Protocol of the Session on July 20, 2006

(Beifall bei den GRÜNEN – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist doch Quatsch!)

Kinder haben ein Recht, am vollständigen Unterricht teilzunehmen. Auf dieses Recht haben sich alle Demokraten verständigt. Aufgabe dieses Parlamentes ist es, den Kindern zu ihrem Recht zu verhelfen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier geht es um die Kinder. Diese Kinder sind aus einer Sekte, die Zwölf Stämme heißt. Wenn es Ihnen um die Kinder geht, sollten wir vielleicht einmal Herrn Staatsminister Sinner fragen, der – wie ich mir habe sagen lassen – im Landkreis eine Gruppe für Ausstiegswillige von Sekten gegründet hat. Ich glaube, dass es sehr wichtig wäre, einmal mit den Kindern zu reden, deren Eltern aus einer Sekte ausgestiegen sind. Es wäre interessant zu wissen, wie es diesen Kindern ergangen ist. Darum geht es uns.

Ich habe mir den Bericht des evangelischen Sektenbeauftragten über die Zwölf Stämme besorgt, aus dem ich Ihnen einiges vortragen will. Der Sektenbeauftragte hat gesagt, das Muster sei immer gleich. Die Zwölf Stämme zögen in ein Dorf und trotzten dem Staat dann eine eigene Schule ab. In dem Bericht ist auch ausgeführt, dass die Zwölf Stämme geschrieben hätten, dass es keinen Kompromiss geben werde. Nach der Überzeugung der Zwölf Stämme könnten die Kinder nur innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen unterrichtet werden. In diesem Punkt wolle diese Gemeinschaft keinen Kompromiss eingehen.

Bei den Zwölf Stämmen ist man der Meinung, Kinder würden in der Schule durch Satans Luft verseucht. Deshalb dürfe man die Kinder nicht in die Schule schicken. Deshalb werde es keinen Kompromiss geben. Herr Staatssekretär, wenn es einen Kompromiss geben sollte, werden dadurch diese Eltern zu 100 % gewinnen und der Staat seine Verpfl ichtung, die Verfassung einzuhalten, nicht erfüllen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das sind doch leere Worthülsen! Konkreter!)

Ich möchte Ihnen auch die Haltung der Sekte vortragen. Die Sekte schreibt über sich selbst, dass sie kein Verein und keine Organisation sei, sondern eine Gemeinschaft von Familien und Ledigen, wobei jeder Vater als Familienoberhaupt die Verantwortung für die Familie trage. Die Frau sollte sich freiwillig der Autorität ihres Mannes unterordnen. Sie sei dem göttlichen Bund dann treu, wenn sie ihrem Mann das letzte Wort über ihr Leben lasse. Die Kinder unterstünden einer strengen Erziehung, die sie vor Ungehorsam gegenüber den Eltern und allen Verunreinigungen der Welt schützen sollte.

Herr Staatssekretär, auf der Homepage dieser Gemeinschaft fi ndet sich auch der Satz, dass körperliche Züchtigung zu den pädagogischen Mitteln dieser Gemeinschaft gehöre. Wollen wir das zulassen? –

Die Zwölf Stämme schreiben weiter, dass die Welt außerhalb eine Welt Satans sei. Satan benutze ein Bildungssystem, das abstreite, dass Gott das Universum erschaffen habe. Er verleite den Menschen durch die Massenmedien mit all ihren Sinnesreizen und ihrer unterschwelligen Überzeugungskraft. Eines seiner wirksamsten Werkzeuge – schreiben die Zwölf Stämme –, sei das religiöse System, das Christentum, das den wahren Charakter Gottes durch einen mystischen Glauben entstelle.

Auf der Homepage der Zwölf Stämme ist auch zu lesen, dass alles, was die Nazis an Bösem getan hätten, vor allem durch Martin Luther gesät worden sei. Der Holocaust sei von seinen Erben verübt worden. Diese Ausführungen machen klar, dass Kinder in eine öffentliche Schule gehen müssen, damit sie einen Überblick darüber bekommen, wie die restliche Welt zu dem einen oder anderen Thema steht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte Ihnen auch das Resümee des Sektenbeauftragten über die Zwölf Stämme vortragen: Ohne Kompromiss werde der heimische Unterricht für die Kinder durchgesetzt. Die Zwölf Stämme wollten die Kinder von der Welt fernhalten. Sie sollten den größten Teil ihres Tages in einer Schule bei den Zwölf Stämmen verbringen.

Auf der Homepage der Zwölf Stämme ist im O-Ton nachzulesen: Auf dem Schulweg und in der Schule verbrächten die Kinder den ganzen Tag unter dem sozialen Druck ihrer Klassenkameraden. Die Kinder seien starken Einfl üssen ausgesetzt, die unsere Werte zerstörten.

Der Zugang zur Information über Zeitung, Radio, Fernsehen oder Computer ist den einfachen Mitgliedern der Gemeinschaft versperrt. Die Kinder werden einem strengen Disziplin-Code unterworfen, der – das möchte ich noch einmal betonen – nach einem Bericht von zwei Religionswissenschaftlern auch körperliche Züchtigung vorsieht. Der Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche kommt zu folgendem Schluss: „Die Gemeinschaft grenzt sich von der ökumenischen Christenheit aggressiv ab, zieht sich von allen geistigen Einfl üssen und Strömungen dieser Zeit zurück, reguliert und diszipliniert das Gemeinschaftsleben in patriarchalischer Führerschaft und beeinträchtigt durch illegales Missachten der Schulpfl icht die verfassungsmäßigen Rechte ihrer Kinder.“

Ich zitiere zum Schluss ein Bibelwort. Der Sektenbeauftragte weist darauf hin, dass der Apostel Paulus im Hinblick auf Religionsfanatiker gesagt hat: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen.“

Darum geht es. Es geht um Kinder, die wir nicht unter diese Knechtschaft bringen wollen. Ich möchte, dass die Kinder an der ganzen Welt teilhaben können. Sie sollen die Chance bekommen, zu wählen, wo sie leben wollen.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Simone Tolle (GRÜNE)(von der Rednerin nicht autori- siert): Nein, ich habe nicht viel Redezeit.

(Zurufe von Abgeordneten der CSU und der SPD)

Die Kinder sollen wählen können, sie sollen die Chance haben, auf eine höhere Schule gehen zu können. Die Schule der Zwölf Stämme ist nur eine Hauptschule.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Sie haben noch 9 Minuten Redezeit!)

Sie sollen in ihrem Leben eine Chance haben, wenn sie sich später gegen die Sekte entscheiden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Machen Sie sich die Mühe und sprechen Sie mit Kindern von Eltern, die einer Sekte angehört haben und die ausgestiegen sind.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Trauen Sie sich doch, eine Zwischenfrage zu beantworten!)

Es geht nicht nur um die Zwölf Stämme, es geht um einen Präzedenzfall, der die Schulpfl icht in Frage stellt und durch die Hintertüre abschafft.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dadurch wird allen Sekten, zum Beispiel Scientology, ermöglicht, ihre Kinder der Schule und der Gesellschaft zu entziehen.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist doch Blödsinn!)

Es geht um die Kinder, und es geht um die Verfassung. Es geht darum, ob wir in Bayern einen rechtsfreien Raum zulassen wollen.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Trauen Sie sich, eine Zwischenfrage zuzulassen!)

Es geht nicht an, Herr Kollege Waschler, dass verfassungsmäßige Rechte der Kinder, die erst im Mai vom Bundesverfassungsgericht erneut bestätigt wurden, nicht eingehalten werden, und Sie die Einhaltung dieser Rechte davon abhängig machen, wie vehement Sektenmitglieder in der Lage sind, unseren Regeln zu trotzen. Darüber müssen Sie heute entscheiden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte, dass die Kinder in eine öffentliche Schule gehen, damit sie wählen können.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Warum haben Sie Angst vor einer Zwischenfrage?)

Ich habe keine Angst vor einer Zwischenfrage. Sie können mir Ihre Zwischenfrage vom Rednerpult aus stellen. Ich werde sie dann in meiner restlichen Redezeit sehr gerne beantworten.

(Anhaltender Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich begrüße auf den Diplomatenplätzen den Vorsitzenden der Südtiroler Volkspartei, Herrn Elmar Pichler Rolle, mit einer Delegation. Herzlich willkommen.

(Beifall)

Ich gebe das Ergebnis der namentlichen Abstimmungen über die beiden Dringlichkeitsanträge bekannt. Für den Dringlichkeitsantrag der SPD auf Drucksache 15/6145, BayKiBiG; hier: Integration von Kindern mit Behinderung, haben mit Ja 46 gestimmt, mit Nein 91. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 4)

Für den Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN auf der geänderten Drucksache 15/6196, Nachbesserung zum BayKiBiG: Integration von Kindern mit Behinderung und von Behinderung bedrohter Kinder, stimmten 45 mit Ja, 88 mit Nein, bei 1 Stimmenthaltung. Damit ist dieser Antrag ebenfalls abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 5)

Nun hat Herr Kollege Rüth das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst gestern hat der Kultusminister im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport über dieses Thema berichtet, aber schon vorgestern wurde der Dringlichkeitsantrag zu diesem Thema gestellt. Das ist erstaunlich. Außergewöhnlich aber ist die Tatsache, dass die GRÜNEN gestern über diese nichtöffentliche Sitzung eine Pressemitteilung herausgegeben haben. Wir erleben eine ganz interessante Entwicklung in diesem Hohen Hause.

Es stellt sich die Frage, ob die GRÜNEN an sachlichen Lösungen interessiert sind, oder ob es ihnen nur darum geht, Klamauk zu machen.

(Margarete Bause (GRÜNE): Sie versuchen, das Problem unter den Tisch zu kehren!)

Bei diesem Antrag, meine Damen und Herren, spielen eigentlich nur drei Aspekte eine Rolle: Das ist erstens die juristische Seite. Das von den Rednern des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN angeführte Urteil des Bundesverfassungsgerichts greift nicht, da diese Regelungen nur für öffentliche Schulen gelten. In unserem Fall handelt es sich um keine öffentliche Schule. In einem ähnlich gelagerten Fall wurde mit einem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes eine Schule des „Universellen Lebens“, in Unterfranken als Bekenntnisschule genehmigt, und zwar mit allen Konsequenzen für den Staat. Das betrifft auch die Finanzierung.

(Zuruf von den GRÜNEN: Nein!)

Insofern handelt es sich hier nicht um einen Präzedenzfall und auch nicht um ein Einfallstor. Bekenntnisschulen, liebe Frau Kollegin Tolle, sind im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen – soviel zum rechtsfreien Raum.