Protocol of the Session on May 12, 2004

Aufgabe der Politik ist es daher, diesen Vorbehalten und Ängsten auf der einen Seite durch Überzeugungsarbeit und auf der anderen Seite dadurch zu begegnen, dass man den Gründen für Ängste die Rechtfertigung, zumindest teilweise, nimmt. Man muss festhalten – ich glaube, dies gilt quer durch alle Fraktionen -: Die Protagonisten einer zunehmenden europäischen Integration haben bei der Aufgabe versagt, die Leute mitzunehmen, und zwar dort, wo die Leute stehen, und die Leute zu überzeugen. Diese Protagonisten sind die so genannten Eliten in der Politik, in der Wirtschaft, in der Wissenschaft, aber auch in den Medien.

Dieser Vorwurf richtet sich aber in ganz besonderem Maße an Sie, meine Damen und Herren von der CSU und von der Staatsregierung; denn Sie machen genau das Gegenteil von Überzeugung. Sie verunsichern die Leute durch die Verbreitung von Halbwahrheiten und von Unwahrheiten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Genau dasselbe geschieht jetzt wieder in Zusammenhang mit dem Zusammenwachsen von Europa, in Zusammenhang mit der Erweiterung. Die Bayerische Staatsregierung und weite Teile der CSU nehmen die Erweiterung zum Anlass, mit einem Gemisch aus Schuldzuweisungen an die rot-grüne Bundesregierung und aus scheinheiligen populistischen Forderungen zu agitieren. Der Bundesregierung wird vorgeworfen, sich zu wenig für die Interessen Deutschlands und Bayerns einzusetzen.

(Prof. Dr. Gerhard Stockinger (CSU): Richtig!)

Immer wieder wird die Nettozahlerrolle Deutschlands angeführt. Meine Damen und Herren, wo sind wir eigentlich? – Kollege Maget hat auf die Bruttozahlungen verwiesen. Ich spreche noch einmal die Nettozahlungen an. Zu Zeiten von Kohl und Waigel waren wir in ungleich stärkerem Maße Nettozahler der Europäischen Union. Herr Kollege Herrmann, das hängt eben nicht nur damit zusammen, dass Deutschland wirtschaftlich jetzt relativ schlechter dasteht, sondern das hängt auch damit zusammen, dass Deutschland innerhalb Europas durch Rot-Grün wesentlich besser vertreten wird, als das noch zu Zeiten der Vorgängerregierung der Fall war.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD – La- chen bei der CSU)

Ich nenne ein Beispiel. Beim Gipfel in Berlin 1999 ist es Rot-Grün gelungen, den Beitrag Deutschlands am Britenrabatt massiv herunterzufahren, nämlich von knapp 30 % auf 8 %. Das entspricht etwa einer Milliarde Euro im Jahr. Wir erinnern uns gut an die Großzügigkeiten von Kohl und an die Großzügigkeiten von Waigel. Als Maggie Thatcher gesagt hat: I want my money back, haben Sie geschrieen: Ja, wir geben es dir. Sie haben den Britenrabatt großzügig unterstützt. So ist es gewesen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Reinhold Bocklet (CSU))

Sie waren damals noch nicht im Geschäft dabei. Kohl und Waigel waren wesentlich großzügiger und haben sich für die deutschen Interessen wesentlich schlechter eingesetzt, als dies heute der Fall ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Zur Diskussion über die Gemeinschaftsaufgaben: In der Föderalismuskommission tritt Herr Stoiber oder sein Chef, Herr Schön, auf und sagt: Die Gemeinschaftsaufgaben waren der größte Sündenfall in der Geschichte unseres Staatswesens; unbedingt weg mit den Gemeinschaftsaufgaben.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Dr. Edmund Stoi- ber – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Runter von der Regierungsbank!)

Ich spreche von Ihnen, weil Sie besonders lamentieren; zum Teil wollen Sie das gar nicht wieder wegdrücken. Wenn der Bund sagt, er will sich aus der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur“

zurückziehen bzw. die Mittel von 10 auf 7,5 Millionen Euro kürzen, setzt hier das große Lamentieren ein. Als neueste Sau, Herr Ministerpräsident, wird die Forderung nach einem Mindeststeueraufkommen bei Steuern auf Unternehmensgewinne in den neuen Mitgliedstaaten durchs Land getrieben.

Dazu sagen wir: Sicherlich kann und muss über eine Annäherung bei den direkten Steuern innerhalb der EU diskutiert werden. Sie werfen ein: Fischer! Aber wir GRÜNE haben schon immer darüber geredet. Ich spreche jetzt aber Sie an. Die Forderung der CSU zu einem Zeitpunkt, zu dem die Beitrittsverhandlungen längst Geschichte sind, und im Wissen darüber, dass in Steuerfragen im Europäischen Rat Einstimmigkeit gefordert ist, ist doch eher dem Wahlkampfpopulismus geschuldet. Herr Stoiber, Sie ereifern sich hier. Es waren doch die CSU und die Staatsregierung, die immer auf der eben genannten Einstimmigkeit in Steuerfragen bestanden haben. Sie und die Briten haben letztlich ganz massiv darauf bestanden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es war die CSU – es gibt Anträge aus jüngster Zeit –, die ganz laut geschrieen hat: Autonomie in Steuerfragen und im Steuerwettbewerb. Jetzt sagen Sie: Sicher, wir kennen die erforderliche Einstimmigkeit in Steuerfragen; wir können daran nichts drehen. Wir machen ein bestimmtes Steueraufkommen aber zur Voraussetzung bei der Strukturförderung. Das ist dann aber doch nicht ganz so der Steuerwettbewerb, den Sie auf der anderen Seite immer propagieren. Auch hier besteht also wieder sehr viel Scheinheiligkeit. Wenn Sie ein paar Jahre früher darauf gekommen wären, hätten wir dies als ehrliches Angebot gerne angenommen und diskutiert. Wie gesagt: Für uns war nie überzeugend: zwar eine Annäherung bei den indirekten Steuern, zum Beispiel der Mehrwertsteuer, aber nicht bei den direkten Steuern. Zumindest sind Sie viel zu spät aufgewacht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In unseren Augen sollte die Staatsregierung vor der eigenen Haustür kehren und selber durch Aktivitäten überzeugen. Es ist Ihre ureigene Aufgabe, Unternehmen und Kommunen, allen Menschen in den bayerischen Grenzregionen den Übergang zu erleichtern und allzu starke Friktionen vor Ort verhindern zu helfen.

Ich bringe jetzt Beispiele, wie Anspruch und Realität, wie Geschrei und Umsetzung auseinander klaffen. Vor Ort, aber auch im Bayerischen Landtag tönen CSU-Politiker, sie wollten sich für die Belange bayerischer Unternehmer und bayerischer Arbeitnehmer einsetzen.

Gleichzeitig werden – auch auf Betreiben Bayerns – im Bundesrat Pläne zur Einführung eines bundesweiten Registers, in dem neben Delikten wie Geldwäsche, Subventionsbetrug und Korruption Verstöße von Unternehmen gegen gesetzliche Vorschriften zur Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitnehmerentsendung aufgelistet sind, zu Fall gebracht. Dies geschieht mit der Argumentation, dass dies nichts mit dem Wettbewerb zu tun hätte. Meine Damen und Herren, wenn ein Bauunternehmen eigentlich

gar kein Bauunternehmen ist, sondern primär Geldwäsche betreibt, kann es seine Leistungen günstiger als ein anderes Unternehmen anbieten. Das hängt sehr wohl mit dem Wettbewerb zusammen.

Die Staatsregierung hat sich geweigert, über den Bundesrat an einer bundesgesetzlichen Rechtsgrundlage für eine Tariftreueregelung mitzuwirken bzw. sich für eine Öffnungsklausel für landesrechtliche Tariftreueregelungen zu bemühen, wie das der Landtag einstimmig beschlossen hat. Warum verweigern Sie sich solchen Lösungen? Auf diese Weise könnten wir in Deutschland und in Bayern ausuferndes Lohndumping verhindern. Wir könnten auch Wettbewerbsverzerrungen eingrenzen. Sie machen das schlicht und einfach nicht mit. Sie schaden damit bayerischen Unternehmern und bayerischen Arbeitnehmern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Augenfällig sind die Widersprüche der CSU beim Thema „Wirtschaftsförderung im Grenzland“. Auf der einen Seite erheben Sie nahezu täglich lautstarke Forderungen an den Bund und die EU, sich dafür zu engagieren, auf der anderen Seite reden die gleichen CSU-Politiker einer drastischen Begrenzung des europäischen Haushalts das Wort und nehmen dabei bewusst in Kauf, dass dies das Aus für jegliche Regionalförderung aus europäischen Mitteln für Bayern bedeuten würde.

Sehen wir uns einmal den jetzigen Finanzplanungszeitraum bis zum Jahr 2006 an. Für Bayern sind 878 Millionen Euro für Ziel-2, Ziel-3 und für Gemeinschaftsinitiativen vorgesehen. Pro Jahr sind das etwa 130 Millionen Euro. Die Staatsregierung hat sich bereit erklärt, ab dem Jahr 2007 auf diese Förderung zu verzichten, mit dem Verweis auf die Notwendigkeit der Konzentration der Förderung auf die wirklich bedürftigen Regionen in Europa. Das ist lobenswert und in unseren Augen der richtige Weg. Gleichzeitig wurden jedoch die bisher bedachten bayerischen Regionen mit der lautstarken Forderung nach Spielräumen für nationale, also auch freistaatliche, Förderungen beruhigt.

Laut Staatsregierung würden Freiräume für eigenständige Regionalpolitik aus eigenen Mitteln benötigt, sonst drohe ein riesiges Fördergefälle. Dieser Beruhigungsversuch enthält nicht einmal die halbe Wahrheit; denn was helfen Spielräume für nationale Förderungen, wenn es in der Politik erklärter Wille und Fakt ist, dass die freistaatliche Förderung zurückgefahren wird? Wir haben das vor wenigen Wochen erlebt. Die regionale Wirtschaftsförderung wurde von 88 Millionen Euro auf 60 Millionen Euro im Nachtragshaushalt zurückgeführt.

Meine Damen und Herren von der CSU und vor allem von der Staatsregierung, zurück zur Forderung von Herrn Dr. Stoiber, der Bund solle sich hier stärker engagieren. Die Bayerische Staatsregierung ist es doch, die verkündet, dass Bayern der Hauptgewinner der Erweiterung der Europäischen Union sei, auch innerhalb Deutschlands. Wenn wir als Opposition im Bayerischen Landtag die großen regionalen Diskrepanzen und Unterschiede in Bayern kritisieren, streiten die Staatsregierung und die CSU erst einmal alles ab und tönen, dass selbst die schlechtesten

„bayerischen Regionen“ besser seien als der Durchschnitt der Regionen in Deutschland. Und dann soll der Bund auf einmal zahlen. Sie behaupten, Bayern sei der Hauptgewinner und alle bayerischen Regionen stünden wunderbar da. Gleichzeitig gehen Sie nach Berlin und fordern, Berlin solle zahlen. Meine Damen und Herren von der Staatsregierung, das ist nichts anderes als beschämende Bettelei.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn die Glaubwürdigkeit hinsichtlich des strukturellen Bedarfs darunter gelitten haben sollte, dass die Staatsregierung den Freistaat ständig als Musterknaben der Nation präsentiert, haben sich das die Staatsregierung und die CSU selbst zuzuschreiben.

(Alexander König (CSU): Das bedeutet, Sie kümmern sich nicht um hiesige Interessen, sondern um die Bundesregierung! Wann haben Sie sich in Berlin dafür eingesetzt, Geld von der Bundesregierung zu bekommen?)

Mit dieser Angeberei schaden Sie Bayern und den bayerischen Regionen unmittelbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich komme zur Verkehrspolitik: Die Osterweiterung hat einen wachsenden Güteraustausch und ein wachsendes Verkehrsaufkommen zur Folge. Das ist keine Frage. Bayern wird somit verstärkt zum Transitland, jetzt auch in OstWest-Relation. Unstrittig ist auch, dass wir mit der vorhandenen Verkehrsinfrastruktur nicht zufrieden sein können, vor allem in der Grenzregion zur tschechischen Republik. Allerdings sind Klagen von CSU-Politikern und der Bayerischen Staatsregierung an die rot-grüne Bundesregierung völlig fehl am Platze und unglaubwürdig, weil die gleichen CSU-Politiker den Bund und die Bahn in milliardenschwere Finanzabenteuer getrieben haben.

(Alexander König (CSU): Wer ist denn für den Bund und den Bundesfernstraßenbau zuständig?)

Die Strecke München – Ingolstadt – Nürnberg hätte 4 Milliarden DM kosten sollen, tatsächlich kostet sie 4 Milliarden Euro. Diese Strecke soll bis Erfurt durch den Gottesgarten und den Thüringer Wald fortgesetzt werden. Das wird voraussichtlich weitere 7 Milliarden Euro kosten. Für den Transrapid in München sollen Milliarden ausgegeben werden. Dass dieses Geld an anderer Stelle fehlt, ist selbstverständlich.

(Beifall bei den GRÜNEN – Alexander König (CSU): Sie verteidigen also, dass nichts getan wird!)

Herr Kollege König, weil Sie sich gerade so ereifern, möchte ich Ihnen ein paar Hausaufgaben mitgeben. Die Fußballweltmeisterschaft wird in Deutschland und in Bayern stattfinden.

(Thomas Kreuzer (CSU): Sind Sie dagegen? Dann sagen Sie, dass Sie dagegen sind!)

Herr Dr. Stoiber und seine Paladine haben sich dafür massiv eingespreizt. Jetzt spreizen Sie sich für eine gute Verkehrsbedienung der Stadien ein. Sie schreien, dass bei der A 99 und bei der A 9 etwas passieren müsste. Wehe dem Bund, wenn er hier nichts tut! Tatsächlich werden gerade für die A 99 und für die A 9 etwa 100 Millionen Euro ausgegeben. Der Freistaat bezuschusst aus seinem Landeshaushalt massiv Maßnahmen für das untergeordnete Straßennetz und den U-Bahn-Bau im Zusammenhang mit dem Stadion.

(Thomas Kreuzer (CSU): Was macht die Bundesregierung, an der Sie beteiligt sind?)

- Herr Kollege Kreuzer, ich will Ihnen sagen, was wir kritisieren: Sehen Sie sich einmal die Fördermittelbescheide an. Dort steht, dass weit über die Regelförderung hinaus bezuschusst werde, aufgrund der besonderen landespolitischen Bedeutung des Stadions und aufgrund der besonderen landespolitischen Bedeutung der Fußballweltmeisterschaft.

(Thomas Kreuzer (CSU): Was machen Herr Schröder und Herr Fischer?)

- Sie können nachher selbst reden oder versuchen, einen Redebeitrag unterzubringen. Am Mikrofon bin ich immer noch eine Spur lauter als Sie. Qualifizierter als Sie bin ich in jedem Fall. Lassen Sie mich bitte meinen Gedanken zu Ende führen.

(Alexander König (CSU): Wann waren Sie das letzte Mal bei Ihren Genossen in Berlin? – Thomas Kreuzer (CSU): Ist Herr Maget auch gegen die Fußballweltmeisterschaft?)

Die Fördermittelbescheide enthalten eine Förderung, die weit über die Regelförderung hinausgeht, mit der Begründung, wegen der besonderen landespolitischen Bedeutung sei dies gerechtfertigt. Ich möchte Ihnen ein paar Summen nennen: 35 Millionen Euro wurden für den Ausbau des U-Bahnhofs der U 6 am Marienplatz genehmigt. 20 Millionen Euro wurden für den U-Bahnhof Fröttmaning bereitgestellt. Das lasse ich mir irgendwo eingehen. Man kann aber kritisch fragen, warum hier besonders gefördert werden muss. Nur, zeigen Sie mir bitte einen Fördermittelbescheid der Staatsregierung, in dem begründet wird, dass weit über den Regelfördersatz hinaus gefördert werde, weil eine bessere Verkehrsbedienung Ostbayerns in Richtung tschechische Republik eine besondere landespolitische Bedeutung habe. Solche Förderbescheide gibt es nicht. Das ist die Scheinheiligkeit der CSU, das ist die Scheinheiligkeit der Staatsregierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Setzen Sie bitte entsprechende Prioritäten. Herr Kollege König, seien Sie Manns genug und stellen Sie solche Anträge. Es kann doch nicht sein, dass alles dahin oder dorthin geht, und zu Ihnen gar nichts kommt.

(Alexander König (CSU): Sie sollten wissen, welche Förderungen es für den ostbayerischen Raum gibt! Sie sollten sich vor allem in Berlin dafür einsetzen, dass die Mittel nicht weiter gekürzt werden, sondern zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt werden!)