Bedenken Sie die andere Variante: Weniger ausgebildete Gruppenleiter und Gruppenleiterinnen führen automatisch zu weniger Angeboten in der Jugendarbeit, zu weniger die Eltern entlastenden Gruppenstunden, zu weniger Ferienfreizeiten und zu weniger ergänzenden Bildungsangeboten für junge Menschen. Der Freistaat verliert damit auch ein enormes Potenzial an ehrenamtlich erbrachten Leistungen, die ihm bisher sehr viel Geld erspart haben. Diese Leistungen kann man monetär berechnen. Würde man das Engagement, das die 230 000 Ehrenamtlichen in der Jugendarbeit erbringen, nur einmal mit 5 Euro pro Stunde in Rechnung stellen, ergäbe dies bei durchschnittlich fünf Stunden pro Woche und 40 Wochen im Jahr ein Volumen von 230 Millionen Euro.
Riskieren Sie doch nicht wegen der 3,8 Millionen Euro Einsparungen im Nachtragshaushalt diese enorme freiwillige Investition in unsere Volkswirtschaft.
Bedenken Sie auch: Durch den Verlust der präventiven Leistungen der Jugendarbeit werden diese Einsparmaßnahmen mittelfristig bei der Jugendhilfe zu erhöhten Ausgaben führen - das dürfen Sie mir glauben.
Unabhängig davon, dass man einem nackten Mann bzw. einer nackten Frau nicht in die Tasche greifen kann, stellt sich mir doch die Frage, ob die Politik des Kürzungswahns überhaupt Sinn macht. Somit sind wir wieder bei der Grundsatzfrage. Die Staatsregierung begründet ihre rigorose Sparpolitik damit, dass all dies für die junge Generation, für die Jugend geschieht, der wir keinen Schuldenberg überlassen dürfen. Ich sage an dieser Stelle ganz aufrichtig: Das mag auch sehr sinnvoll klingen; denn
welcher Vater würde seinen Kindern schon gerne Schulden hinterlassen. Was aber wäre beispielsweise von diesem Vater zu halten, wenn er ein Fabrikant wäre, der seinen Kindern in zehn Jahren ein Unternehmen ohne Schulden hinterlassen und vererben will und deshalb jetzt aufhört zu investieren? Das Unternehmen wäre dann vielleicht schuldenfrei, aber es wäre wohl kaum noch etwas wert, geschweige denn, dass es mit dem technologischen Fortschritt mithalten könnte.
Auch eine Gesellschaft muss ihre Zukunft dadurch sichern, dass sie rechtzeitig und kontinuierlich zukunftsträchtige Investitionen tätigt, um eine gute Infrastruktur aufzubauen, selbst wenn sie dafür auch einmal Schulden machen muss. Die Bildung gerade der jungen Generation – die Jugendarbeit gehört nun einmal zur Bildung – ist mit die wichtigste Infrastruktur, die ein Land haben kann, um die kommenden Herausforderungen zu meistern. Die Ausgaben für Bildung sind daher kein Luxus, den man sich leisten kann oder auch nicht, sondern sie sind eine unverzichtbare Investition in die Zukunft unseres Landes. Bildung ist nicht zuletzt ein Standortvorteil, den jeder kluge Staat nicht unsinnig aufs Spiel setzt, schon gar nicht, wenn er dies nicht muss;
denn der Flächenbrand mit seiner fatalen zerstörerischen Wirkung, den wir derzeit im gesamten sozialen Bereich in Bayern erleben, wäre gar nicht nötig. Diesen Flächenbrand könnte man sich sparen, wenn man nicht stur an der Zielmarke „keine Neuverschuldung 2006“ festhalten würde, als sei sie von Moses in Stein gemeißelt.
(Beifall bei der SPD – Dr. Ludwig Spaenle (CSU): Moses hat den Stein nicht gemeißelt, sondern angestoßen. Und siehe, es kam Wasser!)
Auch wenn man es uns glauben machen will: Bayern steht keineswegs unter einem solch enormen Zeitdruck, der eine solche Kahlschlagpolitik rechtfertigen würde.
Da sehen Sie, wie notwendig die Investition in die Bildung wäre. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es wäre völlig ausreichend, wenn wir jetzt gemeinsam und konstruktiv beginnen würden, die richtigen und notwendigen Reformen gemeinsam auf den Weg zu bringen, mit Bedacht und Weitblick in Gang zu setzen und uns für die Umsetzung die dafür notwendige Zeit gönnen. Keine dieser Reformen darf aber dabei mit einem Weniger an Bildung für die jungen Menschen einhergehen, sondern sie müsste ganz im Gegenteil gerade deren Bildungs
möglichkeiten weiter ausbauen und verbessern. Dies sei hier in Verbindung mit der Jugendarbeit unbedingt noch einmal angemerkt: Bildung ist weit mehr als Schule.
So darf man schon im Interesse der jungen Generation nicht schulische und außerschulische Bildung auseinanderdividieren; denn genauso wie Messer, Gabel und Löffel noch keine warme Mahlzeit sind, so sind Lesen, Schreiben und Rechnen noch lange keine umfassende Bildung.
Die Jugend in diesem Land hat das Recht auf die bestmögliche Bildung überhaupt, und die gibt es einfach nicht ohne das, was auch die Jugendarbeit zu bieten hat. Schon deshalb sagen wir von der SPD-Fraktion ganz bewusst gerade auch als Lobby für die Zukunftsfähigkeit der heutigen Kinder und Jugendlichen in Bayern: Nein zu jeglichen Sparkonzepten, die in irgendeiner Form zu einem Abbau der Bildungschancen junger Menschen in Bayern führen. Wir sagen Nein zu den Sonderopfern der Jugend- und Bildungsarbeit in Bayern für einen ausgeglichenen Staatshaushalt unbedingt bis zum Jahr 2006. Wir sagen Nein zur Zerschlagung der seit über 50 Jahren gewachsenen und erfolgreichen Strukturen der Jugendarbeit in Bayern, die in einem einzigen Jahr zerstört werden könnten.
Wir sagen Nein zu einem drohenden Sozialabbau auf Kosten all derer, die sich nicht wehren können und die zwingende staatliche Unterstützung und Förderung brauchen, um überhaupt noch eine Zukunft zu haben, vorweg Kinder und Jugendliche in diesem Land.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich knüpfe an die Nachmittagspräsenz für Lehrer und Lehrerinnen an und fordere eine Präsenzpflicht für Minister und Ministerinnen. Ich meine, dies stünde Ihnen gut an.
Ich will zu Beginn ein paar Zitate des bayerischen Ministerpräsidenten in Erinnerung rufen. Meine Ausführungen stehen heute unter dem Motto, dass Wort und Tat sehr stark auseinanderklaffen.
Zitat 1: Wir investieren in exzellente Bildung auf internationalem Niveau. Bayern soll mit seinen Schulen in zehn Jahren unter den ersten fünf Spitzenplätzen in der Weltrangliste stehen. Zweites Zitat: Wir wollen die Unterrichtsqualität weiter steigern. Drittes Zitat: In gleicher Weise wollen wir die individuellen Hilfen für schwächere Schülerinnen und Schüler verbessern, um die Zahl der Wiederholerinnen und Wiederholer zu verringern und die Zahl von Schülerinnen und Schülern ohne Schulabschluss zu senken.
Viertes Zitat: Unsere Jugendlichen sollen die bestmögliche Ausgangsposition für ihren Start ins Leben haben.
Ich bedanke mich für Ihren Applaus. Letztes Zitat – vielleicht hören Sie dann auf zu klatschen –: Wir investieren in unsere Hochschulen;
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Mehrheitspartei, verbale Bekundungen müssen sich im Haushalt niederschlagen. Diese Bekundungen finde ich dort nicht.
Nehmen wir nur die Hochschulen. Vielleicht hat Ihr Ministerpräsident das Wort Investition ja neu definiert. Für mich bedeutet es immer noch einen positiven Mittelzufluss, aber keine Kürzungen um 5 %.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, im Bildungs- und Erziehungsbereich sind zwei Eigenschaften besonders wichtig: erstens Verlässlichkeit und zweitens Vertrauen. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Mehrheitspartei, dieses Vertrauen haben Sie bitter enttäuscht, und Sie werden von Lehrern, Schülern und Eltern im Moment ausgepfiffen.
Weil es bei Ihnen so ist, dass die meisten, wie man im Bildungsbereich so schön sagt, mehrere Anläufe brauchen, um einen Lernprozess dauerhaft speichern zu können, will ich Ihnen eines noch einmal sagen: Mit Mitteln der Regionalliga kann niemand in der Champions League mitspielen.
Eine andere Erkenntnis will ich Ihnen mit auf den Weg geben: Bildung beginnt im Kindergarten und hört nach der Hochschule bzw. nach der Berufsaus
bildung nicht auf. Ich sage das im Vorgriff, weil ich sehr gespannt darauf bin, ob Sie dies bei dem Entwurf für ein neues Kindertagesstättengesetz berücksichtigen werden und danach streben, dass unsere Kinder möglichst bald und möglichst früh eine spielerische Förderung erhalten, oder ob Sie eine so genannte Reform des Gesetzes wieder nur dazu benutzen, Geld einzusparen und die Bezahlung den Kommunen aufzudrücken.
Individuelle Förderung in den Mittelpunkt zu stellen, und zwar möglichst früh, gilt auch für die Grundschule. In Bayern beginnt eigentlich nur eines möglichst früh:
Das ist die Auslese, die in einer beschämenden Abiturientenquote von 19 % mündet. In der Grundschule hört noch etwas anderes auf, nämlich die Gerechtigkeit; denn ein Kind armer Eltern oder ein Migrantenkind hat bei gleicher Intelligenz viel weniger Chancen als ein Akademikerkind, eine Empfehlung für das Gymnasium zu erhalten.
Sie sprechen stets vom internationalen Vergleich. Deshalb möchte ich Ihnen ein paar Zahlen sagen: Im OECD-Durchschnitt verbringt ein neunjähriger Schüler durchschnittlich 829 Stunden in der Schule, in Bayern sind es 790. Die internationale Grundschulklasse hat 20 Schüler, in Bayern 23,8. In erfolgreichen Ländern wird ausreichend, gezielt und individuell gefördert, in Bayern gibt es dafür fast nichts.
Die mangelnde Förderung leistungsschwacher Schülerinnen und Schüler führt zu hohen Wiederholerquoten. Die Kosten dafür belaufen sich auf 200 Millionen Euro. Im OECD-Schnitt geben die Länder pro Schüler 4150 Euro pro Schüler aus, in Bayern sind es nur 3000 Euro. In fast allen Ländern dauert die Grundschule mindestens sechs Jahre, in Bayern nur vier.
Zusammenfassend kann ich festhalten: Die Fastenzeit hat in Bayerns Bildungswesen nicht erst mit diesem Nachtragshaushalt und nicht erst seit dem Aschermittwoch Einzug gehalten. Ihr Ministerpräsident will zwar in der oberen Liga mitspielen, aber kein Geld ausgeben. Da hilft Ihre Leistungssteigerung im Bildungshaushalt auch nicht weiter; denn hiermit werden doch eigentlich nur Tarifsteigerungen und sonstige Inflationserhöhungen aufgefangen. Herr Kollege Schneider, Ihre Personalkürzungen sprechen eine deutliche Sprache. Ich unterstelle, dass Sie sicherlich so klug gewesen sind, die angepeilte Arbeitszeiterhöhung einzurechnen.
Ich bewundere immer wieder unsere Lehrerinnen und Lehrer. Mit ihrem Engagement schaffen sie es immer wieder, trotz dieser schlechten Bedingungen, gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern, gute Ergebnisse zu erzielen. Ich glaube aber, dass
nach den zusätzlichen Grausamkeiten, die Sie noch verabschieden werden, nicht viel mehr Leistung möglich sein wird.
Sie betonen immer wieder, dass Bayern nicht schlecht dastünde. Hier gilt jedoch der Satz: Unter den Blinden ist der Einäugige König. Auch dem bayerischen Bildungssystem steht es gut an, sich nicht auf seinen vermeintlichen Lorbeeren auszuruhen, sondern weiterzumachen und zu investieren. Denn Gesellschaft und Arbeitsmarkt haben sich verändert. Die Bildung muss diese Veränderungen berücksichtigen und unseren Kindern Instrumente an die Hand geben, damit sie im Leben bestehen können. Für mich bedeutet das: Schule braucht ein verändertes pädagogisches Konzept, das diesen Anforderungen Rechnung trägt. Dazu gehören auch Schlüsselqualifikationen wie das Lernen des Lernens, Medienkompetenz und Teamfähigkeit.
Jetzt komme ich zum Thema „Vernetztes Denken“ wie ich Ihnen das vorhin versprochen habe. Ich glaube, die Mitglieder der Staatsregierung haben noch nicht erkannt, wie sich ihre Kürzungen langfristig auch auf anderen Bereichen auswirken werden. Für neue pädagogische Konzepte brauchen unsere Lehrerinnen und Lehrer andere Strukturen, weil sie zum Beispiel in 45 Minuten keine Gruppenarbeit machen können, um nur ein Beispiel zu nennen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CSU, Sie werden umdenken müssen; denn Sie leben in Edmunds Welt. Dort wird gemacht, was der Boss sagt. Draußen in der Welt sieht es aber ganz anders aus. Dort sind Abnicker nicht gefragt. Auf diese veränderte Welt muss die Bildung reagieren.