Protocol of the Session on December 16, 2004

Viertens. Ein Systemwechsel bei der Umsatzsteuer setzt voraus, so jedenfalls wurde mir von Experten gemeldet, dass die 6. EU-Richtlinie zur Mehrwertsteuer geändert wird, wozu wiederum Einstimmigkeit notwendig ist. Angesichts der Tatsache, dass auch die EU-Kommission sagt, sie sei sehr skeptisch gegenüber Systemänderungen, und alle Länder – nicht nur Deutschland – auffordert, sie sollten eine stärkere Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs im jeweiligen bestehenden System durchführen, ist auch die Umsetzung sehr fraglich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schon die paar Kritikpunkte zeigen, dass es naiv ist zu glauben, man könnte allein oder auch nur vorrangig mit dem Systemwechsel bei der Umsatzsteuer den Umsatzsteuerbetrug wirksam bekämpfen. Damit sind wir aber unmittelbar bei der Frage, was dieser Dringlichkeitsantrag hier und heute überhaupt soll. Warum wollen Sie hier und heute für die Teilnahme an einem Planspiel vom Landtag gelobt werden?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Beantwortung dieser Frage kommen wir näher – und Herr Schieder hat dankenswerterweise darauf schon hingewiesen –, wenn wir uns die Debatte um den Einzelplan

des Finanzministers bei den Beratungen zum Doppelhaushalt noch mal kurz zu Gemüte führen. Jeder weiß, dass ohne eine konsequente Umsetzung der vorhandenen gesetzlichen Regelungen keine Fortschritte bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs erzielt werden können. Für diese Umsetzung sind in erster Linie die Länder gefordert, ihre Anstrengungen deutlich zu erhöhen. Das ist die Hauptaufgabe, Herr Meyer, von Ihnen und Ihrem Chef, der Sie bisher aber nicht ausreichend nachkommen.

Das entlarvt aber den heutigen Antrag der CSU-Fraktion als Selbstlob, als ein Gauklerstück – nennen wir es einmal so. Sie wollen gegenüber der Öffentlichkeit eigenes Handeln bei einem ganz eklatant vorhandenen Problem vorgaukeln, Sie täten etwas zur Bekämpfung des Steuerbetrugs, wo Sie in Wirklichkeit gar nichts vorzuweisen haben. Das allein ist der Sinn Ihres Antrags.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ein wichtiger Experte, liebe Kolleginnen und Kollegen, zu diesem Thema meinte unlängst, um kriminelle und mafiöse Strukturen zu bekämpfen, müsse vor allem für eine entsprechende Personalausstattung gesorgt werden. Lieber Herr Meyer, wer so etwas Wichtiges und Richtiges sagt, den sollten Sie eigentlich befördern. In diesem Fall geht das nicht, denn der Experte, der das sagte, ist Ihr eigener Amtsleiter im Finanzministerium. Der Amtschef des bayerischen Finanzministeriums betont, dass eine gute Personalausstattung notwendig wäre und das A und O beim Steuervollzug ist. Es ist wahr: Bayern braucht diese ausreichend ausgestattete und motivierte Finanzverwaltung zur Durchsetzung des Steuerrechts im Allgemeinen ebenso wie zur Bekämpfung des Umsatzsteuerrechts im Besonderen. Die Wirklichkeit in der bayerischen Finanzverwaltung sieht anders, nämlich trostlos aus.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Der nach bundesweit einheitlichen Kriterien ermittelte Fehlbestand in der bayerischen Finanzverwaltung betrug im Januar 2000 bereits 1200 Beschäftigte. Seither ist weiter gekürzt worden bei gleichzeitig gestiegenen Anforderungen. Deshalb können mit der bisherigen personellen Ausstattung drei zentrale Aufgaben der bayerischen Finanzverwaltung nicht im erforderlichen Maß erfüllt werden.

Erstens. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden demotiviert, ihnen werden Aufstiegsmöglichkeiten vorenthalten. – Sie kennen die Situation.

Zweitens. Eine ordnungsgemäße Besteuerung ist kaum möglich, weil wegen der eklatanten Unterbesetzung viele notwendige Überprüfungen nicht mehr nach Maßgabe der Gesetze erfolgen können. Sie finden stattdessen im Rahmen der so genannten gewichteten Arbeitsweise statt. Eine gleichmäßige Festsetzung und Erhebung der Steuern ist somit nicht mehr gewährleistet. Die Steuergerechtigkeit bleibt auf der Strecke.

Drittens – und das ist unsere zentrale Kritik. Bayern muss den Personalabbau in der Finanzverwaltung teuer bezahlen. Die Umsatzsteuersonderprüfung findet nur in Ausnahmefällen statt. Weniger als 1 % der Unternehmen werden geprüft, weil das Personal an allen Ecken und Enden fehlt. Im Übrigen erhöht sich aus dem gleichen Grund auch bei Betriebsprüfungen der Prüfungsturnus ständig. Es ist also nicht so, als sei die Situation bei der Umsatzsteuerkontrolle das Einzige, wo es in Bayern hakt. Dabei erzielen Umsatzsteuersonderprüfer, Betriebsprüfer und Auslandsprüfer pro Jahr und Prüfer ein Mehrergebnis von mehreren Millionen Euro.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist vor allem die viel zu dünne Personaldecke im bayerischen Finanzministerium, es sind Mängel bei der Personalausstattung, bei spezifischen Qualifikationen, bei der organisatorischen Ausgestaltung und zum Teil auch bei der technischen Ausrüstung, die eine ordnungsgemäße Durchsetzung und Durchführung des Steuerrechts in Bayern zum Schaden des bayerischen und des deutschen Staatshaushalts verhindern. Für dieses Chaos trägt der bayerische Finanzminister die politische Verantwortung.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und des Abgeordneten Werner Schieder (SPD))

In der Behebung dieser eklatanten bayerischen Missstände – wie gesagt, es geht nicht um Peanuts, sondern um dreistellige Millionenbeträge, vielleicht sogar einstellige Milliardenbeträge – liegen die zentralen Lösungen dafür, dass es in Bayern auf der Einnahmenseite wieder eine vernünftige Struktur gibt. Sie liegen nicht in einem Planspiel zum Reverse-Charge-Modell, das ohnehin stattfindet. Das Problem ist dringlich, Ihr belangloser Antrag ist es nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Vor diesem Hintergrund werden wir uns – und da ist durchaus noch vorweihnachtliche Güte dabei – beim Antrag der CSU der Stimme enthalten, dem SPD-Antrag, der sich deutlich ernsthafter mit den hausgemachten Finanzproblemen in Bayern beschäftigt, werden wir zustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Staatssekretär Meyer.

Sehr verehrter Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich die Kritik der Kollegen Schieder und Hallitzky an der Person des Herrn Finanzministers in aller Entschiedenheit zurückweisen. Eingangs darf ich feststellen: Fast alle Maßnahmen, die in den letzten Jahren ergriffen wurden, gehen auf die Arbeitsgruppe in Bayern zurück. Bayern hat in vielen Bereichen die Vorreiterrolle übernommen. Ich erinnere daran, dass das Risikomanagementsystem zusammen mit Nordrhein-Westfalen entwickelt wird.

(Zuruf des Abgeordneten Joachim Wahnschaffe)

Für die Software der Steuerverwaltung hat Bayern die Führungsrolle auch beim neuen Konzept übernommen. Auch dies sollte einmal deutlich angesprochen werden.

Kollege Schieder hat vor allem die Personalausstattung angesprochen. Der Herr Finanzminister und auch ich haben im Haushaltsausschuss dazu klar Stellung bezogen aber der Kollege Schieder will es heute noch einmal im Plenum hören. So wurde die Betriebsprüfung seit dem 01.01.1996 um 150 Kräfte, die Steuerfahndung um 140 Kräfte aufgestockt. Die betriebsnahe Veranlagung und die Umsatzsteuersonderprüfung wurden seit dem 01.01.1997 um 100 bzw. 80 Kräfte verstärkt.

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Kollegen Wörner?

Herr Präsident, ich möchte meine Gedanken im Zusammenhang darstellen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das wird aber schwierig werden!)

Um qualifiziertes Personal gewinnen zu können, wurden herausgehobene Dienstposten in die A 12-Bewertung einbezogen. Mit dieser Maßnahme konnten wir die Ermittlungstätigkeit der Steuerverwaltung insbesondere auch vor Ort erheblich stärken. Hier kann man sicher nicht von einer Schaumschlägerei reden, Herr Kollege Schieder!

In den nächsten Jahren wird ein weiterer Ausbau der Prüfungsdienste angestrebt. Das wird durch die zusätzlich ausgebildeten Kräfte, die ab 2004 ihre Ausbildung abschließen, ermöglicht. Zusätzlich wurden aufgrund der Terroranschläge in den USA im Jahr 2002 bei den Sicherheitsbehörden neue Stellen geschaffen. 50 neue Stellen entfielen hierbei auch auf die Steuerverwaltung. Damit wurden zwei Sonderprüfgruppen „Geldwäsche“ eingerichtet. Diese Sonderprüfgruppen werden täglich bei der Verfolgung von Steuerstraftaten eingesetzt, etwa wenn sich Zusammenhänge mit Geldwaschdelikten, illegalen Finanzströmen, terroristischen Aktivitäten oder organisierter Kriminalität abzeichnen. Sie arbeiten also auch eng mit der Staatsanwaltschaft und dem Landeskriminalamt zusammen. Im Rahmen der so genannten Vorfeldermittlungen zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle gehen die Sonderprüfgruppen Hinweisen aus dem Bereich der Finanzämter selbst oder von der Polizei nach.

Herr Staatssekretär, mir liegt erneut eine Anfrage vor, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Schieder zulassen –.

Herr Kollege Schieder, bitte.

Herr Staatssekretär, würden Sie vielleicht hier nicht nur die halbe Wahrheit, sondern die ganze Wahrheit erzählen? Sie rechnen uns hier vor, wo an einzelnen Stellen aufgestockt wurde – übrigens jenseits der Frage ob diese Stellen auch tatsächlich besetzt sind, von Leuten also, nicht nur auf dem Papier. Wenn Sie das hier schon vorrechnen, dann sollten Sie uns auch auf der

anderen Seite aufzeigen, wo Sie Stellen abgebaut haben. Denn per Saldo sind die Stellen drastisch weniger geworden.

Herr Kollege, ich habe dargestellt, wo wir im Personalbereich verstärkt haben. Ich bitte Sie auch die Protokolle der Beratungen hier im Plenum, insbesondere aber der Beratungen zum Einzelplan 06 nachzulesen. Dort haben wir dies schon deutlich dargestellt –. Herr Kollege Sackmann hat die Ausfälle auch mit Zahlen beziffert, was ich nicht wiederholen möchte. Der Vorsteuerabzug ist ein systembedingtes Risiko. Ich darf hier kurz ansprechen: 5 Milliarden Euro Ausfälle sollen im Jahr 2003 in Deutschland allein durch „Karussellgeschäfte“ verursacht worden sein. Von einem Karussellgeschäft wird gesprochen, wenn Waren im Kreis gehandelt werden und dazwischen immer wieder die Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt abgeführt wird. Ich glaube, auch dieser Bereich sollte verstärkt angegangen werden. Deshalb gibt es dazu auch schon Überlegungen aus unserem Hause. Mit verschiedenen gesetzlichen Maßnahmen, die zum großen Teil von der bayerischen Finanzverwaltung initiiert wurden, ist der Gesetzgeber bisher gegen den Umsatzsteuerbetrug vorgegangen. Die gesetzgeberischen Maßnahmen im bestehenden Umsatzsteuersystem sind damit inzwischen nahezu ausgeschöpft und allenfalls in Randbereichen noch ergänzungsfähig. Dies zeigen auch Erfahrungen der anderen EU-Mitgliedstaaten.

Eine echte Wende beim Umsatzsteuerbetrug kann wohl nur durch einen Systemwechsel erreicht werden. Kollege Sackmann hat die Modelle heute bereits angesprochen. Gerade beim Reverse-Charge-Modell finden im zwischenunternehmerischen Bereich grundsätzlich keine umsatzsteuerbedingten Zahlungsbewegungen statt. Die Steuerschuld wird auf den Leistungsempfänger verlagert und dieser braucht wegen seiner Berechtigung zum Vorsteuerabzug im Regelfall keine Umsatzsteuer mehr an das Finanzamt abzuführen. In diesen Fällen wird auch in der Rechnung keine Umsatzsteuer offen ausgewiesen, was zur Folge hat, dass eine missbräuchliche Geltendmachung von Vorsteuer nicht möglich ist und der Fiskus zum Beispiel in Insolvenzfällen dem Leistungsempfänger keine Vorsteuerbeträge erstatten muss, die er beim zahlungsunfähigen Leistenden nicht mehr beitreiben kann. Die derzeitigen realitätsnahen Planspiele zeigen es.

Der bayerische Finanzminister hat zusammen mit seinem Kollegen aus Rheinland-Pfalz kürzlich die beauftragte Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungskanzlei hier in München besucht. Beide waren davon überzeugt, dass man hier auf einem guten Wege ist. Von der bayerischen Finanzverwaltung werden drei Mitarbeiter abgestellt, die ihre langjährige Praxiserfahrung in diese Arbeitsgruppe mit einbringen können. Wir werden etwa in einem halben Jahr das Ergebnis dieses Planspiels vorliegen haben. Dann wird es entsprechend bewertet werden. Da ein generelles neues Verfahren ohne eine Änderung des EURechts nicht möglich ist, müssen vor einem Systemwechsel auch die EU-Kommission und die anderen Mitgliedstaaten hiervon überzeugt werden. Ich möchte deutlich machen, dass gerade die Länder, allen voran auch Bayern und unser Finanzminister,

(Werner Schieder (SPD): Jetzt übertreibe halt nicht gar so!)

die treibende Kraft in diesem Verfahren sind.

Gerade von Bayern wird zusammen mit den anderen Ländern dieses Thema engagiert angegangen. Insbesondere wegen der Probleme bei der Durchsetzung des Modells auf EU-Ebene hat das Bundesfinanzministerium die Idee der generellen Ist-Versteuerung mit Cross Check vorgestellt. Wegen des sehr hohen Überwachungsaufwandes dieses Verfahrens – umfassender Abgleich aller Umsatzsteuerdaten bei leistenden und leistungsempfangenden Unternehmen – stehen die Länder dem Modell des Bundesfinanzministeriums skeptisch gegenüber. Dieses Modell wird derzeit in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auch unter Beisein von Rheinland-Pfalz und Bayern, unter Beteiligung des Bundesamtes für Finanzen und des Bundesrechnungshofes unter Einbeziehung der wichtigsten Wirtschaftsverbände diskutiert und weiterentwickelt. Anschließend soll eine Machbarkeitsstudie die Handhabbarkeit einer derartigen Regelung in der Praxis untersuchen. Die Studie soll etwa Mitte 2005 beginnen und ein Jahr andauern.

Parallel zu diesen Überlegungen über einen Systemwechsel werden weitere Möglichkeiten gesucht und geprüft. Wir werden dafür sorgen, dass Bayern die weitere Entwicklung der Reformüberlegungen aktiv begleitet und weiterhin einen wesentlichen Beitrag gerade zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs leistet. Bayern wird seiner Vorreiterrolle in Deutschland gerecht werden.

(Beifall bei der CSU)

Mir liegt keine weitere Wortmeldung vor. Damit ist die Aussprache zu diesem Antrag geschlossen.

Ich gebe zunächst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag des BÜNDNISSES 90 / DIE GRÜNEN, Drucksache 15/2412, bekannt: Mit Ja stimmten 44 Abgeordnete, mit Nein 79, 1 Enthaltung.

(Margarete Bause (GRÜNE): Das war der Schneider! – Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der Dringlichkeitsantrag ist damit abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 5)

Ich komme zur Abstimmung über die beiden gerade beratenen Anträge. Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/2375 – das ist der Antrag der Fraktion der CSU – die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die Fraktionen der CSU und der SPD. Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Das ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Antrag angenommen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/2407 – das ist der Antrag der Fraktion der SPD – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um sein Handzeichen. Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN. – Ich mache darauf aufmerksam, dass nur abstimmen kann, wer im Bereich der Abgeordneten sitzt. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion der CSU. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Ich rufe auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Susann Biedefeld, Christa Steiger, Wolfgang Hoderlein und anderer und Fraktion (SPD) Zu hohe Schadstoff-Einträge in Oberfranken (Drucksache 15/2376)