Protocol of the Session on September 29, 2005

Außerdem stellen diese ganzen Konzepte enorm auf den Kopf ab. Sie sind rein kognitiv ausgerichtet. Sie machen Demokratie nicht erfühlbar, und es ist sehr schwer, die Jugendlichen allein mit geschichtlichen Zahlen und Sachvorträgen zu erreichen. Das kann nicht der allein selig machende Ansatz sein.

Wir müssen deshalb Demokratie- und Empathieerziehung und die Stärkung der Persönlichkeit schon sehr früh, also schon bei Kleinkindern beginnen. Zusätzlich müssen wir den Unentschlossenen, den Mitläufern und den Aussteigewilligen Angebote machen. Ich bitte Sie deshalb herzlich darum, sich diesem Ansatz zu nähern und sich vielleicht mit dem Deutschen Jugendinstitut in Verbindung setzen, weil Sie von dort wertvolle Anregungen bekommen können.

Zum Schluss möchte ich noch einen Vorfall bei der Feuerwehr in Coburg ansprechen. In vielen Gemeinden und Vereinen vor Ort fi ndet etwas statt, das ich für das eigentliche Problem halte. Das eigentliche Problem sind nicht einzelne Personen bei der NPD, ist nicht die NPD, ist nicht die DVU. Die haben wir im Blick, die können wir bekämpfen und gegen die können wir etwas unternehmen. Für viel

schlimmer halte ich es, dass das Gedankengut, das von diesen Gruppierungen teilweise verbreitet wird, hoffähig geworden ist und dass es in immer breitere Bevölkerungskreise hineinsickert. Das halte ich für das ganz große Problem.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Hier sollten wir ansetzen, um überall dafür zu sorgen, dass das unsägliche Gedankengut von Ausgrenzung, Ausländerfeindlichkeit, Hass und Verachtung keinen Fußbreit an Raum gewinnt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um ein bisschen mehr Aufmerksamkeit. Von hier oben habe ich den Eindruck, dass es rechts von mir im Augenblick etwas unruhig ist. Ich habe zwar in Anbetracht der politischen Entwicklung auf der rechten Seite dafür Verständnis, aber ich bitte doch darum, dass die Gespräche draußen geführt werden. – Als Nächster hat Herr Kollege Schwimmer das Wort.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Stahl, Sie beklagen mit Recht die Zunahme der NPD bei der letzten Bundestagswahl. Ich gehe davon aus, dass wir uns in diesem Hause darin einig sind, dass einer der Hauptgründe für die Zunahme dieses Wählerspektrums mit Sicherheit die von uns allen zu beklagende hohe Arbeitslosigkeit ist, insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit unter der Jugend. Ich möchte hier keine Schuldzuweisungen machen und nicht sagen, wer dafür verantwortlich wäre, sondern ich möchte auf die Gründe unserer Ablehnung beider Anträge zurückkommen.

Lieber Kollege Linus Förster, wir sollten den Rechtsradikalen hier kein großes Forum bereiten, auch wenn ich die Gründe, die Sie hier nennen, durchaus anerkenne. Wir können mit Fug und Recht sagen, dass dieses Thema seit Jahrzehnten an vorderster Stelle der politischen Agenda im Freistaat Bayern steht. Ich weise darauf hin, dass der Bayerische Jugendring in den Landkreisen zu diesem Thema hervorragende Arbeit leistet; erst vor kurzem wurde mir eine Einladung zugeschickt. Beispielsweise geht es am 8. November um Rechtsradikalismus, Aggression, Gewalt und Vandalismus in der Gemeinde.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Das sind sachliche und praktische Themen. Hier wird sehr viel getan. An dieser Stelle möchte ich deshalb dem Bayerischen Jugendring herzlich danken, der hier eine hervorragende Arbeit leistet.

(Allgemeiner Beifall – Dr. Linus Förster (SPD): Genau in dem Bereich fehlt dem Bayerischen Jugendring das Geld!)

Wir könnten an anderer Stelle, zum Beispiel im Ausschuss, darüber reden. Wie man eine solche Arbeit macht, ist nicht immer unbedingt eine Frage des Geldes.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Immer!)

Wir haben ein Dutzend Programme gerade für die Grundschulen. Ich möchte auf eine Zahl zu sprechen kommen, die unserer Haltung zu den beiden Anträgen Recht gibt.

Die Anzahl rechtsextremistischer Gewalttaten hat sich laut Verfassungsschutzbericht 2004 im Vergleich zu 2003 folgendermaßen verändert: Sie ist von 47 auf 42 gesunken. Natürlich sind das immer noch 42 zuviel. In diesem Punkt geben wir Ihnen Recht und sind mit Ihnen einer Meinung. Gleichzeitig möchte ich aber darauf hinweisen: Auch die Zahl der linksextremistischen Gewalttaten hat sich in Bayern von 16 auf 27 erhöht und bundesweit von 483 im Jahre 2003 auf 521 im Jahre 2004. Dies zeigt, dass wir hinsichtlich des Rechtsextremismus im Endeffekt auf dem richtigen Weg sind. Das zeigt aber auch, dass Sie die Anträge, wenn Sie sie nur auf den Rechtsextremismus abstellen, einseitig formuliert haben, während wir das gesamte Spektrum des Extremismus sehen wollten.

Sie verharmlosen den Teil, den Sie in Ihren Anträgen mit „Medien und Rechtsextremismus“ in Abschnitt II. beschrieben haben. Wir sehen in dieser Antragsformulierung eine Medienschelte, Sie werfen den Medien eine verharmlosende Berichterstattung vor. Aus unserer Sicht sind diese Vorwürfe absolut nicht zutreffend. An dieser Stelle möchte ich mich bei den Medien für die Sensibilität bedanken, mit der sie an dieses Thema herangehen. Eine Medienschelte verdient die Presse nicht, weil die Vorwürfe schlichtweg nicht stimmen.

Wir schlagen weiterhin die Ablehnung beider Anträge vor, verweisen aber darauf, dass die Thematik in der Enquetekommission für Jugend weiterbehandelt werden sollte.

(Beifall bei der CSU)

Als Letzter hat Herr Kollege Sibler das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte ausdrücklich unterstreichen, dass das grundsätzliche Anliegen dieser Anträge uns allen sehr am Herzen liegt. Es ist bereits darauf verwiesen worden, dass an Schulen und in der Jugendarbeit beim Bayerischen Jugendring, seinen Mitgliedsverbänden und bei den vielen Ortsgruppen viel geleistet wird. Gerade diese Ortsgruppen sind es auch, die die breite Stimmung mittragen und die eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung ermöglichen und gestalten können.

Man muss solche Entwicklungen, liebe Frau Stahl, wie wir sie in Coburg gesehen haben, ernst nehmen, wir müssen aber auch aufpassen, nicht vom Ausnahmefall auf den Regelfall zu schließen. Ich glaube, dass die allermeisten, die eine entsprechende Arbeit leisten, das große Lob, das Herr Kollege Schwimmer bereits ausgesprochen hat, was über alle Seiten des Hauses beklatscht worden ist, auch verdient haben.

Die Programme des Bayerischen Jugendrings, sicherlich mit Bundesmitteln entsprechend ausgestattet, sind genannt worden: CIVITAS, ENTIMON und andere Maßnahmen schaffen eine wesentliche Grundlage für dieses spannende und schwierige Thema. Ich möchte aber auch darauf verweisen, dass wir heute viele aktuelle Entwicklungen gerade im Zusammenhang mit der musikalischen Szene angesprochen haben. Man muss dabei schnell reagieren können. Es liegt nicht in der Struktur eines Programms, auf solche Entwicklungen Antwort zu geben. Ein sehr probates Mittel ist das Angebot der bayerischen Polizei mit Jugendbeamten, die viel leisten können und die sich als Ansprechpartner für die jungen Leute bewährt haben. Es ist deutlich geworden, dass an den Schulen eine entsprechende Sensibilisierung stattfi ndet: Leitfäden, Lehrpläne, Auseinandersetzungen in den Fächern Deutsch, Geschichte, Religion, Sozialkunde und natürlich auch in den Fremdsprachen, bei deren Vermittlung diese Problematik eine Rolle spielt, sind hier zu nennen. Auch die Aktivitäten der Landeszentrale für politische Bildung, die ebenso wie die Polizei, sehr schnell und unmittelbar auf kurzfristige Erscheinungen wie gerade die Musik reagieren können, sollen genannt sein.

Auch ich möchte auf die Einseitigkeit der Anträge verweisen. Wir dürfen nicht nur die rechte Szene, sondern wir müssen auch die linke Szene beobachten. Ich glaube, es wäre schlicht und ergreifend ein falsches Signal des Hohen Hauses, wenn wir einen Antrag verabschieden würden, der nur Rechtsextremismus und Rechtsradikalismus betrachtet und die linke Szene außen vor lässt.

Ich darf daran erinnern, dass immerhin auch die PDS noch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht. Wenn man sich die Zusammensetzung dieser Partei mit der kommunistischen Plattform ansieht, dann geschieht dies auch vollkommen zu Recht. Der Verfassungsschutzbericht gibt eine breite Analyse mit vor. Wunderbar ausgearbeitet ist auch, dass die Aussteigerprogramme gerade bei Rechtsextremisten funktionieren. Wenn 35 Personen aus der Szene befreit werden konnten, dann ist das ein ganz wichtiger Punkt.

Lieber Linus Förster, zwei Dinge zu dir: Das Konzept im Vorschulalter ist sicherlich auch im bayerischen Erziehungsplan mit dabei, da Toleranz, Erziehung und Erziehung zur Demokratie mit aufgegriffen werden. Die Verbindung von Schule und Jugendarbeit ist eines der Themen, das wir über das gesamte Haus sehr intensiv begleiten. Wir haben dabei Gott sei Dank eine große Akzeptanz bei den Jugendverbänden, die das Thema zunächst etwas skeptisch betrachtet haben. Ich bin sehr froh, dass die Jugendverbände jetzt diese neuen Möglichkeiten nutzen.

Dass Bayern im Zusammenhang mit den Zahlen zum politischen Extremismus relativ gut dasteht, wenn man aktuelle Entwicklungen mit berücksichtigt, konnten wir schon im Jahre 2000 im Zusammenhang mit der genannten Stellungnahme feststellen, die ein deutliches Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle aufgezeigt hat. Diese Problematik soll auch heute herausgestellt werden.

Ich denke, dass wir mit der Enquetekommission, die in diesem Hause übereinstimmend und über alle Par

teigrenzen hinweg beschlossen worden ist, insgesamt breiter aufgestellt sind, als es die Anträge zu erkennen geben. Wir haben den politischen Extremismus und das Thema Gewalt in großem Umfang aufgegriffen und liebe Frau Stahl, wir haben aber auch die Geschlechterrollen sehr breit mit aufgenommen. Auch das Deutsche Jugendinstitut, das in der Enquete-Kommission vertreten ist, kann sicher sehr wertvolle Arbeit leisten.

Ich bin der Meinung, dass wir die Thematik sachlich und in Ruhe in der Enquetekommission erarbeiten sollten. Damit sind wir sicherlich auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der CSU)

Mir liegen zwei weitere Wortmeldungen vor. Zuerst hat Frau Kollegin Stahl das Wort.

Herr Präsident! Ich möchte die Chance nutzen, die sich ergibt, weil wegen der anstehenden namentlichen Abstimmung der Saal so schön voll ist. Ich möchte eine kurze Richtigstellung bringen: Wenn ich mich recht entsinne, war es unsere Anregung, das Thema Rechtsextremismus überhaupt in die Enquetekommission mit aufzunehmen. Das zeigt, dass man sehr genau darauf achten muss, was aufgegriffen wird und was nicht.

Arbeitslosigkeit, Herr Kollege, kann – da bin ich mit Ihnen d´accord – ein Auslöser sein. Arbeitslosigkeit allein hat aber noch nie begründet, weshalb jemand rechtsextremistisch wird. Bei diesem Punkt müssen Sie ein bisschen tiefer einsteigen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Arbeitslosigkeit ist keine Ursache. Sie müssen sich einfach einmal die Studien ansehen. Ich kann Ihnen das nicht abnehmen; ich kann Ihnen hier nicht aus den Studien vorlesen.

(Unruhe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte um Aufmerksamkeit. Eine herzliche Bitte: Sie kennen die Verhältnisse in diesem Saal. Ich freue mich schon auf den neuen Saal, wenn Sie wieder weiter auseinander sitzen.

Schade, nichts mit Kuscheln.

Zur Medienpolitik – Ich werde das für das Protokoll etwas ausführlicher behandeln: Man muss sich genau ansehen, welche Verantwortung bei den Medien liegt. Die ARD/ ZDF-Medienkommission – also nicht Herr Förster, Christine Stahl oder eine sonstige Privatperson haben das erfunden – hat in einer breit angelegten Untersuchung der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlten Informationssendungen zum Thema Rechtsextremismus gründliche Analysen zum Inhalt, zur Machart, zu den Reaktionen der Rezipienten und zum latenten und manifesten Sinngehalt von Fernsehbeiträgen durchgeführt.

Das hat die Kommission getan. Wenn wir das Ergebnis, das ich Ihnen gleich bekannt gebe, aufgreifen und fordern, es müsse etwas geschehen, können Sie uns das wohl kaum verwehren.

Ergebnis war: Das Thema Rechtsextremismus erfordert eine differenzierte, hintergründige und sachgerechte Aufbereitung für die Berichterstattung im Fernsehen. Eine einseitige stereotype Darstellung zeichnet ein verkürztes Bild des Rechtsextremismus, das der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht wird. Des Weiteren, so weiter die ARD/ZDF-Medienkommission, müssen sich Fernsehjournalisten gerade beim Thema Rechtsextremismus vergegenwärtigen, dass die von ihnen produzierten Beiträge verschiedene Wirkungsebenen haben, die einer umfassenden Refl ektion im Vorfeld bedürfen. Das ist das Ergebnis dieser Forschungsgruppe. Das ist das Ergebnis von Journalisten, die gesagt haben: Wir sehen bei uns selbst großen Handlungsbedarf.

Wo darin, dass wir das Thema jetzt aufgreifen, Medienschelte liegen kann, das erschließt sich mir nicht. Das mögen Sie mit sich selber noch diskutieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn ich bedenke, dass die Journalisten in der Lage sind, auf Ihr eigenes Berufsfeld und Ihre eigenen Berufskollegen ein kritisches Auge zu werfen, dann sollten Sie das auch mit Ihrer Abgeordneten wie Frau Dodell tun, die sich nicht zu dumm und nicht zu schade ist, in der Debatte des letzten Plenums zu sagen, dass die Ausländer selber schuld seien, denn sie hätten den Fremdenhass allein durch ihre Existenz zu vertreten. Das war die Aussage von Frau Dodell. Da kann ich nur sagen: Danke, dass es so etwas wie eine differenziert argumentierende Medienkommission gibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin.

Jetzt hat Kollege Dr. Förster das Wort.

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie bitten, die Aufmerksamkeit, die dieses Thema verdient, aufzubringen. Es geht um die Bekämpfung des Extremismus von – das sage ich ausdrücklich – rechts und links. Ich möchte dazu zwei Anmerkungen machen, die nach meiner Meinung sehr wichtig sind. Sie würden, wenn Herr Innenminister Beckstein jetzt gegen den Extremismus von links oder gegen den fundamentalistischen Extremismus sprechen würde, wahrscheinlich genauer zuhören. Damit Sie an der Brisanz des Themas nicht vorbeigehen, bitte ich nochmals um Ihre Aufmerksamkeit für die zwei Anmerkungen meinerseits.

(Anhaltende Unruhe – Glocke des Präsidenten)