Protocol of the Session on June 9, 2005

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN)

Pressemeldungen zufolge hat der Staatsminister bei der Versammlung der Landkreise die Überlegung vorgetragen, Landräte, Bürgermeister und Oberbürgermeister künftig ohne Option einer Stichwahl mit einfacher Mehrheit in einem Wahlgang zu wählen.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Mit völlig überzogenen Argumenten wie „Anschlag auf die Demokratie“, „ein elementarer Eingriff in demokratische Gepfl ogenheiten“ oder auch „die politische Landkarte in Bayern würde sich zugunsten der bayerischen Mehrheitspartei verändern“ haben Sie die Diskussion angefacht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Warum macht ihr es dann nicht, wenn die Argumente so falsch sind?)

Damit haben Sie die Diskussion in eine Schiefl age gebracht, sodass eine weitere sachliche Auseinandersetzung nicht mehr als sinnvoll erscheint.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Und jetzt sind wir schuld! – Susann Biedefeld (SPD): Wir sind da völlig missverstanden worden!)

Es steht einem Parlament nicht gut an, wenn es sich ohne Auseinandersetzung mit der Materie Denkverbote auferlegt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu dem zuletzt genannten Beispiel, dass sich mit der Abschaffung der Stichwahl die politische Landschaft verändern würde, kann ich Ihnen am Beispiel meiner Person genau das Gegenteil beweisen. Bei den Kommunalwahlen 1996 erreichte von den drei Bürgermeisterkandidaten meiner Gemeinde keiner die absolute Mehrheit. Es war also eine Stichwahl erforderlich. Der Kandidat der Freien Wählergemeinschaft lag mit 36,91 % an der Spitze, und ich als CSU-Kandidatin erreichte 36,55 %. Der SPD-Kandidat schied mit 26,54 % aus dem Rennen. Bei der Stichwahl wendete sich dann das Blatt, und ich konnte mich mit knapp 51,42 % durchsetzen.

(Zurufe von der CSU: Bravo! – Beifall bei der CSU)

Lieber Herr Minister Beckstein, ich müsste also auch sagen, ich könnte kein Freund der Abschaffung der Stichwahl sein; denn dann würde ich nicht hier stehen.

(Susann Biedefeld (SPD): Sie wären dann auch nicht Bürgermeisterin!)

Die ÖDP hat bei uns im Landkreis eine Resolution eingebracht, in der sie versucht, die Staatsregierung über den

Kreistag aufzufordern, keinen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Stichwahlen einzubringen. Die Begründung, dass Landräte und Bürgermeister als Verwaltungschefs in Gebietskörperschaften eine deutlich herausgehobenere politische Position hätten als einfache Abgeordnete und deshalb eine breite Legitimierung durch eine absolute Mehrheit von großer Bedeutung sei, schlägt ja wohl dem Fass den Boden aus.

(Beifall bei der CSU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Diskussion über Beibehaltung oder Abschaffung der Stichwahl hatte eigentlich erst begonnen. Von besonderer Bedeutung – das hat der Minister auch angesprochen – wären die Ergebnisse der Verbandsanhörung und die Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände gewesen. Nachdem die Staatsregierung aber keinerlei Absicht hat, die Stichwahlen abzuschaffen, und kein entsprechender Antrag vonseiten der CSU-Fraktion vorliegt, werden wir auch die Dringlichkeitsanträge der GRÜNEN und der SPD ablehnen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Schmitt-Bussinger.

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Herrn Minister Beckstein bei einer Aussage Recht geben. Sie hatten Recht mit Ihrer Aussage, dass ich im Landkreistag dabei gewesen bin. Allerdings lasse ich mich nicht gerne als Kronzeugin für Ihre Interpretation benutzen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin Weinberger, Sie waren hingegen nicht dabei. Sie können nur vom Hörensagen her interpretieren, wie die Aussage des Ministers damals zu verstehen gewesen sein könnte. Seine Aussage war nicht als Diskussionsgrundlage gedacht. Die Aussage „Die Stichwahlen werden abgeschafft“ – das habe ich mir wörtlich als Ihre Aussage aufgeschrieben – war die Mitteilung über eine bereits getroffene Entscheidung, keine Diskussionsgrundlage für eine Anhörung.

(Beifall bei der SPD)

Das muss heute festgestellt werden, um der Legendenbildung vorzubeugen, wir würden eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände verhindern wollen, während Sie ein Verfahren hätten eröffnen wollen.

Der Ministeriumssprecher Michael Ziegler, der sicherlich nichts sagt, was der Minister nicht vorher festgelegt hat, hat auf Anfrage der „Nürnberger Nachrichten“ bestätigt, dass im Hinblick auf die nächsten Kommunalwahlen 2008 das Wahlgesetz geändert und der Stichwahlentscheid der Bürgermeister- und Landratswahlen abgeschafft werden soll. Es war nicht die Rede davon, etwa eine Anhörung der kommunalen Spitzenverbände stattfi nden zu lassen, sondern davon, dass dies beschlossene Sache sei.

Aufgrund eigener Anschauung möchte ich das Folgende ins rechte Licht rücken: Es gab keineswegs großen Applaus für die Aussage, dass die Stichwahl abgeschafft wird,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

sondern es gab bei dieser Aussage keinerlei Reaktion. Herr Minister, Sie haben Ihre Aussage sehr geschickt – das muss ich Ihnen zugestehen – in das Thema „Verlagerung der Aufgaben der Bezirke“ eingebettet, und am Ende Ihrer Ausführungen gab es sehr wohl Applaus. Dieser war allerdings zurückhaltend. Fakt ist – auf diese Fakten sind auch Sie, Kollegin Weinberger, nicht eingegangen –, dass bei einem Drittel aller Stichwahlentscheidungen der Zweitplazierte gewinnt. Das Argument, das Sie beim Landkreistag genannt haben, dass in der Regel der Sieger aus dem ersten Wahlgang gewinnt, stimmt nicht. Damit haben Sie sich nicht auseinander gesetzt. Zum Kostenargument haben Sie auch nichts gesagt, Frau Kollegin. Ich meine: Hier wird versucht, das Thema der Abschaffung von Stichwahlen, die das Innenministerium vorhatte, in ein Licht zu rücken, das den Tatsachen nicht entspricht. Sie sollten sich tatsächlich intensiv inhaltlich damit auseinander setzen, was Sie heute leider nicht getan haben.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Kamm.

Ich fi nde es schlichtweg ungehörig,

(Zurufe von der CSU: Oho!)

wenn diejenigen, die in einer Abschaffung der Stichwahlen eine Schwächung der Demokratie auf kommunaler Ebene sehen, hier als Unwissende und als Lügner bezeichnet werden, wie es von Ihnen hier getan wurde. Das ist überhaupt nicht in Ordnung. Insbesondere Bürgermeister kleinerer Parteien, die später als Sieger aus der Wahl hervorgegangen sind, hätten sich wohl ihre Kandidatur bei einem Wahlrecht ohne Stichwahl sehr intensiv überlegt; möglicherweise wären sie nicht angetreten in dem Irrglauben, dass sie keine Chance hätten. Insofern ist die Abschaffung der Stichwahl eine erhebliche Schwächung der Chancen demokratischer Parteien in Bayern.

(Beifall bei den GRÜNEN – Dr. Manfred Weiß (CSU): Ist das alles?)

Nächste Wortmeldung: Herr Staatsminister.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Schmitt-Bussinger, ich hebe hervor: Es ist selbstverständlich, dass ein Gesetzentwurf zur Änderung des Kommunalwahlrechts in die Anhörung geht. Das habe ich auch dort erklärt. Ich habe nämlich darauf hingewiesen, dass es eine große Anzahl technischer Änderung geben

wird, die im Einzelnen aus der Anhörung festzustellen seien. Ich habe erklärt, dass die Zusammenlegung mit übergeordneten Wahlen eine Rolle spielt, und als Drittes habe ich die Stichwahl angesprochen. Ich glaube nicht, dass außer Ihnen noch jemand, der bei dieser Sitzung dabei war, gedacht hat, es werde gegen alle Regeln der Geschäftsordnung der Staatsregierung ein Gesetzentwurf ohne Anhörung der kommunalen Spitzenverbände vorgelegt werden. Es ist doch selbstverständlich, dass ein Gesetzentwurf in der Vorbereitung immer erst an die kommunalen Spitzenverbände geht.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Das ist Ihr Plan, Herr Minister!)

In der Kürze der Zeit habe ich das Manuskript nicht bekommen. Ich hebe aber hervor, dass ich das nach meiner Erinnerung dort auch so gesagt habe. Ich wies auf die vielen technischen Änderungen hin, und ich habe gesagt, dass man das aus dem Anhörungsverfahren ersehen würde.

Darüber, ob der Applaus riesig oder gering war, kann man natürlich streiten. Also, mir hat er jedenfalls gereicht.

Zur Frage nach den Veränderungen: Im Jahr 2002 waren es in der Stichwahl 26,7 % bei den Bürgermeistern. 1999 – also nach den kleinen Kommunalwahlen – waren es 24,9 %. Ich weiß allerdings, dass bei den Landräten die Änderungszahlen höher waren. Um den Durchschnitt sagen zu können, bräuchte ich jetzt die genauen Zahlen. Trotzdem meine ich, dass in der Regel in drei von vier Fällen, jedenfalls bei der deutlichen Mehrheit, letztlich das herauskommt, was sich schon im ersten Wahlgang gezeigt hat.

Die Frage erscheint mir aber gegenstandslos, nachdem ich sehe, auf welche Emotionen das bei Ihnen hier stößt.

(Helga Schmitt-Bussinger (SPD): Bei Ihnen schon auch! – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Sie haben doch die Mehrheit!)

Ich wundere mich dabei nur darüber – das sage ich hier auch –, dass ich keine zehn Zuschriften zu diesem Thema aus dem Bereich der Kommunalpolitik bekommen habe,

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Warum machen Sie es denn nicht, wenn Ihre Idee so gut ist? Warum setzen Sie sie nicht um? – Weitere Zurufe – Glocke des Präsidenten)

während ich beispielsweise zum Urteil „Mehmet“ fast einen Leitzordner voll bekommen habe. Ich habe also den Eindruck, dass es die Bürger nicht ganz so entscheidend bewegt, ob sie noch einmal zur Stichwahl gehen dürfen oder nicht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Warum weichen Sie dann zurück? Warum knicken Sie ein?)

Aber, wie gesagt, wenn es um Grundsätze der Demokratie geht, sind Fragen, ob man eine Million ausgibt oder einen

Wahlgang oder mehr hat, schwer zu diskutieren. Deswegen bleibt es bei der Erklärung, dass das Thema nicht weiterverfolgt wird, auch nach dieser Diskussion, ohne dass ich sagen muss, dass mich die Argumente vom Stuhle gerissen hätten.

(Beifall bei der CSU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen.

(Unruhe)