Protocol of the Session on March 16, 2004

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Nachtragshaushalt 2004 bewegt die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes wie wohl kein Haushaltsplan vorher. Viele Menschen protestierten und demonstrierten in den letzten Wochen und Monaten gegen den abrupten, überraschenden, überfallartigen Kurswechsel der CSUStaatsregierung. Entgegen allen Aussagen vor der Landtagswahl verordnete der Ministerpräsident unseres Landes eine finanzpolitische Rosskur, um sich als Sparkommissar der Republik für eine erneute Kanzlerkandidatur zu empfehlen.

(Beifall bei der SPD – Franz Maget (SPD): Das wird aber nichts!)

Der Haushaltsausschuss hat in der vorletzten Woche den Nachtragshaushalt 2004 ausführlich behandelt. Leider hat sich die übermächtige Mehrheit der CSU, 16 von 23 Ausschussmitgliedern, als williges Vollzugsorgan des Spardiktators Stoiber gezeigt.

(Beifall bei der SPD)

Alle noch so guten, ausgefeilten Argumente wurden mit den gleichen stereotypen, gestanzten Formeln vom Tisch gewischt. In einem Haushalt von über 34 Milliarden Euro konnten SPD und GRÜNE mit ihren weit über 100 Änderungsanträgen nicht einen einzigen Eurocent bewegen.

Herr Kollege Ach, die durchweg lockere, kollegiale Atmosphäre der Ausschussberatungen kann nicht darüber hinwegtäuschen: In den Ergebnissen zeigen sich die ganze Überheblichkeit und Arroganz der Macht der Zweidrittelmehrheit der CSU-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Wir müssen mit großem Bedauern feststellen: Diese für unser Land so wichtigen Haushaltsberatungen waren und sind keine Sternstunde des bayerischen Parlamentarismus. Im Gegenteil, die CSU-Mehrheitsfraktion nimmt Abschied von der Haushaltshoheit des Landtags.

(Beifall bei der SPD)

Dies ist dokumentiert in der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 15/563. Geringe Haushaltsumschichtungen, etwa von der Laienmusik zur Kirchenmusik, Deckungsvermerke quer durch den Bildungs- und Hochschuletat oder im Sozialetat für Wohnungslosenhilfe und Insolvenzberatung zulasten von Familien, Behinderten und alten Menschen. Das war ein armseliges, mickriges Ergebnis.

Deshalb brauchen wir uns, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Haushaltsausschuss, über das geringe Interesse von Öffentlichkeit und Medien nicht zu wundern.

Die Eckdaten des Haushalts, das Volumen, die Nettoneuverschuldung, Zinsausgaben und die Investitionsquote bleiben folglich gegenüber der ersten Lesung gleich. Mit den läppischen Zahlenspielereien – 10%ige Kürzung gleich 2,5 Milliarden Euro – und den semantischen Übungen der Staatsregierung – Konsolidierungsvolumen, Handlungsbedarfe – brauchen wir uns nicht mehr zu beschäftigen.

Wir müssen uns aber weiter mit den konjunkturellen Auswirkungen des Streichkonzerts und der Sparmanie auseinander setzen.

Der hoffentlich bevorstehende Aufschwung ist erheblichen Belastungen ausgesetzt. Der Eurokurs steigt. Nach den Terroranschlägen in Madrid brechen die Börsenkurse ein. Die Rohstoff- und Ölpreise steigen. Dadurch wird natürlich die Konjunktur belastet.

Staatssekretär Spitzner hat bei den Haushaltsberatungen zum Wirtschaftsetat erklärt, dass bei bayerischen Unternehmungen nach seinen Erfahrungen ein ausgesprochener Investitionsstau besteht. Das liege nicht einmal an der Finanzierung, sondern es sei ein Investitionsstau aufgrund der Unsicherheit. Unternehmer und Verbraucher sind verunsichert.

Mit Recht hat Ludwig Erhard einmal gesagt: 50 Prozent der Wirtschaftentwicklung sind Psychologie.

Gerade deshalb, verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist die öffentliche Nachfrage umso wichtiger; sie ist wichtiger denn je.

(Beifall bei der SPD)

Die von der Bayerischen Staatsregierung, vom Ministerpräsidenten und vom Finanzminister vollzogene Abkehr von der antizyklischen Haushaltspolitik nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz ist ökonomisch falsch; diese Politik ist auch in Zeiten der Globalisierung notwendig.

Die Staatsregierung beklagt im Finanzplan selber, dass die Binnennachfrage zu schwach sei. Ja, meine Damen und Herren von der CSU, verehrte Staatsregierung, woher soll denn die Binnennachfrage kommen, wenn der Staatshaushalt zusammengestrichen wird?!

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Ach, Sie sind ja der Würzburger Abgeordnete. Der Wirtschaftweise Peter Bofinger stellt fest: Es gibt keinen Grund für eine fiskalische Vollbremsung. So schrieb die „Mainpost“ am 28. Januar dieses Jahres. Die SZ vom 2. Januar dieses Jahres titelte: „Stoibers sinnloses Sparen“.

Auch das von uns in Auftrag gegebene DIW-Gutachten sagt: Die Konsolidierung solle man verschieben und nicht in diese, jetzige, schwierige Konjunkturphase einschieben; dies wäre falsch.

(Beifall bei der SPD)

In der Debatte zum SPD-Dringlichkeitsantrag „Zukunft gestalten statt streichen“ habe ich am 10. Dezember letzten Jahres aus einem Interview eines international anerkannten Wirtschaftsexperten zum europäischen Stabilitätspakt und zur deutschen Finanzpolitik vom Juli 2003 im Managermagazin zitiert. Ich zitiere:

Durch Versäumnisse der Vergangenheit, nicht zuletzt auch der Vorgängerregierung, sind die Staatsfinanzen in einem strukturellen Ungleichgewicht. Jetzt kommen noch – konjunkturbedingt – Steuermindereinnahmen und Steuermehrausgaben, vor allem für Arbeitslosigkeit, hinzu, die das Defizit über die Vorgabe des Paktes von 3 Prozent treiben.

Jetzt kommt der entscheidende Satz:

Ich rate aus konjunkturpolitischen Gründen dazu, diesem Reflex nicht kurzfristig nachzusparen.

Meine Damen und Herren, bei diesem Experten handelt es sich um niemand anderen als Horst Köhler, den gerade von Stoiber hochgelobten Kandidaten der Union für das Amt des Bundespräsidenten.

Liebe Damen und Herren von der Staatsregierung, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, es reicht nicht aus, einen qualifizierten Wirtschaftsfachmann für das höchste Amt unserer Republik vorzuschlagen. Der Ministerpräsident sollte auch dessen Ratschläge zum Wohle unseres Landes beherzigen.

(Beifall bei der SPD)

Bei einer Zinsausgabenquote – Sie sind ja ein ausgesprochener Wirtschaftsexperte, Herr Baron, wie jeder weiß – von 3 Prozent im Staatshaushalt – beim Bund sind es 16 Prozent – bei einer Pro-Kopf-Verschuldung, die in Bayern nur ein Drittel derjenigen der anderen Flächenstaaten beträgt, bestünde in der Tat finanzpolitischer Spielraum. Die ökonomische Grenze für die Nettokreditaufnahme, nämlich die Höhe der staatlichen Investitionen, ist in Bayern noch weit entfernt. Trotzdem tritt die Staatsregierung auf die Ausgaben- und damit Konjunkturbremse. Der massive Rückgang der Investitionsquote des Staatshaushaltes verringert die Wachstumschancen in Gegenwart und Zukunft. Das Ziel eines Haushalts ohne Nettokreditaufnahme im Jahr 2006 ist aber ohne kräftiges Wirtschaftswachstum unerreichbar und unrealistisch.

Meine Damen und Herren, mit ihrer Politik gefährdet die Staatsregierung kurzfristig den wirtschaftlichen Aufschwung und mittelfristig die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

(Beifall bei der SPD)

Diese Haushaltspolitik ist ein Programm zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit und zur Steigerung der Insolvenzen. Die von der CSU geradezu betriebene Dämonisierung der Kreditaufnahme des Staates ist ökonomisch verfehlt. Unterlassene Investitionen in Bildung und Infrastruktur gefährden die Zukunft unserer jungen Generation viel stärker, als es zusätzliche Kreditaufnahmen täten.

Herr Bofinger weist auch mit Recht darauf hin, dass in unserem Lande nicht nur die Schulden vererbt werden, sondern auch die Besitztitel, da wir in Deutschland eine hohe Sparquote und keine Auslandsverschuldung wie in den USA haben.

Bei den Beratungen im Haushaltsausschuss kam von der CSU immer wieder der Hinweis auf die Verschuldung des Bundes. Dazu will ich etwas in Erinnerung rufen. Im Oktober 1982,

(Zuruf von der CSU: Oh je!)

als Helmut Kohl sein Amt antrat, betrugen die Schulden 160 Milliarden Euro.

(Zurufe von der CSU)

Im Juli 1999, nach der Eingliederung des Erblasttilgungsfonds, des Bundeseisenbahnvermögens und des Ausgleichsfonds für den Steinkohleneinsatz, betrug die Verschuldung des Bundes 710 Milliarden Euro. 160 Milliarden Euro im Jahre 1982 und 16 Jahre später 710 Milliarden Euro.

(Zurufe von der CSU)

Im Dezember 2003 betrug sie dann 760 Milliarden Euro; das sind gerade einmal 50 Milliarden mehr.

(Zurufe von der CSU)

Ich frage Sie: Wer ist für die Schulden politisch verantwortlich? – Kohl, Waigel, Stoiber!

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der „Spiegel“ dieser Woche schreibt zur Ära Kohl:

Die Bilanz der gesamten Ära ist ökonomisch verheerend. die Staatsverschuldung – plus 240 %, die Arbeitslosigkeit allein im Westen – plus 60 %, das Wachstum erschlafft – und nicht eines der ökonomischen Probleme, mit deren Lösung er 1982 beauftragt worden war, hatte er entschärft.

Gemeint ist Helmut Kohl.

Bis zum heutigen Tag, bis ins Jahr 2004 müssen knapp 5 % des westdeutschen Sozialprodukts in die neuen Länder transferiert werden. Ohne Wachstum im Westen erfolgen diese Transfers aus der Substanz. Deshalb muss es die Konsequenz sein – auch für die Haushaltspolitik im Freistaat Bayern –: Ohne Wachstum sind unsere Probleme in Deutschland nicht zu lösen.

(Beifall bei der SPD – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Schröder regiert doch!)