Protocol of the Session on March 31, 2006

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nur bei Kohl war das anders, denn er, als Kind der ehemaligen Pfalz, ist so etwas wie ein Verwandter von uns.

(Franz Maget (SPD): You can say you to me! – Joachim Herrmann (CSU): Wir sind hier nicht am Nockherberg!)

Was für eine Fügung, auch gegenüber Angela Merkel! – Vorbei die garstige Zeit der harschen Worte über die frustrierten Ostdeutschen. Fast bin ich geneigt, mit Rilke zu sprechen: Soviel Zukunft war nie. – Felix Bavaria et felix Germania. Damit ist ein gutes Fundament gelegt für einen kooperativen Föderalismus in Deutschland: Bund und Land gehen in Hand in Hand.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, unser Fraktionsvorsitzender Franz Maget hat bereits, wie unser Ministerpräsident Edmund Stoiber, die hohe Bedeutung der Föderalismusreform ausführlich gewürdigt und ihre Vorschläge im Grundsatz begrüßt. Er hat auch auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, dass eine so weit reichende Verfassungsänderung nicht im Eildurchgang im Parlament abgenickt werden kann und darf. Das Kriterium muss die Qualität des Produktes sein, nicht die Schnelligkeit des Prozesses.

(Beifall bei der SPD)

Dabei ist die Debatte über den Föderalismus in Deutschland genauso alt wie der Föderalismus selbst. In der

Form, in der wir ihn heute kennen – als ein System der mehr oder weniger stark ausgeprägten Kooperation von Bund und Ländern, in dem den Ländern unter anderem die Ausführung der Gesetze obliegt –, sehen ihn die verschiedenen deutschen Verfassungen grundsätzlich seit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1867 vor. Seitdem hat sich, insbesondere infolge der Unitarisierungstendenzen der 1950er- und 1960er-Jahre, ein sukzessive immer komplizierter werdendes und für den einzelnen Bürger immer undurchsichtigeres Gefl echt entwickelt, dem wir leider immer häufi ger Ineffi zienz und fehlende Funktionalität bescheinigen müssen.

Die Neuordnungen infolge der Verfassungsreform 1969 haben womöglich dazu beigetragen, einige der akuten Probleme der damaligen Zeit kurzfristig zu lösen, aber seitdem hat sich immer wieder aufs Neue gezeigt, dass der umfassende Verhandlungs-, bzw. Aushandlungsföderalismus immer mehr zu einem totalen Ausufern von Bürokratie und von Gremien der horizontalen und der vertikalen Politikverfl echtung geführt hat. Im Jahr 2002 gab es in der Bundesrepublik Deutschland nicht weniger als 372 solcher Gremien. Eine der skurrilsten darunter ist vielleicht die „Bund-Länder-Kommission für das Reise- und Umzugsrecht im öffentlichen Dienst“.

Heute funktioniert auch die so genannte Selbstkoordination der Länder kaum noch. Zu viele unterschiedliche Interessen, regionale Verteilungskonfl ikte und unterschiedlichste Koalitionskonstellationen erfordern immer mehr Vorverhandlungen und bringen am Ende häufi g immer dürftigere Fortschritte und Ergebnisse vor. Frau Kollegin Prof. Männle hat dies 1998 in einem wissenschaftlichen Aufsatz, in dem von ihr selbst herausgegebenen Band „Föderalismus zwischen Konsens und Konkurrenz“ durchaus treffend zusammengefasst:

Die enge Verfl echtung des Bundes und der Länder bei der Bundesgesetzgebung kann darüber hinaus die Handlungsfähigkeit der Politik einschränken, ja blockieren, und damit zu einem handfesten Nachteil im Wettbewerb der Staaten und Standorte werden.

Deshalb bin ich mit meiner Fraktion froh und glücklich darüber, dass nach langen Jahren der Klagen über die Reformbedürftigkeit des Föderalismus seit Ende 2003 endlich Bewegung in diese Diskussion gekommen ist. Die Ergebnisse der Kombo – der Kommission zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung – und der Gesetzentwurf der großen Koalition in Berlin stellen für uns einen großen Schritt nach vorne dar.

(Beifall bei der SPD)

Einiges von dem, was eigentlich schon 1990 im Zuge der deutschen Wiedervereinigung hätte getan werden müssen, wird nun angepackt. Allerdings sollte es mittelfristig nicht bei diesem ersten Paket bleiben, sondern in weiteren Schritten sollten noch weitere entscheidende Maßnahmen auf dem Weg zu einem effi zienteren und vor allem bürgernäheren politischen System getroffen werden. So können Länder meines Erachtens nur dann erfolgreich im politischen und im wirtschaftlichen Wettbewerb stehen, wenn sie eine gewisse Mindestgröße und

Einwohnerzahl haben. Zudem würde eine Reduzierung der Zahl der Länder nicht nur einen effi zienteren Umgang mit der Bürokratie ermöglichen, sondern die Konsensfi ndung bei politischen Willensbildungsprozessen vereinfachen, weil die Interessenslage häufi g nicht mehr so verschieden wäre wie bisher.

Auch für ein weiteres entscheidendes Feld könnte eine Neugliederung des Bundesgebietes nur von Nutzen sein: für eine umfassende Neuordnung des Finanzföderalismus. Es ist klar, dass hier im Sinne der Planungssicherheit für die Beteiligten vor dem Ablauf des Finanztransfers im Zuge des Solidarpakts II im Jahr 2019 nur wenig geschehen kann. Aber gerade diese Tatsache gibt uns Zeit und die Möglichkeit, ohne tagespolitischen Druck in einen Vorbereitungsprozess einzusteigen, an dessen Ende ein System stehen sollte, das es den Bundesländern ermöglicht, in weitaus größerem Umfang als bisher, eigenständig ein Finanzvolumen zu erwirtschaften. Ein System, welches ihnen Investitionen und die Erledigung ihrer gesetzlichen Aufgaben möglich macht, ohne dass sie diese drastisch reduzieren müssen.

Die zentrale Aufgabe, die aus meiner Sicht mit einer Reform des Föderalismus verbunden sein muss, habe ich bisher allerdings noch nicht genannt. Ich möchte nun darüber sprechen: Es geht darum, dass der einzig legitime und – im Sinne von Bürgernähe und echter Demokratie – geeignete Ort für den politische Willensbildungs- und Entscheidungsprozess im Föderalismus, die Parlamente sein müssen – wie Kollege Dr. Runge das bereits ausgeführt hat – und nicht die Exekutive des Bundes, und schon gar nicht die der Länder.

(Beifall bei der SPD)

Die Art von Föderalismus, die wir heute täglich erleben, wird nicht zu Unrecht Exekutivföderalismus genannt. Über die Gesetzgebungsverfahren, die im Bundesrat verhandelt werden, wird hier im Bayerischen Landtag, hier an diesem Rednerpult, gar nicht oder erst dann gesprochen, wenn viele der Entscheidungen bereits gefallen sind. Es kann aber nicht sein, dass der Ministerpräsident oder einige wenige Ministerial- und Staatskanzleibeamte quasi im Alleingang, unter Ausschluss der einzig direkt gewählten Volksvertreter in Bayern, auf eigene Faust zentrale Entscheidungen für Bayern treffen.

(Franz Maget (SPD): Sehr gut!)

Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, nannten in Ihrer Rede immer wieder die Länderparlamente, welche in der politischen Entwicklung Rechte und Macht in der Vergangenheit an den Bund verloren haben.

(Ludwig Wörner (SPD): Darum sind Sie auch so oft hier im Haus!)

Ich bitte Sie, achten Sie darauf, dass diese nach einer Föderalismusreform wieder an die Länderparlamente und nicht an die Exekutive zurückgegeben werden. Darin, lieber Martin Runge, gehen wir ganz konform!

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt wohl kaum ein Politikfeld, in dem dieses mangelnde Verständnis von Demokratie so offensichtlich wird wie in der Europapolitik. Weder über die Aktivitäten der bayerischen Vertreter im Ausschuss der Regionen noch über das Abstimmungsverhalten der Bundesratsvertreter Bayerns in Europafragen werden wir Parlamentarier vorab informiert. Von einer Landtagsdebatte im Vorfeld der Sitzungen in Berlin, wie sie eigentlich im Sinne der demokratischen Willensbildung erforderlich wäre, ganz zu schweigen. Die Neuordnung des Artikels 23 des Grundgesetzes infolge der Maastrichter Verträge hat den Ländern zu Recht wesentliche Mitspracherechte gegenüber dem Bund in Sachen EU-Politik gebracht. Aber ihrer Verantwortung gegenüber den Abgeordneten des Bayerischen Landtags wird die Staatsregierung trotzdem nicht gerecht. Immer wieder wird deshalb zu Recht kritisiert, dass es innerhalb des politischen Systems und der Institutionen der EU ein frappierendes Demokratiedefi zit gibt. Aber einige dieser Kritiker werden zu Pharisäern, wenn sie zu Hause ein System praktizieren, in dem existierende demokratische Institutionen einfach nicht gebührend beachtet werden.

(Beifall bei der SPD)

Das Witzige daran aber ist, dass das einzige Argument, das vielleicht für eine solche scheinbar pragmatische Lösung sprechen könnte, nämlich, dass ohne Einbindung des Landtags schneller eine gemeinsame Linie von Bund und Ländern in Brüssel gefunden werden kann, fast täglich ad absurdum geführt wird. Das brauche ich Ihnen nicht sagen. Der Beweis dafür hat uns kürzlich der berühmte Historiker Gerhard A. Ritter in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ geliefert:

Die Bedingungen deutscher Politik werden ganz weitgehend durch Brüssel geprägt. Aber wir haben in der Bundesrepublik eine ganz entscheidende Schwäche: Dass wir die Europapolitik nicht koordinieren und effektiv vertreten. In Brüssel spricht man vom „German vote“ – also von den Deutschen, die sich nie rechtzeitig entscheiden können, weil die Abstimmungsprozeduren von Bund und Ländern so kompliziert sind. Das geht so nicht weiter.

Ich bin entschieden der Meinung, dass diese Beratungsprozesse innerhalb der öffentlichen Sitzungen dieses Hauses stattfi nden müssen und nicht im berühmten stillen Kämmerlein in Brüssel oder in der Bayerischen Staatskanzlei.

(Ludwig Wörner (SPD): Sehr gut!)

Dies wäre nicht nur ein Zeichen des Respekts vor der Volkssouveränität, sondern die Debatten über die europäische Politik würden durch die Medienberichterstattung auch mehr ins Licht der Öffentlichkeit rücken.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Was dringend notwendig ist!)

Was in der Tat dringend notwendig ist! Europa wird so ein Stück greifbarer und kommt den Menschen ein wenig näher, fast so, wie der Münchner Bahnhof an die bayerischen Städte und an den Flughafen.

(Beifall bei der SPD)

Das ist es doch, was wir Föderalisten und Verfechter des Subsidiaritätsprinzips alle gerne möchten.

Deshalb kann ich dem Kollegen Prof. Faltlhauser, der jetzt leider nicht mehr hier ist, nur zustimmen, wenn er in einem Aufsatz in dem schon vorher zitierten Buch von Kollegin Prof. Männle nicht nur zwei Dinge, nämlich Überschaubarkeit und Kontrollierbarkeit für die EU fordert, sondern auch folgendes schreibt:

Europa muss von unten nach oben gebaut werden, auch mit dem Herzen. Europa muss den Menschen nahe sein.

Recht hat er, der Herr Kollege Prof. Dr. Faltlhauser.

Und wenn er schon 1998 zu dieser richtigen und wichtigen Erkenntnis gekommen ist, wird es für ihn und für seine Kollegen in der Bayerischen Staatsregierung Zeit, demnach zu handeln und die bayerische Bundesrats- und Europapolitik entsprechend auszurichten.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch zu dem Aspekt Bildung kritisch Stellung nehmen, den mein Fraktionsvorsitzender Franz Maget ausgespart hat. Ich möchte dies vor allem auch deshalb tun, weil dieser Aspekt von Ihnen, Herr Ministerpräsident, explizit ausgeführt wurde, und weil ich glaube, dass Sie, Herr Ministerpräsident, dabei unsere Position vielleicht ein bisschen falsch verstanden haben oder verstehen wollten. Ich möchte dies auch tun, weil dieser Aspekt in den Verhandlungen ein erheblicher Sprengstoff zu sein scheint.

Die Föderalismusreform ist keine Veranstaltung um ihrer selbst willen. Sie muss sich ausschließlich nach den sachlichen Erfordernissen richten. Es geht nicht darum, Machtinteressen – von wem auch immer – auszubalancieren. Dies hat Landtagspräsident Glück auch in seinen einführenden Worten gesagt. Es geht aber auch nicht darum, wie Ministerpräsidenten für ihren teilweisen Machtverzicht im Bundesrat entschädigt werden, sondern es geht allein darum, unser bundesstaatliches System so zu modernisieren, dass es den veränderten Anforderungen der Zukunft besser als heute gerecht wird,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und zwar nicht in einem abstrakten Sinne, sondern sehr konkret im Hinblick auf die Herausforderungen für unser Land, für unsere Gesellschaft und mithin jeden einzelnen Bürger. Auf kaum einem anderen Politikfeld ist das so

wichtig und bürgernah wie bei Bildung, Schule und Hochschule.

Hier muss die Reform der Zuständigkeiten zum Ziel haben, die Leistungsfähigkeit und die Qualität des gesamten Bildungssystems zu verbessern. Der Koalitionsvertrag räumt deshalb der Bildung Vordringlichkeit ein. Dieser Begriff taucht im Text des Koalitionsvertrags 52-mal auf. Unter anderem heißt es dort auf Seite 18 – ich zitiere –:

Deutschlands Zukunft liegt in den Köpfen seiner Menschen. Bildung ist ein zentrales Anliegen, das eine große Kraftanstrengung von Bund, Ländern und Kommunen erfordert. …

Nur an der Spitze des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts wird unser rohstoffarmes Land seine Zukunftschancen wahren. Staat und Wirtschaft müssen deshalb mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben. Gefordert sind die privaten Unternehmen, der Bund und die Länder. Eine gleichgerichtete Politik … kann nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung erreicht werden.

Wenn Schule und Hochschule, Bildung und Forschung anerkanntermaßen – und im Koalitionsvertrag gleichsam in Stein gemeißelt – als eine der allerwichtigsten Baustellen benannt sind, um unser Land im globalen Wettbewerb vorne zu halten und möglichst noch weiter nach vorne zu bringen, erscheint es mir auch wichtig genug, dass wir gerade über den Bereich der Bildung auf der Fachebene noch einmal eindringlich diskutieren müssen. Dies ist bundesweit bereits im Gange, und dies wird von vielen Experten so gesehen, die, wie erst am Dienstag dieser Woche bei einem Expertengespräch im Deutschen Bundestag, davor warnen, dem Bund jede Mitsprachemöglichkeit zu nehmen und Schulen und Hochschulen völlig der Konkurrenz zwischen leistungsstarken und leistungsschwachen Ländern auszusetzen, die letzten Endes auf dem Rücken der Schüler, Studenten, Eltern und Lehrer ausgetragen würde.

Ludwig Eckinger, der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, hat das am Dienstag in Berlin so formuliert: „Uns reicht es nicht, wenn nur zwei oder drei Länder in der Bildung Spitze sind.“ Es sei ein Gebot der Verfassung, jedem gleiche Chancen beim Zugang zu Bildung zu gewährleisten, „unabhängig davon, in welchem Bundesland er geboren wurde.“ So ist es.