Wenn unsere Kollegin Christine Stahl Becksteins Fragebogen nicht öffentlich gemacht hätte, dann würden Sie heute wieder schöne Worte verlieren, und draußen ginge Beckstein in aller Ruhe seinen unschönen Taten nach. Das ist scheinheilig, aber diese Scheinheiligkeit lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Der Kläger gegen die Rasterfahndung wurde jede Nacht kontrolliert. Warum? Weil er Rastalocken hat. Das passiert draußen, und in diesem Hause reden Sie über erfolgreiche Integration.
Kolleginnen und Kollegen, Integration geht alle an. Sie ist kein Minderheitenproblem. Da geht es um unsere Gesellschaft. Keine Gesellschaft kann es sich leisten, dauerhaft einen erheblichen Teil ihrer Bevölkerung auszugrenzen.
Noch jede Gesellschaft, die einer Minderheit soziale, wirtschaftliche und politische Chancen verweigert hat, ist genau daran gescheitert.
In Bayern wird ein großer Teil der Bevölkerung von allen Entwicklungschancen abgeschnitten. Immer mehr Menschen bleiben dauerhaft in Armut gefangen und vererben diese Armut an ihre Kinder. In Armut fallen insbesondere schlecht Ausgebildete. Wer nicht über ausreichende Bildung verfügt, tut sich schwer, einen Arbeitsplatz zu fi nden. Besonders schmerzhaft bekommen dies viele Einwandererfamilien zu spüren. Sie leiden am meisten darunter, dass in Bayern Bildungsarmut vererbt wird.
Wenn sie nicht bereits aus ihren Herkunftsländern eine gute Bildung mitbringen – vom bayerischen Bildungssystem, von Ihrem Bildungssystem, Kolleginnen und Kollegen der CSU, bekommen sie diese Bildung nicht.
Am Schwersten haben es Kinder aus Einwandererfamilien, die hier bei uns geboren werden und bei uns aufwachsen. Sie haben die schlechtesten Chancen. Dass in Bayern jedes Jahr 25 % der männlichen ausländischen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss verlassen, ist ein unerträglicher Missstand; denn sie haben ihr Leben lang keine Chance auf dem Arbeitsmarkt, und sie haben keine Chance in unserer Gesellschaft. Das bringt auf Jahrzehnte hinaus enorme Belastungen nicht nur für diese Jugendlichen selbst, sondern für uns alle.
Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie haben das Ausmaß der Schwierigkeiten, in die Ihre Politik unsere Gesellschaft stürzt, nicht begriffen; denn in wenigen Jahren wird in den größeren Städten unseres Landes die Hälfte unserer jüngeren Leute aus Einwandererfamilien stammen. Das sind keine Minderheitsprobleme, sondern Dimensionen, über die wir heute sprechen müssen.
Wir GRÜNEN fordern seit Jahrzehnten eine Integrationspolitik, die die Lebenswirklichkeit unseres Landes als Einwanderungsland endlich berücksichtigt und ihr gerecht wird. Wir haben in all diesen Jahren verstärkte Sprachförderung gefordert. Wir haben Teilhabechancen für Eingewanderte gefordert, und wir haben uns immer wieder für die Grundrechte aller Bewohnerinnen und Bewohner Bayerns eingesetzt, insbesondere auch stets gegen die Gewalt gegen Frauen.
Sie, Kolleginnen und Kollegen der CSU, interessiert dieses Thema „Gewalt gegen Frauen“ doch nur, wenn Sie es als Mittel des politischen Kampfes missbrauchen können.
Wenn Sie mit diesem Thema Angst vor und Hetze gegen Muslime schüren können, dann befassen Sie sich damit. Aber Sie interessieren sich nicht für die Alltagspraxis in Bayern. Wir sind bei Ihnen stets auf taube Ohren gestoßen und meistens auch auf Widerstand, wenn wir uns gegen Gewalt in der Ehe eingesetzt haben, für Frauenhäuser, für Gleichstellung.
Gewalt gegen Frauen ist keine Frage von Kultur oder Religion; sie ist verfassungswidrig und sie ist gesetzeswidrig. Bei Gewalt gegen Frauen müssen Sie, Herr Minister Beckstein, einschreiten. Das ist Ihre Aufgabe. Da müssen Sie nicht beständig neue Gesetze fordern. Setzen Sie endlich die gültigen Gesetze um!
Sie, Herr Minister, haben kürzlich erklärt: „Ich will, dass zwangsverheiratete Frauen ihre Rechte kennen lernen und auch einfordern.“ Deshalb wollten Sie individuelle Staatsbürgerschaftskurse. Das ist schon sehr dürftig, Herr Minister. Sie müssen diese Rechte einfordern, Sie müssen durchsetzen, dass diese Frauen diese Rechte haben. Sie müssen auch die Opfer von Frauenhandel besser schützen. Dazu haben Sie jetzt Gelegenheit bei der Nachbesserung des Zuwanderungsgesetzes. Sorgen Sie endlich für Schutzwohnungen, sorgen Sie für eine Bedenkfrist vor der Ausreise und für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für „Frauen auf Probe“.
Aber wenn es um die Alltagspraxis geht, interessiert Sie das Thema ja nicht mehr. Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie kümmern sich das ganze Jahr nicht um Integration. Nur wenn gerade Wahlkampf ist oder wenn irgendwo auf der Welt etwas Schreckliches passiert, dann sind Sie sofort da; wenn in Holland jemand ermordet wird, wenn in Frankreich Autos oder im Nahen Osten Fahnen brennen, dann beschwören Sie sofort die Risiken der Integration in Bayern.
Sie schüren damit Ängste bei der Bevölkerung, nur damit Sie sich hinterher als Beschützer in Szene setzen können. Ihr Allheilmittel sind einzig und allein radikale Eingriffe in Freiheits- und Bürgerrechte und polizeiliche Maßnahmen gegen Ausländer. Mehr fällt Ihnen nicht ein.
Und je radikaler der Eingriff – machen Sie die Menschen glauben –, desto größer ist angeblich die Sicherheit.
Also, es ist absurd. Durch diese Angstmache wird die Ausgrenzung von Ausländern verschärft, und damit werden die bestehenden Konfl ikte erst so richtig angeschürt.
Es ist die alte Abschottungs- und Ausgrenzungspolitik der CSU, die da immer wieder aufgewärmt wird. Nur diesmal haben Sie die Grenzen nicht nach außen, sondern schon nach innen, in die Gesellschaft gezogen.
Warum wollen Sie die Einbürgerung immer wieder erschweren? Es gibt überhaupt keinen Anlass dafür. Es ist nichts passiert. Wir haben seit Jahren die gleiche politische Lage, absolut unverändert. Und trotzdem wollen Sie permanent noch höhere Hürden und noch höhere Hürden. Das ist doch absurd!
Es muss genau in die andere Richtung gehen: Wir müssen die Einbürgerung endlich erleichtern. Das ist unsere Aufgabe.
Wenn in bayerischen Kommunen ein Drittel der Bevölkerung kein Wahlrecht hat, dann haben doch wir als Politiker, als Gesellschaft ein Legitimationsproblem.
Wir GRÜNEN fordern deswegen schon lange ein Kommunalwahlrecht für alle bei uns dauerhaft lebenden Ausländerinnen und Ausländer, und wir fordern die Erleichterung der Einbürgerung.
Das Staatsangehörigkeitsgesetz hat sich von der Ausschließlichkeit des Ius sanguinis verabschiedet, vom alten Blutrecht. Aber Sie, Kolleginnen und Kollegen der CSU, sind offenbar unfähig zu einem modernen Staatsbürger
schaftsrecht. Sie halten am alten Blutrecht fest. Danach kann man nicht wirklich Deutscher werden; als Deutscher wird man geboren. Das glauben Sie heute noch. Ausländer bleibt für Sie immer Ausländer, selbst wenn er einen deutschen Pass besitzt. Das ist Ihre Politik, und damit teilen und verstärken Sie die Vorurteile und die fehlende Integrationsbereitschaft eines Teils der Bevölkerung.
Die neuen Fragebögen dienen Ihnen vor allem dazu, zu signalisieren – den Eingebürgerten genauso wie den deutschen Deutschen: Denen kann man die Staatsbürgerschaft wegnehmen, uns nicht! Das ist Ihr Signal.
Sie schaffen damit Staatsbürger erster und zweiter Klasse. Deutschen Deutschen kann man laut Verfassung die Staatsbürgerschaft nicht nehmen, den Eingebürgerten schon. Das signalisieren Sie.
Es ist erbärmliche Polemik, Herr Minister, wenn Sie uns GRÜNEN unterstellen, wir wollten Extremisten und Terroristen einbürgern. Damit machen Sie sich wirklich lächerlich. Es zeigt Ihre Hilfl osigkeit. Wenn Sie zu einem solch schäbigen Verhalten Zufl ucht nehmen müssen, zeigen Sie, dass Ihnen nun wirklich nichts mehr einfällt.