Weil das so ist und nicht weil wir uns dem Fortschritt widersetzten, nicht weil wir nicht bereit wären, auch einmal etwas auszutesten, sondern weil durch die Art und Weise, wie das Innenministerium diese Testphase ins Werk gesetzt hat und sie jetzt auch noch verlängern will – ich bin fest davon überzeugt, dass man sich das vorher nicht gut genug überlegt hat und es jetzt durch die Verlängerung um ein Jahr zu kaschieren versucht –, das Parlament mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf an der Nase herumgeführt wird, lehnen wir den Gesetzentwurf ab.
Frau Präsidentin, meine Herren und Damen! Das Widerspruchsverfahren ist für Mittelfranken aus Gründen der Transparenz, wegen der hohen Kostenbelastung für die Bürgerinnen und Bürger und um den Kommunen eine fl exible Handhabung von Verwaltungsverfahren zu ermöglichen, in relevanten Bereichen wieder zuzulassen. Von einer kompletten, alle Verwaltungsbereiche umfassenden Abschaffung sollte Abstand genommen werden.
Spätestens jetzt, in der Zweiten Lesung, haben auch die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Regionen die Ohren zu spitzen. Denn das, was wir in Mittelfranken stellvertretend für sie zwei Jahre lang diskutiert haben, wird sie vor Ort noch einholen. Sie sollten sich sehr genau überlegen, ob Sie hier mit der bisher probeweisen Abschaffung des Widerspruchsverfahrens, die dann aber für ganz Bayern gilt, einverstanden sein werden. Denn dass die Widerspruchsverfahren abgeschafft werden – in welchem Umfang das geschehen soll, ist noch dahingestellt –, ist nach dem, was ich in den Debatten zu dem vorliegenden Gesetzentwurf gehört habe, Fakt.
Ich bedauere, dass man noch nicht ansatzweise die Bereiche, die es betreffen könnte – Zahlen liegen bereits vor –, nennt, sondern dies als hochgeheime Verschlusssache handelt.
Fakt ist jedenfalls, dass von einer probeweisen Abschaffung nicht mehr die Rede sein kann. Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf wird die für Mittelfranken geltende Regelung verlängert, um dann nahtlos zu einer Abschaffung übergehen zu können.
Es war vereinbart – Kollege Schindler hat schon darauf hingewiesen –, nach zwei Jahren eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Ich wiederhole jetzt nicht – denn das wurde hervorragend ausgeführt –, was Sie dann eigentlich hätten tun müssen, und zwar an Ihrem Abstimmungsverhalten gemessen, wenn Ihnen hätte klar sein müssen, dass die zwei Jahre nicht ausreichen, die bei dem ersten Gesetz
entwurf vorgesehen waren. Sie hätten den Entwurf nämlich ablehnen müssen. Aber das haben Sie nicht getan.
In welchen Bereichen der Wegfall unschädlich sein wird und in welchen Bereichen man ihn mittragen kann, hätten wir gern – wie vorgesehen – gemeinsam mit Ihnen evaluiert.
Einer differenzierten Betrachtungsweise verschließen wir uns in keiner Weise. Wir wehren uns aber dagegen – das muss man natürlich im Detail besprechen –, wenn es um den Schutz von Lobbyinteressen gehen soll. Einem solchen Ansinnen erteilen wir in diesem Zusammenhang eine klare Absage.
Bereits in unserer Schriftlichen Anfrage und dem von der SPD beantragten Zwischenbericht im Rechtsausschuss kristallisierten sich Probleme heraus, die in einem Endbericht abschließend hätten bewertet werden sollen. Wir fragen uns nun natürlich, an welchem Ort diese Endbewertung, die im Ausschuss hätte erfolgen sollen, stattfi nden wird. Ich habe die Befürchtung, dass sie am Landtag vorbeigehen wird bzw. wir das nur noch im Rahmen eines fertigen Gesetzentwurfs werden diskutieren können, wobei sowieso klar ist – die Kehrtwendung, die Frau Guttenberger hier heute vorgeführt hat, belegt es –, wie die Entscheidung bei diesem Gesetzentwurf ausgehen wird.
So sieht für mich keine offene Evaluierung aus. So sieht für mich auch keine ehrliche Debatte aus. Und das wurde ausgerechnet vonseiten der CSU angestoßen, der die Werte von Aufrichtigkeit, Treue und was weiß ich immer so unglaublich wichtig sind.
Wenn uns nun nach zwei Jahren eine endgültige Evaluierung vorenthalten wird, muss ich mich bei der Bewertung, die ich mich schon vorzunehmen traue, auf das Zahlenmaterial des Zwischenberichts und auf das stützen, was wir bei den Städten und Gemeinden schon einmal abgefragt haben. Ich sage Ihnen, dass eine deutliche Sprache gegen eine komplette Abschaffung des Widerspruchsverfahrens gesprochen wird.
Es ist gekommen, wie wir es befürchtet haben: Für die Bürger wird das Verfahren schwieriger. Es wird teurer, wenn sie vor Gericht ziehen müssen, und zwar bis um das Fünffache. Wir erreichen damit natürlich auch, dass es sich viele Bürgerinnen und Bürger nicht mehr leisten können oder wollen, vor Gericht ihr Recht zu suchen. Letzteres war aber doch auch Ziel der Aktion. Herr Kollege Weiß von der CSU hat in seinem allerersten Redebeitrag im Ausschuss in dieser Richtung gesprochen.
Ich muss Ihnen sagen: Wenn das Ihr Ziel war, dann hat es nicht geklappt. Meine Recherchen haben ergeben, dass
genau die Klientel, die man abhalten wollte, trotzdem noch vor Gericht geht, und zwar teilweise wegen einzelner Sätze. Das Argument, hier werde eine Entlastung geschaffen, trifft also nicht zu.
Wenn man damit auch diejenigen trifft, die dringend eine Unterstützung entweder seitens der Verwaltung oder seitens des Gerichts brauchen – vor allem bei sozialen Themen –, dann hat es mit Gerechtigkeit nicht mehr viel zu tun, diese Leute vor Gericht zu jagen.
Es ist sicher richtig, dass der Mehrzahl der Widersprüche in der Vergangenheit nicht abgeholfen worden ist. Wohl aber ist einer erklecklichen Zahl von Widersprüchen – der Städte- und Gemeindetag hat die Zahl von 20 % genannt – abgeholfen worden.
Nicht enthalten sind darin zum Beispiel die vielen Fälle, wo eine Kleinigkeit durch einen Telefonanruf richtig gestellt werden konnte.
Ich bin der Meinung, dass man durch das Ausscheiden der Verwaltungszwischenstufe den Bürgerinnen und Bürgern insoweit schadet, als ihnen damit ein direkter Ansprechpartner, eine direkte Ansprechpartnerin fehlt. Wir wissen das aus unserer Arbeit. Wir haben mit den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zu tun. Sehr viele sind mit den Verwaltungsverfahren überfordert. Wie sehr sind sie dann erst mit den Verfahren vor Gericht überfordert, die sie ohne Anwalt gar nicht mehr bewältigen können? Diese direkten Ansprechpartnerinnen und -partner haben die Möglichkeit gehabt, Entscheidungen zu erläutern und zu erklären, was in einem Bescheid steht und warum. Sie waren möglicherweise auch Leitstelle für weitere Verfahren, oder sie konnten sagen, an wen man sich wenden kann, wenn weiterer Beratungsbedarf besteht. Teilweise wird das immer noch so gemacht, weil die Verwaltung die Bürgerinnen und Bürger nicht im Stich lassen will. Insofern ist sowieso keine Entlastung erfolgt, weil man es einfach nicht fertig bringt zu sagen, dass man nichts mehr mitteilen dürfe, weil das Verfahren abgeschlossen sei. Man bemüht sich, zu helfen.
Durch die Widerspruchsverfahren war Verwaltung weniger anonym, und sie war damit bürgerfreundlich. Ich würde diesen Umstand auf Staatsregierungsseite nicht gering schätzen. Was bringt denn die Menschen am meisten auf die Palme? – Das ist, wenn sie das Gefühl haben, gegen eine Gummiwand zu laufen. Das ist das Gefühl, nicht angehört zu werden, und das ist der Eindruck, dass sich das Gegenüber mit dem eigenen Anliegen nicht beschäftigt. Wir haben das Anliegen dann in der Folge als Petition auf dem Tisch. Mit der Abschaffung des Widerspruchverfahrens wird dieses Gefühl sehr verstärkt werden. Sie werden sich noch mehr als lästige Bittsteller vor einer undurchsichtigen Verwaltung vorkommen. Ich zitiere die Forderung des Bayerischen Gemeindetags. Dieser möchte
gernahen Rechtsbehelf auch für Mittelfranken schnellstmöglich wieder zulassen. Die uns bisher aus Mittelfranken regelmäßig mitgeteilten negativen Erfahrungen lassen uns an der Argumentation festhalten.
Sie reden von Entbürokratisierung. An diesem Punkt muss man nachhaken. Was hat es mit Bürokratieabbau zu tun, wenn hochbezahlte Juristen und Juristinnen nach Ansbach gejagt werden, um dort die Position der Städte und Gemeinden zu vertreten? – Sie beschäftigen die Richter zum Teil mit Marginalien – das wurde uns mitgeteilt. Die Kläger sind zum Teil, weil überfordert und ohne Anwalt, nicht einmal anwesend.
Ich halte das für keinen Beitrag zum Bürokratieabbau. Ich würde dringend dazu raten, wenn es zum Beispiel um Rechenfehler geht, den bisher üblichen Weg einzuschlagen.
Warum „reiten“ wir auf dieser für Außenstehende so trockenen Materie herum? – Wenn man von Widerspruchsverfahren und von Verwaltungsgerichtsordnung spricht, kann man sicher sein, dass außer bei denen, die Erfahrung haben und betroffen sind, zunächst einmal die Ohren geschlossen werden. Unseres Erachtens muss diese Debatte wie die vorhergegangene Debatte in einem Gesamtkontext betrachtet werden. Hier werden immer nur Einzelmaßnahmen diskutiert. Wir haben, egal ob es um die Abschaffung der Amtsgerichtszweigstellen, die Privatisierung der Zwangsvollstreckung, die Übertragung von weiteren Aufgaben an die Notare geht, mit einer Vielzahl von Entscheidungen zu tun,
Gleichzeitig erleben wir, dass Rechte wie zum Beispiel die Informationsfreiheitsrechte verwehrt werden. Aber auch aus noch einem anderen Grund verbietet sich die Verlängerung und in deren Folge die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens. Die Klage – das wurde angesprochen – zu § 68 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und zu der Frage, inwieweit die Abschaffung mit dem Bundesrecht kompatibel ist, läuft noch. Ich weiß nicht, ob Sie Erkenntnisse haben, wann die Entscheidung zu erwarten ist. Ich meine aber, dass diese Entscheidung abgewartet werden muss. Das ist auch wichtig wegen des Bürokratieabbaus, damit Sie keine Gesetze erlassen und verabschieden, die unter Umständen wieder geändert werden müssen, soweit Sie sich dieser nicht verweigern – ich kenne Ihre Bereitschaft dazu. Hier ist abzuwarten, wie die Gerichtsentscheidung ausgeht.
Ich fordere Sie auf, bei Ihrer Zusage einer ehrlichen Evaluierung in Zusammenarbeit mit dem Parlament zu bleiben, keine Verlängerung der Probephase vorzunehmen und
Liebe Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wundere mich, warum die Verlängerung des Probelaufs in Mittelfranken bei der Opposition so sehr umstritten ist. Wir wollten den Probelauf, weil die Grundüberlegung auch unter den Aspekten des Bürgerschutzes richtig ist, schneller über die rechtliche Lage zu einem Ergebnis zu kommen. Klar ist, dass mehr Instanzen mehr Geld kosten. Deshalb muss man überlegen, ob es wirklich richtig ist, dass mehrere Behörden und Gerichte jeweils oberfl ächlich prüfen oder ob es nicht besser ist, wenn sich eine Ausgangsbehörde den Bescheid richtig überlegt, sodass sie dazu stehen kann, und sich daran, wenn nötig, das Gerichtsverfahren anschließt.
Als ehemaliger Anwalt weiß ich, wovon ich rede. Jeder weiß, dass ich in Nürnberg als Anwalt tätig war und insbesondere das Verwaltungsrecht als Schwerpunkt hatte. Bisher musste zum Beispiel ein Bescheid der Stadt Nürnberg von der Regierung von Mittelfranken in vielen Monaten überprüft werden, wobei er nur in ganz ganz seltenen Fällen korrigiert worden ist. Zwar liegen meine Erfahrungen als Anwalt lange zurück, aber man kann noch heute davon ausgehen, dass der Widerspruch aus den Gründen des Ausgangsbescheides in der Regel nach zehn Monaten zurückgewiesen wird. Dann kann Klage erhoben werden.
Deshalb wurde einvernehmlich vereinbart, in einem zweijährigen Probelauf zu überprüfen, wo das Widerspruchsverfahren abgeschafft werden kann und wo nicht. Nun hat sich herausgestellt, dass der zweijährige Probelauf nicht ausreicht, weil erhebliche andere Änderungen eingeführt worden sind. Jeder weiß, dass beispielsweise die Kostenvorschusspfl icht eine erhebliche Änderung ist.
Frau Kollegin Stahl, ich hatte eine große Kanzlei in Nürnberg mit mehreren zehntausend Klagen. Ich kann Ihnen deshalb die Bedeutung erläutern, wenn Vorschuss erhoben wird. Früher wurde unter Haftpfl ichtgesichtspunkten in jedem Fall sofort Rechtsmittel eingelegt, um auf die Weise nicht das Problem der Fristenüberwachung zu haben. Das überlegt man sich, wenn Vorschuss erhoben wird und die Klagerücknahme kostenpfl ichtig ist. Man muss die Fristen anders managen.
Ich bitte um Nachsicht, aber ich habe auf diesem Gebiet relativ große Praxiserfahrung; denn ich hatte eine ganz große Kanzlei.
Da kann ich nur sagen, es hat in dieser Zeit Veränderungen gegeben, die die Beantwortung der Frage schwieriger gemacht haben: Ist der Probelauf richtig oder ist er nicht richtig?
Was Sie von der SPD wollen, halte ich für absolut absurd. Ich kenne keinen Rechtsanwalt in Mittelfranken, der Ihre Meinung für richtig hält.
(Dr. Thomas Beyer (SPD): Ich schon! – Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Er ist auch ein Mittelfranke!)