Protocol of the Session on April 23, 2004

Sie reden dann noch über den Informationsaustausch zwischen den deutschen Sicherheitsbehörden. Sie haben es selbst erwähnt: Bayern leistet Widerstand gegen die Einrichtung eines nationalen Lageanalysezentrums, eines Zentrums, in dem die Informationen zusammenfließen sollen. Bayern hat zu all diesen Bestrebungen sein Veto eingelegt. Sie fordern aber ein nationales Informationszentrum. Ich muss sagen: So darf man nicht argumentieren. Der Bundesinnenminister ist auf einem sehr guten und richtigen Weg und versucht, Informationen zusammenzuführen. Er versucht, eine nationale Lageanalyse erstellen zu lassen. Im Bundesrat verweigern Sie aber Ihre Zustimmung dazu. Das ist nicht ganz sauber.

Deshalb meine ich: Sie gehen wieder den Weg, Ängste zu schüren, die Bürger zu erschrecken; dann kommt Herr Beckstein, zieht sich selbst an den Haaren heraus und tritt als Retter der Nation bei der inneren Sicherheit auf. Das geht nicht.

(Beifall bei der SPD)

Damit bin ich bei Ihrer weiteren Forderung in diesem Bereich: die Einbindung der Bundeswehr in die Bekämpfung von Kriminalität, vor allen Dingen von Terrorismus. Was ich eben gerade gesagt habe, Herr Dr. Beckstein, das haben Sie auch selbst besonders betont. Die Wahrnehmung der originären polizeilichen Aufgaben ist Sache der Länder; das muss man als Grundsatz festhalten. Das ist einer der großen Bausteine des Föderalismus neben der Bildungspolitik, dass wir dort autark und selbst zuständig sind. Auch wenn die terroristischen Bedrohungen so groß sein mögen, wie Sie gesagt haben, dann darf man trotzdem nicht von der lange bewährten Trennlinie zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben abweichen. Das ist ein Grundsatz, der verfassungsrechtlich eindeutig ist und – wie ich meine – von dem es keine Abweichung geben darf. Das Grundgesetz räumt uns schon genügend Möglichkeiten ein, vor allem Artikel 35. Wir haben genügend Möglichkeiten, die Bundeswehr auf Anforderung einzusetzen. Ihre Beispiele aus Frankreich oder Spanien gehen daneben. Sie wissen ganz genau, dass Artikel 35 des Grundgesetzes erlaubt, dass die Bundeswehr zur Verhinderung eines konkret bevorstehenden Unglücksfalles eingesetzt werden kann. Sie argumentieren aber wieder juristisch: Das stehe dort nicht ausdrücklich drin. Wenn Sie den Gesetzestext des Artikels 35 Absatz 2 des Grundgesetzes genau lesen, dann werden Sie feststellen, dass es keinen Sinn haben kann, dass die Bundeswehr erst abwartet, bis ein Unglücksfall eingetreten ist, um dann erst einzugreifen. Alle Verfassungsrechtler sind sich einig, dass sie auch einen konkret bevorstehenden Unglücksfall verhindern kann, zum Beispiel einen bevorstehenden Dammbruch. Die Bundeswehr muss nicht warten, bis der Damm überspült wird, sondern sie kann schon vorher Sandsäcke legen. Dasselbe gilt für den von Ihnen angesprochenen ABC-Schutz. Im Wege der Amtshilfe kann die Bundeswehr, wenn ein ABC-Notfall vorliegen würde, selbstverständlich ihren ABC-Trupp einsetzen.

Ich kann nur sagen: Es gibt eigentlich keinen Anlass für eine Grundgesetzänderung. Die Sachlage und die Rechtslage sind eindeutig; die Bundeswehr kann in diesen Fällen eingreifen. Ich sage noch eines, Herr Dr. Beckstein: Sie fordern auch, die Bundeswehr müsse neu gegliedert werden. Sie wollen nicht nur eine Organisationsreform im eigenen Hause machen, Sie wollen auch eine Organisationsreform bei der Bundeswehr haben.

Sie wollen nämlich den Heimat- und Territorialschutz in Form einer Nationalgarde neu aufbauen. Dazu fällt mir Folgendes ein: Auf der einen Seite wollen Sie in Bayern Planstellen streichen, auf der anderen Seite wollen Sie diese Stellen anscheinend mit Bundeswehrkräften ausgleichen. Das geht nicht, Herr Beckstein. Das ist kein Föderalismus.

(Beifall bei der SPD)

Sie können nicht auf der einen Seite Organisationsreformen durchführen, um weniger Polizei zu haben und auf der anderen Seite sagen, da kann ich mir doch raushelfen, indem ich einfach den Heimatschutz anfordere. Auch der Heimatschutz ist Territorialschutz. Ich glaube, auch Sie haben darin gedient. Ich jedenfalls habe das lange Zeit getan. Der Territorialschutz ist nicht dafür da, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Er kann Aufgaben wahrneh

men, die ihm das Grundgesetz im Rahmen der Bundeswehr zuerkennt. Es kann aber nicht sein, dass Sie die Grenzen zwischen Bundeswehr und Polizei aufbrechen, indem Sie den Heimatschutz und eine Nationalgarde einführen und sagen, die können dann auch noch Polizeiaufgaben machen, wenn es bei uns nicht mehr reicht. Das würde bedeuten, bei der nächsten Sicherheitskonferenz in München hätten wir den Heimatschutz statt der Polizei. Das wäre ein schlechtes Zeichen.

Damit bin ich bei der letzten Forderung, die Sie für die Bundeswehr haben. Ich konnte es gar nicht glauben und musste es dreimal lesen. Ich kann gar nicht glauben, was Ihr Haus Ihnen in Ihre Rede hineingeschrieben hat. Ich würde gerne wissen, wer das gewesen ist. Dort steht doch tatsächlich, dass die Bundeswehr die Fußballweltmeisterschaft 2006 bewachen soll. Meine Damen und Herren, wenn ich mir diese Forderung bildlich vorstelle: Wir haben das Eröffnungsspiel in München und ich muss nicht durch eine Polizeikontrolle, sondern durch eine Kontrolle von Bundeswehrsoldaten. Da stehen dann meine Kameraden von der Bundeswehr mit ihrem Gewehr und bewachen das Stadion.

(Ulrike Gote (GRÜNE): Vielleicht kriegen die dann ein neues Trikot!)

Können Sie sich das vorstellen? Können Sie sich vorstellen, dass man tatsächlich Bundeswehreinheiten einsetzt, um die Fußballweltmeisterschaft zu bewachen?

(Margarete Bause (GRÜNE): Kein bayerisches Bier, aber Bundeswehr!)

Nein, Herr Beckstein, das ist mit uns nicht zu machen. Es sollen doch friedliche Spiele sein. Friedliche Spiele aber gehören durch die Polizei bewacht und nicht durch militärische Einheiten.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn ich all das zusammenfasse und frage, wie wir weiter gegen den Terrorismus vorgehen wollen, dann verweise ich auf das Programm der Bundesregierung, die so genannte Antiterrorstrategie der Bundesregierung. In diesem Programm, das Sie sicher auch gelesen haben, ist der rote Faden der Antiterrorstrategie in fünf Zielen zusammengefasst. Mit diesen Zielen stimmen Sie sicher überein, wie wir im Übrigen ohnedies keine große Abweichung voneinander haben. Wenn diese fünf Ziele beachtet werden, dann glaube ich, sind wir auf einem guten Weg und wir brauchen keine zusätzlichen Sicherheitspakete.

Ziel 1: Terroristische Strukturen zerstören. Die Bundesregierung übt erheblichen Fahndungs- und Ermittlungsdruck aus. Wir haben 182 Ermittlungsverfahren laufen, wir haben die Verurteilungen – das Meriani-Verfahren, auch Abdallah – und, das haben Sie nicht erwähnt, wir haben einen anhaltenden Ermittlungsdruck zur Aufklärung von Finanzierungsquellen des Terrorismus, und zwar durch das Geldwäschebekämpfungsgesetz vom August 2002. Auch das ist im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sehr wichtig.

Ziel 2: Terrorismus bereits im Vorfeld abwehren. Das heißt das Verbot islamistischer Unterstützer und von Vorfeldorganisationen und Vereinen. Das bedeutet den Einsatz biometrischer Merkmale auch bei Pässen und Personalausweisen. All das ist Ziel der Bundesregierung.

Ziel 3: Ausbau der internationalen Zusammenarbeit. Das bedeutet auf der europäischen und internationalen Ebene die Verbesserung des Informationsaustauschs. Das heißt aber auch die Verbesserung der Arbeit von Europol. Hier ist bei Ihnen immer noch Zurückhaltung zu spüren. Europol ist für Sie noch immer kein zentrales Instrument der Sicherheit in Europa. Europol sollten wir fördern, gerade weil der Terrorismus international ist, und weil er in den europäischen Ländern sehr stark auftritt. Ich nenne als Beispiele nur Spanien und Frankreich.

Ziel 4: Bevölkerung schützen, vorsorgen, Verwundbarkeit des Landes reduzieren. Das heißt, der Schutz kritischer Infrastrukturen muss verbessert werden. Er wird verbessert. Die Luftsicherheit wird erhöht. Sie selbst haben das Luftsicherheitsgesetz angesprochen, das gerade vorliegt. Denken Sie auch daran, was die Bundesregierung im Hinblick auf die Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Beschäftigten in sicherheitsrelevanten Bereichen in die Wege geleitet hat. Es gab inzwischen eine Unzahl von Sicherheitsüberprüfungen, teilweise mit großen Erfolgen. Die Bundesregierung ist also auch hier tätig geworden.

Jetzt kommt das 5. Ziel, und das hat mir, Herr Beckstein, bei Ihnen gefehlt, Das 5. Ziel heißt bei der Bundesregierung: Ursachen des Terrorismus beseitigen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das bedeutet den Dialog mit dem Islam. Das heißt: Die Reformkräfte in den islamischen Staaten stärken. Das heißt auch, die Förderung von rechtsstaatlichen demokratischen Strukturen und das heißt Entwicklungshilfe, wie beispielsweise der Aufbau in Afghanistan.

(Franz Maget (SPD): Das heißt nicht unbedingt Krieg im Irak!)

Das bedeutet auch nationale, also deutsche Integrationspolitik. Ich erinnere daran, was Ihre Bundesregierung zur Integration gemacht hat. Ich denke beispielsweise an die Russlanddeutschen. Die wurden hereingeholt, ohne dass man irgendetwas für ihre Integration getan hat.

(Beifall bei der SPD)

Dasselbe gilt jetzt für den Dialog mit den Angehörigen des Islam, die in Deutschland leben und von denen wir wissen, dass der überwiegende Teil nicht terroristisch ist. Sie wissen selbst, dass der Dialog noch nicht genügend vorangetrieben worden ist. Ich meine deshalb, einer unserer Schwerpunkte muss es sein, nicht nur Sicherheitspakete zu schnüren, sondern die Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus. Wir müssen auch innerdeutsch bei den Ursachen ansetzen. Wenn wir es schaffen, mit den islamischen Angehörigen in Kontakt zu treten, einen Dialog zu führen, in Berührung zu kommen und Zusammenarbeit zu üben, dann stellt das islamische Terroristen schlechter, denn sie

werden nicht wie der Fisch im Wasser schwimmen können.

Lassen Sie mich zum Terrorismus noch einige Zahlen nennen. Die Bundesregierung, die jetzige Bundesregierung, hat seit 1998 konsequent die Sicherheitsbehörden auf Bundesebene gefördert. Trotz der notwendigen Haushaltskonsolidierungen sind die Finanzmittel für das Bundeskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Bundesgrenzschutz, das Technische Hilfswerk, die Zentralstelle für Zivilschutz, das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik und die Mittel für die Beschaffung der Bereitschaftspolizei der Länder erhöht worden. Der Ausbau der Personalkapazität wurde begleitet von erheblichen Investitionen für die moderne Ermittlungstechnik und Logistik. Es wurden, Herr Beckstein, im Bundeshaushalt im Jahr 2002 für Sicherheit 203,5 Millionen Euro zusätzlich verausgabt und im Jahr 2003 278,7 Millionen Euro. In diesem Jahr wird es noch mehr sein. Damit will ich zeigen, dass die Bundesregierung ihre Hausaufgaben erfüllt hat, während Sie versuchen, durch Organisationsreformen und durch die Verlängerungen von Arbeitszeiten einzusparen. In diesem Zusammenhang muss man sagen, dass es bei der Bundesregierung völlig anders aussieht.

Lassen Sie mich mit einem Ausblick, wie auch Sie das getan haben, und mit einem Rückblick schließen. Erstens. Diese Bundesregierung hat, seit sie an der Regierung ist, stets das Recht des Bürgers auf Sicherheit – ich nenne das ein Grundrecht des Bürgers – gewährleistet. Sie hat die Spitzenposition bei der Bekämpfung des Terrorismus in der Welt gehalten. Das können auch Sie nicht in Abrede stellen. Wir sind das sicherste Land auf dieser Erde. In diesem Zusammenhang gebührt vor allem Innenminister Otto Schily ein besonderer Dank. Er hat sich für das Sicherheitsbedürfnis beispielhaft eingesetzt. Sie selbst müssen zugeben, dass es bei der Bearbeitung von Sicherheitsproblemen noch eine Steigerung gibt. Das ist Otto Schily, der ein Markenzeichen der deutschen Sicherheit ist.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Die Zusammenarbeit der Länder mit der Bundesregierung ist zu verbessern. Das gilt auch für Sie, ich habe das Beispiel vorhin genannt. Es kann nicht sein, dass Sie in der Rolle des Klassenersten – ich würde das nicht Streber nennen – aus lauter Eitelkeit immer wieder neue Forderungen erheben, nur um beim Lehrer aufzufallen. Sie sollten sich schon um mehr Zusammenarbeit bemühen, denn so schlecht sind die Kontakte zwischen dem Bundesinnenminister und Ihrem Hause nicht. Man sollte deshalb auch einmal nach außen dokumentieren, dass wir zusammenarbeiten. Das wäre auch gut für das Sicherheitsgefühl des Bürgers.

Der Bürger muss das Gefühl haben, dass die großen Sicherheitseinrichtungen – das Bundesinnenministerium und die Landesinnenministerien zum Beispiel, vor allem das bayerische Innenministerium – im Grunde gut zusammenarbeiten. Dass die Zusammenarbeit hervorragend ist, wird mir aus Ihrem Hause auch immer wieder bestätigt. Im Grunde ist man sich in allen Sachfragen einig. Wenn ich es prozentual ausdrücke, so habe ich den Eindruck, dass wir

in – sagen wir einmal – 95 % aller Fälle derselben Meinung sind, und nur in 5 % der Fälle wird aus Ihrem Hause gezwungenermaßen Terror gemacht, und es steigt Dampf auf, damit der Bürger das Gefühl hat: So ganz in Ordnung ist das nicht. Ich halte das im Sinne der eingangs gemachten Ausführungen für falsch.

Wir sollten alles dafür tun, dass der Bürger das Gefühl bekommt, dass er durch uns Sicherheitspolitiker gut aufgehoben ist in unserem Land und dass er keine Angst haben muss, Opfer einer Straftat zu werden.

Das Letzte, das ich sagen will, wird Ihnen, Herr Beckstein, ein bisschen wehtun.

(Zuruf: Das macht nichts!)

Sie haben Recht: Wir sind nicht vor Terrorismus gefeit. Der Anschlag am 11. März 2004 in Madrid hat gezeigt, dass Terroranschläge überall ausgeübt werden können. Aber, Herr Beckstein, wir müssen uns auch fragen: Warum ist dieser Terroranschlag gerade in Madrid ausgeführt worden? Die Antwort ist relativ einfach: Spanien hat sich durch Ihre Bruderpartei ohne Vorbehalte an der Seite der USA am Krieg im Irak beteiligt.

(Marianne Deml (CSU): Das ist unerhört!)

Sie können den Bundeswehreinsatz in Afghanistan oder am Horn von Afrika nicht mit dem Krieg im Irak vergleichen. Denn das, was die Bundeswehr tut, erfolgt im Rahmen der Sicherheitsmaßnahmen der UN und mit Auftrag der UN,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

während der Irakkrieg ohne jegliche UN-Verantwortung, ohne UN-Unterstützung und ohne UN-Beschluss geführt worden ist.

Damit ergibt sich für mich eines, Herr Beckstein: Wir mögen über Terrorismus reden, wie wir wollen; den größten Beitrag zur Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik hat diese Bundesregierung dadurch erbracht, dass sie sich nicht am Irakkrieg beteiligt hat.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das ist eine ganz wichtige Entscheidung gewesen.

(Franz Maget (SPD): Mit denen wären unsere Soldaten im Irak! Jetzt wären Bundeswehrsoldaten im Bagdad, wenn Sie die Wahl gewonnen hätten! Sie wären in den Irak gegangen! – Gegenruf der Abgeordneten Marianne Deml (CSU): Das ist unerhört!)

- Nein, Frau Deml, das ist nicht unerhört. Es tut mir Leid. Das hat der damalige Kanzlerkandidat Stoiber gefordert, und Herr Beckstein hat dem zugestimmt. Wir sollten jetzt nicht die Geschichte verdrehen.

(Thomas Kreuzer (CSU): Das, was hier gesagt wird, ist doch völlig falsch!)

Es ist ganz eindeutig gewesen: Sie wollten sich an die Seite der USA stellen und in den Irak ziehen, und wir hätten heute deutsche Soldaten im Irak. - Ich will das nicht vertiefen.

Herr Prof. Dr. Gantzer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Beckstein?

Nur, weil Sie es sind, Herr Minister.