Protocol of the Session on February 16, 2006

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Damenriege des Präsidiums, einschließlich des Protokolls, begrüßt Sie alle recht herzlich und wünscht Ihnen einen schönen guten Morgen.

Ich darf hiermit die 61. Vollsitzung des Bayerischen Landtags eröffnen. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Diese Genehmigung wurde wie immer erteilt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion der CSU vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Integration von Ausländern erfolgreich fördern und fordern“ beantragt. In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen; das alles ist bekannt. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag für eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit.

Ich bitte Sie wie immer, auf das Signal zu achten. Im Übrigen trägt jetzt die Elektronik dazu bei, dass jeder Redner und jede Rednerin die eigene Redezeit selbst genau beobachten kann, sodass wir hier nicht eingreifen müssen.

Ich sehe, dass Herr Kollege Sailer für die CSU-Fraktion bereit ist. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen die Leitlinien der bayerischen Integrationspolitik zu Beginn der Aktuellen Stunde aus Sicht der CSU-Fraktion kurz skizzieren. Die Leitlinien sind gekennzeichnet von gegenseitigem Prozess, von gleichberechtigter Teilhabe und vom Prinzip des Forderns und Förderns. Ich darf Ihnen diese Punkte etwas näher erläutern.

Die Bayerische Staatsregierung hat diese Leitlinien zur Integration von dauerhaft und rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern sowie von Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedlern im Jahr 2003 gebilligt. Danach bedeutet Integration gleichberechtigte Teilhabe am sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben in Deutschland. Es handelt sich hierbei um einen gegenseitigen Prozess, den die Deutschen ebenso wie die Zuwanderer aktiv gestalten müssen. Gesamtgesellschaftliche Aufgabe sind Hilfestellungen insbesondere beim Spracherwerb, bei der Eingliederung in den Arbeitsprozess und bei der gesellschaftlichen Integration.

„Integration im Dialog“ ist im Übrigen auch das Motto des von der Staatsregierung im Herbst 2004 ins Leben gerufenen Integrationsforums. Damit verfolgt die Staatsregierung das Ziel, das Thema Integration in der Öffentlichkeit zu verankern sowie Bewusstsein und Akzeptanz dafür zu gewinnen, dass Integration nur im gemeinsamen Bemühen zum Erfolg führen kann.

Im Jahr 2005 fanden in allen Regierungsbezirken Veranstaltungen zum Motto „Integration im Dialog“ statt. Die Staatsregierung wird zusammen mit den Regierungen die Erfahrungen aus den Veranstaltungen auswerten und

darum bemüht sein, dass unter diesem Motto auch auf örtlicher Ebene Veranstaltungen stattfi nden. Der Integrationsprozess muss möglichst frühzeitig beginnen. Maßgebliche Ansatzpunkte sind vor allem frühzeitiger Spracherwerb und angemessene schulische Förderung. Die Staatsregierung hat bereits grundlegende Beschlüsse über die frühzeitige Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund gefasst, um deren Integration erfolgreich zu gestalten.

Folgende integrationsbegleitende Maßnahmen sind im Gesamtkonzept „Integration durch Sprachförderung“ enthalten: erstens das Hausbesuchsprogramm für Kinder und Eltern „HIPPY“ und „Opstapje“, ideell und materiell unterstützt durch das Sozialministerium; zweitens das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz. Ein Schwerpunkt liegt auf der Sprachförderung im Kindergarten. Für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, die über keine oder unzureichende Deutschkenntnisse verfügen, ist eine besondere Sprachförderung sicherzustellen, und dafür wird der Gewichtungsfaktor im Rahmen der kindbezogenen Förderung auf 1,3 angehoben. Auch der neue Bildungs- und Erziehungsplan legt einen Schwerpunkt auf die Vermittlung interkultureller Kompetenz und Sprachförderung.

Integration – und damit darf ich bereits zum Schluss kommen – bedeutet auf der einen Seite, Rechte und Pfl ichten zu erschließen, das heißt Wahrnehmung eigener Verantwortung für ein Gelingen der Integration. Integration bedeutet auf der anderen Seite, auf die Akzeptanz und Offenheit der einheimischen Bevölkerung angewiesen zu sein. Integrationspolitik darf aber die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft nicht überfordern.

Integration erfordert drittens das Bewusstsein und die Bereitschaft der Zuwanderer, sich auf das Leben in der mitteleuropäischen Gesellschaft einzulassen. Entscheidend dafür sind aus unserer Sicht der Erwerb der deutschen Sprache sowie die Anerkennung unserer Werteordnung.

(Beifall bei der CSU)

Für die SPDFraktion darf ich jetzt Herrn Kollegen Volkmann das Wort erteilen. Für Sie, Herr Kollege Volkmann, wurden zehn Minuten beantragt.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass die CSU-Fraktion mit ihrem ersten Sprecher einen sehr moderaten Ton angeschlagen hat. Dies ist deshalb erfreulich

(Zuruf des Abgeordneten Thomas Kreuzer (CSU))

Herr Kreuzer, wir können das doch offen sagen. Wenn Sie angefangen hätten, und ich habe mit Ihnen gerechnet, dann wäre nicht nur der Tonfall, sondern auch der Inhalt anders gewesen.

(Thomas Kreuzer (CSU): Unsere schlimmsten Befürchtungen sind dagegen eingetreten! – Heiterkeit des Abgeordneten Peter Welnhofer (CSU))

Da lacht auch Herr Welnhofer.

Ich möchte ernsthaft an den Anfang stellen: Ich fi nde es erfreulich, dass Sie einen solch moderaten Ton anschlagen. Ich fände es auch erfreulich, wenn Sie in dieser Aktuellen Stunde bei diesem Ton blieben, dann wären wir schon ein ganzes Stück weiter.

Der Titel Ihrer heutigen Aktuellen Stunde lautet „Integration von Ausländern erfolgreich fördern und fordern“; diesem Motto stimmen wir ohne Frage rückhaltlos zu. Für uns ist nur manchmal ein klein wenig ärgerlich, dass die CSU-Fraktion immer wieder so tut, als hätte sie dieses Motto erfunden und müsste es sozusagen gegen den Rest der Welt durchsetzen.

Das ist deshalb ein klein wenig ärgerlich, weil das Prinzip „Integration fördern und fordern“ das durchgängige Prinzip des Zuwanderungsgesetzes ist, das bekanntlich am 1. Januar des vergangenen Jahres in Kraft getreten ist. Seien Sie mir bitte nicht böse, wenn ich mir diese Spitze nicht verkneifen kann. Denn es war ein trauriger Teil dieses Prozesses, dass das Zuwanderungsgesetz mit diesem Prinzip „Fördern und fordern“ von der damaligen Opposition so lange Zeit be- und verhindert worden ist. Aber letztlich ist es auf den Weg gebracht worden, und das war natürlich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

In eine ähnliche Richtung zielt Stoibers neuer Aktionismus mit dem Einbürgerungstest, und das unterscheidet sich von dem, was bisher stattgefunden hat. Ich möchte Sie wirklich bitten, sich das nochmals zu überlegen. Denn es scheint zurzeit so zu sein, als gäbe es tatsächlich eine stärkere Rolle der CSU-Fraktion gegenüber dem Ministerpräsidenten.

Vielleicht können Sie an diesem Punkt einen anderen Akzent setzen.

Wenn im Einbürgerungstest verlangt wird, dass Sprachkenntnisse nachgewiesen werden, dass unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung beim Zuwanderer bzw. bei dem, der eingebürgert werden will, bekannt ist, und dass die Regelanfrage beim Verfassungsschutz stattfi ndet, kann ich dazu nur sagen: Das alles steht bereits im Gesetz, zwar nicht bei der Einbürgerung. Aber wer sich auf Dauer in der Bundesrepublik aufhalten will, muss ausreichende Sprachkenntnisse nachweisen, muss auch eine entsprechende Prüfung abgelegt haben und muss ebenso Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland nachgewiesen haben. Das steht in § 9 des Aufenthaltsgesetzes ausdrücklich. Im Übrigen ist die Regelanfrage bereits heute in § 37 des Staatsangehörigkeitsgesetzes gesetzlich festgelegt. Ich fi nde, was Sie fordern, ist ein bedauerlicher Aktionismus, der den Eindruck erweckt, dass hier noch besonders viel unternommen werden müsste. Wenn das nicht der Fall ist, sind wir doch nur froh darüber.

Wir meinen, dass Integration eines der wichtigsten Themen der nächsten Jahre sein wird. Vom Gelingen der Integration, meine Damen und Herren, wird es weitgehend abhängen, wie weit sich diese Gesellschaft friedlich oder unfriedlich entwickelt. Ich möchte an dieser Stelle zuallererst einmal darauf hinweisen, dass wir Millionen von Ausländern, darunter eine ganz erhebliche Zahl in Bayern,

haben, die bestens in diesem Staat integriert sind und die auch von sich aus jedweden Beitrag dazu geleistet haben.

Natürlich gibt es auch einige Probleme, das ist gar keine Frage. Die Probleme kommen sicherlich daher, dass wir in den letzten 50 Jahren praktisch keine Integration betrieben haben. Wir wissen: Vor mehr als 50 Jahren ist der erste Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien zur Anwerbung von Arbeitskräften abgeschlossen worden. Diese Menschen wurden damals „Gastarbeiter“ genannt, weil man anfangs glaubte, sie würden wieder zurückgehen. Seit mindestens 30 Jahren ist bekannt, dass ein erheblicher Teil dieser Menschen hier bleibt. Trotz dieser Kenntnis – und das ist ein Vorhalt, den ich Ihnen machen muss – hat die CSU immer wieder gesagt, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Ich bin froh darüber, dass Herr Sailer diesen Satz nicht verwendet hat.

Dieser Satz hat eine doppelte Wirkung, zum einen in Richtung Deutsche. Bei den Einheimischen bewirkt dieser Satz eine massive politische Desorientierung. Wer heute in München mit der Straßenbahn oder der U-Bahn fährt, hört fast immer eine Sprache, die er nicht versteht. Er nimmt täglich wahr, dass sich Ausländer hier aufhalten, hört aber von der staatstragenden Partei immer den Satz: Wir sind kein Einwanderungsland, was natürlich zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Ausländer führt.

Zum anderen erweckt dieser Satz, wenn er regelmäßig und so dezidiert kommt, bei den Ausländern den Eindruck: Ich bin hier nicht erwünscht.

Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die mich wirklich beeindruckt hat. Einen Monat nach der Bundestagswahl fand in Bonn von der Otto-Benecke-Stiftung eine sehr gute Veranstaltung zu Fragen der Einwanderung statt. Vonseiten der CDU war Herr Bosbach dabei. Es hat mich zutiefst beeindruckt, wie ein Italiener, der seit mehr als 40 Jahren in Deutschland lebt, sinngemäß gesagt hat:

Meine Damen und Herren, für mich als Ausländer in Deutschland war es ein unglaublich positives Erlebnis festzustellen, dass bei diesem Bundestagswahlkampf zum ersten Mal die Frage des Ausländers keine Rolle mehr gespielt hat. Das war für mich wirklich befreiend, weil es bei früheren Wahlkämpfen beklemmend war, weil man immer das Gefühl haben musste, man sei nicht erwünscht.

Deshalb fi nde ich es besonders wichtig, dass Sie von diesem Satz, der für die Vergangenheit objektiv falsch ist, Abstand nehmen.

Ich bin froh darüber, dass diese Verbesserung, erkennbar am letzten Bundestagswahlkampf, stattgefunden hat, und ich bin auch froh darüber, dass wir auf dem Wege sind, den türkischsprachigen Religionsunterricht durch türkische Lehrer, die von den Ländern bezahlt werden und oftmals kein Wort Deutsch können, zurückzudrängen und durch deutschsprachigen Religionsunterricht zu ersetzen.

Einen Vorhalt muss ich Ihnen machen und dabei auf das zurückkommen, was Herr Sailer eben gesagt hat über das, was die Bayerische Staatsregierung getan hat. Wenn Sie positive Schritte in Richtung Integration von Auslän

dern machen, haben Sie unsere volle Unterstützung. Sie müssen sich aber überlegen, meine Damen und Herren, wenn Sie den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht an unseren Schulen abschaffen – und Sie sind im Begriff, das stufenweise zu tun –, dann beschädigen Sie das Projekt „Integration junger Menschen“.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Es ist völlig unbestritten, dass es für den jungen Ausländer wichtig ist, die Muttersprache richtig zu beherrschen, damit er eine zweite Sprache lernen kann. Eines der großen Probleme – das sagen Ihnen fast alle Vertreter von ausländischen Organisationen – sind heute die jungen Menschen aus dem Ausland, die – jetzt nehme ich wieder das Beispiel der Türken – weder richtig Türkisch noch richtig Deutsch können. Sie sind ein ganzes Leben lang ein Problemfall, und das muss auf jeden Fall verhindert werden.

Deshalb mein Appell: Übertreiben Sie die Sparpolitik, an die wir uns schon fast gewöhnt haben, nicht. Der muttersprachliche Ergänzungsunterricht ist extrem wichtig, und wichtig ist auch, dass er nicht durch Dritte, etwa durch die Konsulate, erfolgt, sondern durch den Freistaat Bayern, damit wir wissen, was jeweils unterrichtet wird.

Zum Schluss: Das Zuwanderungsgesetz hat zwei Ziele – ich habe es schon gesagt –, Integration fördern und fordern. Es wäre schön, wenn Sie nicht immer wieder versuchten, den Eindruck zu erwecken, als sei das, was Sie in den Raum stellen, etwas völlig Neues und nur auf Ihrem Mist gewachsen. Auch das, was ansonsten im Zuwanderungsgesetz steht und was schon § 1 des Aufenthaltsgesetzes wiedergibt, nämlich, dass das Gesetz den Sinn hat, Zuwanderung zu steuern und zu begrenzen, dass die Integrationsfähigkeit das entscheidende Kriterium für Zuwanderung sein muss und dass sowohl die wirtschaftspolitischen als auch die arbeitsmarktpolitischen Interessen von Bedeutung sind, ist alles bereits im Zuwanderungsgesetz enthalten. Ich denke, wir wären heute wesentlich weiter, wenn dieses Gesetz schon zwei Jahre früher zustande gekommen wäre.

Lassen Sie mich ganz zum Schluss einen Satz sagen, von dem ich mir vorstellen könnte, dass nicht nur ich ihn für wichtig halte, sondern auch Sie: Eine gelungene Zuwanderung – darüber sollten wir uns wirklich mit Nachdruck klar werden – ist eine Bereicherung nicht nur für die Zugewanderten, sondern für die gesamte Gesellschaft. Dieses Ziel zu erreichen, wäre es wirklich wert.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Volkmann.

Für die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN darf ich Herrn Dr. Dürr das Wort erteilen, auch für zehn Minuten. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon selten dreist, wie die CSU heute schöne Luftblasen über erfolgreiche Integration in die Welt setzt, aber gleichzeitig einen Fragebogen zur Einbürgerung herauslässt,

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau!)

der genau das Gegenteil bewirken wird, nämlich Ausgrenzung und Angst vor Ausländern.

(Beifall bei den GRÜNEN)