Protocol of the Session on March 3, 2005

(Robert Kiesel (CSU): Dazu brauchen wir aber eine andere Regierung in Berlin!)

Herr Kollege Kiesel, auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. Diese Aussage ist ein wörtliches Zitat aus der Einbringungsrede des Finanzministers zum Doppelhaushalt 2002/2003 am 9. Oktober 2002. Daran sieht man, welchen abrupten Kurswechsel die CSU und der Ministerpräsident nach der Landtagswahl eingeschlagen haben. Wir müssen heute schon den Finanzminister zitieren, um sagen zu können: Das ist unsere Alternative, wir wollen Politik in Bayern so machen, wie Sie es damals formuliert haben.

Der Finanzminister begründet seinen abrupten Kurswechsel mit einem angeblichen Scheitern der bisherigen Grundsätze der Finanzplanung in der Bundesregierung. Ich zitiere:

Diese Finanzreform ist inspiriert vom Keynesianismus und fußt auf einer sehr weitgehenden Vorstellung über die Möglichkeiten, die gesamtwirtschaftliche Entwicklung über Staatshaushalte zu beeinfl ussen … Dieses Konzept ist in der Praxis in Deutschland und in allen übrigen Ländern völlig gescheitert. Darüber hinaus sind diese Vorstellungen, die für National-Ökonomien galten, in einer globalisierten Wirtschaft und in einem großen europäischen Wirtschaftsraum endgültig unwirksam.

So ein Zitat aus dem Finanzplan des Freistaats Bayern für die Jahre 2004 bis 2008.

Meine Damen und Herren von der CSU, niemand predigt heute pure keynesianische fi nanzpolitische Konzepte. Genauso falsch ist aber der längst widerlegte rein angebotsorientierte Ansatz der bayerischen Finanzpolitik.

(Beifall bei der SPD)

Die höheren Wachstumsraten im Nachbarland Frankreich, aber vor allem in den USA bezeugen dies doch. Herr Ach hat vorhin gesagt, das größere Haushaltsdefi zit der USA habe nichts gebracht. Er muss allerdings zur Kenntnis nehmen, dass die USA eine Wachstumsrate von viereinhalb Prozent haben. Also hat es doch etwas gebracht.

Die Angebotspolitik der Staatsregierung fußt auf uraltem, verstaubtem Gedankengut aus dem 18. Jahrhundert. Die Theorie von Jean Baptiste Say – das in jedem Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre enthaltene Saysche Gesetz – sagt, dass sich jede volkswirtschaftliche Güterproduktion ihre eigene Nachfrage schafft. Es kann daher niemals Mangel an Nachfrage herrschen. Die massive Unterbeschäftigung in unserem Lande beweist indessen das Gegenteil. Sachgerecht ist unserer Meinung nach eine Mischung aus Angebotspolitik und Nachfragepolitik. „Policy-Mix“ ist heute angesagt. Strukturelle Reformen bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind das eine, stimulierende Impulse der Finanz- und Haushaltspolitik der öffentlichen Hände das andere.

Sie kritisieren heute so massiv, dass unsere Vorschläge zu einer höheren Verschuldung in Bayern geführt hätten. Schlagen Sie doch die heutige Zeitung auf. Dort lese ich, dass der Ministerpräsident und Frau Merkel in einem Brief

an den Bundeskanzler vorschlagen, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Das würde einen Einnahmeausfall von 11 Milliarden Euro bedeuten. Meine Damen und Herren, das passt nicht zusammen, das ist widersprüchlich.

(Beifall bei der SPD)

Dank seiner starken exportorientierten Industrie erzielte Bayern im letzten Jahr ein Ausfuhrwachstum von 12,8 %; trotzdem betrug das Wirtschaftswachstum Bayerns nur 2,3 %. Die Binnenkonjunktur ist noch zu schwach, vom Konsum und den Unternehmensinvestitionen gehen noch zu geringe Wachstumsimpulse aus; die sinkenden öffentlichen Investitionen wirken kontraktiv, bremsen die Konjunktur, insbesondere die Bauwirtschaft. Ein ausschließlich vom Export getragener Wirtschaftsaufschwung in Deutschland und Bayern bleibt gefährdet. Nach wie vor bestehen die Unsicherheitsfaktoren steigender Rohstoffpreise, insbesondere bei Öl und Gas, des Aufwertungsrisikos des Euro und der Immobilien-Spekulationsblase in den USA und in Großbritannien.

Für einen nachhaltigen Aufschwung brauchen wir deshalb neben verstärkten Unternehmensinvestitionen und einem höheren privaten Konsum auch eine steigende Nachfrage der öffentlichen Hände. So stellt denn der Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Solow in einem Interview der „Wirtschaftswoche“ am 19. September 2004 fest:

Das deutsche Budgetdefi zit liegt zurzeit bei 3,7 % des Bruttoinlandsproduktes. Es wäre völlig verfehlt, dieses Defi zit jetzt reduzieren zu wollen. Das wäre Selbstmord.

So ein Wirtschafts-Nobelpreisträger, meine Damen und Herren! Unsere Auffassung ist: Öffentliche Haushalte – das hat auch der Finanzminister vor zwei Jahren schon gesagt – können sich nicht in erster Linie aus einem Defi zit „heraussparen“, sie müssen aus der Verschuldung „herauswachsen“.

Wir brauchen nur einmal die Haushalte anzusehen. Der Bundeshaushalt und auch unser Staatshaushalt der letzten Jahre zeigen eines deutlich: In den letzten drei Jahren 2002, 2003 und 2004 stieg die Neuverschuldung des Freistaats Bayern stärker als im Haushaltsplan vorgesehen. Man hat immer der Konjunktur nachgespart, Herr Finanzminister! Damit vollführen Sie in unseren Augen einen verheerenden fi nanzpolitischen Amoklauf.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen eine mittelfristige Konsolidierung der Ausgaben, orientiert am Wachstum des nominalen Bruttosozialprodukts. Die leicht steigende Investitionsquote im vorliegenden Haushaltsentwurf ist konjunktur- und wachstumspolitisch unzureichend.

Deshalb hat die SPD-Fraktion vor der Sommerpause ein Investitionsprogramm „Infrastruktur Bayern“ in Höhe von 2 Milliarden Euro, verteilt auf zwei Doppelhaushalte, vorgeschlagen. „Platzhaltergeschäfte“ mit den staatlichen Banken für das jetzt über 2 Milliarden Euro teure Eon-Ak

tienpaket des Freistaates oder auch eine interne, zinslose Verschuldung beim Grundstockvermögen sind Wege, um das Kurspotenzial des fl orierenden Unternehmen Eon für unseren Haushalt zu nutzen. Mit zahlreichen Anträgen in den Haushaltsberatungen haben wir Vorschläge für eine nachhaltige, zukunftsorientierte, wachstumsfördernde Politik gemacht. Schwerpunkte waren hierbei die Bildungspolitik, die Förderung von Wissenschaft und Forschung, der Erhalt des sozialen Bayerns, ein nachhaltiges Wirtschaften durch Förderung von Innovationen, eine Verbesserung der kommunalen Infrastruktur und für erneuerbare Energien. Ich will die Debatten zu den Einzelhaushalten, die wir geführt haben, nicht wiederholen.

Aber gestatten Sie mir zwei Anmerkungen zu aktuellen Problemen. Wer kostenträchtige Veränderungen im Schulsystem vornimmt wie die R 6, das G 8 und jetzt neuerdings die frühere Einschulung, ohne dabei die dringendst notwendigen Haushaltmittel bereitzustellen, versündigt sich an der Zukunft unserer Kinder und unseres Landes.

(Beifall bei der SPD)

Ein zweites Beispiel: Wenn Ministerpräsident und Justizministerin in politisch unanständiger Art und Weise den schrecklichen Mord an einem neunjährigen Buben zu unterschwelligen Vorwürfen an die Bundesregierung nutzen, sollten sie sich zuerst an die eigene Nase fassen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Klaus Wolfrum (SPD))

Denn im bayerischen Strafvollzug fehlen Hunderte von Mitarbeitern. Die Forensik in Bayern wird seit Jahren von der Staatsregierung stiefmütterlich behandelt.

(Beifall bei der SPD)

Was hat das mit dem Haushalt zu tun? – Ausbruchsichere Verwahrung Strafgefangener reicht nicht aus. Resozialisierung und Therapie sind die beste Prävention. Aber auch gesetzliche Lücken müssen geschlossen werden. Wer diese Lücken selbst über Jahrzehnte nicht gesehen hat, sollte sich vor Schuldzuweisungen an andere hüten.

(Beifall bei der SPD)

Von Ihrem durchgeknallten Generalsekretär will ich in diesem Zusammenhang gar nicht reden. Das lohnt sich nicht.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Was ist denn das für eine Wortwahl? Da sitzt doch der Präsident und reagiert nicht!)

Herr Kollege Waschler, das wiederhole ich, wenn Sie glauben, der Herr Präsident solle mich mahnen: Der Herr Generalsekretär ist durchgeknallt! Das zeigen doch seine Äußerungen, die er gegenüber dem Bundeskanzler gemacht hat. Ich wiederhole das!

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das geht doch nicht! – Gegenruf der Abgeordneten Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Der hat doch einen Sprung in der Schüssel! – Weitere Zurufe)

- Was, Sie wollen hier noch von Stil reden, wenn der Bundeskanzler mit einem Verbrecher in denselben Topf geworfen wird? Da wollen Sie noch von Stil reden? Sie sollten sich schämen für Ihren Generalsekretär, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): So geht es doch nicht!)

Aber zurück zu den Einnahmen. Wir wollen nämlich auch den Blick auf Mehreinnahmen für den Staatshaushalt nicht versäumen. Dabei geht es nicht ums Abkassieren beim Bürger, wie es die Staatsregierung durch Gebührenerhöhungen und Verlagerung der Lasten auf Städte und Gemeinden und den kommunalen Gebührenzahler praktiziert. Wir wollen einen besseren Steuervollzug, wie ihn die Rechnungshöfe von Bund und Land seit Jahren anmahnen. Ein Umsatzsteuerbetrug in Höhe von 17 bis 20 Milliarden Euro jährlich, gefördert durch mangelnde Personalausstattung in den Finanzämtern, ist ein Skandal, der zum Himmel stinkt. Nicht akzeptabel ist auch die nachlässige Besteuerung von Zinseinkünften aufgedeckter anonymer Kapitaltransfers ins Ausland durch bayerische Finanzbehörden, so ein Bericht des Bundesrechnungshofes. Die Heranziehung krimineller Einkommen für den Fiskus scheitert häufi g an mangelnder Koordination von Justiz, Polizei und Finanzbehörden, so ebenfalls der Bericht des Bundesrechnungshofes. Gestern war wieder in der Presse von einem Bericht des Bundesrechnungshofes zu lesen, in dem es ebenfalls um Mängel im Kampf gegen die Schwarzarbeit ging, zurückzuführen auf fehlende Koordination zwischen dem Zoll und den Finanzbehörden. Das muss abgestellt werden. Wir müssen bei den Staatshaushalten schließlich auch die Einnahmeseite sehen. Es geht nicht an, dass kriminelle Einkommen nicht zur Steuerzahlung herangezogen werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen aber auch sparen, wo es sinnvoll ist, etwa durch die Verkleinerung des „Münchner Wasserkopfs“: Wir leisten uns in Bayern die größte Landesregierung der Republik und die höchsten Kosten auf der politischen Leitungsebene,

(Manfred Ach (CSU): Stimmt nicht!)

nämlich 4141 Euro pro Einwohner. In Nordrhein-Westfalen sind es 3003 Euro pro Einwohner.

Wenn Sie sagen, das stimme nicht, wenden Sie sich bitte an den Obersten Rechnungshof. Das sind dessen Zahlen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Manfred Ach (CSU))

Wir wollen ferner durch vernünftige Verwaltungsreformen sparen. Das heißt: Erst eine Aufgabenüberprüfung und kritik, dann die Planung der Strukturen mit Kosten-Nutzen-Analyse, und zuletzt kommt die Umsetzungsphase – nicht umgekehrt, wie bei der Huberschen Vorgehensweise in der Verwaltungsreform. Wir wollen ferner sparen durch wirtschaftlichen Einsatz der Informationstechnologie. „Das digitale Elend“ nennt der „Münchner Merkur“ das Computerchaos in der Staatsverwaltung. Die Feststellung des Bayerischen Obersten Rechnungshofs in seinem neuesten Bericht, dass die Personalverwaltung der rund 338 000 staatlichen Bediensteten derzeit mit 16 verschiedenen Systemen arbeitet – 16 verschiedene Systeme! –, ist für eine Staatsregierung, die ständig von Hightech redet, ein Armutszeugnis. Ein verstärkter Einsatz von OpenSource-Software, so der Bayerische Oberste Rechnungshof in seinem letztjährigen Bericht, würde Kosteneinsparungen in zweistelliger Millionenhöhe bringen. Die in der Staatskanzlei in der Verantwortung von Erwin Huber initiierten IT- und Medienprojekte fl oppten ohnehin auffallend häufi g. Ich nenne nur die Stichworte „Baynet“, die Medienagentur „GotoBavaria“ oder den Virtuellen Campus Bayern. Da hätte man in der Vergangenheit sparen können; stattdessen hat man für die Hobbys von Minister Huber Spielgeld verteilt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Ach, Sie sind sehr stark auf die Finanzpolitik des Bundes im Verhältnis zu Bayern eingegangen. Ich will das jetzt auch tun. Ich möchte aber auch über die Finanzpolitik gegenüber den Kommunen sprechen. Ministerpräsident, Staatsregierung und CSU-Fraktion geben sich tief besorgt um die fi nanziellen Belastungen künftiger Generationen, bemühen christliche Grundsätze und überhöhen ihre Finanzpolitik mit ethischem Pathos. Das kann man schon mal tun. Aber diese moralischen Grundsätze gelten offenbar nur für die Haushaltspolitik des Freistaats. Die wachsende Verschuldung unserer bayerischen Kommunen bereitet der Staatsregierung hingegen offenbar wenig Kummer. Massive Kürzungen insbesondere bei der Investitionsförderung – für ÖPNV und Gemeindestraßen, kommunalen Hochbau, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Krankenhausbau –, erhöhen zwangsläufi g die Schuldenlast unserer Städte, Landkreise und Gemeinden. Zugesagte Fördermittel in Milliardenhöhe werden den Kommunen vorenthalten. Allein bei den bis Ende letzten Jahres versprochenen Zuschüssen für Wasser- und Abwasseranlagen gibt es einen Förderstau von über 600 Millionen Euro.

Die CSU vernachlässigt – Kollege Dupper wird darauf noch näher eingehen – in unverantwortlicher Weise unsere bayerischen Kommunen.

(Beifall bei der SPD)

Geradezu hemmungslos aber sind die fi nanziellen Forderungen gegenüber dem Bund, abgesehen davon, dass die Landwirtschafts-, Umwelt- und Verkehrspolitik im Land zu einem hohen Anteil mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt und Geldern der EU gemacht wird.

(Manfred Ach (CSU): Konnexitätsprinzip!)

Herr Kollege Ach, im Jahr 2004 hat der Bund nach Auskunft der Obersten Baubehörde von gestern den höchsten Betrag für Bundesfernstraßen in Bayern in der Geschichte der Republik ausgegeben. Es handelt sich um 924 Millionen Euro.

(Beifall bei der SPD)