Protocol of the Session on December 14, 2005

Diesen veränderten Bedingungen unserer Gesellschaft und unserer Familien müssen wir als verantwortliche Politiker Rechnung tragen. Das kann allerdings nicht nur die Politik allein, sondern wir müssen es gemeinsam mit Wirtschaft und Gesellschaft versuchen. Und da steht an allererster Stelle, sozusagen als Basis dessen, was wir tun müssen, die Erziehung von Anfang an, also gerade in den ersten prägenden Lebensjahren. Wir müssen den Eltern ihre Erziehungsverantwortung wieder bewusst machen und ihnen bei der Bewältigung dieser Aufgabe helfen und sie begleiten. Denn viele Eltern können das heute nicht

mehr in dem Maße wie früher, da die Erziehungskompetenz nicht mehr, wie es früher der Fall war, von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Da muss ein entscheidender Schwerpunkt unserer Hilfe liegen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was die Eltern- und Familienbildung angeht, ist es uns gelungen, bereits ab dem Doppelhaushalt 2007/2008 den Ansatz zu verdoppeln. Es ist dies ein richtiger Ansatz, aber es wird nicht reichen. Ich glaube, wir müssen uns im Grunde klar machen, dass wir starke Kinder nur dann haben, wenn wir starke Eltern haben. Deswegen müssen wir in der Tat – da sind wir uns einig – in die Kinder investieren, vielleicht weniger in Beton und Bau, aber in unsere jungen Ressourcen, und wir müssen in der Tat fragen, was die Kinder brauchen. Ich glaube, sie brauchen zu allererst Liebe, Anerkennung und Hinwendung. Wir müssen darauf achten, dass unsere Kinder wieder eine wertorientierte Persönlichkeitsbildung erfahren, damit sie Selbstvertrauen entwickeln können. Sie brauchen Erziehung zu Ehrlichkeit, Anstand, Lebensfreude, Disziplin, Durchhaltefähigkeit und Gemeinschaftsfähigkeit. Nur so können sie zu eigenständig handelnden Personen werden. Das wird entscheidend sein für die Qualität unserer Gesellschaft. Um dies zu erreichen, müssen wir auch in die frühkindliche Bildung von Anfang an investieren. Nur damit schaffen wir – das sage ich ganz bewusst – die Basis dafür, dass wir auch in 15 oder 20 Jahren über die Forschung wieder Innovation, Arbeitsplätze und Wohlstand erreichen. Dafür gibt es viele gute Ansätze, aber wir müssen diese Ansätze auch vernetzen und intensivieren. Die Rezepte von Frau Ackermann greifen in diesem Zusammenhang nicht. Das sage ich ganz deutlich.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das müssen Sie schon begründen!)

Ich bin froh, dass unsere Kindergärten in Bayern seit über 30 Jahren Bildungseinrichtungen sind.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das steht zumindest so im Gesetz!)

Sicherlich müssen wir auch bei den unter Dreijährigen die Tagespfl egestruktur und die Kinderkrippen ausbauen. Da sind wir uns auch einig. Wir haben damit einen guten Anfang gemacht.

(Widerspruch der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD) und Karin Radermacher (SPD))

Aus den Privatisierungserlösen 2002 bis 2006 sind es 313 Millionen, die wir ganz gezielt hier hinein investieren. Das ist der richtige Ansatz, um gerade den benachteiligten Kindern und den Kindern, die eine frühzeitige Förderung brauchen, zu helfen und sie zu unterstützen. Das muss unser Anliegen sein. Dafür brauchen wir gute Konzepte.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Die taugen bisher gar nichts!)

Wir haben hierfür Ansätze, aber wir müssen weitermachen. Es muss ein deutlicher Schwerpunkt sein, die Familien- und Gesellschaftspolitik mit dem Hintergrund zu gestalten: Was brauchen unsere Kinder?

In diesem Sinne haben wir, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, auch ein gemeinsames Ziel. Das erkenne ich schon an. Wir haben sicherlich unterschiedliche Konzepte, der Weg unterscheidet sich in dem einen oder anderen Fall, aber wenn wir das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlieren, wird es uns auch gelingen, uns über konkrete Maßnahmen so untereinander zu verständigen, dass unsere Kinder etwas davon haben.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Kollege Dr. Förster.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren oben auf der Zuschauertribüne, wir befi nden uns in der vorletzten Plenarsitzung vor der Weihnachtspause und einige Kolleginnen und Kollegen befi nden sich im regelrechten Stress, von einer Weihnachtsveranstaltung zur anderen hetzen zu müssen. Das ist sicherlich mit eine Begründung, warum hier im Hohen Haus die Reihen etwas gelichtet sind.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Hat eure Fraktion eine Weihnachtsfeier?)

Die Dringlichkeit des Themas ist uns allen bewusst. Wohin wir kommen: Geruch von Glühwein und Gebäck, und wenn am Tisch die Ehrengäste sitzen, steht vor uns ein kleines Tannengesteck mit ein, zwei oder drei Kerzen. An dieser Stelle wäre ich versucht zu sagen, bei uns brennen die Kerzen, in anderen Ländern brennen die Autos. Aber Gott sei Dank können wir im Augenblick auch für Frankreich ein bisschen Entwarnung geben, auch wenn die französischen Behörden gerade mit Blick auf Weihnachten mit einem erneuten – das klingt jetzt schon fast makaber – Auffl ammen der sozialen Unruhen in Frankreich rechnen.

Nun kann man treffl ich darüber streiten, warum die Jugendlichen in Frankreich so viel radikaler reagieren als die jungen Menschen bei uns. Als wir dieses Thema zuletzt anlässlich eines Dringlichkeitsantrags von uns und auch der GRÜNEN hier im Hohen Haus behandelt haben, habe ich darauf hingewiesen, dass das eher mit der Psyche und der spezifi schen Jugendkultur bei uns zusammenhängt, als mit dem Eskalationsgrad der Probleme. Denn es geht vielen Jugendlichen hier in Deutschland auch nicht besser als den Jugendlichen in Frankreich.

Wir haben erschreckende Zahlen auf dem Ausbildungsmarkt. Wir haben Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Wir haben ernsthafte Probleme bei der Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Ich habe jetzt fest mit einem Zwischenruf von Herrn Kollegen Sibler gerechnet; ich habe ihn vorhin gesehen.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Er war aber schon da, ich habe ihn schon gesehen. Denn Herr Kollege Sibler sagt immer zu mir, ich solle hier die Ergebnisse unserer Jugend-Enquete nicht vorwegnehmen und nicht immer schon glauben, die Ergebnisse unserer Jugend-Enquete zu wissen. Aber Jugend ist nun halt einmal ungeduldig. Und als jugendpolitischer Sprecher meiner Fraktion – und damit als Berufsjugendlicher – muss ich diese Ungeduld in Erwartung einer besseren Kinder- und Familienpolitik zum Ausdruck bringen.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Aber lassen Sie mich auf die Arbeit der Jugend-Enquete, deren Arbeitsklima ich an dieser Stelle ausdrücklich loben will, eingehen. Schon nach zwei, drei Sitzungen hat sich für mich gezeigt, wie wichtig diese ist, wenn wir hier in Bayern in Zukunft eine bessere Kinder-, Jugend- und Familienpolitik machen wollen, und dass wir eine regelmäßige Bestandsaufnahme machen müssen. Deswegen glaube ich, dass wir einen regelmäßigen Kinder- und Jugendbericht brauchen.

In der Arbeit der Enquete hat sich einerseits gezeigt, dass das Datenmaterial über junge Menschen in Deutschland in seiner Menge erdrückend ist, dass aber andererseits spezielle Aussagen zur Lebenssituation der jungen Generation in Bayern oftmals kaum möglich sind.

Diese Erhebung von Zahlen und Daten, am besten in Form eines regelmäßigen Kinder- und Jugendberichts der Staatsregierung, werden wir von der SPD demnächst auch in einem entsprechenden Antrag fordern. Diese Zahlen zueinander in Beziehung zu setzen, hätte für eine zukünftig bessere Kinder- und Familienpolitik zwei Funktionen:

Erstens Qualitätskontrolle: Welche Missstände hat die Enquete zutage gefördert, und wie wollen wir mit unserer Politik gegensteuern?

Zweitens Handlungsleitlinie: In welchen Bereichen haben wir die Missstände noch nicht abgebaut? Welche neuen Herausforderungen kommen auf uns zu? Ich möchte Ihnen dies am Beispiel Kinderarmut an der Frage verdeutlichen: Warum nehmen wir die Kinderarmut bei uns noch nicht gebührend zur Kenntnis? Die Kinderarmut ist in den letzten 15 Jahren um 2,7 % gestiegen. Damit liegt Deutschland im Vergleich der Industrienationen unter den Spitzenreitern. 10 % der Kinder in Deutschland leben in relativer Armut, wobei sich gerade die Armutsquote in Migrantenfamilien in letzter Zeit sogar verdreifacht hat.

Diese Zahlen müssen uns alarmieren. Diese Zahlen sagen uns deutlich, wo wir in Zukunft ansetzen müssen. Aber das ist nur die eine Seite, die wirtschaftliche Komponente Kinderarmut ist natürlich noch viel mehr. Neben der wirtschaftlichen Abhängigkeit müssen wir den Armutsbegriff um die Bereiche der physischen und psychischen Armut, auf körperliche Entwicklung, Bewegungsmangel, Ernährungsbewusstsein und Gesundheitszustand erweitern. Den Armutsbegriff müssen wir aber auch erweitern um die

kulturelle Armut durch Ausschluss von Bildung sowie um mangelnde Sprachkompetenz.

Inhalt unseres zweiten Dringlichkeitsantrages, den wir in diese Plenarsitzung eingebracht haben, sind weitere Themen wie zum Beispiel Ausbildung und Lehrstellensituation.

Soziale Armut sind mangelnde soziale Kontakte und mangelnde soziale Kompetenzen. Neben der Familie und der Schule gibt es einen Ort, an dem Kinder und Jugendliche diese Armut ganz von selbst ablegen: in der Jugendarbeit. Warum sage ich das an dieser Stelle? Weil das Schöne an der Jugendarbeit ist, dass sie durch die hohe Anzahl Ehrenamtlicher sehr kostengünstig angeboten wird.

Ich sehe, meine Redezeit ist zu Ende. Ich habe dieses Thema abschließend erwähnt, weil es für uns dadurch, dass es zurzeit noch keinen Nachtragshaushalt gibt, schwierig ist zu wissen, ob die Staatsregierung im Bereich der Jugendarbeit wieder vorhat zu sparen. Das wäre äußerst gefährlich und kontraproduktiv. Deswegen appelliere ich an die Haushälter, dass es sehr wichtig ist, hier nicht nur bestehende Gelder zu sichern, sondern nochmals aufzustocken; denn diese präventive Arbeit lohnt sich.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Stierstorfer.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute im Bayerischen Landtag über die Zukunft von Familien und Kindern sowie über die Familienpolitik diskutieren, haben wir mit dem neuen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz sicherlich die richtigen Weichen gesetzt. Es ist unser gemeinsames Anliegen. Und wir haben, was Bayern betrifft, hierfür die entsprechenden fi nanziellen Mittel bereitgestellt. Im Jahr 2003 haben wir 490 Millionen Euro für die Kinderbetreuung aufgewendet, im Jahr 2006 werden es sogar rund 565 Millionen Euro sein. Das heißt, die Mittel wurden um über 80 Millionen Euro erhöht. Ich denke, dass diese Steigerung von über 80 Millionen Euro eine großartige Leistung ist.

(Beifall bei der CSU)

Dies zeigt deutlich, dass wir uns mit diesem erhöhten Haushaltsansatz die Kinderbetreuung etwas kosten lassen. Wir haben in den Jahren 2002 bis 2006 30 000 neue Betreuungsplätze geschaffen. Wir stellen hierfür zusätzlich 313 Millionen Euro zur Verfügung, um Krippenplätze und für Schulkinder Betreuungsmöglichkeiten zu schaffen.

(Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Über 99 % der Kinder gehen in den Kindergarten.

Probleme haben wir natürlich bei der Stadt München, die, wie viele Briefe zeigen, nicht genügend Betreuungsplätze zur Verfügung stellen kann.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD))

Liebe Frau Werner-Muggendorfer, Sie haben die Sprachförderung angesprochen. Wir werden auf diesem Gebiet im Bereich der Kindergärten 160 zusätzliche Stunden schaffen

(Johanna Werner Muggendorfer (SPD): Stunden, aber kein Geld!)

in Zusammenarbeit mit der Grundschule, weil uns die Förderung der Immigranten und der Ausländerkinder, die Sprachdefi zite haben, ein großes Anliegen ist, und weil wir präventiv wirken müssen. Die Ereignisse in Frankreich zeigen, dass eine frühe Förderung der richtige Ansatz ist.

Mit dem neuen Gesetz werden auf dem Gebiet der Kinderbetreuung schwerpunktmäßig neue Formen entwickelt. In den Jahren 2002 bis 2004 sind bayernweit 8550 neue Krippen- und Hortplätze entstanden. Mit dem Gesetz, das zum nächsten Kindergartenjahr in Kraft tritt, besteht erstmals ein gesetzlicher Förderanspruch für alle Formen der institutionalisierten Kinderbetreuung. Die kindbezogene Förderung ist einfacher, zielgerichteter, gerechter und ermöglicht ein besseres Eingehen auf den individuellen Förderbedarf des Kindes.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das glauben Sie doch selber nicht!)

Ein wichtiger Punkt ist auch die Landkindergartenregelung, eine Sonderförderung für Einrichtungen im ländlichen Raum.

Liebe Frau Kollegin Ackermann, Sie haben herausgestellt, dass sich hier bei den Kindergärten etwas verschlechtere. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Landauf landab entstehen für die Kindergärten neue Konzepte. Die Kindergärten öffnen sich für Kinder im Alter von 0 bis 14 Jahren. Wir sind hier auf dem richtigen Weg, um Familien zu unterstützen und Männern und Frauen zu ermöglichen, arbeiten zu gehen. Über 62,7 % der Frauen – das ist der höchste Anteil – sind in Bayern berufstätig, und diese gilt es zu unterstützen.

(Beifall bei der CSU)

Diese Möglichkeit haben wir mit dem neuen Gesetz geschaffen.

(Beifall bei der CSU – Zuruf der Abgeordneten Heidi Lück (SPD))