Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem kleinen Zeitzuschlag und damit einer etwas besseren Anwesenheit eröffne ich die Sitzung. Ich wünsche Ihnen allen einen guten Morgen. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde natürlich erteilt.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich einige Geburtstagsglückwünsche anbringen: Einen runden Geburtstag feierte am 29. Oktober die erste Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags, Frau Kollegin Barbara Stamm.
Wir haben Sie gestern alle gewürdigt. Verehrte Frau Vizepräsidentin, gewissermaßen gebe ich nochmals das zu Protokoll, was ich gestern bei der Feier im Steinernen Saal gesagt habe.
Beiden einen herzlichen Glückwunsch. Schließlich hatte am 4. November der Kollege Martin Neumeyer ebenfalls einen runden Geburtstag.
Halbrunde Geburtstage – wie dies so schön unterschieden wird – hatten am 1. November der Kollege Sebastian Freiherr von Rotenhan und am 10. November Herr Kollege Josef Ranner.
Da er anwesend ist: Verehrter Kollege, lieber Sepp Ranner, zu deinem 65. Geburtstag alles Gute. Du hast gestern gefeiert.
Für die heutige Sitzung hat die Fraktion der CSU das Vorschlagsrecht. Sie hat eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema „Wiederbelebung des Föderalismus – mehr Eigenständigkeit für die Länder und ihre Parlamente“.
Die Modalitäten sind bekannt; ich brauche sie wohl nicht zu wiederholen. Ein Redner einer Fraktion kann zehn Minuten sprechen, die anderen dann jeweils fünf Minuten.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Am 17. Dezember wird die Föderalismuskommission ihre letzten Beratungen abhalten. Dann wird sich zeigen, ob es gelingt, in Deutschland eine ganz wichtige Reform auf die Beine zu stellen, nämlich die Reform des Föderalismus.
Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, um dieses Thema noch einmal ins Bewusstsein zu rücken. Wenn ich in die Runde blicke, sehe ich allerdings, dass es schon schwierig ist, dieses Thema in das Bewusstsein der Kollegen zu rücken.
Eine lange und intensive Diskussion hat stattgefunden, auch hier im Haus, wo die Enquete-Kommission eine, wie ich glaube, hervorragende Grundlagenarbeit geleistet hat, auf die man bei den Beratungen der Föderalismuskommission zurückgreifen konnte. Auch die Landtagspräsidenten, allen voran unser Landtagspräsident Alois Glück, haben sich bemüht, diesen Prozess auch von der Länderseite, von der Parlamentsseite her zu flankieren und zu begleiten.
Ich habe eingangs schon angemerkt: Diese Föderalismusreform ist ein ganz wichtiger Teil der Reformdebatte in Deutschland und um den Standort Deutschland. Wir haben über die Jahrzehnte hinweg durch eine Überdehnung der konkurrierenden Gesetzgebung und durch eine teilweise Überdehnung der Rahmengesetzgebung eine gewisse Deformierung des Föderalismus erlebt. Wir haben erlebt, dass auch aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes 60 % der Gesetze, die im Bundesrat behandelt werden, zustimmungspflichtig sind, was von den Verfassungsgebern ursprünglich ganz anders geplant worden ist. Wir haben erlebt, dass im Steuerrecht das Trennsystem, das jetzt wieder diskutiert wird, zwischen Mehrwertsteuer und Einkommensteuer sowie zwischen Bund und Ländern, das damals einmal so bestand, dann aber geändert wurde, heute in ein Steuergeflecht gemündet ist, in dem sich kaum mehr jemand vernünftig auskennt. Auch beim kooperativen Föderalismus entstand ein Dickicht. Kürzlich hat sich diesbezüglich eine Debatte um die Kultusministerkonferenz entzündet.
Gleichzeitig gibt es für diesen Föderalismus aber neue Herausforderungen, insbesondere auch durch den wirtschaftlichen Wettbewerb, der immer weniger nur zwischen Volkswirtschaften stattfindet, sondern immer mehr auch zwischen Regionen. Deshalb stellt sich natürlich die Frage nach dem Gestaltungsspielraum der Regionen.
Ich meine deshalb: Wir brauchen für eine vernünftige Regierbarkeit in Deutschland wieder eine Föderalismusreform – Regierbarkeit sowohl was die Zeitabläufe der Entscheidungen anbelangt, als auch in der Sache hinsichtlich der Fragen, ob Konzepte in Deutschland noch umgesetzt werden können, für die es, sei es nun im Bund oder in den Ländern, einen Wählerauftrag gibt.
Wir brauchen wieder mehr Transparenz und Zuordenbarkeit. Viele Wähler können heute nicht mehr erkennen, wer denn jetzt die Verantwortung für was trägt, und können nicht mehr rational entscheiden, wie sie wählen sollen. Wir brauchen auch mehr Wettbewerb zwischen den Landesregierungen. Bei den schwächeren oder bei den kleinen Ländern besteht das große Missverständnis, dass ihnen das schaden wird. Ich meine aber: Das Gegenteil ist der Fall. Das nützt beiden. Das ist ein vernünftiges Anreizsystem für die Schwächeren, und es nützt natürlich auch den Stärkeren, die ihren Gestaltungsspielraum entsprechend wahrnehmen können und auch wahrnehmen wollen. Bei der Debatte ist es manchmal traurig zu beobachten, dass einzelne Länder nicht bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen, weil sie Angst haben, sie könnten sich übernehmen oder sie könnten aus diesem Wettbewerb irgendwelche Nachteile erleiden.
Wir brauchen natürlich auch eine Rückübertragung von Kompetenzen, eine Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Frau Zypries ist gestern den Ländern offenbar insoweit ein Stück weit entgegengekommen, wobei sich das, wenn ich das heute richtig lese, hauptsächlich auf Materien beschränkt, die der Bund in der gesamten Debatte ohnehin schon verloren geben musste.
Auch das ist ganz wichtig für den Gestaltungsspielraum der Länder. Natürlich ist das immer ein Verteilungskampf, letztlich ein Stück Machtkampf, der auf der politischen Ebene stattfindet und weniger parteipolitisch strukturiert ist.
Wir brauchen die Föderalismusreform aber auch, um unsere Eigenständigkeit zu sichern. Das ist nicht nur ein Thema der historischen oder der staatsrechtlichen Tradition, sondern des Wettbewerbs und der Möglichkeiten, die wir in Zukunft in den Ländern haben werden. Europa ist dabei ebenfalls ein Aspekt. Wir wollen Europa als Europa der Regionen strukturieren, also nach einem föderalistischen Modell. Diese föderale Gesamtordnung für Europa muss im Blick bleiben.
Wir müssen deshalb im Bundesrat unsere Zustimmung geben, allerdings nur, wenn die Länder entsprechende Kompetenzen bekommen. Die Länder müssen mehr Zugriff auf Materien der konkurrierenden Gesetzgebung
erhalten. Wir brauchen außerdem gewisse steuerrechtliche Kompetenzen, jedenfalls in den Bereichen, bei denen die Länder Steuern einnehmen. Frau Zypries hat das gestern erstaunlicherweise angesprochen. Auch andere Materien wie zum Beispiel die Hochschulpolitik und das Beamtenrecht sind hier zu nennen. Auf diesen Feldern ist eine Bewegung dringend notwendig, wenn es zu einer echten Reform des Föderalismus kommen soll.
Die Reform des Föderalismus soll und darf jedoch kein Hebel des Bundes sein, um auf bestimmte originäre Länderzuständigkeiten zuzugreifen, also sozusagen ein Tauschgeschäft anzustreben. Die Pisa-Studie ist dazu kein Vorwand. Die Bildungsqualität hängt jedoch nicht davon ab, ob wir in allen Ländern das gleiche Recht haben, sondern davon, ob eine vernünftige Bildungspolitik betrieben wurde. Ich sage das auch im Hinblick auf die Diskussion um den Artikel 23. Das Mitspracherecht der Länder ist eine große föderale Errungenschaft. Dieses Recht dürfen wir uns auf keinen Fall aus der Hand schlagen lassen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, die Situation, die wir im Dezember haben werden, ist ein historisches Fenster für die Wiedergewinnung einer größeren Handlungsfreiheit in den Ländern. Wenn dieses Vorhaben scheitert, werden wir möglicherweise auf Jahrzehnte hinaus keine Chance mehr erhalten, unseren Föderalismus zu reformieren. Dies würde dem Standort Deutschland gewaltig schaden. Uns kann es daher nicht darum gehen, ein institutionelles Machtgezerre zu veranstalten. Uns muss es vielmehr darum gehen, die Demokratie in Deutschland zu stärken, handlungsfähiger zu machen und für den Wettbewerb fit zu machen, den wir als Region in Europa und darüber hinaus bestehen müssen. Wir brauchen daher klare und eindeutige Verantwortungsfelder in der Zukunft.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die „Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung“, wie der korrekte Titel der so genannten Föderalismuskommission lautet, ist aufgrund der Erfahrungen notwendig geworden, die wir – die wir im politischen Geschäft stehen – mit dieser bundesstaatlichen Ordnung gemacht haben. Herr Kollege Dr. Bernhard, Sie haben soeben ein paar Beispiele und Phänomene genannt. Ich möchte noch einige andere Beispiele nennen, von denen ich glaube, dass sie in der letzten Zeit ein bisschen zu kurz gekommen sind, weil sich die Kommission zunächst auf ihre ureigenste Arbeit beschränkt hat. Denn man muss auch Dinge nennen, die weniger nobel sind.
Das erste Beispiel ist der vom Grundgesetzgeber nie und nimmer vorgesehene Einsatz des Bundesrates für parteipolitische Zwecke. Ich räume freimütig ein, dieses Vorgehen wurde unter der „Regentschaft“ von Oskar Lafontaine eingeführt, aber es wurde von Frau Dr. Merkel, Herrn Dr. Stoiber und Herrn Dr. Westerwelle zur Perfektion, um
nicht zu sagen zur Perversion, weiterentwickelt. Der Bundesrat war nie dazu da, Opposition zu betreiben.
Der Bundesrat darf nicht dazu dienen, eine Opposition zu betreiben, die man im Deutschen Bundestag nicht schafft. Das war schon unter Lafontaine falsch, und es ist noch falscher unter Merkel und Stoiber.
Ein zweites Beispiel: In letzter Zeit hören wir, namentlich von der Unionsseite, immer wieder den Begriff „Wettbewerbsföderalismus“. Herr Kollege Dr. Bernhard, auch Sie haben dieses Wort gerade wieder gebraucht. Gemeint ist damit, dass den Interessen der Länder mehr gedient wäre, wenn neue Grundgesetzelemente eingeführt würden, die die Bundesländer in einen stärkeren Wettbewerb zueinander stellten. Ich halte diesen Ansatz für falsch. Richtig ist, dass die Länder zum bündischen Verhalten verpflichtet sind. Das war nicht nur der Wille des Grundgesetzgebers, sondern wurde auch in etlichen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts so festgestellt.
Die Länder sollen demnach eine Interessenphalanx bilden, die den Interessen und der Macht des Bundes gegenüber gestellt wird. Sinn und Zweck des Föderalismus ist es aber nicht, zwischen den Bundesländern ein Ranking durchzuführen und die bundesstaatliche Ordnung so zu gestalten, dass es möglichst ein bestes und ein letztes Land gibt, wobei dann – das füge ich in Klammern hinzu – das beste Land Bayern sein muss. Das ist nicht Sinn und Zweck des Föderalismus.
Wenn Sie Bayern nach vorne bringen wollen, sollten Sie nicht danach streben, dieses Land in irgendwelchen Rankings auf die Nummer 1 zu bringen. Vielmehr sollten Sie die spezielle und einmalige Identität Bayerns besser ausgestalten. Das ist der spezielle Auftrag, den der Föderalismus und die Länder haben.
Meine Damen und Herren, ich komme damit zu einem dritten Beispiel. Ich habe mich immer wieder darüber gefreut, dass namentlich aus Bayern – von Ihrer wie von unserer Seite – die Begriffe „Föderalismus“ und „Subsidiarität“ immer wieder in die öffentliche Erinnerung gebracht worden sind. Das war bereits lange, bevor die Kommission getagt hat, der Fall. Meine Damen und Herren, wer jedoch Föderalismus nach oben fordert, ist zunächst gefragt, wie er es mit dem Föderalismus im eigenen „Laden“ hält.
(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN) : Wir kommen nicht umhin, festzustellen: Das zentralistischste aller Bundesländer ist Bayern. Das ist ein glatter Widerspruch zu den Föderalismusforderungen Bayerns an den Bund und an die anderen Länder. (Beifall bei der SPD)
Meine Damen und Herren, drei Dinge sind es im Wesentlichen, die die Aufgabe der Kommission beschreiben bzw. die die Überwindung der bisher festgestellten Mängel oder Fehlentwicklungen der bundesstaatlichen Ordnung zum Gegenstand haben.
Das erste ist Klarheit und Wahrheit in den politischen Entscheidungsprozessen, damit die Bürgerinnen und Bürger erkennen können, wer in unserem Staat wofür verantwortlich ist. Wenn wir das Instrument des Bundesrates ausschließlich, wie ich eben gesagt habe, als verlängertes Oppositionsinstrument des Bundestages begreifen, dann werden wir ihm nicht gerecht. Und wenn ich mir im Vergleich zu früheren Jahren die in den letzten Jahren stattgefundene Inflation der Anrufung des Vermittlungsausschusses ansehe, kann die Antwort nicht heißen: „Ja mein Gott, die Materien sind komplizierter geworden.“ Nein, meine Damen und Herren, das entspringt genau demselben Geist wie das Verhalten im Bundesrat. Es geht im Grunde genommen nur um die Möglichkeit, Opposition zu betreiben. Das Ganze hat aber zur Folge, dass die gesamtstaatliche Entwicklung in Deutschland nicht rasch genug und nicht klar genug geschieht; das ist es aber, was wir im Interesse der Demokratie, aber auch im Interesse des Transparenzgebotes für die Bürgerinnen und Bürger unbedingt als oberstes Ziel definieren müssen.