Protocol of the Session on July 20, 2006

Insofern handelt es sich hier nicht um einen Präzedenzfall und auch nicht um ein Einfallstor. Bekenntnisschulen, liebe Frau Kollegin Tolle, sind im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen – soviel zum rechtsfreien Raum.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Wozu bekennen die sich denn?)

Damit wäre die juristische Seite abgehandelt.

Zum Zweiten haben wir die schulische Seite. Auf Gut Klosterzimmern leben seit 2001 mehrere Familien mit 33

schulpfl ichtigen Kindern und 9 Berufsschulkindern. Bisher haben alle Maßnahmen, sogar die Erzwingungshaft für die Väter im Jahre 2004, keine Wirkung gezeigt. Umso erfreulicher ist es, dass nun die Voraussetzungen für eine Ergänzungsschule vorhanden sind. Diese Voraussetzungen sind, dass ein Lehrplan vorhanden ist, dass Lehrer da sind und dass auch ein Träger vorhanden ist. Diese Kriterien, meine Damen und Herren, wurden mit der zuständigen Bezirksregierung erarbeitet und abgestimmt. Der Schulbetrieb steht im besonderen Fokus der Bezirksregierung. Er wird vom dortigen Schulamt begleitet und ist zunächst befristet. Für die Kinder – das ist unser aller Anliegen – hat dies den Vorteil, dass sie nach einem staatlichen Lehrplan unterrichtet werden, dass staatliche Kontrolle stattfi ndet, die Kinder an externen Prüfungen, beispielsweise für den Schulabschluss, teilnehmen, und sich die Lehrkräfte zu Weiterbildungsmaßnahmen verpfl ichtet haben.

Im dritten Punkt geht es um das Sorgerecht und die Aufenthaltspfl icht. Nach Ansicht des zuständigen Jugendamtes wird die Aufsichtspfl icht über die Kinder nicht verletzt. Deshalb kann das Sorgerecht nicht entzogen werden, und auch das Kindeswohl ist nicht gefährdet.

Meine Damen und Herren, ich empfehle aus den vorgenannten Gründen, den Antrag abzulehnen. Wenn es dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nicht passt, was heute beschlossen wird, bitte ich Sie, Frau Kollegin Tolle: Lüften Sie doch den Schleier, werden Sie ein bisschen konkreter und bleiben Sie nicht im Allgemeinen. Beantworten Sie doch bitte die Frage: Möchten Sie, dass die Mütter in Erzwingungshaft kommen, dass die Kinder von den Müttern entfernt werden? – Sagen Sie bitte ganz konkret, was Sie wollen, und bleiben Sie nicht im Allgemeinen.

Das Recht auf Schule ist auch ohne Zwangsmaßnahmen gewahrt. Abschließend darf ich sagen: Es ist ein schwieriger Fall. Ich meine aber, das Kindeswohl muss an erster Stelle stehen.

Herr Kollege Rüth, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Waschler?

(Zurufe von den GRÜNEN)

Man sollte vor Zwischenfragen keine Angst haben, vor allem nicht vonseiten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN.

Herr Kollege Rüth, können Sie sich rational erklären, weshalb Frau Kollegin Tolle meine Zwischenfrage nicht zugelassen hat, mit der ich sie fragen wollte,

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Stellen Sie Ihre Frage! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

was ihre konkrete Handlungsanweisung aus dem umfassenden Bericht gewesen wäre, den wir erhalten haben, da die Konsequenz aus dem Bericht die Verhaftung der Mütter, der Entzug des Sorgerechts und die gewaltsame Zuführung der Kinder in den Unterricht gewesen wäre?

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das ist eine strafbare Handlung!)

Schließlich hat sich die Kollegin umfassend darüber informiert, dass sich die Kinder bei der schon einmal zwangsweise durchgeführten Vorführung in den Unterricht geweigert haben, ihren Namen und ihr Alter zu nennen. Können Sie es sich rational erklären, warum diese Zwischenfrage verhindert wurde?

Ich kann mir das sehr gut rational erklären: Die Kollegin Tolle weiß keine Antwort auf die Frage.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Pfaffmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zunächst einmal die Bemerkung, dass ich es sehr bedauere, dass dieses Thema, das jeglicher parteipolitischen Auseinandersetzung entzogen werden müsste, hier behandelt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CSU)

Ich fi nde es bedauerlich, dass die nichtöffentliche Sitzung, die gestern sehr viel Aufklärung gebracht hat, nicht dazu geführt hat, dass wir dem Plenum eine solche Debatte ersparen können.

Zweite Vorbemerkung: Natürlich ist das, was Frau Kollegin Tolle vorgetragen hat, in der Sache richtig. Das ist gar keine Frage. Es darf keinen rechtsfreien Raum geben, es darf keine Abkehr von der Schulpfl icht geben, und es darf auch keine Präzedenzfälle geben. Deswegen seien Sie versichert, dass auch wir der Meinung sind, dass Schulpfl icht ein sehr hohes Gut ist und eingehalten werden muss. Da gibt es überhaupt keine Frage.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CSU)

Ich möchte auf den Bericht des Kultusministeriums zurückkommen. Wir müssen leider zur Kenntnis nehmen, dass die Maßnahmen des Kultusministeriums eine Grenze erreicht haben. Es gab Polizeieinsätze, die Kinder wurden mit der Polizei in die Schule gefahren, und es wurden Bußgelder verhängt, die nicht bezahlt wurden. Das Kultusministerium hat bis zu einer gewissen Grenze alles gemacht, was machbar ist. Das möchte ich ihm gerne bescheinigen. Der nächste Schritt – da geht es ans Eingemachte – ist die Inhaftierung der Eltern und der Entzug des Sorgerechts für 33 Kinder und 9 Jugendliche. Jetzt kommt das Wohl des Kindes ins Spiel.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Und das Recht des Kindes?)

Ich sage Ihnen: Es ist zweifelhaft, ob der Entzug des Sorgerechts in einer Familie, in der auch nach Auffassung des Jugendamtes keine Gefährdung des Kindeswohls vorliegt, im Interesse der Kinder ist.

(Beifall bei der SPD)

Man kann durchaus formal argumentieren, das Kind habe das Recht, in einer öffentlichen Schule beschult zu werden.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Richtig!)

Daran, dass das dem Wohl des Kindes dient – das ist eine ethische Frage –, habe ich meine Zweifel. Deswegen werden wir diesen Weg nicht mitgehen, zumal die GRÜNEN jeglichen Vorschlag vermissen lassen. Wollen Sie wirklich allen Ernstes mit diesem Antrag erreichen, dass morgen die Mütter und Väter inhaftiert werden, ihnen übermorgen das Sorgerecht für 33 Kinder entzogen wird und diese in Pfl egefamilien oder sonst wo untergebracht werden, wobei zu bedenken ist, dass diese Maßnahmen möglicherweise rechtlich nicht haltbar sind? Denn das Jugendamt selber sagt, das Wohl des Kindes sei nicht gefährdet, was die Voraussetzung für den Entzug des Sorgerechts wäre. Wollen Sie diesen Weg wirklich gehen? Wäre es nicht vernünftiger – Sie sagen, das sei eine sektenähnliche Vereinigung; das ist richtig –, den Herrn Innenminister zu fragen, ob man die Sekte verbieten kann?

(Beifall bei der SPD)

Das ist aber eine ganz andere Frage. Wir müssen doch die grundsätzliche Frage stellen, ob die Vereinigung der Zwölf Stämme zu verbieten ist oder nicht. Es geht doch nicht um den Entzug des Sorgerechts. Damit kommen wir keinen Schritt weiter, zumal wir nicht wissen, was dann passiert. Können Sie uns denn garantieren, dass alles so glatt geht, wie Sie sich das wünschen, wenn morgen die Polizei anrückt und diese Maßnahmen ergriffen werden? Ich könnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, ein solches Risiko einzugehen. Wir gehen diesen Weg nicht mit, obwohl die Frage des Schulrechts eine große Rolle spielt.

Ich würde Ihnen empfehlen, diesen Antrag zurückzuziehen, weil man Ihnen sonst unterstellen muss, dass Sie den Entzug des Sorgerechts wollen. Ich halte dies im Interesse der Kinder, so bedauerlich das ist, nicht für verhältnismäßig.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CSU)

Man muss dann, wenn der Staat an seine Grenzen stößt, über die Frage nachdenken, was verhältnismäßig ist: Die Beschulung in einer öffentlichen Schule versus das Wohl des Kindes. Darüber muss man diskutieren. Ich meine, dass formal-rechtliche Dinge, so wichtig sie in der Sache sind, eine große Rolle spielen, aber auf keinen Fall über das Wohl des Kindes gestellt werden dürfen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Sie vergessen die Rechte der Kinder!)

Das Jugendamt sagt, die Kinder seien zufrieden. Wir haben die Rechtslage zu beachten. Ich hielte es für sinnvoll, wenn Sie diesen Antrag zurücknähmen. Wir werden ihm jedenfalls nicht zustimmen. Wir sollten und

gemeinsam mit dem Kultusministerium darüber nachzudenken, ob es nicht weitere Möglichkeiten gibt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CSU)

Die nächste Wortmeldung ist von Frau Kollegin Tolle.

(Herbert Fischer (CSU): Der Antrag wird zurückgezogen!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir überlegen uns Anträge gut, Herr Kollege Fischer, deswegen ziehen wir diesen nicht zurück. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um weit von mir zu weisen, dass ich jemals vorgeschlagen habe, die Mütter zu verhaften oder den Eltern das Sorgerecht zu entziehen.

(Franz Maget (SPD): Was wollt ihr denn?)

Ich habe Ihnen bereits im Ausschuss gesagt, dass es eine grundsätzliche Frage ist, ob ein Parlament Vorschläge macht, wie man Gesetze vollzieht. Das überlasse ich den Juristen im Kultusministerium, die – das darf ich Ihnen, Herr Staatssekretär, als kleinen Hinweis geben – mehr rechtliche Mittel ausschöpfen könnten, als sie es bisher getan haben.

(Karin Radermacher (SPD): Welche denn zum Beispiel?)

Wenn Sie wollen, dass wir hier im Parlament darüber entscheiden, wie die Behörden vor Ort vorgehen, dann müssten Sie sich konsequenterweise auch damit befassen, wie man den Polizeieinsatz bei der Münchener Sicherheitskonferenz regelt. Wir sehen das nicht als die Aufgabe des Parlaments an.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Aufgabe des Parlaments ist, dass wir uns politisch entscheiden. Natürlich ist das eine schwierige Entscheidung, Herr Kollege Pfaffmann, aber wir drücken uns nicht vor dieser Entscheidung.

(Beifall bei den GRÜNEN – Franz Maget (SPD): Welche Entscheidung?)

Es handelt sich nicht um eine Privatschule, Herr Kollege Rüth. Es handelt sich vielmehr um eine Ergänzungsschule. Wenn Sie sich bei Ihren Juristen erkundigen würden, dann wüssten Sie, dass sich eine Privatschule an den gesamten Lehrplan halten muss