Damit erweisen Sie der Rechtssicherheit einen Bärendienst. Dieses Hin und Her in der Rechtssicherheit können wir den Bürgerinnen und Bürgern in Mittelfranken nicht zumuten.
Als Mittelfränkin weiß ich sehr wohl, sehr geehrter Herr Innenminister, dass solche Pilotverfahren nicht immer auf einhellige Begeisterung bei den Bürgerinnen und Bürgern stoßen. Dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Noch viel weniger stößt es aber auf Begeisterung, wenn wir zuerst mit viel Aufwand die Arbeitskraft von Beamtinnen und Beamten und damit auch Steuergelder binden, um dann sagen zu können, jetzt haben wir etwas, was die HenzlerKommission gefordert hat, und das bearbeiten wir irgendwann.
Tun Sie nicht so überrascht. Sie wissen doch, dass der Staatsminister schon bei der Einbringung des Gesetzentwurfes im Landtag die Henzler-Kommission erwähnt hat.
Unabhängig davon, ob Henzler das wollte oder nicht, waren wir übereinstimmend der Auffassung, dass es zwei Meinungen zum Widerspruchsverfahren gibt. Wir brauchen die Diskussion von 2004 nicht wieder neu aufzurollen, denn die Entscheidung ist schon getroffen. Wir haben fast zwei Jahre lang Daten gesammelt. Die wollen wir jetzt auswerten. Wir halten es immer noch für richtig, zuerst Daten zu erheben, dann Daten auszuwerten, dann mit den betroffenen Verbänden ordentlich zu diskutieren und dann zu entscheiden.
Wir wollen nicht nur Daten erheben und dann gleich entscheiden, denn letztlich haben wir drei Möglichkeiten: Den gänzlich alten Rechtszustand, die gänzliche Abschaffung des Widerspruchsverfahren oder die Auswertung, bei der die einzelnen Rechtsgebiete einer besonderen Untersuchung zugeführt werden. Das wollten wir alle.
Wir stimmen deshalb dem Gesetzentwurf zu. Herr Staatsminister, ich sage jetzt, auch als Mittelfränkin: Sicherlich wird keiner böse sein, wenn die Zeitspanne bis zum 30.06.2007 nicht voll ausgeschöpft wird und wir möglichst frühzeitig die Endergebnisse bekommen.
Wir wären auch nicht böse, wenn sich das Gesetzgebungsverfahren schneller gestalten würde. Das Verfahren soll aber nicht zulasten einer ordentlichen Auswertung beschleunigt werden. Das eine ist das, was wir uns wünschen. Das andere ist das, was wir auf jeden Fall wollen: die nötige Zeit, um die gesammelten Daten ordnungsgemäß auszuwerten. Wir sind deshalb für den Gesetzentwurf und werden ihm unsere Zustimmung erteilen.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Frau Kollegin Guttenberger! Der vorliegende Gesetzentwurf ist ärgerlich.
Der Gesetzentwurf ist deshalb ärgerlich, weil das Parlament, im Speziellen auch die Mehrheitsfraktion, mit diesem Gesetzentwurf an der Nase herumgeführt wird.
Das Parlament wird deshalb an der Nase herumgeführt, weil das, was in dem neuen Gesetzentwurf steht, bereits in den Gesetzentwurf vor zwei Jahren hätte hineingeschrieben werden können.
Hätte die Staatsregierung vor zwei Jahren einen Gesetzentwurf mit dem Inhalt vorgelegt, dass das Widerspruchsverfahren in Mittelfranken probeweise für drei Jahre ausgesetzt wird – weil zwei Jahre gebraucht werden, um Daten zu erheben und ein weiteres Jahr, um die Daten zu evaluieren –, um dann, aus den gewonnenen Erkenntnissen und im Vergleich mit den Verhältnissen in Schwaben, einen Vorschlag für eine bayernweit geltende Regelung machen zu können, dann, sage ich, hätten wir wahrscheinlich zugestimmt. Wir hätten wahrscheinlich zugestimmt, wie wir damals auch der zweijährigen Modellphase zugestimmt haben in der Erwartung, dass man nach zwei Jahren den Versuch beendet. Das Widerspruchsverfahren wurde für zwei Jahre probeweise ausgesetzt, und es ist für jeden logisch Denkenden selbstverständlich, dass anschließend der sonst in ganz Bayern geltende Rechtszustand auch in Mittelfranken wieder hergestellt werden soll.
So etwas muss man nicht beantragen, wenn Worte einen Sinn geben, wenn der Inhalt eines Gesetzentwurfs Sinn ergibt, so wie der Gesetzentwurf, der damals von der Staatsregierung – nicht von uns – vorgelegt worden ist. Nach dem Gesetzentwurf konnte es nur bedeuten, dass der ursprüngliche Rechtszustand nach zwei Jahren wieder gilt. Man konnte nämlich nicht ahnen, wenn man den Anspruch eines ergebnisoffenen Verfahrens ernst
nimmt, ob die ideologiebefrachteten Meinungen der Henzler-Kommisson zum Widerspruchsverfahren richtig sind, wonach die Verfahren automatisch und immer dazu führen, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Bayern gehemmt wird.
Deshalb kann man jetzt nicht unterstellen, es wäre von Anfang an so gewesen, dass man in bestimmten Rechtsfragen zu der Auffassung gelangt wäre: Wir müssen das bayernweit abschaffen, weil sonst die wirtschaftliche Entwicklung gehemmt wird. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich meine, das ist wirklich ein sehr ärgerliches Beispiel dafür, wie das Parlament an der Nase herumgeführt wird. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie alle Kolleginnen und Kollegen sowohl hier im Plenum als auch im Ausschuss – auch die Kolleginnen und Kollegen von der CSU – der Meinung waren, zwei Jahre nehmen wir hin, aber die Prüfung muss ergebnisoffen sein, und nach zwei Jahren ist Schluss.
Es ist auch nicht so, dass man bei Null anfangen musste. Wir haben im Ausschuss mehrfach darüber diskutiert, ob die Ausgangsdaten schon erhoben wurden. Man hätte doch im Vorfeld, bevor man das Verfahren in Mittelfranken zwei Jahre auf Probe abschafft, erheben können, wie viele Widersprüche es in einem Vergleichszeitraum von zwei, drei Jahren zuvor gegeben hat und wie viele Verfahren es in Schwaben gab. Es wäre doch eine gute Basis gewesen, zu fragen, wie viele Verfahren es in Ansbach und wie viele es in Augsburg gegeben hat. Das wären die Ausgangsdaten gewesen. Man hätte nicht bei Null anfangen müssen. Offensichtlich wurden diese Daten aber nicht erhoben.
Eine weitere Bemerkung, meine Damen und Herren: Lieschen Müller, auf deren Urteilskraft wir viel mehr setzen sollten, hat ahnen können, dass dann, wenn man ein bewährtes Instrument wie das des verwaltungsinternen Widerspruchsverfahrens abschafft und die Rechtsschutzmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger einschränkt, die Anzahl der Klagen bei den Verwaltungsgerichten, hier beim Verwaltungsgericht Ansbach, zunehmen wird. Es ist keine große Überraschung, dass das so gekommen ist. Es ist insbesondere auch deshalb keine große Überraschung, weil das Widerspruchsverfahren eine immer wieder gelobte Befriedungsfunktion hatte und weiterhin hat. Das Verfahren ermöglicht, dass strittige Verfahren auf der Ebene der Verwaltung einer verwaltungsinternen Kontrolle unterzogen werden. In nicht wenigen Fällen wird dann eine vernünftige Lösung gefunden, ohne dass man das Verwaltungsgericht bemühen muss. Jetzt hat man
dieses Widerspruchsverfahren in Mittelfranken für zwei Jahre abgeschafft und stellt fest, dass das, was Lieschen Müller bereits geahnt hat, tatsächlich eingetreten ist: Beim Verwaltungsgericht Ansbach ist die Anzahl der Klagen bereits im ersten Jahr um 78 % angewachsen. Im Vergleich dazu: Beim Verwaltungsgericht Augsburg sind die Verfahren im gleichen Zeitraum um 32 % zurückgegangen. Das kann nun ausdifferenziert werden, das hat man auch getan. Die meisten von Ihnen, die sich mit dem Thema befasst haben, kennen auch die Darstellung. Sie bringt zugegebenermaßen Ergebnisse, die nicht nur prozentual betrachtet werden können, sondern die anhand der absoluten Zahlen bewertet werden müssen. Wenn es aber so ist, dass beim Abgabenrecht eine Zunahme um mehrere 100 % eingetreten ist – beim Rundfunkgebührenrecht und bei anderen Rechtsgebieten hat sogar ein Anstieg um über 1000 % stattgefunden –, dann ist das nicht überraschend, sondern die logische Konsequenz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir können bereits nach dem ersten Jahr – in wenigen Tagen endet bereits das zweite Jahr, ohne dass wir als Parlament darüber einen Ergebnisbericht erhalten hätten – Folgendes feststellen: Erstens. Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens hat dazu geführt, dass die Ausgangsbehörden mehr arbeiten müssen, weil sie den Ausgangsbescheid in vielen Fällen vor Gericht vertreten müssen. Das geht bei der einen Ausgangsbehörde leichter als bei der anderen, weil es unterschiedliche Ausgangsbehörden gibt. Bei einer kreisangehörigen Gemeinde ist es möglicherweise schwieriger – vielleicht muss externer Verstand eingekauft werden – als bei anderen, die über die notwendige Manpower verfügen.
Zweitens. Die Klagen zum Verwaltungsgericht Ansbach haben in erheblichem Maße zugenommen. Nun könnte man sagen, das ist uns gerade recht, weil wir dort Richterstellen haben, die so eigentlich nicht mehr gebraucht werden, nachdem die Zahl der Asylverfahren zurückgegangen ist. Dort hat man also Kapazitäten frei. Dann muss man sich aber auch die Frage gefallen lassen, ob Richter am Verwaltungsgericht Ansbach die richtige Stelle dafür sind, oftmals einfach gelagerte Streitfragen zu entscheiden, die eigentlich auf dem kleinen Dienstweg zurückgewiesen werden könnten. Könnten die Kapazitäten andernorts nicht besser genutzt werden?
Drittens. Auch diese Konsequenz muss man sehen: Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Mittelfranken hat dazu geführt, dass der Versuch der Bürgerinnen und Bürger, dort zu ihrem Recht zu kommen, mit deutlich höheren Kosten verbunden ist als in den anderen Regierungsbezirken.
Während das Widerspruchsverfahren vergleichsweise kostengünstig war und im Regelfall ohne die Einschaltung von Anwälten durchgeführt wurde, verhält es sich bei der Klage vor dem Verwaltungsgericht genau anders: Die Einschaltung anwaltlichen Beistands ist meistens erforderlich. Das kostet. Der Vergleich zwischen Widerspruchsverfahren und verwaltungsgerichtlichem Verfahren wurde dargestellt. Es geht nicht nur um einige wenige Euro, son
dern die Bürgerinnen und Bürger werden mit dem Vier- bis Fünffachen an Kosten belastet, wenn das Rechtsmittel nicht erfolgreich ist, und das ist in der Mehrzahl der Fälle so.
Eine weitere Bemerkung, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir müssen uns immer wieder Grundsatzfragen vor Augen führen. Man kann zwar auch die Augen zumachen und sagen: Wenn die Henzler-Kommission meint, das Widerspruchsverfahren ist schädlich, dann setzen wir die Vorschläge um. Man kann aber auch genauer hinsehen und fragen, wozu das Widerspruchsverfahren eigentlich dient. Ist es nicht ähnlich wie in anderen Rechtsbereichen, wo versucht wird, die Gerichte durch vorgerichtliche Streitbeilegungsmöglichkeiten zu entlasten?
Im Bereich des Zivilrechts bemühen wir uns, das Schlichtungsverfahren zu etablieren. Wir bemühen uns, Güterichter zu installieren. Wir bemühen uns, das Instrument der Mediation einzuführen bzw. auszuweiten. Dies alles mit dem Argument: Alles ist besser als eine strittige Entscheidung vor Gericht. Dafür gibt es vielerlei Gründe. Ein Verfahren vor Gericht dauert lange, kostet viel Geld, baut Fronten auf und führt letztlich nicht zur Befriedung, sondern dazu, dass es einen Sieger und einen Verlierer gibt. Alles andere ist besser.
Ausgerechnet im Verwaltungsrecht geht man nun den genau entgegengesetzten Weg. Man treibt die Leute nachgerade vor Gericht. Ob das in Übereinstimmung mit der sonst vorgegebenen Linie steht, wage ich zu bezweifeln.
Ich mache eine vorletzte Bemerkung. Beim Bayerischen Verfassungsgericht sind zwei Popularklagen wegen der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Mittelfranken anhängig. Schon der Respekt vor dem Gericht, das noch nicht entschieden hat, sollte uns daran hindern, die Testphase um ein weiteres Jahr zu verlängern.
Eine letzte Bemerkung. Die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens in Mittelfranken fällt eher zufällig, aber doch damit zusammen, dass im Bereich der Landwirtschaft genau in diesem Zeitraum allein in Mittelfranken, wie uns gesagt worden ist, über 14 000 Bescheide ergangen sind, die Ausgleichszahlungen zum Inhalt haben, die an die Landwirte geleistet werden können und von denen viele Landwirte existenziell betroffen sind.
Nun hat man gesagt: Das macht ja nichts; wenn das Widerspruchsverfahren abgeschafft wird, dann müssen eben die Landwirtschaftsabteilungen bei der Regierung mehr beraten. Nun hat man aber diese Abteilungen bei der Regierung abgeschafft. Die gibt es nicht mehr. Wo sollen sich die Landwirte jetzt beraten lassen? Die müssten sich jetzt eigentlich nach Landshut wenden. Daher wundert es mich nicht, dass ausgerechnet aus dem Bereich der Landwirtschaft der Aufschrei der Empörung am allergrößten ist, weil es für viele um existenzielle
Fragen geht, die jetzt im großen Umfang vor dem Verwaltungsgericht geklärt werden müssen. Das ist wohl auch der Hintergrund, warum im ersten Ergebnisbericht keine Aussage darüber getroffen worden ist, wie viel Verfahren aus dem Landwirtschaftsbereich anhängig gemacht worden sind.
Weil das so ist und nicht weil wir uns dem Fortschritt widersetzten, nicht weil wir nicht bereit wären, auch einmal etwas auszutesten, sondern weil durch die Art und Weise, wie das Innenministerium diese Testphase ins Werk gesetzt hat und sie jetzt auch noch verlängern will – ich bin fest davon überzeugt, dass man sich das vorher nicht gut genug überlegt hat und es jetzt durch die Verlängerung um ein Jahr zu kaschieren versucht –, das Parlament mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf an der Nase herumgeführt wird, lehnen wir den Gesetzentwurf ab.