Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 126. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde wie immer erteilt.
Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Armut in Bayern: Landessozialbericht endlich vorlegen!“ beantragt.
In der Aktuellen Stunde dürfen die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als fünf Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält eines ihrer Mitglieder zehn Minuten Redezeit; dies wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet. Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als zehn Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag eines ihrer Mitglieder zusätzlich fünf Minuten Redezeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist bereits um Pfi ngsten durchgesickert, aber mittlerweile scheint es amtlich zu sein: Der lang geforderte und sehnsüchtig erwartete Landessozialbericht wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr erscheinen. Ministerpräsident Dr. Beckstein hat die Entscheidung damit begründet, dass der Bund die Fakten für die Vergleichbarkeit der Daten nicht rechtzeitig geliefert habe. Ich halte das für eine billige Ausrede,
1996 hat das Parlament einstimmig beschlossen, dass in jeder Legislaturperiode ein Landessozialbericht zu erscheinen hat. Bereits damals hat man es geschafft, den Landessozialbericht so lange zu verzögern, bis die Wahl 1998 vorbei war, und der Bericht ist dann im Mai 1999 erschienen. Dieses Trauerspiel scheint sich jetzt zu wiederholen. Wir werden erleben, dass nach der Wahl – irgendwann im nächsten Jahr, für dieses Jahr habe ich die Hoffnung fast aufgegeben – der Landessozialbericht erscheinen wird.
Die Argumente, weshalb der Landessozialbericht trotz des Landtagsbeschlusses nicht erschienen ist, sind durchsichtig und unglaubhaft.
Trotz allem lässt sich jetzt aber nicht mehr verbergen, was in diesem Land los ist, nur sind das noch nicht die ganz konkreten Zahlen. Aber was sich jetzt schon herausgestellt hat, ist, dass es ein massives Gefälle in Bayern – zwischen den Regionen im Süden und denen im Norden- gibt, zum einen was die Arbeitslosigkeit, aber auch was Krankheiten und sogar Lebenserwartung, die inzwischen in der Oberpfalz und in Oberfranken nachweislich deutlich geringer ist als in Oberbayern, anbelangt. Dieses Gefälle setzt sich in einem Gefälle zwischen Reich und Arm fort. Hier geht die Schere immer weiter auseinander; die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Das hat auch für die Bildung Konsequenzen. Denn wir wissen: In Bayern hängt Bildung vom Geldbeutel ab. Nur ein dick gefüllter Geldbeutel kann optimale Bildung gewährleisten.
Zum anderen gibt es ein Gefälle zwischen Stadt und Land. Es gibt eine bessere gesundheitliche Versorgung in den Städten als auf dem fl achen Land, was sich noch verstärken wird. Die gesundheitliche Versorgung auf dem fl achen Land ist dabei, zusammenzubrechen. Und wir schauen zu; denn wir haben keine Daten, und wir können es nicht beweisen – wir wollen es auch nicht beweisen. Die Entwicklung wird sich aber fortsetzen. Solange man keine Fakten hat, besteht kein Handlungsbedarf. Und solange kein offensichtlicher Handlungsbedarf besteht, vergrößern sich die Probleme. Dabei bedenkt man aber nicht, dass größere Probleme auch größere Folgekosten verursachen. Insofern ist die Handlungsweise der Staatsregierung sehr kurzsichtig; denn die Probleme werden sie einholen. Die Probleme werden noch viel mehr kosten, als wenn Sie rechtzeitig damit begonnen hätten, die Missstände zu beseitigen.
Was steht hinter dieser Geschichte? – Aus unserer Sicht steht dahinter ein rein wahltaktisches Verhalten. Der Landessozialbericht würde beweisen, dass die Forderungen der GRÜNEN berechtigt sind, Forderungen nach einer frühkindlichen Bildung, nach Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems, nach Einführung einer Ganztagsschule, nach wirklicher Ausweitung von Integrationsprojekten, nach besserer Förderung von Schulen und Hochschulen anstatt Büchergeld und Studiengebühren und nach einer Strukturförderung der ländlichen Regionen. Der Landessozialbericht würde beweisen, dass alle diese Forderungen längst überfällig sind und endlich verwirklicht werden müssen.
Aber das kann man vor der Wahl natürlich nicht zulassen. Stattdessen ergeht man sich in PR-Veranstaltungen und Hochglanzbroschüren, lobt sich selbst und gibt vor, sich mit diesen Problemen zu befassen. Das ist aber nur ein oberfl ächliches Geplänkel. Man will nicht in die Tiefe gehen; denn wenn man in die Tiefe ginge, bräuchte man dazu die Fakten, und diese hat man nicht.
Zusammenfassend kann ich nur sagen: Man will es nicht wissen, insbesondere nicht vor der Wahl. Es wird Ihnen aber nichts nützen. Es hat sich nämlich längst herumgesprochen, die Fehler sind bekannt, die Versäumnisse haben bereits zu Missständen geführt und Ihre VogelStrauß-Politik ist an der Misere in Bayern schuld.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ackermann, es ist doch völlig unbestritten, dass es einen zweiten Landessozialbericht geben wird
Glauben Sie mir doch bitte Folgendes: Dass der Landessozialbericht in einem Dialog in Form der Beteiligung aller Betroffenen im Sozialbereich entwickelt wird bzw. entwickelt worden ist, wie das vorbildlicher nicht sein kann. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben doch selbst Aufträge gegeben, die dabei zu berücksichtigen sind.
Und zwar haben wir ausdrücklich, nicht zuletzt aufgrund einer Koalitionsvereinbarung zwischen der Union und der SPD in dieser Bundesregierung festgestellt, dass wir einheitliche Kriterien entwickeln wollen und müssen. Dies ist hier im Landtag beschlossen worden. Dies sieht auch die Bayerische Staatsregierung nicht zuletzt aufgrund des Landtagsbeschlusses so. Aber das muss erst miteinander kompatibel gemacht werden.
Ihre Reaktion zeigt, dass Sie überhaupt nicht bereit sind, auf Argumente einzugehen. Das ist Ihre übliche Art und Weise, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen, nämlich überhaupt nicht.
Das ist nichts anderes als eine fl apsige Wahlkampfauseinandersetzung, die Sie betreiben. Ihnen geht es
Meine Damen und Herren, es geht um die Erstellung eines zweiten Landessozialberichtes, der in dieser Form – ich darf das noch einmal feststellen – vorbildlich ist. Es ist ein Beirat gegründet worden, in den die Wohlfahrtsverbände, die diesen Prozess und den Ablauf auch in zeitlicher Hinsicht ausdrücklich so begrüßen, in den die Arbeitgeber, die Gewerkschaften sowie die sonstigen gesellschaftlichen Gruppen einbezogen sind. Tun Sie doch nicht so, meine sehr geehrten Damen und Herren, als würde dieser Landessozialbericht nicht kommen. Der kommt, ich habe es Ihnen gesagt. Die Ministerin und die anderen Kollegen werden Ihnen das noch darstellen. Was ist denn das für eine beschränkte Wahrnehmung, die Sie haben?
Direkt nach der Festlegung auf diesen zweiten Landessozialbericht durch eine Mittelzuweisung erfolgte eine zeitaufwändige europaweite Ausschreibung. Das ist notwendig, und das ist die rechtliche Voraussetzung.
Ferner, durch einen bereits zweimal tagenden Beirat wurden die Verbände in die Konzeptionsentwicklung des Landessozialberichtes einbezogen. Auch dies nahm natürlich Zeit in Anspruch, förderte aber die Qualität des Berichtes. Ich prophezeie: Wenn wir diesen intensiven Dialog zur Vorbereitung und Erarbeitung des Landessozialberichtes nicht geführt hätten, dann wären Sie die Ersten, die die Qualität dieses Berichtes kritisieren würden, dann wären Sie die Ersten, die kritisieren würden, dass die gesellschaftlichen Gruppen des „Sozialen Bayern“ nicht einbezogen sind. Und wenn Sie sich in das Forum „Soziales Bayern“ einbringen, dann wissen Sie, dass genau die gleiche Vorgehensweise wie im Forum als solches, wo alle Gruppen vertreten sind, gutgeheißen worden ist.
Ende des vergangenen Jahres ist der Zuschlag für die Erstellung des Sozialberichts durch eine Bietergemeinschaft erfolgt. Im Ergebnis ist im Mai dieses Jahres mit einem Schlussabgabetermin zum 30. Juni 2008 eine erste Erstellung erfolgt. Nach der Fertigung des Landessozialberichts ist dieser parlamentsfähig und öffentlichkeitsfähig zu machen sowie von der Staatsregierung zu bewerten. Dies wollen Sie ja auch haben. Und dies erfolgt jetzt, in dieser Zeit.
In diesem Zusammenhang sage ich Ihnen noch ein Weiteres. Wenn ein Landessozialbericht Sinn haben soll, dann bedarf er der Autorität und der Akzeptanz aller derjenigen, die damit inhaltlich arbeiten. Dies bedeu
tet natürlich, dass sie in dieses Verfahren mit einbezogen werden müssen. Das ist nur durch dieses Verfahren gewährleistet.
In Ihrer Diskussion geht es um ein paar Wochen. Sie können sicher sein, dass die Bayerische Staatsregierung und die CSU-Landtagsfraktion beileibe kein Problem mit der Veröffentlichung des Landessozialberichts haben. Denn die Zahlen werden beweisen, dass wir in den wesentlichen Bereichen, die zur Armutsvermeidung in diesem Land entscheidend sind, die Nase vorn haben und präventiv Armut vermeiden können.
Es ist nachgewiesen, dass der Freistaat Bayern die meisten Arbeitsplätze für Minderqualifi zierte schafft.
Es ist nachgewiesen, dass die Beschäftigungsquote in Bayern die wenigsten Empfänger von Arbeitslosengeld II enthält. Wir haben die höchsten Steigerung bei den Arbeitnehmerentgelten und die höchste Kaufkraft.
Bisher bestand Konsens in diesem Hause, wenn es um eine präventive Armutsbekämpfung, um ein präventives Armutsbekämpfungskonzept gegangen ist. Wir leugnen doch alle nicht, dass dieses auch weiterhin die Stärkung der Arbeitsmarktpolitik und die Stärkung der Wirtschaftspolitik beinhalten muss, um im Sinne einer aktivierenden Sozialpolitik zu erreichen, dass Menschen, die über viele Jahre, über Generationen hinweg in sozialen Transfersystemen gelebt haben, die Chance auf eine Perspektive haben, die Chance haben, auf den 1. Arbeitsmarkt zu kommen. Insoweit ist das Prinzip „Fördern und Fordern“ der richtige Ansatz, der auch von Landesseite unterstützt wird. Dazu gehört ein umfassender bildungspolitischer Ansatz.
Über diese Problematik diskutieren wir intensiv, und die Beschlussfassung des Kabinetts, was die Ansätze bezüglich einer Ganztagsschule anbelangt – Kollegin Brendel-Fischer wird darauf sicherlich noch eingehen –, ist dazu geeignet, in besonderer Weise armutspräventiv wirksam zu sein. Diese Investitionen sind ein wesentlicher Bestandteil der Bekämpfung von Armut und der Stärkung des sozialen Standortes Bayern.
Dazu gehört als Drittes natürlich auch die Weiterentwicklung der Familienförderung. Bei dieser Familienförderung, auf die Kollege Imhof noch eingehen wird, ist der bedarfsgerechte Ausbau der Kinderbetreuung ebenso wesentlich wie die Stärkung der Familien in ihrer fi nanziellen Existenz und in ihrer fi nanziellen Sicherheit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich verstehe nicht, dass Sie die fi nanziellen Entlastungen von Familien, ganz gleich, ob es um den Familienlastenausgleich oder um Steuerentlastungen geht, immer in den Hintergrund rücken, teilweise sogar ablehnen und die Landesleistung, das Erfolgsmodell des Freistaats Bayern, nämlich das Landeserziehungsgeld, abschaffen wollen.