Protocol of the Session on July 22, 2004

(Alexander König (CSU): Und darum, in welchem Staat wir uns was leisten können!)

Sicherlich: Der Abbau von überflüssiger Bürokratie ist notwendig und sinnvoll, ebenso an mancher Stelle eine Verwaltungsreform. Wir wollen aber keinen liberalen Nachtwächterstaat, sondern einen sozialen Staat, der seine Schutz- und seine Gestaltungsfunktion erfüllen kann.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Bei dieser Diskussion müssen die gesamte Gesellschaft und natürlich insbesondere die Betroffenen selbst einbezogen und mitgenommen werden. Vielleicht ist es ein Ausdruck der übergroßen Mehrheit einer Partei in diesem Haus, dass manches, was vielleicht selbstverständlich zum demokratischen Diskurs und zur gemeinsamen Diskussion notwendig wäre, im zurückliegenden Jahr eben nicht stattgefunden hat.

(Beifall bei der SPD)

Diese Diskussion gehört zuvörderst in das Parlament. Wir sind es, die vom Volk gewählt und hierher entsandt wurden, um diese Probleme anzugehen und die wichtigen Fragen zu entscheiden. Wir sind es, die Entscheidungen nicht zur Kenntnis nehmen und abnicken oder aus der Zeitung oder aus Regierungsverlautbarungen entnehmen dürfen. Vielmehr müssen wir unseren Gestaltungsauftrag

erfüllen. Dazu gehört ein lebendiges Parlament, das sich selbst ernst nimmt. Ein selbstbewusstes Parlament, das sich selbst ernst nimmt, muss endlich auch darauf drängen, dass der Regierungschef an den Verhandlungen teilnimmt und persönlich anwesend ist.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Ministerpräsident, es ist nicht hinzunehmen, dass die Abwesenheit des Regierungschefs geradezu demonstrative Züge angenommen hat.

(Alexander König (CSU): So ein Blödsinn!)

Von den letzten zehn Plenartagen hat der Ministerpräsident an sage und schreibe neun Tagen gefehlt, für die letzten drei Tage sogar ohne Angabe von Gründen. Das darf so nicht bleiben. Ein selbstbewusstes Parlament und alle Parlamentarier müssen und sollten darauf drängen, dass sich das endlich einmal ändert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜ- NEN – Prof. Dr. Hans Gerhard Stockinger (CSU): Das ist ein parlamentarischer Sittenverfall, was Sie hier betreiben!)

Viele helfende Hände sind dafür erforderlich, dass das Parlament arbeiten und seine Aufgaben erfüllen kann. Deshalb möchte ich mich im Namen des ganzen Hauses herzlich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bayerischen Landtags bedanken, vom Telefondienst bis zur Bibliothek, von den Geschäftsstellen der Fraktionen bis zur Polizei an der Pforte, von den Zuarbeitern des Landtags bis zu den Landtagsbeauftragten der Ministerien und bei den Offizianten, die uns oft genug etwas nachtragen mussten.

Ich danke den Vertretern der Medien für die wohlwollende und kritische Berichterstattung und die Kommentierung unserer Arbeit. Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Urlaub und hoffe, dass Sie trotz vielfältiger Aufgaben zumindest einige Tage der Erholung finden können. Vor allem hoffe ich, dass wir uns alle im September gesund und munter wiedersehen werden. Möglicherweise ist der eine oder andere noch auf der Suche nach einer Ferienlektüre. Herr Ministerpräsident, Ihr Parteifreund Rudi Hierl hat mir eine mögliche Ferienlektüre für Sie mitgebracht. Er hat mir den Text der Bayernhymne übergeben. Vielleicht singen wir sie dann gemeinsam. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Ale- xander König (CSU): Sie sollten sich schämen!)

Herr Kollege, vielen Dank für die guten Wünsche. Das Wort hat nun der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Im Namen der Bayerischen Staatsregierung danke ich Ihnen, Herr Präsident, für die guten Wünsche, die ich natürlich ebenso herzlich erwidere. Die Schlussreden vor der Sommerpau

se haben in Bayern eine lange Tradition. Wir sollten sie nicht dazu benutzen die streitige Diskussion fortzusetzen. Wer das tut, muss es sehr nötig haben.

(Beifall bei der CSU)

Erstmals seit zwei Jahren verdienen die kommenden Wochen tatsächlich die Bezeichnung „Landtagsferien“. Die Jahre 2002 und 2003 waren von der Bundestagswahl und der Landtagswahl geprägt und nicht von Freizeit und Ferienstimmung. Wenn das Wetter im August mitspielt, wird es diesmal eine richtige Sommerpause. Ich wünsche sie Ihnen jedenfalls von ganzem Herzen.

Das erste Jahr der 15. Legislaturperiode des Bayerischen Landtags – der Landtagspräsident hat darüber aus seiner Sicht gerade ein bemerkenswertes Resümee gezogen, dem ich uneingeschränkt zustimmen kann – geht zu Ende. Es brachte aber auch sehr viel Neues. Der Landtag hat sein Gesicht verändert. Über 50 Mitglieder – viele davon gehören der Generation der 30-jährigen und 40-jährigen an – sind neu im Parlament. Das Präsidium, die Ausschüsse, aber auch die Vorstände der drei Fraktionen wurden zu einem guten Teil neu besetzt. Wir haben nur noch 180 Abgeordnete.

Die parlamentarische Arbeit ist aber gleich geblieben. Ich kann durchaus nachvollziehen, wie effektiv und engagiert hier gearbeitet wird. Deswegen an alle ein herzlicher Dank für den Einsatz für unser Land. Deutschland und Bayern stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Dessen müssen wir uns bewusst sein und das müssen wir der Bevölkerung immer wieder sagen, weil der Erkenntnisprozess in der Bevölkerung noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie es notwendig wäre, um nötige Reformen ohne größere Auseinandersetzungen durchführen zu können.

Die Globalisierung – verschärft durch die EU-Osterweiterung – hat uns fest im Griff. Unsere Nachbarn und unsere Konkurrenten produzieren immer öfter die gleiche Qualität, aber häufig zu günstigeren Bedingungen. Die Folgen sind bekannt. Diskussionen finden allenthalben statt. Die Bertelsmann-Stiftung hat in den letzten Tagen eine internationale Vergleichsstudie vorgelegt, in der festgestellt wird, dass der fortwährende Rückgang der Wirtschaftsleistung in Deutschland im internationalen Vergleich einzigartig ist. Das ist eine Feststellung.

Nicht nur die Wirtschaft, auch der Terrorismus globalisiert sich. Madrid hätte durchaus auch München sein können. Der Innenminister und die Ministerpräsidenten haben vor ein paar Tagen äußerst bange Minuten erlebt, weil nicht sofort feststand, dass der Anflug auf München unproblematisch sein wird. Wir hatten damals extreme Sorgen, dass etwas Fürchterliches passieren könnte.

Unsere Generationenbilanz ist in der Schieflage. Wir leisten uns mehr als unsere Volkswirtschaft leistet. Deutschland lebt immer mehr auf Kosten der Zukunft, also auf Kosten unserer Kinder und Enkel. Deswegen ist die Frage der sozialen Gerechtigkeit und die Frage der Solidarität nicht allein mit der Frage zu beantworten: Darf ich das streichen? Zunächst müssen wir fragen: Kann ich mir das leisten? Das ist die soziale Frage, wenn ich die Generatio

nengerechtigkeit und die Nachhaltigkeit nicht nur verbal, sondern auch inhaltlich wirklich ernst nehme.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Das ist eine reine Propagandarede! – Ulrike Gote (GRÜNE): Das ist ein Schlusswort und keine Regierungserklärung!)

Die demografische Entwicklung droht, den Generationenvertrag der Sozialversicherungssysteme zu sprengen. Gerade in einem Flächenland wie Bayern stellt sich zunehmend die Frage nach der Zukunft des ländlichen Raums. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die Fragen, die wir unter den neuen Bedingungen beantworten und lösen müssen. Natürlich haben wir hierüber unterschiedliche Auffassungen. Das ist ein Wesensmerkmal der Demokratie. Es ist aber nun einmal so, dass die bayerische Bevölkerung entschieden hat, dass zwei Drittel der Abgeordneten im Bayerischen Landtag der CSU angehören. Niemand anders hat das entschieden. Deswegen sollte man das respektieren und akzeptieren, wenn man Wahlen wirklich ernst nimmt.

(Beifall bei der CSU)

Diese Mehrheit versucht, die Frage zu beantworten, ob wir uns das alles noch leisten können und ob es gerecht ist, sich heute Dinge zu leisten, die man späteren Generationen zur Begleichung auferlegt. Das ist die entscheidende Frage. Diese werden wir in den nächsten Wochen in Deutschland, in Bayern und auch in anderen Ländern diskutieren. Wenn ich sehe, was viele Länder und Landtage heute aufgrund der dramatischen Haushaltssituation beschließen, bin ich froh, dass jedenfalls in Bayern nicht wie in Niedersachsen das Blindengeld völlig abgeschafft wurde, weil die finanzielle Situation so zerrüttet ist.

Gott sei Dank brauchen wir diese Diskussion hier nicht zu führen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte einen Punkt ansprechen, den Landtagspräsident Alois Glück schon angesprochen hat, und den auch Herr Maget kurz gestreift hat. Es ist die Frage der Reform unseres Staates. Diese Frage ist mehr als nur eine Frage der Reform des Föderalismus. Es ist die Frage, ob unser Staat Deutschland in seiner komplizierten Struktur, die in Europa einmalig ist, und aufgrund der langen Entscheidungswege auf Dauer wettbewerbsfähig und kompatibel ist. Werner Schnappauf hat noch vor ein paar Minuten einen Entscheidungsvorgang sehr plastisch dargestellt. Wir können uns solche Entscheidungsvorgänge unabhängig vom Inhalt der Entscheidung nicht leisten. Die Länge dieser Entscheidungswege wirft Deutschland zurück.

(Beifall bei der CSU)

Deswegen ist die Frage nach der Reform der Bundesrepublik Deutschland, nach der Reform des Verhältnisses zwischen Bund, Ländern und Kommunen ganz entscheidend.

Ich muss aber auch darauf hinweisen, dass die Lösung dieser Frage deswegen schwierig wird, weil die Kollegen im Deutschen Bundestag gegenwärtig alle sehr skeptisch

gegenüber einer weiteren Verstärkung der Kompetenzen der Landtage eingestellt sind. Sie sind aus einem ganz bestimmten Grund skeptisch, und wir müssen alle mit dazu beitragen, dass mehr Verständnis für die Reform des Föderalismus entsteht. Eine Menge an Kompetenzen geht aufgrund des Europäischen Verfassungsvertrages, aber auch aufgrund des Vertrages von Nizza vom Deutschen Bundestag auf den Europäischen Rat und auf das Europäische Parlament über. Die genauen Auswirkungen dieser Entwicklung sind für viele noch gar nicht absehbar. Die Komplexität dieser Verträge wird erst im Laufe der Jahre bei einzelnen Entscheidungen klar. Hätten wir uns vor Jahren vorstellen können, dass die Europäische Kommission ernsthaft die Gebühren der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten als verbotene Beihilfe unter Umständen einstellt? Hätten wir uns vorstellen können, dass das Dosenpfand aus den bekannten Gründen von der Europäischen Union in einem sehr komplizierten Verfahren überprüft wird? Ich will damit nur deutlich machen, dass die Kollegen im Deutschen Bundestag Sorge haben, dass immer mehr Kompetenzen vom Deutschen Bundestag in das Europäische Parlament abwandern. Wenn dann noch weitere Kompetenzen vom Deutschen Bundestag in die Landtage abfließen, entsteht eine ganz bestimmte Zurückhaltung, wie ich es einmal vorsichtig umschreiben will.

Ich glaube aber, es führt kein Weg daran vorbei; wir müssen die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern auf eine neue Grundlage stellen. Wir müssen die Zustimmungsfunktion des Bundesrates und den Einfluss der Ministerpräsidenten über den Bundesrat auf die Bundesgesetzgebung relativieren, um damit den Landtagen insgesamt mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei Gesetzen zu geben.

(Beifall bei der CSU)

Dies ist die Linie, mit der wir antreten müssen. Unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität werden Aufgaben auch auf die Länder übergehen müssen. Ich denke zum Beispiel an die Bildungspolitik oder an die Frage, wie wir mit unserem Dienstrecht und mit der Besoldung umgehen. Wenn die Länder die größte Last zu tragen haben, ist es sicher sinnvoll, dass sie auf diesem Gebiet mehr mitreden können. Wir müssen fragen, ob wir nicht die regionale Wirtschaftspolitik und die regionale Arbeitsmarktpolitik

enger miteinander verzahnen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Ich glaube, dass die Arbeit im Landtag und die Akzeptanz politischer Entscheidungen umso griffiger werden, wenn sie so nah wie möglich an die Menschen herangetragen werden. In vielen Bereichen ist natürlich der Landtag näher am Menschen als der Bundestag oder das Europäische Parlament.

Andererseits müssen wir aber auch immer wieder gegenüber der europäischen Ebene deutlich machen, wie wichtig gerade die Subsidiarität und wie wichtig für ein bürgernahes Europa die Bedeutung der Regionen und der Länder ist.

(Beifall bei der CSU)

In diesem Sinne freue ich mich und möchte auch von hier aus dem neuen Präsidenten der Europäischen Kommission Durão Barroso einen herzlichen Glückwunsch aussprechen. Er ist gerade mit überzeugender Mehrheit gewählt worden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich freue mich, dass er morgen Abend seinen ersten Besuch hier in München abhalten wird.

(Anhaltender Beifall bei der CSU)

Herr Ministerpräsident, vielen Dank für die guten Wünsche.

Zunächst noch einmal ein organisatorischer Hinweis. Sollten Sie sich für den Kauf und die Mitnahme Ihres Abgeordnetenstuhles ausgesprochen haben, wenden Sie sich bitte nach Ende der Sitzung an die Mitarbeiter des Landtagsamtes hier im Saal. Bis die Aktion gestartet werden kann, wird etwa eine viertel Stunde vergehen, weil zunächst alles aufgeräumt werden muss.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Ich wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg und eine erholsame Sommerzeit. Wir wünschen uns alle, dass wir uns im September gut und gesund wieder sehen, um uns wieder unserer Arbeit widmen zu können. Vielen Dank. Die Sitzung ist geschlossen.