Protocol of the Session on December 14, 2004

(Beifall bei der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Erzählen Sie nicht immer den gleichen Schmarrn!)

Ob ich die Tims-Studie hernehme, die Iglu-Studie, die Pisa-I-Studie – von der Pisa-II-Studie können wir es noch nicht genau sagen: Alle Studie haben dies eindeutig und klar gezeigt.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Herr Kollege Dürr, hören Sie bitte erst einmal zu, bevor Sie wieder so unqualifiziert dazwischen schreien. Nach der Pisa-Studie E, dem Ländervergleich, ist der Anteil der Risikoschüler in Bayern signifikant geringer als im Durchschnitt der anderen Bundesländer.

(Margarete Bause (GRÜNE): Ist er nicht! Er ist höher!)

Er ist signifikant geringer als im Durchschnitt Deutschlands. Die Schüler mit Migrationshintergrund – so die Pisa-E-Studie – werden in Bayern deutlich besser gefördert. Das zeigt sich an den Ergebnissen.

(Margarete Bause (GRÜNE): Ein Viertel bleibt ohne Abschluss!)

Es zeigt sich, dass die Leseleistung der Kinder mit Migrationshintergrund in Bayern besser ist als der Durchschnitt der Leistungen der gesamten Schülerschaft Deutschlands, also von deutschen und auch von Schülern mit Migrationshintergrund zusammen.

(Margarete Bause (GRÜNE): Ein Viertel bleibt ohne Abschluss!)

Und was noch entscheidend ist: Es gibt Länder, in denen die Leseleistung der deutschen Schüler schlechter ist als die der Kinder mit Migrationshintergrund in Bayern.

Wenn Sie nun die Aussage treffen, dass allein das Bildungssystem Schuld trage, dann frage ich mich, warum Sie nach wie vor Ihrer Ideologie nachhängen und uns ein System aufdrängen wollen, das in den Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen, gescheitert ist.

(Beifall bei der CSU – Margarete Bause (GRÜNE): Buh!)

Die Integration und die Förderung der Schüler mit Migrationshintergrund – so die Aussage von Pisa – gelingen in Bayern besser als in anderen Ländern. Trotzdem, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind weitere Anstrengungen notwendig. Auch das haben wir als Konsequenz der Pisa-Studie deutlich gemacht und im Landtag bereits diskutiert. Wir haben es allerdings nicht nur diskutiert, sondern bereits die ersten Schritte – ich denke, es sind gewaltige Schritte – eingeleitet. Da ist in erster Linie die Betonung der frühen Förderung vor allem der Sprache als Schlüsselkompetenz. Hier müssen wir die Kompetenzen erhöhen, damit die jungen Menschen sowohl für die Schule als auch für den Beruf, also letztendlich für ihr Leben, die Chancen haben, die sie brauchen. Das beginnt im Kindergarten und wird in den Schulen fortgeführt werden. Ich erinnere an die Einführung der Sprachlernklassen und auch an den Beschluss der Bayerischen Staatsregierung, den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht abzubauen, nicht aber, um Geld einzusparen, sondern um diese Mittel gezielt in die Deutschförderung mit hinein zu nehmen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist pädagogischer Unsinn!)

Wir werden auch künftig unser Förderangebot überprüfen müssen, ob es zielgenau und zielgerichtet die richtigen Schwerpunkte setzt. Frau Kollegin Bause, natürlich ist nicht jeder Schüler allein schuld. Aber so zu tun, als ob der Schüler überhaupt keinen Einfluss auf das habe, was er in der Schule leistet, kann man auch nicht so einfach behaupten.

(Beifall bei der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist doch primitiv, was Sie da sagen!)

Wir müssen in vielen Bereichen – das sage ich ganz deutlich – ein Bewusstsein schaffen, dass Bildung wertvoll ist, und wir müssen auch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Bildung in der Schule einerseits Anstrengung bedeutet, dass sich eine solche Leistung andererseits aber lohnt. Dazu müssen wir vielleicht noch intensiver als bisher auch die Familien informieren und unterstützen. Und wir müssen vor allem auch die Eltern mit Migrationshintergrund auf diese Tatsache hinweisen. Ich möchte nur ein Zitat bringen, das in einem deutsch-türkischen Dialog in der Körber-Stiftung des DGB gefallen ist, von dem ehemaligen Staatssekretär im Schulministerium NordrheinWestfalens, Dr. Meyer-Hesemann. Er hat gesagt:

Heute ist es offenbar ein neuer Trend junger türkischer Männer der zweiten und dritten Generation, sich ihre Frauen wieder aus ihrem eigenen ehemaligen Heimatland zu holen. Ganz bewusst wollen sie sehr traditionalistisch eingestellte Frauen haben, damit die Kinder auch so erzogen werden, die dann natürlich auch im Haus festgehalten werden, nicht herausgelassen werden, und die deutsche Sprache nicht mehr lernen.

Das ist ein wichtiges Thema. Wir müssen mit den türkischen Familien ins Gespräch darüber kommen, wie notwendig es ist, dass ihre Kinder die deutsche Sprache lernen und dass auch zuhause die deutsche Sprache gepflegt wird. Denn nur so haben diese Kinder und Jugendlichen gute Bildungschancen in Deutschland.

(Beifall bei der CSU)

Frau Kollegin Bause, Bildungserfolg ist nach unserem Verständnis nicht allein und vor allem nicht nur am Anteil der Gymnasialeintritte und der Gymnasialabschlüsse zu messen.

(Margarete Bause (GRÜNE): Aber am Anteil derer, die die Schule ohne Abschluss verlassen!)

Wir betonen die Gleichwertigkeit der beruflichen Bildung und der allgemeinen Bildung; Zukunfts- und Lebenschancen lassen sich auch an der Zahl der Jugendarbeitslosigkeit messen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Wenn alles so toll ist, warum dann der Brief an Stoiber?)

Und dann schaue ich in die Länder. Wer ist in Bayern verantwortlich und wer ist woanders verantwortlich?

Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Bayern geringer,

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Stoiber haben Sie geschrieben, weil alles so toll ist?)

mein Gott, das ist lästig, aber man muss es über sich ergehen lassen; es ist schon lästig! –

als in allen Ländern, in denen Sie Verantwortung tragen.

(Anhaltende Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Sie ist auch geringer als in denjenigen Ländern, die andere Schulsysteme haben. Schauen Sie nach Frankreich mit seinem Gemeinschaftsschulsystem. Dort ist die Jugendarbeitslosigkeit nicht geringer, die Zukunftschancen der jungen Menschen sind nicht besser als in Deutschland.

Oder schauen Sie nach Skandinavien. Wir waren in Schweden, und ich habe dort auch mit Mats Ekholm gesprochen. Natürlich wissen wir, dass es in Schweden sehr viele Gymnasiumsabgänger gibt, das aber auch deshalb, weil die Schweden keine berufliche Bildung in unserem Sinn kennen. Die berufliche Bildung findet in Schweden am Gymnasium statt. Aber ein Studium ergreifen in

Schweden prozentual auch nicht mehr Jugendliche als in Deutschland, und die Jugendarbeitslosigkeit ist in Schweden mindestens so hoch wie bei uns. Herr Ekholm sagte auch: Trotz dieser dreißig oder vierzig Jahre Gemeinschaftsschule ist es uns nicht gelungen, soziale Disparitäten so abzubauen, wie wir es uns gewünscht haben. – Das sind die Tatsachen, daran sollten Sie sich auch erinnern.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Die sind ja kilometerweit von uns entfernt! – Anhaltende Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich habe deutlich gesagt: Wir werden konsequent den Weg der frühen und der begabungsgerechten Förderung weitergehen und die Durchlässigkeit ausbauen. Sie tun so, als wäre das Gymnasium das Ziel aller Träume. Bei uns gilt die Maxime: Kein Abschluss ohne Anschluss – jeder Realschüler kann über die Fachoberschule oder über die Berufsoberschule den Hochschulzugang erwerben; jeder Hauptschüler kann über die M-Klasse oder über die Berufsausbildung und die Berufsoberschule den Hochschulzugang erwerben. Als Geselle und Meister kann jeder eine gut qualifizierte Ausbildung absolvieren; auch dieser Weg gibt die Möglichkeit, ein Hochschulstudium zu ergreifen, wenn der Betreffende dazu die entsprechende Leistungsbereitschaft und den entsprechenden Einsatzwillen hat. Wir werden diesen Weg weitergehen und die Sprachförder- und Ganztagsangebote ausbauen. Die Rezepte, die Sie uns vorschlagen und die in den Ländern schon gescheitert sind, in denen Sie regieren, sollten wir nicht übernehmen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Maget.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle Ergebnisse der internationalen Untersuchungen, die wir in den letzten Jahren bekommen haben – Pisa I, Pisa II, die OECD-Studie –, führten zu heftigen bildungspolitischen Diskussionen, zu unterschiedlichen Interpretationen, zu verschiedenen, oft gegensätzlichen Antworten. Das finde ich gar nicht so schlecht, weil unser Land eine intensive bildungspolitische Diskussion braucht und weil wir vor allem endlich einen bildungspolitischen Aufbruch in unserem Land benötigen.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen keine schulpolitischen Sonntagsreden, sondern konkrete bildungspolitische Verbesserungen an unseren Schulen und an unseren Bildungseinrichtungen. Das Problem ist, dass die CSU, die Staatsregierung und das Kultusministerium bis zum heutigen Tag die Augen vor den bildungspolitischen Missständen und Versäumnissen in unserem Land verschließen. Sie rechnen sich gesund, und Sie reden die Dinge schön. Mit der Wirklichkeit wollen Sie lieber nicht belästigt werden. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass erst heute Nachmittag wieder Eltern aus dem Landkreis Miesbach zum Ministerpräsidenten gehen, um sich darüber zu beschweren, dass die Klagen von über 6000 Eltern vom Kultusministerium nicht

einmal beantwortet werden, dass nicht einmal eine Eingangsbestätigung für die Klagebriefe ergeht.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Unerhört!)

Das ist ein Ausmaß an Arroganz, an Überheblichkeit und an schulpolitischer Blindheit, das nicht mehr zu überbieten ist.

(Beifall bei der SPD)

Wenn Sie sich mit den Realitäten an den Schulen

(Dr. Heinz Kaiser (SPD): Zurücktreten!)

und mit den Ergebnissen von Pisa ernsthaft beschäftigen und auseinandersetzen wollen, müssen auch Sie erkennen, dass wir mehr für Bildung und Ausbildung unserer Jugend tun müssen, dass wir mehr finanzielle Mittel für die Bildung, für mehr Lehrer und für kleinere Klassen ausgeben, und so mehr individuelle Förderung erreichen müssen. Vor allem ein Problem müssen Sie endlich auch erkennen: Die Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder in Bayern sind abhängig von der sozialen Stellung und vom Geldbeutel ihrer Eltern. Das ist der Befund von Pisa, und das ist eine schreckliche Erkenntnis.

(Beifall bei der SPD)

Die Schule, meine Damen und Herren,

(Dr. Heinz Kaiser (SPD): Wir brauchen einen neuen Kultusminister!)

gleicht diese Unterschiede nicht aus, sondern sie verstärkt sie sogar noch. Dieser Befund ist eigentlich das schlimmste Pisa-Ergebnis, weil damit individuelle Lebenschancen zerstört werden, weil damit Begabungs- und Bildungsreserven vergeudet werden, und weil damit unser aller wirtschaftliche Zukunft verspielt wird. Die Zahlen sind eindeutig und ernüchternd: 90 % der Kinder von Freiberuflern, die von ihren Noten her auf das Gymnasium wechseln könnten, tun das auch. 78 % der Kinder von Beamten, die von den Noten her aufs Gymnasium wechseln könnten, tun das auch. Nur 60 % der Kinder von Angestellten, die wechseln könnten, tun das auch. Und nur 27 % der Kinder von Landwirten, die die Noten fürs Gymnasium hätten, wechseln auch.