensterantrag. Ich halte es vielmehr für wichtig, in diesem Bayerischen Landtag darüber zu diskutieren, weil die Menschen Ängste haben, wenn wir im Erweiterungsprozess peu à peu voranschreiten.

Wir brauchen die gleiche Rechtsgrundlage in der Europäischen Union. Wir brauchen die Implementierung des Acquis Communautaire in allen europäischen Staaten. Das ist die Voraussetzung für die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien. Es sind viele Fortschritte erzielt worden. Ich nenne die Einrichtung des Integrations-, Verwaltungs- und Kontrollsystems. Außerdem wurden Fort

schritte bei der Einrichtung von Auszahlungsstellen für Direktzahlungen erzielt. Rumänien hat die erforderlichen Konformitätsprüfungen für IT-Systeme der Steuerverwaltung erfolgreich bestanden und konnte damit die Bedenken der Kommission in einem von vier im Mai kritisierten Bereichen vollständig abbauen.

Bayern wird beide Länder bei der Umsetzung der notwendigen Reformen weiterhin unterstützen, wie das bereits in der Vergangenheit der Fall war. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir auf die Defizite hinweisen müssen, die nach wie vor vorhanden sind. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass Schutzklauseln installiert werden. Im aktuellen Fortschrittsbericht der Kommission wird auch der Erlass von Schutzklauseln und sonstigen Maßnahmen im Bereich des Justizwesens, der Korruptionsbekämpfung, der organisierten Kriminalität, des Agrarfonds, der Lebensmittelsicherheit und der Flugsicherheit vorgesehen. Wir begrüßen dies ausdrücklich.

Bayern hat bereits beim letzten Fortschrittsbericht darauf hingewiesen, dass es strikte Anwendungen von Übergangsbestimmungen, Schutzklauseln und sonstigen Maßnahmen in den Bereichen, in denen Defizite vorhanden sind, wünscht. Darauf werden wir drängen. Bei der Justiz und im Bereich der Korruptionsbekämpfung kündigt die Kommission Mechanismen auf der Grundlage von Artikel 38 der Beitrittsakte an. Sie will beiden Staaten ab dem Beitritt zunächst aufgeben, regelmäßige Berichte über Fortschritte anhand gewisser Benchmarks zu geben. Der erste Bericht ist der Kommission am 31. März 2007 vorzulegen.

Bis Mitte des Jahres – also im Juli 2007 – will die Kommission entscheiden, ob für diese Bereiche Schutzklauseln installiert werden sollten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sagen, dass wir die Schutzklauseln bereits zum 1. Januar 2007 wollen und lehnen eine Hinausschiebung ab. Wir wollen sofort Klarheit und Rechtssicherheit haben. Wir müssen klar zum Ausdruck bringen, dass Defizite behoben werden müssen. Wir müssen auch künftig Druck auf Rumänien und Bulgarien ausüben, um Fortschritte zu erzielen.

Bezüglich der Agrarfonds wurde von der Kommission ebenfalls klar zum Ausdruck gebracht, dass für den Fall, dass InVeKoS oder die Auszahlungsstellen für die Direktzahlungen nicht funktionieren, ex ante und ex post 25 % der Direktzahlungen einbehalten werden. Das ist ein wesentlicher Punkt. Für andere Bereiche wie zum Beispiel die Lebensmittelsicherheit und die Flugsicherheit sind die Klauseln zum 1. Januar 2007 angedacht. Wir wollen jedoch, dass in allen Bereichen die Schutzklauseln und die entsprechenden Schutzmaßnahmen zum 1. Januar 2007 greifen.

Wir werden bei der Bundesregierung darauf drängen, dass eine Strategie zur Verwirklichung der Schutzklauseln vorgegeben wird. Wir brauchen auf dem europäischen Binnenmarkt vernünftige Rechtsvoraussetzungen, Übergangsfristen und Übergangsregelungen. Aus diesem Grunde müssen die Schutzklauseln zum 1. Januar 2007 in Kraft treten. Ich hätte gerne ausführlicher zu diesem

Thema gesprochen, aber die Zeit drängt, da wir noch abstimmen wollen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Ministerin, ich bedanke mich für Ihre Disziplin. Jetzt können wir noch über diesen Antrag abstimmen. Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/6347 zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN enthält sich zu diesem Antrag. Ansonsten besteht Zustimmung. Der Antrag ist damit angenommen.

Die übrigen eingereichten Dringlichkeitsanträge auf den Drucksachen 15/6348, 15/6356, 15/6349, 15/6350 und 15/6351 werden entsprechend dem üblichen Verfahren in die Ausschüsse verwiesen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben bis 17.00 Uhr geladen. Es ist gleich 17.00 Uhr. Die Sitzung ist beendet. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Feierabend.

(Schluss: 16.59 Uhr)