Protocol of the Session on June 5, 2008

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich meine, in Bayern gibt es einen Wahlkampf-Slogan „Näher am Bürger“. – Der stammt aber nicht von uns, der stammt von dieser Seite des Hauses.

(Zuruf des Abgeordneten Manfred Christ (CSU) – Unruhe bei der CSU)

Wer behauptet, dass er näher am Bürger ist, aber gleichzeitig den Bürger scheut wie der Teufel das Weihwasser, wenn der Bürger sich in Verfahren einmischt, die ihn unmittelbar berühren, der beweist doch genau das Gegenteil!

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Sie entlarven sich, Gott sei Dank, rechtzeitig selber!

(Beifall bei der SPD – Herbert Ettengruber (CSU): Die Bürger sind doch beteiligt!)

Sie und Ihre Sprüche werden mit diesem Entwurf des Gesetzes entlarvt. Sie halten den Bürger heraus und

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes und des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (Drs. 15/9658) – Zweite Lesung –

Änderungsantrag des Abg. Ludwig Wörner u. a. (SPD) (Drs. 15/10179)

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Im Ältestenrat wurde hierzu eine Redezeit von zehn Minuten pro Fraktion vereinbart. Ich darf als erstes Herrn Kollegen Ettengruber das Wort hierzu erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Durch den Gesetzentwurf, der heute zur Verabschiedung ansteht, werden die Verfahrensvorschriften für Umweltverträglichkeitsprüfungsvorhaben nach bayerischem Landesrecht an die zwingenden Vorgaben der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie der EU angepasst. Das Gesetz sieht eine 1:1-Umsetzung dieser Richtlinie vor, und gleichzeitig stellt der Gesetzentwurf auch einen Beitrag zur Umsetzung des UN ECE-Übereinkommens dar, über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligungen an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, betreffend die Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltrechtlichen Entscheidungsverfahren.

Meine Damen und Herren, dies ist ein weiteres Beispiel, dass das EU-Recht immer mehr und immer öfter die Arbeit unseres Hohen Hauses mitbestimmt und in alle Lebensverhältnisse eingreift.

Die Diskussion bei diesem Gesetzentwurf hat sich entzündet an der Einführung einer fakultativen Behördenbeteiligung gegenüber der zwingenden Beteiligung und ebenso an dem fakultativen Erörterungstermin gegenüber einem zwingenden. Auch die Frage, ob die Umweltverbände stärker eingebunden werden sollen als im Gesetz vorgesehen, hat die Diskussion mit bestimmt. Wir meinen, dass die fakultative Behördenbeteiligung der Verfahrensvereinfachung und der Verfahrensbeschleunigung dient und, dass damit die Fachbehörden nicht von der Entscheidungsfi ndung ausgeschlossen werden. Die zuständige Behörde darf nur dann, wenn sie selber ausreichende Fachkenntnisse hat, selbst entscheiden und von der Beteiligung anderer Behörden absehen. Sie hat dabei nach pfl ichtgemäßem Ermessen zu handeln. Damit wird auch die Qualität der Entscheidung gesichert.

Auch der fakultative Erörterungstermin dient der Verfahrensvereinfachung und der Verfahrensbeschleunigung. Auch hier ist der Verzicht auf den Erörterungstermin nicht

Auskunft kostet Geld. Das kann man auch als Abschrekkung verstehen. Wir glauben, dass es bei den UVGVerfahren besonders wichtig wäre, Transparenz herzustellen, anstatt solche Verfahren hinter verschlossenen Türen durchzuführen. Wir müssen uns sonst nicht darüber wundern, dass Bürgerbegehren oder andere Instrumente genutzt werden, um unter Umständen sinnvolle Maßnahmen – ich nenne nur den staatlichen Hochwasserschutz – zu verhindern, weil man die Menschen nicht frühzeitig beteiligt.

Ich verstehe nach wie vor Ihre Angst vor dem Bürger nicht. Sie sagen, Sie wollen Verwaltungsvereinfachung. Sie argumentieren, die Verfahren würden sonst länger dauern. Herr Kollege, wie lange dauert denn ein Verfahren, wenn dazu ein Bürgerbegehren angezettelt wird? Wie lange dauert es, wenn der Prozessweg beschritten wird? – Ihre Verfahrensverkürzungen rücken dann in weite Ferne. Deswegen noch einmal meine eindringliche Bitte: Überlegen Sie es sich. Sie haben hier die Möglichkeit, unserem Vorschlag zuzustimmen, um sicherzustellen, dass all die vermeintlichen Verfahrensvereinfachungen nicht zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger gereichen, aber auch nicht zum Nachteil der ausführenden Verwaltung. Die Verwaltungsverfahren werden bei Anstrengung von Bürgerbegehren oder dem Beschreiten des Prozessweges wesentlich länger als heute dauern. Ich halte das, was Sie hier vorgetragen haben, für nicht zu Ende gedacht, um es ganz vorsichtig auszudrücken.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

Als Mitglieder dieses Parlaments sollten wir unsere Aufgabe wahrnehmen und Demokratisierungsprozesse nicht hemmen. Die Gesellschaft wendet sich zunehmend von der Politik ab mit der Begründung, man könne sowieso nichts machen. Sie fördern die Politikverdrossenheit. Haben Sie den Mut, mit den Menschen zu reden. Ich behaupte, die Behörden in Bayern, vor allem die Wasserwirtschaftsämter, wenn man sie in ihrer Arbeit erlebt, sind viel weiter als Sie. Die Behörden gehen mit Menschen so um, wie es sich gehört.

(Zuruf des Abgeordneten Herbert Ettengruber (CSU))

Wenn man jetzt die Möglichkeit eröffnet, die Verfahren zu verkürzen, den ausführenden Stellen aber gleichzeitig das Personal wegnimmt, damit sie möglichst wenig Zeit haben – das hängt alles zusammen, das darf man nicht vergessen –, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Verdrossenheit der Menschen über diesen Staat zunimmt. Genau deswegen sollten wir gemeinsam dem Gesetzentwurf zustimmen, um sicherzustellen, dass es nicht passiert, dass Menschen von Verfahren abgeschnitten werden und, wie Sie so locker gesagt haben, diese auf den Prozessweg verwiesen werden.

sagen, wenn ihm etwas nicht passt, dann soll er prozessieren. Bayerns Bürgerinnen und Bürger sind aber keine Prozesshanseln, und sie sollen auch nicht dazu gemacht werden! Sie sollen stattdessen ordentlich in Verfahren eingebunden werden!

(Beifall bei der SPD)

So sieht das im Übrigen die EU auch vor. Wenn Sie das EU-Recht tatsächlich 1:1 übertragen würden, dann müssten Sie die Weichmacher, von denen Sie gerade geredet haben, aus Ihrem Gesetzentwurf herauslassen. Genau das war die Intention unseres Antrags, Herr Kollege.

(Zuruf des Abgeordneten Herbert Ettengruber (CSU))

Wir haben gefordert, dass Verbände und Menschen, die davon berührt sind, wenn eine Maßnahme getroffen wird, ordentlich beteiligt werden. Ich habe es Ihnen gerade vorhin gesagt, bei der Lärmschutzgeschichte: Sie wollen die Bürgerinnen und Bürger beschneiden und verweisen sie, mehr oder weniger, auf den Prozessweg. Wer mag denn prozessieren? – Das können sich Juristen leisten oder sie können daran verdienen, der normale Bürger aber nicht. Der geht davon aus, dass der Staat ihm das Recht zugesteht, wenn er von staatlichen Maßnahmen betroffen ist, auch daran beteiligt zu werden.

Sie sagen, fakultativ kann die Behörde das machen. Wenn die Behörde das aber nicht macht, muss der Bürger klagen. Das kann nicht der Weg sein. Ich meine, gelebte Demokratie heißt, mit den Menschen zu reden. Das gilt für unsere Partei; wir wollen das so. Deswegen haben wir zum Gesetzentwurf einen Änderungsantrag eingereicht, zu dem wir Sie nach wie vor um Zustimmung bitten. Wir glauben, dass es dringend geboten ist, die Öffentlichkeit oder juristische Personen oder Vereinigungen, Organisationen und Gruppen von Beginn an so in das Verfahren einzubeziehen, dass der Rechtsweg nicht beschritten werden muss, sondern dass eine Klärung im Verfahren geschieht.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD))

Damit würde sichergestellt werden, dass das staatliche Handeln eine möglichst hohe Akzeptanz erreicht.

Eigentlich müssten doch wir als Parlamentarier dafür Sorge tragen, dass Menschen Demokratie leben dürfen. Bei dem, was Sie hier machen, erfahren Menschen, dass man sie tunlichst außen vorhält, und man verweist sie auf den Prozessweg. Da sollten wir uns schon etwas überlegen.

Wenn in Zukunft darauf verwiesen wird, dass der Bürger ein Informationsrecht hat, dann müssen Sie aber auch dazusagen, dass das für den Bürger Kosten bedeutet;

müssen wir näher hinsehen. Es hat sehr lange gedauert, bis die EU-Richtlinie in Bundesrecht gegossen worden ist; das hätte bis 2005 der Fall sein sollen. Dieses Datum wäre auch für das Landesrecht verbindlich gewesen. Es hat nochmals lange gedauert, bis die Grundsätze aus der Aarhus-Konvention über EU-Richtlinien Eingang in unser Landesrecht gefunden haben.

Ich stelle fest: Wenn es darum geht, die Bürgerinnen und Bürger zu gängeln und zu kujonieren, sind Sie ganz schnell.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn es aber darum geht, Rechte für Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen, dauert es Jahre.

Mit den Umweltschutzverbänden sind wir der Meinung, dass beim Bundes- und beim Landesrecht, aber eben auch bei der Umsetzung von EU-Richtlinien dringender Nachbesserungsbedarf besteht, etwa beim Verbandsklagerecht und hier für die Naturschutzverbände. Wir befassen uns bei diesem Gesetzentwurf vorwiegend mit der Beteiligung der Öffentlichkeit an der Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP – und der Beteiligung von Fachbehörden vor Ort. Die EU-Richtlinie 85/337/EWG ist in Bezug auf die Beteiligungsrechte sehr deutlich, weniger der bayerische Gesetzentwurf. Die EU defi niert in der UVP-Richtlinie den Begriff der „Öffentlichkeit“, der Unterlagen zugänglich zu machen sind, und die EU defi niert den Begriff „betroffene Öffentlichkeit“, die sich zu dem Vorhaben äußern darf. Ich zitiere:

Betroffene Öffentlichkeit ist die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren gemäß Artikel 2 Absatz 2 betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interesse daran; …

Mit diesen Öffentlichkeitsdefi nitionen geht die EU weit über das hinaus, was der bayerische Gesetzgeber vorgesehen hat, die Defi nition im Gesetzentwurf der Staatsregierung liest sich jedenfalls ganz anders. Dort fehlt sowohl die wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit als auch die Öffentlichkeit mit einem Interesse. Das ist ein Rückschritt.

Sie benötigen gleichwohl eine halbe Seite zur Begründung, weshalb Sie von dieser EU-Vorgabe abweichen, die Sie angeblich im vorderen Teil eins zu eins umsetzen. Das erscheint mir nicht logisch. Deswegen glaube ich schon, dass es richtig ist – wenn Sie so etwas erzählen –, genau hinzusehen.

Der Bund Naturschutz bittet Sie in einer Stellungnahme, die er, glaube ich, unaufgefordert abgegeben hat – man hatte wieder einmal kein Interesse daran, zu erfahren, was die Fachverbände zu dieser ganzen Geschichte sagen –, das vorliegende Gesetz nicht in dieser Form zu

Ich gebe noch einmal zu bedenken: Sie haben mit Ihrer Reduzierung des Personals – gerade bei den Wasserwirtschaftsämtern und anderen öffentlichen Stellen – dafür gesorgt, dass diese sowieso schon fast nicht mehr die Luft haben, ihre Aufgaben zu erfüllen.

(Eduard Nöth (CSU): Das glaubst du selbst nicht!)

Herr Kollege Nöth, dann haben Sie offensichtlich die Not derer noch nicht erkannt, die täglich an uns schreiben, weil sie nicht mehr wissen, wie sie ihre Arbeit erfüllen sollen. Das nehmen Sie nicht wahr, weil Sie es nicht wahrnehmen dürfen.

Ich sage Ihnen noch einmal: Die Behörden operieren wirklich an der Grenze. Wenn die Dienststellenleiter jetzt die Möglichkeit bekommen, Verfahren zu verkürzen, wie Sie das wollen, dann werden die das tun. Sie würden sie sonst ganz schnell darauf verweisen, dass man das so auch machen kann. Damit kann man Personal sparen, werden Sie sagen. Das sagen Sie natürlich nicht öffentlich – zumindest nicht heute.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir heute noch einmal darüber reden, um sicherzustellen, dass die bisher bewährten Verfahren weiterhin eingehalten werden und nicht durch neue, angeblich die Verwaltung vereinfachende und verkürzende Verfahren – was im Übrigen nicht stimmt, das habe ich beschrieben – ersetzt werden.

Ich habe die Bitte: Stimmen Sie unserem Antrag zu, dann sind Sie wirklich näher am Bürger. Machen Sie mit und tragen Sie dafür Sorge, dass Menschen Demokratie leben und ernst nehmen können und sie nicht zum Rechtsanwalt gehen und ihr Recht einklagen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Wörner. Jetzt darf ich Frau Kollegin Stahl das Wort erteilen. – Bitte schön, Frau Kollegin.

Frau Präsidentin, der Gesetzentwurf der Staatsregierung schwächt das Umweltrecht. Sie, meine Herren und Damen von der CSU, schwächen es ebenfalls, wenn Sie heute Ihren Finger für den Gesetzentwurf heben. Wenn in einem Gesetzentwurf der Staatsregierung der Satz enthalten ist „Die EU-Richtlinie wird eins zu eins umgesetzt“, dann schrillen bei uns sämtliche Alarmglocken, die in einem Depot für solche Zwecke gelagert sind.

(Beifall der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))