Protocol of the Session on July 22, 2004

Meine Damen und Herren, mit dem Antrag auf Drucksache 15/904 hat die CSU-Fraktion die künftige Schulorganisation an den Hauptschulen in Bayern aufgegriffen. Ziel

des Antrags ist, die Hauptschule als Ganzes langfristig zu stärken.

(Marianne Schieder (SPD): Ziemlich langfristig!)

- Ich glaube, wir haben bisher die Hauptschule gestärkt, aber Sie haben sich mit anderen Dingen befasst.

Im Klartext gesprochen: Die Konkurrenzfähigkeit der Hauptschule zu anderen Schulformen muss erhalten bzw. gestärkt werden. Ausgangspunkt für diese Anstrengungen bzw. die Neuorganisation ist die Tatsache, dass mit der Einführung der sechsstufigen Realschule die Teilhauptschule I ihre Funktion als Übergangsschule von der Grundschule zur Realschule bzw. zum Gymnasium verloren hat. Das Übertrittsverhalten hat sich geändert. Regelübergänge zur R 6 erfolgen nach der Jahrgangsstufe 4. Die Statistik weist nach, dass im Schuljahr 1975/76 nach der Jahrgangsstufe 4 76 % eines Jahrganges in die Hauptschule übergetreten sind. 1995/96 sind es nur noch 67 % gewesen. 2000/01 waren es 53,4 %, 2002/03 waren es 45,5 %. Für das Schuljahr 2004/05 wird wiederum ein Minus von 12 900 Schülern gegenüber dem vorherigen Schuljahr zu verzeichnen sein. Auch die demografische Entwicklung führt dazu, dass die Teilhauptschulen nicht mehr die notwendigen Mindestschülerzahlen und -klassenstärken erreichen. Die Prognosen für die Zukunft sehen für die Hauptschule weiterhin sinkende Schülerzahlen voraus.

Ich möchte nicht verhehlen, dass die M-Züge an den Hauptschulen ein Erfolgsmodell sind. Die M-Züge stärken die Hauptschule, genauso die Praxisklassen. Die M-Züge an den Hauptschulen werden weiterhin als Chance für langsamer lernende Schüler erkannt.

Trotzdem besteht Handlungsbedarf. Nach unserer Überzeugung muss eine Hauptschule alle Jahrgangsstufen von 5 bis 9 bzw. 10 umfassen. Dafür sind die notwendigen Finanzmittel bereitzustellen. Damit werden wir die Hauptschule stärken und wettbewerbsfähig als alternative weiterführende Schule anbieten können.

Mit der Elternschaft und der Wirtschaft muss eine pädagogische Einheit gebildet werden. Dazu ist eine neue Organisation notwendig. Die gegenwärtige Hauptschulorganisation basiert noch auf einer erheblich größeren Schülerzahl. Der veränderten Situation wird damit nicht mehr Rechnung getragen. In vielen Teilen Bayerns haben wir Probleme mit der Teilhauptschule I. Wir streben mit unserem Antrag deshalb eine inhaltliche und organisatorische Stärkung an. Ein stimmiges Konzept muss erarbeitet werden, das auf die örtlichen Gegebenheiten regional und schulisch abgestimmt ist. Wir wollen, dass die Kommunen eingebunden werden.

Wir müssen also auf eine längerfristige solide Struktur hinwirken, die den tatsächlichen Verhältnissen Rechnung trägt. Dabei soll es möglich sein, die Klassen einer Hauptschule auf mehrere Standorte zu verteilen; das ist uns sehr wichtig. Dieses Konzept, das wir anstreben, muss auf jeden Landkreis oder jede Stadt speziell zugeschnitten werden. Dafür werden wir Anstrengungen unternehmen.

Unser Antrag fordert den Erhalt der Wohnortnähe der einzelnen Schule und den Erhalt bzw. die Herstellung der Einheit der Hauptschule. Wenn möglich, soll die Hauptschule zweizügig geführt werden, um dem Anspruch der Wohnortnähe gerecht zu werden. Die Hauptschulen sollen aber auch einzügig geführt werden können, wenn damit auf Dauer ihr Bestand gesichert ist. Die Staatsregierung soll bis zum 15. Oktober 2004 einen Bericht geben.

Inhaltlich wollen wir mit dem neuen Lehrplan Anstrengungen zur Verbesserung der Hauptschule unternehmen. Ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Wir bitten um konstruktive Mitarbeit. Für gute Vorschläge sind wir immer aufgeschlossen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Erst zerschlagen Sie die Strukturen, dann bauen Sie sie wieder auf!)

Ich habe geschildert, dass sich die Situation verändert hat. Wenn es nach der SPD oder den GRÜNEN gegangen wäre, dann hätten wir wahrscheinlich schon längst keine Hauptschule mehr.

(Beifall bei der CSU – Margarete Bause (GRÜNE): Wir hätten dann eine andere und bessere Schule!)

Das glaube ich nicht ganz. Sie müssen nur die Studien lesen. Sie werden dann erkennen, dass Bayern an erster Stelle steht.

(Widerspruch der Abgeordneten Margarete Bau- se (GRÜNE))

Wir wollen zwar nicht kundtun, dass wir nicht besser werden könnten. Bayern steht aber an der Spitze. Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der CSU)

Als nächste Rednerin darf ich Frau Kollegin Schieder ans Mikrofon bitten. – Bitte schön, Frau Kollegin.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Stahl, diese Rede, diese Interpretation des von der CSU auf den Weg gebrachten Konzeptes zur Reform der Hauptschulen war an Schönfärberei – um nicht zu sagen: an Heuchlerei und Scheinheiligkeit – nicht zu übertreffen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN)

Alleine die Aussage, „Wir kommen jetzt zu den Niederungen der Hauptschule“, zeigen die Geisteshaltung, die dahinter steckt.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es geht Ihnen in diesem Konzept eben nicht um die Stärkung der Hauptschule; es ging Ihnen nie darum. Bislang

haben Sie die Hauptschule nur geschwächt. Ich erinnere an die Konsequenzen für die Hauptschulen aufgrund der Einführung der R 6. Nichts ist für die Hauptschulen getan worden.

Dieser Antrag – wenn Sie ihn genauer durchlesen – ist der Versuch, ein groß angelegtes Hauptschulauflösungsprogramm mit einem schöneren Etikett zu versehen und das Ganze als großen pädagogischen Fortschritt und dringende pädagogische Notwendigkeit zu verkaufen. Mit einer Stärkung der Hauptschule hat das Ganze nichts zu tun. Das Konzept zielt einzig und allein auf die Standortverringerung, und zwar auf eine enorme Standortverringerung. Es zielt auch auf eine enorme Lehrereinsparung ab. Um etwas anderes geht es darin nicht. Schauen Sie sich bitte diese vier so harmlos formulierten Spiegelstriche an. Darin kommen plötzlich Wahrheiten ans Tageslicht, von denen Sie vor der Wahl nichts wissen wollten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich im Rahmen einer mündlichen Anfrage den Herrn Staatssekretär, der es offensichtlich nicht nötig hat, bei diesem Thema hier zu sein, -

(Widerspruch bei der CSU)

Er bekommt nichts mit. Ich meine, das Thema ist ernst genug.

Als ich den Herrn Staatssekretär vor der Wahl gefragt habe, ob es Ziel der Staatsregierung sei, die einzügige Hauptschule abzuschaffen, hat er gefragt: niemals, wie ich nur auf die Idee käme. Die Kultusministerin hat vor der Wahl hier in etwa mit folgenden Worten gedroht: „Wenn Sie hier noch einmal behaupten, dass wir bei den Hauptschulen Schulen zusammenlegen wollen, dann muss ich mir überlegen, wie ich Ihnen beikommen kann.“

Jetzt schauen Sie sich an, was in dem Antrag enthalten ist. Im ersten Spiegelstrich heißt es, es gehe um den Erhalt und die Herstellung der Einheit der Hauptschulen. Das bedeutet einen Beschluss zur Auflösung der Teilhauptschulen, und zwar aller Teilhauptschulen. Sie wissen doch, dass dieser Prozess inzwischen schon längst eingeleitet ist, und zwar über die Nichtgenehmigung von Neubauten für Turnhallen – wie wir vor kurzem im Rahmen einer Petition festgestellt haben –, die Nichtgenehmigung von Renovierungsmaßnahmen und über die Zusammenfassung von Teilhauptschulen in organisatorischer Hinsicht mit den nächstgelegenen größeren Hauptschulen. Es geht noch weiter: Im nächsten Spiegelstrich heißt es, wenn möglich, sollten Hauptschulen zweizügig geführt werden. Dann wird davon gesprochen, dass es wegen der Wohnortnähe Ausnahmen geben solle. Wenn man dann genauer hinschaut und sich fragt, worin die Ausnahmen bestehen könnten, dann kann man lesen, dass die Ausnahmen nur dann möglich sind, wenn der Bestand der Schule auf Dauer gesichert ist.

(Siegfried Schneider (CSU): Das ist doch logisch!)

Es geht darum, was der Begriff „auf Dauer gesichert“ heißt, Herr Kollege Schneider.

Von dem, was wir als Antwort bekommen haben, war bislang noch nie die Rede. Im Bildungsausschuss wurde uns durch den Vertreter des Ministeriums gesagt, dass eine Hauptschule nur dann auf Dauer als gesichert anzusehen ist, wenn sie über Jahre hinweg eine Mindestschülerzahl pro Jahrgang von 20 bis 23 Schülerinnen und Schüler aufweist. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die momentane Mindestschülerzahl bei den Hauptschulen bei 15 liegt. Ich bitte Sie zu Hause – vor allem in den ländlichen Stimmkreisen – einmal zu überprüfen, was das bedeutet. Das bedeutet zum Beispiel bei uns in der Oberpfalz, dass es in vielen Altlandkreisen eine einzige zentrale Hauptschule geben wird, weil alle anderen, auf die nächsten fünf Jahre gerechnet, die Mindestschülerzahl von 23 Schülerinnen und Schüler nicht aufweisen werden.

Es wird auch immer darauf hingewiesen, dass man wegen so geringer Schülerzahlen und vor dem Hintergrund, dass die Mindestschülerzahl erreicht werden solle, nicht ernsthaft verlangen könne, solche Hauptschulen zu erhalten. Sie wissen ganz genau, dass es uns darum auch nicht geht, denn wenn eine Schule über Jahre hinweg nur 10 Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang hat, dann führt kein Weg an einer Zusammenführung vorbei. Jetzt geht es aber um eine Mindestschülerzahl von 20 bis 23. Wenn Sie aus kosmetischen Gründen in einem weiteren Spiegelstrich betonen, dass es Ihnen um den Erhalt der Wohnortnähe geht, dann kann das nicht zu den anderen Aussagen passen, denn die Wohnortnähe der Hauptschulen kann damit nicht erhalten werden.

Es gibt noch einen weiteren Spiegelstrich, der nach meinem Empfinden nur zur Beruhigung der Betroffenen dienen soll. Es heißt, es sollten hinsichtlich der Reform Neubaumaßnahmen vermieden werden und Organisationsänderungen sollten im Rahmen des vorhandenen Raumbestandes gewährleistet werden. Ich bin einmal gespannt, wie das Ganze konkret vor Ort ausschauen wird. Es ist von „kann“ und „soll“ die Rede, damit man sich nicht konkret festlegen muss.

Wie immer, wenn es um die Umsetzung von Grausamkeiten geht, fordern Sie die artige Mitarbeit und die Einbeziehung der Kommunalpolitiker und der Betroffenen vor Ort. Das fällt Ihnen aber immer nur dann ein, wenn es einen Mangel zu verwalten gibt. Das ist doch eine ganz bequeme Aufgabe; man führt die Bürgermeister an einen Tisch und schaut zu, wie sich diese über den künftigen Schulstandort die Köpfe einschlagen, während man selber fein heraus ist. Man kann dann sagen: Wir haben das ja nicht entschieden. Wir erleben das zurzeit auch im Bezug auf die Umsetzung der Sparmaßnahmen an den Universitäten. Da wird gesagt: Es war der Rektor der Universität Regensburg, der darauf gedrungen hat, die Lehrerbildung für Grund- und Hauptschulen aus Regensburg wegzunehmen. Also: Man lässt den Mangel vor Ort verwalten, sonst schafft man aber bis in die Details oben an, was zu tun ist.

Ich denke, dass dieses Konzept vom Sparwillen geprägt ist, da es ein einziges Sparprogramm ist. Dieses Sparprogramm wird zulasten des ländlichen Raumes gehen. Vielen Kommunalpolitikern vor Ort ist bis heute nicht klar, dass mit dem Konzept eine riesige Welle von Auflösungen von Hauptschulen verbunden sein wird und dass durch

den Verlust der Schulen den Gemeinden im ländlichen Raum eine wichtige Funktion, die über die Schule hinaus von Bedeutung ist, weggenommen wird. Ich meine, alle die sich realistisch und ehrlich mit der Situation der Hauptschulen befassen, wissen, dass wir keine großen Standortdebatten für unsere Hauptschulen brauchen und auch keine großen Standortauflösungsprogramme. Wir bräuchten stattdessen eine Kultusministerin und Bildungspolitiker, die bereit wären, sich mit der wirklichen Situation an der Hauptschule auseinanderzusetzen und die Verhältnisse realistisch zur Kenntnis zu nehmen. Wir bräuchten eine Kultusministerin und Bildungspolitiker, die bereit wären, sich mit den echten Bedürfnissen und den wirklichen Anliegen der Hauptschulen zu befassen und die auch bereit wären, die für die Hauptschulen notwendigen Lösungen auf den Weg zu bringen.

Ich möchte nur zwei Beispiele nennen:

(Zuruf des Abgeordneten Eduard Nöth (CSU))

Ja, Herr Nöth, ich muss es leider so sagen. In Ihren Reihen kann ich solche Politiker nicht erkennen, sonst müsste in einem solchen Antrag, in dem es um die Stärkung der Hauptschulen geht, etwas anderes drinstehen. Es wird nur von der Auflösung von Standorten gesprochen, etwas anderes steht nicht drin.

Es gibt zwei Dinge – Sie wissen das ganz genau –, die für die Hauptschulen dringend notwendig wären, nämlich einmal eine massive Unterstützung hinsichtlich des Bedarfs an Fachpersonal sowie eine Unterstützung für die ständig steigenden erzieherischen Aufgaben. Wir bräuchten dazu einen flächendeckenden Ausbau der Schulsozialarbeit – das wird aber nicht gemacht – und wir bräuchten vor allen Dingen ausreichende Ressourcen, um an den Hauptschulen eine möglichst individuelle und intensivere individuelle Betreuung und Förderung für Schülerinnen und Schüler zu erreichen, um zum Beispiel die hohe Zahl von Schülerinnen und Schüler verringern zu können, die die Schule ohne Abschluss verlassen.

Bei den Hauptschulen trifft zu, was wir überall feststellen können: Unsere Schulen, die Schülerinnen und Schüler, die Eltern sowie die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort werden vom Kultusministerium, von ihrer Kultusministerin, allein gelassen. Es gibt kein Verständnis für ihre Sorgen und Nöte und es gibt keine Lösungen für die zu bewältigenden Aufgaben. Sparwut und blinder Aktionismus bestimmen die Richtung und nicht pädagogische Notwendigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das konnten wir auch gestern Vormittag feststellen, als es um das achtjährige Gymnasium und die große Not, die an den Schulen herrscht, ging. Heute sind die Zeitungen voll davon, dass bis zu 40 bzw. 50 Stunden pro Woche nicht erteilt werden können und dass man nicht weiß, wie das Problem gelöst werden soll. Es gibt von Ihrer Seite keine Antwort darauf – gestern den ganzen Tag nicht und auch

heute habe ich nichts von Ihnen gehört. Wir stellten gestern die Sparwut fest, als es um die Gewährleistung einer ausreichenden Lehrerversorgung für Bayerns Schulen ging – keine Antwort, wie die auf die Reihe gebracht werden kann. Wir stellen das Gleiche jetzt bei den Hauptschulen fest – außer Sparwut und Aktionismus keine Antwort, wie die wirklichen Probleme gelöst werden sollen. Auch beim nächsten Tagesordnungspunkt werden wir das Gleiche feststellen, wenn es um den Umgang mit Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag an den beruflichen Schulen geht – trotz Annahmung des Obersten Rechnungshofes Konzeptlosigkeit. Kein Geld und keine pädagogische Vorstellung davon, was dort getan werden kann und wie den jungen Menschen der Einstieg ins Berufsleben ermöglicht werden soll.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke abschließend, wir werden über die Zukunft der Hauptschulen noch sehr viel zu diskutieren haben. Sie wissen es und Sie werden es noch mehr erfahren: Wenn bekannt wird, was diese Grausamkeiten vor Ort bedeuten und in welchem Umfang es eine Auflösung von Schulstandorten geben wird, dann werden wir im Rahmen von Petitionen, von Dringlichkeitsanträgen und vielen Debatten über dieses Thema noch einmal reden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Staatsregierung hat sich Herr Staatssekretär Freller zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, Hohes Haus! Bei zahlreichen Veranstaltungen habe ich immer wieder gesagt: Für mich gilt der Satz: Die Kinder mit den kürzesten Beinen brauchen den kürzesten Schulweg. Das ist eine klare Aussage für die Aufrechterhaltung einer wohnortnahen Grundschule. Das ist mir wichtig zu betonen, weil wir darauf achten müssen, dass bei allen Reformen und bei allen Sparmaßnahmen die Kleinsten in unserem Schulsystem nicht mit besonderen Problemen konfrontiert werden. Wir müssen vermeiden, dass sie schon früh im Winter an Bushaltestellen warten und kilometerweit fahren müssen. Deswegen wird die CSU-Fraktion – dessen bin ich sicher –, aber natürlich auch die Staatsregierung, alles unternehmen, dass die wohnortnahe Grundschule – ich spreche im Augenblick von der Grundschule – gesichert bleibt.