Protocol of the Session on July 20, 2006

(Staatsministerin Christa Stewens steht am Red- nerpult)

Frau Ministerin, Sie sind jetzt zu schnell gewesen. Als nächste Rednerin hatte ich Frau Ackermann auf der Liste.

Man sollte eigentlich immer abwarten, wen der Präsident aufruft, aber ich weiß, dass Sie zur schnellen Truppe gehören. Trotzdem halte ich mich an die Rednerliste. Frau Ackermann hat das Wort.

Frau Ministerin, ich hätte Ihnen gerne den Vortritt gelassen, weil ich ab und zu ganz gerne das letzte Wort habe.

Zunächst einmal möchte ich auf Herrn Unterländer eingehen. Sie haben mit Ihrer Wortmeldung bedauerlicherweise alle Kritik, die zuvor geäußert wurde, bestätigt. Sie haben bestätigt, dass es in ganz Bayern eine riesige Unsicherheit über die Ausführung dieses Gesetzes gibt. Sie haben erzählt, was Sie landauf, landab alles tun. Sie haben runde Tische und Gespräche erwähnt. Sie haben damit aber eingeräumt, dass es einen rechtsfreien Raum gibt. Sie haben eingeräumt, dass nicht geklärt ist, wie behinderte Kinder in Zukunft gefördert werden.

(Joachim Unterländer (CSU): Stimmt doch nicht! Schauen Sie sich die Einrichtungen an!)

Sie hätten das alles wissen müssen, bevor Sie das Gesetz verabschiedet haben, um nicht hinterher feststellen zu müssen, dass noch etwas ungeklärt ist, das jetzt geklärt werden muss. Jetzt, nachdem das Gesetz in vollem Umfang angewandt wird, versuchen Sie, irgendetwas zu regeln. Das zeigt Ihre Unsicherheit und Ihre handwerklichen Fehler nur noch deutlicher. Ihre Rede war also absolut kontraproduktiv.

Dann möchte ich noch eine Aussage widerlegen, die Sie immer wiederholen, die aber dadurch nicht richtiger wird. Sie erzählen immer, dass GRÜNE und SPD die Leute verunsichern. Herr Unterländer, es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder überschätzen Sie unseren Einfl uss komplett und meinen, wir könnten ein ganzes Land umkrempeln, oder Sie halten die Menschen draußen für so dumm, dass sie nicht bemerken, wie schlecht das Gesetz ist und dass erst SPD und GRÜNE kommen müssen, um ihnen das zu erklären. In jedem Fall fällt diese Haltung auf Sie selber zurück. Sie schädigen sich damit selber, weil Sie entweder uns diffamieren – das wäre aber nicht so schlimm, wir sind das schon gewöhnt – oder weil Sie damit Ihre Wähler diffamieren. Das sollten Sie sich aber noch einmal überlegen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die vorläufi g letzte Wortmeldung: Frau Staatsministerin Stewens.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Ackermann, Sie sagten, leider habe sich nichts geändert. Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass sich bei der ersten Abfrage zum Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz mit einer Rücklaufquote von 76 % ergeben hat, dass in Bayern 800 Kinder zusätzlich einen Integrationsplatz erhielten. Diese Zahl sollten Sie sich auf der Zunge zergehen lassen. Sie sehen daran schon, dass

die Qualität der Integration ganz wesentlich verbessert worden ist.

Sie müssen auch zwischen zwei Verantwortungsbereichen unterscheiden. Wir haben die kindbezogene Förderung nach dem Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz und wir haben die Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch, Buch XII. Dafür sind die Bezirke verantwortlich. Wir haben im Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz eine klare Regelung, nämlich den Faktor 4,5. Das sind die Kosten für den Betreuungs- und Erziehungsaufwand und für die Verringerung früherer Gruppenstärken. Sie wissen das ganz genau. Bei den integrativen Kindertageseinrichtungen haben wir den Faktor 4,5 plus x. Das sind zusätzliche Fachstellen, die für integrative Einrichtungen notwendig sind. Die Personalkosten hierfür fördern die Kommunen und der Freistaat gemeinsam zu 80 %. Das ist ganz klar und eindeutig geregelt.

Dann möchte ich noch einmal auf § 53 des Sozialgesetzbuches, Buch XII, eingehen. Sie haben das angesprochen. Der Faktor wird gewährt, wenn per Bescheid Eingliederungshilfe in Form teilstationärer Unterbringung festgestellt wird. Dafür sind zwei Bescheide möglich, ein Bescheid nach dem Sozialgesetzbuch, Buch XII, oder ein Bescheid nach § 35 a des Sozialgesetzbuches, Buch VIII. Zu § 35 a Sozialgesetzbuch, Buch VIII, habe ich Ihnen im sozialpolitischen Arbeitskreis schon einmal gesagt, dass ich mich mit den kommunalen Spitzenverbänden bei einem Treffen in unserem Haus darauf geeinigt habe, dass diese Leistung auch für Hortkinder gewährt wird, weil es schlicht und einfach ungerecht wäre, das den Hortkindern nicht zu gewähren. Das ist geregelt. Das ist rechtssicher. Tun Sie bitte nicht so, als ob das nicht geregelt wäre. Nach § 35 a des Sozialgesetzbuches, Buch VIII, wird den Hortkindern, also den Grundschulkindern, die entsprechende Eingliederungsleistung gewährt.

Jetzt komme ich zu den Bezirken. Die Bezirke schließen mit den Spitzenverbänden Rahmenverträge für die einzelnen Leistungsträger, also für die Kindergartenträger ab. Entscheidend ist natürlich der Einzelvertrag. Der Rahmenvertrag ist, wie sein Name schon sagt, gewissermaßen die Blaupause. Der Entwurf einer Rahmenvereinbarung für die teilstationären Angebote in der Tagesbetreuung liegt vor. Darin sind im Einzelnen folgende Regelungen vorgesehen:

Die Finanzierung der Anhebung des Gewichtungsfaktors von 4,5 nach Artikel 21 Absatz 5 Satz 2 für Behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder mit teilstationärem Hilfebedarf auf 5,5. Das haben Sie angesprochen. Das entspricht mindestens zwei Betreuungspersonalstunden je Kind und Woche. Gleichzeitig gibt es die Härtefallklausel, weil wir wissen, dass wir in den Integrationsgruppen auch mehrfach behinderte Kinder haben. Wenn im Einzelfall Defi zite entstehen, kann der Bezirk diese im Rahmen der Härtefallklausel ausgleichen.

Dann komme ich zum Fachdienst. Hier wird die Finanzierung in einem Umfang von bis zu 50 Stunden pro Kindergartenjahr übernommen. Je Fachstundeneinheit müssen mindestens 45 Minuten direkt mit dem Kind gearbeitet werden. Bis zu 10 Stunden stehen jährlich für die Teil

nahme an Teambesprechungen, Elterngesprächen und sonstigen Kooperationen je Integrationskind zur Verfügung. Die Fachdienststunden sind nicht mit der Frühförderung gleichzustellen. Diese kommt bei Bedarf noch dazu. Die Fachdienste sind daher keineswegs in ihrem Stand gefährdet. Erzählen Sie bitte draußen nicht etwas anderes. Das führt zur Verunsicherung und stimmt schlichtweg nicht. Ich möchte es Ihnen noch einmal ganz klar sagen. Diese Botschaften sollten Sie draußen nicht mehr verkünden.

Die Rahmenvereinbarungen sind zunächst für zwei Kindergartenjahre abgeschlossen worden. Für das zweite Jahr ist eine Überprüfung vorgesehen, ob und inwieweit die Annahmen, die ich eben geschildert habe, zutreffen. Es wird also noch einmal eine Revision stattfi nden. Wenn man merkt, dass man mit diesen Rahmenvereinbarungen nicht zurechtkommt, wird es auch weitere Anpassungen und Abweichungen geben.

Noch eine Anmerkung zu den Rahmenvereinbarungen. Die Wohlfahrtsverbände haben den Rahmenbedingungen so nicht zugestimmt. Vor diesem Hintergrund machen sich die Bezirke jetzt auf den Weg, Einzelverträge mit den jeweiligen Trägern abzuschließen. Dabei möchte ich Ihnen gleichzeitig sagen, dass die Rahmenvereinbarungen den Trägern schon zu Beginn dieses Jahres angeboten worden sind. Die Träger haben schlicht und einfach nicht weiter verhandelt. Das muss man auch sehen.

(Christa Steiger (SPD): Warum?)

Wenn ihnen die Inhalte nicht passen, müssten sie doch weiterverhandeln. Ich würde mich schon rühren und das nicht einfach auf Eis legen. Das kann ich Ihnen schon ganz klar sagen, wenn Sie fragen, warum sie nicht weiterverhandelt haben. Es ist wichtig, dass wir die Härtefallklauseln bekommen haben. Sie müssen aber auch einmal sehen, dass uns ein behindertes Kind in Oberbayern genauso viel wert sein muss wie ein behindertes Kind in Oberfranken oder in Niederbayern.

Die Niederbayern zahlen nach dieser Rahmenvereinbarung jetzt im Schnitt mehr an Eingliederungshilfe, und die Oberbayern zahlen etwas weniger. Das kommt daher, dass wir sehr viele unterschiedliche Verträge für Eingliederungsleistungen haben. Die Bezirke haben schon vor zwei Jahren gesagt – das hängt überhaupt nicht mit dem BayKiBiG zusammen –, sie wollten einheitliche Verträge für Eingliederungsleistungen haben. Vor diesem Hintergrund haben sich die sieben Bezirke auf den Weg gemacht. Auch der kommunale Prüfungsverband ist eingeschaltet worden, der damals die Kosten- und Leistungsstrukturen sehr genau untersucht hat. Wir wollten ein einheitliches Niveau haben, weil uns behinderte Kinder, gleich wo sie in Bayern wohnen, bei den Eingliederungsleistungen alle gleich viel wert sein müssen. Ich kann einer niederbayerischen Mutter schlecht erklären, dass ihr Kind in Bezug auf die Eingliederungsleistungen wesentlich weniger wert ist als ein oberbayerisches Kind.

(Zuruf der Abgeordneten Renate Ackermann (GRÜNE))

Das war schon vor zwei Jahren, Frau Kollegin Ackermann. Ich halte den Weg, den die Bezirke hier gehen, durchaus für richtig und auch für notwendig. Die Bezirke werden jetzt auch in Einzelverträge einsteigen. Das machen schon etliche Bezirke; da bewegt sich sehr viel. Wir haben hier schon in weiten Bereichen die notwendige Rechtssicherheit. Sie als Opposition versuchen offenbar – ich glaube aber nicht, dass Ihnen das gelingen wird –, sich auf Kosten der Kinder zu profi lieren, die einer Integration bedürfen, also auf Kosten unserer behinderten Kinder.

(Widerspruch der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Wenn ich sehe, wo Sie überall Rechtsunsicherheiten ausmachen, dann muss ich feststellen, dass ich das persönlich nicht für richtig halte.

Ich möchte jetzt zum Fazit kommen, weil ich nur noch relativ wenig Zeit habe. Die Dringlichkeitsanträge der SPD und der GRÜNEN laufen nach meiner festen Überzeugung ins Leere. Die staatliche und kommunale Finanzierung für Einzelintegration wird durch das BayKiBiG verbessert. Für integrative Kindertageseinrichtungen werden die staatlichen und die kommunalen Rahmenbedingungen in vollem Umfang erhalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Einzelintegration wird ganz massiv verbessert.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Auch seelisch behinderte Schulkinder erhalten den Gewichtungsfaktor 4,5; einer Änderung des BayKiBiG bedarf es hier nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun sind die Träger aufgefordert, möglichst schnell auf die Angebote der Bezirke zu reagieren und Entgeltvereinbarungen abzuschließen. Ihnen obliegt es, durch Offenlegung der Einnahmen und Ausgaben Härtefälle zu reklamieren. Von einer Gefährdung des Bestands der Einrichtungen kann in keinem Fall die Rede sein.

(Beifall bei der CSU)

Zu Wort hat sich noch einmal Frau Kollegin Steiger gemeldet.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die Wortbeiträge des Herrn Kollegen Unterländer und der Frau Ministerin können so nicht stehen bleiben. Herr Unterländer, es war enttäuschend, was Sie hier geboten haben. Das zeigt eindeutig Ihre Beratungsresistenz.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Unterländer (CSU))

Mittlerweile habe ich wirklich Mitleid mit Ihnen, weil Sie jetzt in Einzelgesprächen wohl die Kastanien aus dem Feuer holen sollen. Sie sollen die Träger, die Bezirke und die ganzen Beteiligten irgendwie auf Linie bringen. Das kann so nicht sein. Sie haben vorhin von Verunsicherung gesprochen – ich habe das mitgeschrieben – und gesagt,

Sie hätten ein gutes Gesetz gemacht. Herr Unterländer, da kommen mir wirklich die Tränen.

(Joachim Unterländer (CSU): Das tut mir Leid!)

Fragen Sie die Beteiligten, fragen Sie jene, die mit diesem Gesetz leben müssen, fragen Sie die Caritas, die Diakonie, die Arbeiterwohlfahrt, den paritätischen Wohlfahrtsverband, die kirchlichen und die freien Wohlfahrtsverbände, und fragen Sie die Kommunen. Darauf komme ich noch gleich zu sprechen. Sie unterstellen uns, wir hätten Verunsicherung verbreitet. Sie sind es, die sie zu verantworten haben. Sie haben das Gesetz gegen unseren Widerstand beschlossen.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN – Joachim Unterländer (CSU): Sie haben das Gesetz nicht verstanden!)

Herr Unterländer, lassen Sie doch diese Kinderei, uns vorzuwerfen, wir hätten das nicht verstanden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist allerhand!)

Herr Unterländer, ich habe eine bayerische Schule besucht. Ich habe das Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt.

(Joachim Unterländer (CSU): Sie haben den Sinn nicht verstanden!)

Ich habe auch Verstehen gelernt.

(Unruhe)

Auch der Kreisvorsitzende des Bayerischen Gemeindetages, welcher der CSU angehört, hat in meinem Stimmkreis gesagt, das Gesetz sei schlecht und sollte zurückgezogen werden. Das hat er nicht deswegen getan, weil wir ihn dazu vielleicht überredet hätten.

Herr Unterländer und Frau Ministerin Stewens, Sie haben gesagt, die Intention des Gesetzes sei es, dass keines der Kinder, die eine besondere Förderung für die Integration brauchen, schlechter gestellt werden soll. Die Integration ist für uns von Anfang an ein Wert an sich gewesen. Wir haben schon zu einer Zeit für Integration gekämpft, als viele Ihrer Kolleginnen und Kollegen – Ihnen unterstelle ich das nicht, weil ich weiß, dass wir in manchen Fragen eine große Übereinstimmung haben – das Wort Integration noch nicht einmal buchstabieren konnten.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU)

Frau Ministerin Stewens, eines entsetzt mich: Sie haben gerade geschildert, was alles gemacht werden soll. Das ist schön und gut, aber dafür gibt es noch keine Rechtssicherheit. Am 01.09. ist das Kindergartengesetz anzuwenden. Wir hatten ein Jahr lang einen Probelauf, und in diesem Jahr wäre es dringend notwendig gewesen, die Rechtsunsicherheiten zu beseitigen und die Finanzierung in geordnete Bahnen zu lenken. Schieben Sie bitte nicht wieder die Schuld allen anderen zu, etwa den Bezirken,

den Kommunen und den Trägern. Sie haben gesagt, da muss der Ministerpräsident einen runden Tisch initiieren. Wo leben wir denn? – Sie haben das Gesetz zu verantworten und dafür zu sorgen, dass die Finanzierung läuft und klar ist, wer was zu fi nanzieren hat und wer welche Leistungen zu übernehmen hat. Schuld haben Ihrer Meinung nach immer die anderen. Das stimmt aber nicht. Das bleibt die Verantwortung des Ministeriums und der Bayerischen Staatsregierung. Diese Verantwortung haben auch Sie als CSU-Fraktion zu tragen.

(Beifall bei der SPD)