Protocol of the Session on October 19, 2005

Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Der schon kaum erklärbare Antrag der CSU wird noch diffuser durch den Beitrag, den die Frau Staatsministerin hier soeben abgeliefert hat.

(Beifall bei der SPD)

Frau Staatsministerin, Sie haben im Frühsommer in diesem Haus die Vorlage eines Sozialberichtes unter anderem damit begründet, dass es keine gesicherte Datenlage zu Hartz IV gebe. Nun liegen die Daten zugrunde, die bisher kein Mensch gekannt hat und die auch nicht veröffentlicht sind. Sie sprechen von Zahlen, die angeblich vom Städtetag kommen. Sie sprechen davon, dass der Freistaat Bayern Geld, das er vereinnahmt und das nicht durch Gegenrechnung aufgesogen wird, an die Kommunen weitergibt. Im Grunde sind das Selbstverständlichkeiten, die nach dem Gesetz gar nicht anders zu verstehen sind. Wenn Sie einen konstruktiven Beitrag geleistet hätten, hätten Sie sagen müssen, dass die Ausrichtung von Hartz IV richtig war, dass es nachjustiert werden muss und dass dazu der Freistaat Bayern und der Bund einen Beitrag leisten müssen. Wenn es tatsächlich zu zusätzlichen Belastungen der Kommunen kommt, dann war daran nicht nur die Bundesregierung, sondern waren auch der Bundesrat und damit die CSUStaatsregierung beteiligt.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldung: Frau Staatsministerin Stewens.

Herr Kollege Wahnschaffe, Sie verkennen völlig, dass die alte Bundesregierung einen neuen Gesetzesantrag im Bundesrat eingebracht hat, der die Geschäftsgrundlagen, die wir hatten, völlig außer Acht lässt. Darin wurden für die Kommunen hypothetische Entlastungen bei der Sozialhilfe in Höhe von 12,92 Milliarden Euro ausgerechnet. Die Kommunen selbst sind nach der kommunalen Erhebung von 10,38 Milliarden Euro ausgegangen, sodass es um einen Differenzbetrag von 2,6 Milliarden Euro geht. Sie sollten sich deshalb mit dem Gesetzesantrag Ihrer eigenen Bundesregierung auseinander setzen. Ich bitte doch, diesen selbst zu lesen.

(Beifall bei der CSU – Christa Steiger (SPD): Wir sind doch nicht taub!)

Meine Damen und Herren, damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst kommen wir zur Abstimmung über diesen Antrag. Es geht um den Dringlichkeitsantrag der CSU „Kommunen bei der Umsetzung des SGB II entlasten“. Das ist die Drucksache 15/4110.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich bitte jetzt, die diversen Gespräche einzustellen – das gilt hier für die Regierungsbank und auch dort hinten –, sonst können wir nicht abstimmen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um ein Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Niemand. Stimmenthaltungen? – Die SPD-Fraktion. Damit ist der Antrag beschlossen.

Ich komme nun zurück zu den Anträgen im Zusammenhang mit der Warenfl usskontrolle und Lebensmitteln.

Ich lasse zunächst abstimmen – –

(Unruhe – Ulrike Gote (GRÜNE): Ich kann nichts hören! Ich habe lauter Nebengeräusche!)

Diese Nebengeräusche kommen aber auch aus Ihrem Umfeld.

Ich darf zunächst daran erinnern, dass die CSU-Fraktion für den Antrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN namentliche Abstimmung beantragt hat. Es gibt weitere Anträge, über die ich zunächst im normalen Abstimmungsverfahren abstimmen lasse.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/4113 – das ist der Antrag der CSU-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Niemand. Stimmenthaltungen? – Auch niemand. Dann ist es einstimmig so beschlossen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/4114 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich ebenfalls um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gegenstimmen? – Die CSU-Fraktion. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Bause, Dr. Dürr, Gote und anderer und Fraktion betreffend „Warenfl usskontrolle und Verbraucherinformation zum Fleischskandal“ auf Drucksache 15/4109. Dazu ist namentliche Abstimmung beantragt. Sie haben fünf Minuten.

(Namentliche Abstimmung von 12.09 bis 12.16 Uhr)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir nehmen die Sitzung wieder auf. Die Abstimmung ist abgeschlossen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich rufe den nächsten Dringlichkeitsantrag erst auf, wenn es hier im Saal wieder ruhiger geworden ist. Darf ich die Konferenzrunden hinten im Saal auch bitten, diese woanders fortzusetzen oder aufzuhören?

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abg. Franz Maget, HansUlrich Pfaffmann, Karin Pranghofer u. a. u. Frakt. (SPD) Nachtragshaushalt 2006 muss Bildungshaushalt werden (Drs. 15/4111)

und den nachgezogenen

Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bildung hat Vorfahrt – Nachtragshaushalt muss ein deutliches Signal aussenden (Drs. 15/4129)

Ich eröffne die Aussprache. Erste Wortmeldung: Herr Kollege Pfaffmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Vorfeld der Haushaltsberatungen zum Nachtragshaushalt möchte ich die Problematik an bayerischen Schulen thematisieren und zwei Sachlagen darstellen, zunächst eine kurzfristige. Vielleicht refl ektieren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, die derzeitige Lage an den bayerischen Schulen. Unabhängig davon, dass hierüber jeden Tag etwas in der Zeitung steht, darf ich Ihnen ein paar Punkte nennen. Wir haben die Situation, dass derzeit der Lehrplan nicht erfüllt werden kann. Wir haben die Situation, dass Unterrichtsstunden fehlen, um den Lehrplan an bayerischen Schulen zu erfüllen. Die Lehrerreserve ist fast vollständig verplant. In Hunderten von Schulen gibt es Klassen mit über 34 Schülerinnen und Schülern. Der reguläre Unterricht kann teilweise nicht gehalten werden; Förder- und Intensivierungsstunden stehen oft nur auf dem Papier. Die Lehrerinnen und Lehrer sind völlig überlastet. Die Motivation an den Schulen sinkt rapide. Das ist die derzeitige Lagebeschreibung.

Es gibt auch eine langfristige Lagebeschreibung. Ich darf Sie daran erinnern, dass bis zum Jahr 2010 ein Bedarf von 28 500 Lehrerinnen und Lehrern zu verzeichnen ist. Rechnet man die Zahl der heutigen Studenten zusammen, die bis 2010 in die Schule kommen, erhält man 20 000. Das heißt, in den nächsten sechs Jahren haben wir eine Unterdeckung von über 8000 Lehrerinnen und Lehrern. Sie werden im Jahr 2010 8000 Lehrerinnen- und Lehrerplanstellen nicht besetzen können. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Ich sage Ihnen das heute, damit Sie in vier Jahren nicht wieder anfangen, schönzureden und wie bisher herzurechnen, dass es passt. Man weiß heute schon, dass Sie knapp 30 % des gesamten Lehrerbedarfes 2010 nicht erfüllen werden können. Ich bin auf Ihre Konzepte sehr gespannt.

Ich möchte zwei Beispiele nennen, um zu begründen, dass Bildung in Bayern unter dem Diktat des Finanzministeriums steht. Die Verlängerung der Arbeitszeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat in den letzten zehn Jahren über 2000 Planstellen für Lehrerinnen und Lehrer erwirtschaftet. Die Lehrerinnen und Lehrer haben über 2000 Planstellen durch die Arbeitszeitverlängerung erwirtschaftet. Ihr famoser Herr Finanzminister hat von diesen 2000 Stellen, die die Lehrerinnen und Lehrer erwirtschaftet haben, 1400 einkassiert. Wer da noch sagt, in Bayern ist

der Bildungshaushalt kein Sparhaushalt, muss dies jetzt zur Kenntnis nehmen. 1400 von den Schulen erwirtschaftete Stellen hat der Finanzminister schlichtweg zur Sanierung des Haushaltes einkassiert. Daran kann man erkennen, dass Sie den Bildungshaushalt als Sparhaushalt betrachten, nicht aber als notwendige pädagogische Innovation.

An den Realschulen haben wir ein weiteres Beispiel. Dort haben wir in den letzten 15 Jahren 75 % mehr Schülerinnen und Schüler sowie 50 % mehr Klassen zu verzeichnen. Dagegen steht eine Planstellenerhöhung von knapp 30 %. Sie haben die Differenz mit größeren Klassen kompensiert. Der Klassendurchschnitt ist in den letzten 15 Jahren von 26 auf über 28 gestiegen. Sie haben das schulische Angebot eingeschränkt und die Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich belastet. Auch daran kann man deutlich erkennen, dass Sie auf dem Rücken der Schülerinnen und Schüler und der Lehrerinnen und Lehrer sparen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Susann Biedefeld (SPD): Eine bildungspolitische Bankrotterklärung!)

Ich komme zur Notwendigkeit der individuellen Förderung, die wir alle wollen. Wenn man individuelle Förderung machen will, braucht man mehr als ein Sofortprogramm zur Bewältigung der derzeitigen Lage, liebe Kolleginnen und Kollegen, ganz zu schweigen von der Abschaffung der Schulveranstaltungen. Auch hierzu muss man sagen: Um Schulveranstaltungen, ein Schulleben sinnvoll gestalten zu können, um bessere pädagogische Angebote zu machen, braucht es weit mehr als die 2000 Lehrerinnen und Lehrer, die wir heute in diesem Hause als Sofortprogramm beantragen.

Sie sagen uns immer: Wir müssen sparen. Das ist auch in Ordnung. Natürlich muss man sparen. Die Frage ist, ob man sinnvoll spart.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sparen zulasten der Schulen. Sie sparen nicht sinnvoll. Sie sparen zulasten der Schulen und verkaufen die Notwendigkeit eines sanierten Haushaltes oder eines ausgeglichenen Haushaltes als politischen Erfolg.

Ich sage Ihnen, dass das kein Erfolg, sondern ein Misserfolg ohnegleichen ist. Haben Sie sich schon einmal darüber Gedanken gemacht, wie viel es kostet, wenn 10 % der Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen? Haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, wie viel es kostet, aufgrund mangelnder Chancen und Förderung der Kinder deren Intelligenzressourcen zu verschleudern? Haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, wie viel es kostet, wenn die Arbeitsbelastung der Lehrerinnen und Lehrer dazu führt, dass sie früher pensioniert werden und wir „nachrüsten“ müssen? Das kostet mehr, als Sie meinen, und deswegen ist dieses Sparen sinnlos. Der ausgeglichene Haushalt, den Sie als Erfolg verkaufen, ist ein Erfolg auf dem Papier, kein Erfolg für die Schülerinnen und Schüler. Das ist Ihnen offenbar egal.

Da Sie die Notwendigkeit von Bildungsinvestitionen nicht sehen, sollten Sie es einmal mit Dummheit probieren. Das ist die politische Alternative, die Sie aufzeigen. Ich bin der Auffassung, dass sich Investitionen für die Bildung allemal lohnen und dringend notwendig sind.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen kann ich Ihnen nur raten und Sie nur bitten: Ziehen Sie die Notbremse, damit der Weg für die Schulen nicht weiter abwärts führt. Ziehen Sie die Notbremse, weil Sie sonst in eine katastrophale Situation schlittern. Schon heute muss Unterricht gekürzt werden, weil wir keine Lehrerinnen und Lehrer haben. Diese Tendenz nach unten geht weiter. Sie können mit dem Nachtragshaushalt eine Notbremse ziehen, wenn Sie versuchen, sofort 2000 Lehrkräfte bereitzustellen, um zumindest das Nötigste an den bayerischen Schulen sicherzustellen, damit der derzeitige Unterricht nicht verkürzt wird. Das bedeutet zwar nicht, dass kein pädagogisch sinnvoller Unterricht gestaltet werden könnte, aber die Talfahrt wird zumindest gebremst. Wenn Sie dem nicht zustimmen wollen, werden Sie die Verantwortung dafür tragen müssen, dass die Schulen ausbluten.

Zum Schluss kann ich Ihnen sagen, dass wir Verbündete haben. Ich weise darauf hin, dass alle bayerischen Lehrerverbände die Forderung der SPD-Landtagsfraktion und der gesamten Opposition im Bayerischen Landtag unterstützen, den Nachtragshaushalt unter das Motto „Schulhaushalt“ zu stellen. Alle Lehrer- und Elternverbände unterstützen dieses Vorhaben. Sie werden keine Unterstützung mehr erfahren, wenn Sie so weitermachen. Sie haben lediglich die Unterstützung Ihres Finanzministers. Ob es allerdings sinnvoll ist, die Bildung unter die Zuständigkeit des Finanzministers zu stellen, daran habe ich große Zweifel. Dass das Kultusministerium nicht in der Lage ist, die Interessen der Eltern, Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte gegenüber dem Spardogma zu vertreten, fi nde ich bezeichnend; denn das zeigt deutlich, dass Sie bei der Bildungspolitik die Kasse als wichtiger betrachten als die Förderung der Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Nöth. – Nein, Herr Kollege Dr. Waschler. Mir wurde eine andere Reihenfolge gemeldet.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Pfaffmann, Schwarzweißmalerei bringt uns nicht weiter. Ich will zu einigen Punkten nachweisen, dass die CSU-Fraktion und die Staatsregierung der Bildungspolitik nachweisbar höchste Priorität einräumt.

(Susann Biedefeld (SPD): In Worten, nicht in Taten!)

In diesem Haus wurde mehrfach dargelegt, dass Ihre dringliche Forderung, für die Bildung zu investieren, in der Vergangenheit nicht nur praktiziert worden ist, sondern auch gegenwärtig vorangebracht wird.

Der erste Punkt betrifft die Einstellung von Lehrkräften. Der Kultusminister hat anlässlich der Pressekonferenz zu Schuljahresbeginn nachdrücklich und mit großer Deutlichkeit gesagt, dass 737 Lehrerstellen mehr ausgewiesen wurden. Bayern befi ndet sich an der Spitze der Länder in Deutschland. Die Forderung nach weiteren 2000 Lehrerstellen mag Sie, Herr Pfaffmann, als den neuen bildungspolitischen Sprecher ihrer Fraktion ehren, kostet aber 120 Millionen Euro, was derzeit nicht fi nanzierbar ist. Ich sage das mit Blick auf die Gegenwart.

Zum Zweiten kann eindeutig festgestellt werden, dass die Umschichtung von Stellen der allgemeinen Verwaltung hin zu Lehrerstellen erfolgt ist. Dass in der aktuellen Ausgabe der „Wirtschaftswoche“ vom 06.10.2005 der hohe Personalkostenanteil im Freistaat Bayern als einziger großer Kritikpunkt der Politik im Freistaat – Platz 10 von 16 Ländern – gesehen wird, ist Hinweis auf die Verantwortung, der wir uns stellen, wobei Bildung eindeutig Vorrang hat.