Protocol of the Session on June 17, 2004

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der bayerische Innenminister hat sich völlig zu Recht darüber beschwert, dass versucht wird, ihm aus der Staatskanzlei hineinzuregieren in die Frage der Polizeiorganisation. Er hat sich dagegen ver wahrt. Offensichtlich hat sich die Justizministerin nicht dagegen verwahrt, das Bayerische Oberste Landesge richt abzuschaffen. Ich meine sagen zu können, dass alle Ihre Vorgänger, Frau Staatsministerin Merk, alle – einige sind sogar hier im Haus – für den Erhalt dieses Gerichts gekämpft und sich nicht hingestellt und mit unstimmigen Argumenten die Abschaffung gerechtfertigt hätten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die geplante Abschaffung des Bayerischen Obersten, und im Übrigen auch der Staats anwaltschaft, wird damit begründet, dass wegen der knappen Finanzmittel der öffentlichen Hand Einrichtun gen, die nicht zwingend erforderlich sind, aufgelöst wer den müssen. Natürlich, Herr Dr. Weiß, Frau Dr. Merk, ist dieses Gericht nicht zwingend erforderlich. Was ist denn schon zwingend erforderlich? Sind, mit Verlaub, Staatsse kretäre zwingend erforderlich? Die Frage muss man doch stellen dürfen. Sind sie zwingend erforderlich? Wir sind jahrelang ohne einen Staatssekretär im Finanzministerium ausgekommen. Jetzt ist es mein alter Freund Meyer ge worden. Aber so richtig zwingend erforderlich, um damit den Freistaat Bayern fit für Europa zu machen, ist das wohl nicht.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage stellt sich vielmehr umgekehrt, ob die Abschaf fung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft jetzt zwin gend erforderlich ist, nachdem man sich diese Einrichtung über Jahrhunderte hinweg und unmittelbar nach dem Krieg in wirtschaftlich viel schlimmeren Zeiten leisten konnte. Und es stellt sich die Frage, ob die erhofften Ein sparungen erzielt werden. Es sind in den Raum gestellt worden: 1,45 Millionen Euro Einsparungen auf lange Frist, nicht in diesem Jahr, nicht im nächsten Jahr, vielleicht, wenn es gut geht, im Jahr 2019. Ob es diese Einsparun gen wert sind, den Verlust an Qualität und den Bruch mit der Tradition hinzunehmen, ist die Frage. Selbst wenn man unterstellt, dass es stimmt, dass die Einsparungen erzielt werden können, ist doch alles relativ. Es ist ein Be trag, den man natürlich in Bezug zu Einsparungsmöglich keiten auf anderen Ebenen setzen muss.

Meine Damen und Herren, in dem Gesetzentwurf heißt es ganz absolut, es gebe keine Alternative. Das stimmt ja nicht. Der Präsident und der Verein der Freunde des Baye rischen Obersten Landesgerichts haben durchaus Alter nativen aufgezeigt.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug gendorfer (SPD))

Der Präsident hat zum Beispiel vorgeschlagen, wenn es schon nicht anders geht, das Gericht zur Erzielung von Einsparungen zu verschlanken, eine Personalunion mit dem Präsidenten, der Präsidentin eines Oberlandesge richts zu bilden, so wie wir das beim Bayerischen Verfas sungsgerichtshof auch haben, und sogar das Gericht zu verlegen, vielleicht nach Nürnberg, nach Bamberg oder vielleicht nach Regensburg oder Ingolstadt, wohin auch immer.

(Karin Radermacher (SPD): Jetzt hat er alles auf gezählt!)

Alle diejenigen, die sich ernsthaft damit befassen, bestäti gen, dass damit mindestens die gleichen Einsparungen erzielt werden könnten. Es ist also nicht wahr, wenn Sie sagen, Sie wollen 1,45 Millionen Euro einsparen und dass es nur so geht, wie Sie es vorgeschlagen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im weiteren Ge setzgebungsverfahren wird neben diesen Grundsatzfra gen auch darüber zu reden sein, ob die Abschaffung des Gerichts gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstößt und ob es mit den Grundprinzipien der Gewalten teilung vereinbar ist, Maßnahmen der Gerichtsorganisati on ausschließlich auf allgemeine fiskalische und verwal tungsorganisatorische Gründe zu stützen. Man wird darü ber reden müssen, warum zwar die Rechtsbeschwerden in Ordnungswidrigkeitssachen bei einem OLG konzent riert werden sollen, die Revisionen in Strafsachen aber nicht. Man wird darüber reden müssen, welche Auswir kungen das Vorhaben auf die bisherige Arbeit des Gene ralstaatsanwalts und des Staatsschutzsenates haben wird. Man wird darüber reden müssen, dass die Qualität der Rechtsprechung in den bisher vom Obersten Landes gericht erledigten Verfahren nicht gewahrt werden kann, auch wenn sie von noch so tüchtigen – das unterstreiche ich – Richtern am Oberlandesgericht künftig erledigt wer den.

(Beifall bei der SPD)

Und man wird darüber reden müssen, welche Auswirkun gen die Abschaffung auf die Einheitlichkeit der Rechtspre chung in Bayern haben wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer einen Vor schlag dieser Art unterbreitet, ist beweispflichtig dafür, dass es nicht anders geht und dass das Vorhaben zwin gend notwendig ist. Diese Beweislast hat die Staatsregie rung bislang nicht erfüllt, und ich fürchte, es wird ihr auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht gelingen. Zwar meinen manche, dass die Entscheidung schon ge fallen sei. Es wird bereits jetzt versucht, mit der juristisch fragwürdigen Nichtbesetzung freier Stellen beim Obersten Landesgericht unter Abordnung von Richtern dorthin Fak ten zu schaffen, obwohl das Gesetzgebungsverfahren heute erst beginnt. Es muss deshalb auf die Selbstver ständlichkeit hingewiesen werden, dass die Entscheidung über die Zukunft – ich sage bewusst: über die Zukunft und nicht über die Abschaffung - dieses Gerichts nicht vom Ministerpräsidenten, nicht von der Staatskanzlei und

auch nicht von der CSU in einer Fraktionssitzung getroffen wird, sondern dass die Entscheidung hierüber von diesem Hohen Haus zu treffen ist.

(Beifall bei der SPD)

Und wenn die Mehrheit noch Sachargumenten zugänglich ist, dann kann das Ergebnis der weiteren Beratung nur lauten, dass der Gesetzentwurf der Staatsregierung abge lehnt wird und andere Möglichkeiten gesucht werden, um Einsparungen in der erhofften Größe zu erreichen.

(Beifall bei SPD und GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung, Frau Kol legin Stahl. Anschließend wird Frau Staatsministerin Merk noch einmal sprechen. Es wird also, wenn die Fraktionen es wünschen, eine weitere Runde geben. Bitte, Frau Kol legin.

Herr Präsident, meine Herren und Damen! Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Nach diesem Motto kämpfen bis zum heutigen Tag – ich denke, das wird auch noch weiter gehen - namhafte Juristinnen und Juristen und Institutionen für den Erhalt des Bayeri schen Obersten Landesgerichts und versuchen, Sie, die Bayerische Staatsregierung, von Irrwegen und Irrglauben abzubringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Irrweg, weil die Abschaffung des Bayerischen Obersten Landesgerichts eben nicht zu einer Verbesserung des bayerischen Rechtssystems führen wird und Irrglauben, weil Sie niemals die Einsparungen erreichen werden, die Sie sich erhoffen.

Ich gebe Ihnen allerdings Recht, es bedeutet nicht, dass die Einsparungen, die eventuell erzielt werden können – auch gestreckt -, Peanuts sind, wie Herr Kollege Schindler schon anführte und wie teilweise Vertreter derjenigen be haupten, die das Bayerische Oberste erhalten wollen. Ich gehe eher von Einsparungen in einer Größenordnung von 400 000 bis 500 000 Euro aus.

Gerade wir GRÜNEN sind äußerst unverdächtig, wenn wir nicht nur eine Entscheidung treffen, die historische Grün de hat, sondern eine Kosten-Nutzen-Analyse fordern. Die Einsparung steht unseres Erachtens jedoch in keinem Verhältnis zu dem Schaden, den wir anrichten, wenn wir das Bayerische Oberste abschaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In der Anhörung zum Bayerischen Obersten Landesge richt waren die Anmerkungen der Fachleute unisono auf Ablehnung ausgerichtet, wie bereits angesprochen wur de. Die Entscheidungen des Bayerischen Obersten haben ein hohes Niveau, weil an diesem Gericht – im Gegensatz zu anderen Gerichten, wo dies aufgrund hoher Pensen nicht mehr der Fall ist – wissenschaftlich intensiv gearbei tet werden kann. Ich sehe nicht ein, dass es falsch sei zu sagen: Weil alle Gerichte unter hohen Pensen leiden, muss dies auch bei diesem Gericht der Fall sein. Es muss auch noch Raum für wissenschaftliches Arbeiten geben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dann haben wir das Problem, dass Gerichtsangelegen heiten unter Umständen nicht mehr einheitlich zu ent scheiden sein werden. Urteile im Nachlass-, Betreuungs- und Wohnungseigentumsrecht haben jedoch auch für die bundesdeutsche Rechtsprechung eine grundsätzliche Bedeutung.

Die Aufteilung des Bayerischen Obersten Landesgerichts in einzelne Senate wird dazu führen, dass die Einheitlich keit der Rechtsprechung gefährdet ist. Natürlich geht es nicht darum, dass, wie Herr Dr. Weiß sagte, bei einer Auf teilung Zusammenfassungen nicht möglich sind. Natürlich werden dann nicht alle OLGs über Nachlasssachen ent scheiden, sondern diese Fälle werden an einem Gericht konzentriert.

Aber das ist nicht der Punkt. Herr Kollege, Sie waren lo benswerterweise in der Anhörung als einer der wenigen anwesend und müssten deshalb aufgeklärt sein: Der Teu fel steckt im Detail, wie wir gehört haben. Bei Strafsachen zum Beispiel ist für eine vorsätzliche Steuerhinterziehung eine andere Zuständigkeit gegeben wie für eine fahrlässi ge Steuerhinterziehung. Oder wenn sich im Laufe eines Verfahrens herausstellt, dass jeweils die eine statt der an deren Variante gegeben ist, kommen wir zu uneinheitli chen Entscheidungen. Hier ist es sehr schwierig, genau auf den Punkt zu kommen. Dieses Problem haben wir grundsätzlich bei allen Straftaten, die anders als Ord nungswidrigkeiten behandelt werden müssen. Vielleicht kann man da eine Lösung finden; dem Gesetzentwurf kann ich jedenfalls keine Lösung entnehmen. Richtungs weisende Urteile wie bisher wird es nicht mehr geben. Künftig werden sich die Oberlandesgerichte ihre eigenen Schwerpunkte setzen.

Wir sind schon etwas entsetzt darüber, dass in der laufen den Auseinandersetzung fast ausschließlich mit finanziel len Gründen und nicht mit Qualitätsverbesserung argu mentiert wird.

Auf der Anhörung wurde vonseiten der Staatsregierung auch gesagt, einer der Gründe für die Auflösung des Bayerischen Obersten seien strukturpolitische Entschei dungen. Ich habe sehr gut verstanden, dass einer der Experten aus der Haut fuhr und sagte, das Bayerische Oberste Landesgericht falle nicht unter die Grenzlandför derung. Diesem Experten muss ich Recht geben. Finanzi elle und strukturpolitische Gründe anzuführen, um ein hervorragend arbeitendes Gericht aufzulösen, halte ich für verfehlt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich hätte auch von CSU-Kollegen erwartet, für die Justiz in die Bresche zu springen, als beispielsweise vom Kol laps der Justiz die Rede war. Das fand ich überzogen, zudem jahrelang zu hören war, dass unsere Justiz hervor ragend arbeite, Gerichtsentscheidungen sehr schnell er folgten und es gut sei, dass man gut ausgebildete Rechts anwälte habe. All dies wurde mit einem Schlag infrage gestellt und davon geredet, dass ein Kollaps der Justiz

bevorstehe, wenn man das Bayerische Oberste nicht aus heble. Das ist eine absurde Behauptung. Frau Justizmi nisterin Dr. Merk machte zwar noch ein paar Einschrän kungen, der Vorwurf kann aber so zusammengefasst werden.

Die Auseinandersetzung begann mit einem Stilbruch und mit der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten, der es bis zum heutigen Tag nicht für nötig hielt, mit den Be troffenen ein Wort zu wechseln. Damit wurde dieser Stil bruch manifestiert.

Dieser schlechte Stil hat sich fortgesetzt, indem am Baye rischen Obersten Richterstellen per Abordnung besetzt wurden. Wir halten das durchaus für rechtlich überprü fenswert. Hier Fakten zu schaffen, bevor die Legislative zum Zuge kommt, finde ich unverfroren.

Alternativen wurden nicht überprüft. Ich finde es bemer kenswert, dass sich am Bayerischen Obersten die Kolle ginnen und Kollegen mit dem Gehalt eines Richters am OLG zufrieden gegeben und Gehaltseinbußen hingenom men hätten. Ebenso wenig wurde überprüft, ob die Verla gerung nach Nürnberg gewisse Einsparungen erbracht hätte, die es ermöglicht hätten, das Bayerische Oberste trotzdem zu erhalten, weil man dann zum Beispiel die Personalunion hat und Räume, wie zum Beispiel die Bibli othek, miteinander nutzen kann. Auf der Anhörung wurde vonseiten der Staatsregierung sogar zugegeben, dass diese Möglichkeit nicht ansatzweise geprüft wurde.

In Bayern verlieren die Justiz und die richterliche Unab hängigkeit immer mehr an Einfluss zugunsten der Verwal tung und der Polizei. Ich bestreite die Aussagen der Jus tizministerin und erwarte, dass sie hier für die Justiz mehr in die Bresche springt. Denn die Justiz ist uns GRÜNEN angesichts ihrer Bedeutung als dritter Säule in unserem Rechtsstaat nicht egal. Diesen Rechtsstaat mit den drei Säulen der Gewaltenteilung gilt es zu schützen. Deswe gen sagen wir: Hände weg vom Bayerischen Obersten Landesgericht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Wortmeldung: Frau Staatsministerin.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Abgeordneter Schindler, ich bedauere, dass heute die sachlichen Erklärungen durch polemische und bösartige Attacken und Verdrehungen von Ihnen abgelöst wurden.

(Karin Radermacher (SPD): Daran müssen Sie sich schon ein bisserl gewöhnen! – Weitere Zuru fe von der SPD)

Die von Ihnen gestarteten Angriffe greifen nicht. Es ist eine Tatsache, dass sich genau der hier angegebene Grund, nämlich die finanzielle desaströse Situation, in den letzten Monaten deutlich festigte und Deutschland von der Sub stanz lebt. Ihre Aussage, wir bräuchten keine Strukturän derungen insgesamt, kann ich nicht verstehen.

(Karin Radermacher (SPD): Das ist lächerlich! – Weitere Zurufe von der SPD)

Mein Schwerpunkt war - wie Frau Stahl richtig feststellte – nicht nur der finanzielle Einsparungseffekt der Auflösung des Bayerischen Obersten, sondern auch der strukturpo litische Effekt. Strukturpolitik beschränkt sich nicht nur auf Grenzlandförderung, sondern heißt auch, dass wir unsere Ressourcen auf die momentan zu bewältigenden Anfor derungen und darauf ausrichten, dass wir in Zukunft be stehen können und keinem Kollaps unterliegen. Frau Stahl, das war kein Angriff gegen unsere Bediensteten.

Was das Thema „finanzieller Aspekt“ betrifft, haben Sie vorhin wahrscheinlich überhört, dass bereits im nächsten Jahr über 600 000 Euro allein beim Personal eingespart werden, hinzu kommen 282 000 Euro an Sacheinsparun gen. 2007 haben wir bereits Einsparungen von rund einer Million Euro.

Sie können das jederzeit einsehen und nachrechnen. Es ist so. Wissenschaftliche Arbeiten, meine Damen und Her ren, gehören nicht an die Gerichte sondern an die Univer sitäten.

Lassen Sie mich als Letztes ein Wort zur Besetzung der Stellen sagen. Es sind keine Fakten geschaffen worden. Es handelt sich um Lebenszeit-Richter des Oberlandes gerichts, die zeitlich an das Bayerische Oberste Landes gericht abgeordnet sind. Wir haben vorausschauende Ar beit geleistet. Ich möchte nicht wissen, was Sie gesagt hätten, wenn wir die Stellen in einem laufenden Verfahren endgültig besetzt hätten. Wir können die Abordnungen jederzeit aufheben und die Stellen ausschreiben. Es wur de kein Fakt geschaffen.

(Christine Stahl (GRÜNE): Das ist das Bedenkli che!)