Mich lässt nur noch den Kopf schütteln, dass Sie in den meisten Fällen in Ihrer Antwort und immer dann, wenn Sie keine Antwort haben, auf die Eigenständigkeit der Schulen vor Ort und auf deren Freiheit verweisen, um die Möglichkeit zu haben, die Sache so zu lösen und so zu handeln, wie man es gerne hätte.
Mir sagen Schulleiterinnen und Schulleiter, es sei sehr erfreulich – auch ich bin dieser Meinung –, dass es eine Entscheidungsfreiheit für die Schulen vor Ort geben soll und diese auch dringend notwendig ist. Aber eines geht natürlich nicht, nämlich, dass Ihnen diese Entscheidungsfreiheit immer dann in den Sinn kommt, wenn der Mangel vor Ort verwaltet werden muss, damit Sie die Verantwortung für diesen Mangel von sich wegschieben und sagen können: Liebe Eltern, wendet euch doch an euren Sachaufwandsträger und an eure Schulleitung, weil die dazu da sind, das Problem zu lösen.
Ich meine, Frau Ministerin, liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie hätten wirklich allen Grund, endlich zuzugeben, dass man einen so weitreichenden Einschnitt in die Schulstruktur, wie es die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit nun einmal ist, nicht mit diesem Tempo, von oben herab und über die Köpfe der Betroffenen hinweg sowie ohne gründliche und ausreichende pädagogische und organisatorische Vorbereitung durchdrücken kann. Das ist unverantwortlich und eben nicht zum Nutzen, sondern zum Schaden für unsere Schülerinnen und Schüler. Ich bitte Sie wirklich, geben Sie allen Beteiligten die nötige Zeit, stellen Sie sich ernsthaft den Problemen, die auf uns zukommen werden, und den Folgen, die sich aus dieser Strukturreform ergeben werden. Setzen Sie diese Entscheidung aus und bereiten Sie eine Veränderung der Schulstruktur im Gymnasium gründlich und ausreichend vor.
Damit haben Sie Ihre Redezeit für die Fraktion ausgeschöpft. Ich darf Ihnen, Frau Kollegin Tolle, das Wort geben.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Ersten Lesung des Gesetzentwurfs zum achtjährigen Gymnasium haben Sie, Frau Hohlmeier, den Auftrag des Ministerpräsidenten ausführen müssen. Der Auftrag lautete: handstreichartige Einführung des G 8. Ich glaube – ich möchte das sehr deutlich sagen –, mit dieser Entscheidung haben Sie bei Eltern, Schülern und Lehrern etwas verspielt, was im Bildungswesen eine entscheidende Grundlage ist, und das ist Vertrauen.
Ich möchte auch für die GRÜNEN betonen, dass ich mir gewünscht hätte, Sie hätten sich mehr Zeit gelassen. Da man heute Morgen Weihnachtslieder zitiert hat, dann zitiere auch ich ein Sprichwort: „Gut Ding will Weile haben“. In der Problembeschreibung des Gesetzentwurfes ist eines ziemlich deutlich: Das ist das technokratische Bildungsverständnis der CSU.
Sie leiten ein G 8 aus der Erkenntnis heraus ab, dass Sie früher und schneller Sozialversicherungszahler brauchen und unsere Hochschulabsolventen international konkurrenzfähiger werden.
Für mich muss der Ausgangspunkt einer Reform ein anderer sein. Im Mittelpunkt muss die optimale Förderung unserer Kinder stehen und nicht die Sozialversicherung oder die Globalisierung oder die Überlegung, dass andere Bundesländer auch eine kürzere Gymnasialzeit einführen. Sie können im Übrigen das Gymnasium in NordrheinWestfalen nicht unbedingt mit dem bayerischen G 8 vergleichen, weil in Nordrhein-Westfalen die Schüler zum Beispiel die Möglichkeit haben, die dreizehnte Klasse auf Wunsch doch noch nachzuholen.
(Beifall bei den GRÜNEN – Siegfried Schneider (CSU): Das geht in der Hauptschule, aber nicht im Gymnasium!)
Sehr geehrter Herr Schneider, Kolleginnen und Kollegen der Mehrheitspartei, Sie werden heute dem zustimmen. Damit vergeben Sie eine große Chance, nämlich sich Zeit für eine echte Reform des Gymnasiums zu nehmen und diese wohlüberlegte Reform dann auf andere Bildungseinrichtungen zu übertragen. Herr Schneider, wenn Sie wirklich die Forderung „Kinder in den Mittelpunkt“ zur Grundlage Ihrer Überlegungen machen würden, könnten Sie einen großen Nachteil vermeiden. Ich habe vor kurzem eine mündliche Anfrage gestellt, und dabei kam heraus, dass das bayerische Gymnasium von der fünften bis zur zehnten Klasse 30 % seiner Schüler und Schülerinnen verliert. Das alleine hätte Ihnen schon zu denken geben müssen. Das wäre ein Ausgangspunkt gewesen, um sich mit den Defiziten unseres Bildungssystems auseinander zu setzen, auf dieser Grundlage die richtigen Fragen zu
Sie haben es auch versäumt, sich bereits erprobte Veränderungen aus den erfolgreichen Pisa-Ländern zu Eigen zu machen. Sie verweisen immer gerne auf Schulsysteme, die Schüler hervorbringen, die früher von den Universitäten in die Berufswelt gehen. Dann müssen Sie auch zur Kenntnis nehmen, dass diese Pisa-Länder deshalb erfolgreich sind, weil sie echte Ganztagsschulkonzepte haben. Auch in Bayern müssen wir darüber reden. In der Fachwelt ist es mittlerweile unumstritten, dass wir eine gute und gerechte Bildung nur noch über die Ganztagsschule bekommen. Die Ganztagsschule fürchtet die CSU wie der Teufel das Weihwasser.
Ich vergleiche Ihren Gesetzentwurf einmal mit dem Bau eines Hauses. Sie wollen bauen, aber im Moment liegen nur ein paar Holzlatten da, und die Ausstattung ist noch etwas dürftig. Der zentrale Bestandteil der Reform müsste der Lehrplan sein, und der fehlt komplett. Ein Lehrplan wird auch nicht vollständig vorgelegt werden, sondern es werden die hinteren Jahrgänge fehlen. Diejenigen, die damit arbeiten müssen, also die Lehrerinnen und Lehrer, kennen letztlich ihr Ziel nicht. Ich halte das deswegen nicht für ein geschlossenes Konzept.
Da Sie jetzt so viel Vertrauen verspielt haben, können Sie nicht im Ernst glauben, dass wir heute zustimmen, ohne jemals einen Lehrplan gesehen zu haben. Frau Hohlmeier, Sie haben zwar gesagt, dass das Qualitätsniveau gehalten wird, aber der bayerische Ministerpräsident hat dem Philologenverband vor der Wahl auch versprochen, dass das neunjährige Gymnasium bleibt. Einen Beweis für Ihre Aussage haben Sie bisher lediglich auf dem Papier erbracht, und das ist mir zu wenig.
Sehr viele Punkte sind noch nicht geklärt. Wie wollen Sie denn die heutigen fünften Klassen auf die neuen Umstände vorbereiten? Was geschieht mit den Wiederholern aus dem G 9? Ganz aus der Verantwortung stehlen Sie sich bei der Mittagsbetreuung. Das tun Sie wohl deshalb, weil Sie nach dem Konnexitätsprinzip für die laufenden Kosten aufkommen müssten, und davor drücken Sie sich. Frau Schieder hat es schon erwähnt: Immer dann, wenn Sie nicht genau wissen, wie es geht, sprechen Sie von mehr Autonomie und mehr Freiheit. Als Beweis für die Ernsthaftigkeit Ihrer Aussage hätte mir die Vorlage einer Änderung der Schulordnung genügt, bei der es um das Schulforum geht.
Vieles ist also noch unklar, zum Beispiel auch die Intensivierungsstunden. Ich fordere ausdrücklich, dass Sie deren Ausgestaltung in die Verantwortung der Schulen geben. Wir kaufen nicht die Katze im Sack und werden Ihrem Entwurf deshalb nicht zustimmen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf einige Anmerkungen von Kolleginnen der SPD und der GRÜNEN Bezug nehmen. Frau Kollegin Schieder, Sie haben keine Argumente für oder gegen das G 8 vorgebracht. Sie haben nur Äußerlichkeiten angesprochen. Wenn Sie einen Blick in den Gesetzentwurf geworfen hätten, hätten Sie gesehen, was auf Seite 9 zur Mittagsverpflegung ganz deutlich steht: dass nämlich die Inanspruchnahme des IZBB für die Kommunen nicht mit der Verpflichtung verbunden ist, eine Betreuung nach der KMBek über die Förderung der Ganztagsbetreuung der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 5 bis 10 anzubieten. Ein Blick darauf hätte also bereits genügt.
(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das war doch nicht der Punkt, sondern dass unterschiedliche Auskünfte gegeben wurden! Da liegt der Hund begraben!)
Nein, ich möchte im Zusammenhang darüber reden, und deswegen lasse ich jetzt keine Zwischenfrage zu.
Zur Frau Kollegin Tolle: Ein Element der Diskussion über das G 8 ist gerade die optimale Förderung der Schüler. Frau Ministerin hat sehr deutlich gemacht, dass wir keine bloße Strukturform wollen, dass wir es uns nicht so einfach machen wie von Ihnen geführte Länder, die das Gymnasium einfach um ein Jahr verkürzen.
Wir wollen die Strukturreform dazu nutzen, um eine noch stärkere individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler auf den Weg zu bringen.
Alle Länder in Deutschland wollen auch zum G 8 wegen des Alters der jungen Menschen übergehen und nicht deswegen, weil sie denen etwas Böses tun wollen. Wir wollen vielmehr die Entwicklungs- und Aufstiegschancen der jungen Menschen verbessern.
Wir wollen die gymnasiale Schulzeit verkürzen, weil bei Einstellungen zunehmend das Alter der Bewerber ein Kriterium ist. Je höher das Alter der jungen Bewerber ist, desto schwieriger sind die Einstiegs- und Berufschancen.
Die Antwort darauf – nicht nur Bayerns, sondern auch fast aller anderer Länder – ist die Verkürzung der Dauer der gymnasialen Schulzeit um ein Jahr, von neun Jahren auf acht Jahren.
Ein zweiter Punkt ist die Qualität. Für das neue G 8 wird es neue didaktische Ansätze geben. Die schulische Bildung allein – das zeigt sich immer mehr – kann nicht mehr das Rüstzeug für ein ganzes Leben mitgeben. Bildung ist kein „Rucksack, der voll gepackt“ wird und aus dem man während seines ganzen Lebens herausnehmen kann; das geht nicht mehr. Die Schülerinnen und Schüler brauchen ein gesichertes Grundlagenwissen, und dann folgt lebenslanges Lernen. Der Lehrplan, der für das neue G 9 erarbeitet wurde, hat dem bereits Rechnung getragen. Es wurde ein Grundwissenkatalog erarbeitet, der jetzt verfeinert und noch einmal in die Diskussion gebracht wird.
Frau Kollegin Tolle, Sie haben gesagt, Sie können heute noch nicht zustimmen. Der Lehrplan wird bis zur Endabstimmung vorliegen. Wenn Sie ihn gesehen haben, werden Sie auch sehen, dass die Qualität stimmt, und dann – davon bin ich überzeugt – werden auch Sie zustimmen können.
Zum zweiten Thema, nachhaltiges Lernen, begabungsgerechtes Fordern und Fördern. Frau Ministerin hat darauf hingewiesen, dass wir in Bayern mit den Intensivierungsstunden eine Möglichkeit schaffen, noch stärker als bisher auf die einzelnen Schüler einzugehen und damit auch dem Problem zu begegnen, das Sie, Frau Tolle, angesprochen haben, nämlich dass zu viele Schülerinnen und Schüler scheitern. Ein Vergleich macht das sehr deutlich. In Nordrhein-Westfalen haben ja Sie die politische Verantwortung. Dort wird beim Gymnasium von 272 Stunden auf 260 Stunden gekürzt.
Man kürzt von neun Jahren mit 272 Stunden auf acht Jahre mit 260 Stunden. Wir in Bayern werden trotz G 8 274 Stunden haben, also zwei Stunden mehr für die Schülerinnen und Schüler, als heute in Nordrhein-Westfalen für das neunjährige Gymnasium zur Verfügung stehen. Man muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, wie die Wirklichkeit außerhalb Bayerns ist. Dass das für uns kein Vorbild ist, ist für uns selbstverständlich. Ich hoffe auch, dass es für Sie kein Vorbild ist.
Eine intensive Diskussion hat natürlich stattgefunden. Um dieses Thema ist auf vielen Veranstaltungen intensiv gerungen worden. Ich weiß nicht, Frau Kollegin Schieder, ob Sie beim großen G-8-Gipfel waren, auf dem zwei Tage über viele Detailfragen intensiv diskutiert worden ist, z. B. auch über die Umsetzung der Intensivierungsstunden und über Möglichkeiten der Mittagsbetreuung. Mit allen Beteiligten, die sich einbringen wollten, fanden viele Gespräche statt. Das Gesprächsangebot gilt nach wie vor. Alle, die sich einbringen wollen, sind herzlich eingeladen, ihre Vorstellungen zur Umsetzung des G 8 einzubringen.
Eine letzte Anmerkung. Die personellen Voraussetzungen sind im Gesetzentwurf detailliert aufgeschlüsselt. Auch die Punkte der Konnexität, des Konsultationsverfahrens und der finanziellen Unterstützung seitens des Staates für die Kommunen, für die Sachaufwandsträger sind klar aufgegliedert und für jeden nachvollziehbar. Wir werden dieses Thema am 6. Mai in einer Anhörung vertiefen und anschließend auch im zuständigen Ausschuss diskutieren, bevor es zur Zweiten Lesung und zu einer Abstimmung im Plenum des Landtags kommt. Ich gehe davon aus, dass wir nach einer Vielzahl von Diskussionen, nach intensiven Gesprächen mit den Betroffenen ein gutes Konzept haben, mit dem die Qualität des bayerischen Gymnasiums erhalten und, ich sage auch, ausgebaut wird.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Dann ist die Aussprache geschlossen. Im Einvernehmen mit dem Ältestenrat schlage ich vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport als federführendem Ausschuss zu überweisen. Besteht damit Einverständnis? – Dann ist das so beschlossen.