Ich glaube auch nicht, dass Sie nach der Devise „Three strikes and you are out“, wie in es in einigen amerikanischen Bundesländer der Fall ist, handeln wollen. Hier ist es oft schon so, dass dann, wenn einer zweimal vorbestraft ist und er ein drittes Mal straffällig wird, egal was er getan hat, er automatisch für eine lange Zeit hinter Gitter kommt.
Wir befinden uns in guter Gesellschaft mit unseren Vorbehalten mit drei Verfassungsrichtern und Verfassungsrichterinnen, mit den Experten und Expertinnen, mit vielen Juristen und Juristinnen und werden in diesem Falle nicht mit dem Bauch argumentieren sondern mit dem Kopf.
Vielen Dank, Frau Kollegin Stahl. Als Nächste hat sich zu Wort gemeldet Frau Justizministerin Dr. Merk
Mit seiner Entscheidung vom 10. Februar 2004 hat das Bundesverfassungsgericht das vom Landtag mit breiter Mehrheit beschlossene Bayerische Gesetz zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten
hochgefährlichen Straftätern vom 24. Dezember 2001 für unvereinbar mit den Kompetenzregelungen des Grundgesetzes erklärt; und es hat zugleich erklärt – das möchte ich noch einmal deutlich hervorheben –, dass das Gesetz bis zum 30. September 2004 „anwendbar“ bleibt.
Erstens. Die Verantwortung des Bundes: Der Bund kann sich und der Bund darf sich seiner gesetzgeberischen Verantwortung nicht mehr entziehen. Es ist unabdingbar notwendig, den Schutz der Allgemeinheit vor schweren Straftaten wie schwerer Gewalt und Sexualdelikten zu verbessern. Straftäter, die die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung erfüllen, deren besondere Gefährlichkeit sich aber erst während des Strafvollzugs darstellt, dürfen nicht nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafe entlassen werden.
Bayern hat in insgesamt acht Initiativen allein oder gemeinsam mit anderen Ländern eine bundesgesetzliche Regelung zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung vorgeschlagen.
Nein, seit 1997, Herr Kollege Schindler, hat man im Bundesrat vonseiten der SPD diese Vorschläge abgelehnt. Damals war im Bundesrat die SPD noch mit einer Mehrheit vertreten, um das auch das ganz klar zu stellen.
Die Bundesregierung hat diese Vorschläge bislang vor allem mit der Begründung blockiert, dem Bund fehle hierfür die Gesetzgebungszuständigkeit, zuständig seien die Länder. Ich zitiere hier nur aus einer Stellungnahme der rot-grünen Bundesregierung vom 1. August 2002 zu einem unserer Gesetzesentwürfe: „Er ist der Gesetzgebungskompetenz der Länder zuzuordnen.“ – Also hat der Bund uns quasi zu einem Landesgesetz gezwungen. Anders als jetzt von der Opposition behauptet, haben wir nicht „sehenden Auges“ ein verfassungswidriges Landesgesetz erlassen, sondern wir haben die Problematik erkannt, und wir haben versucht uns mit Hilfe des Gefahrenabwehrrechts – das ist ureigenste Landeskompetenz – zu helfen.
Wir hätten natürlich auch schon damals eine bundesrechtliche Lösung vorgezogen, wie Kollege Beckstein am 22. Oktober 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht auch deutlich gemacht hat. Er hat nämlich gesagt:
Ich will nicht verhehlen, dass es Bayern begrüßen würde, wenn der Bund eine strafrechtliche Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung schaffen würde, die über die bisherige bloße Vorbehaltslösung in § 66a des Straf
gesetzbuches hinausginge. Ein wirksamer durc hgreifender Schutz der Bevölkerung kann letztlich nur erreicht werden, wenn hierfür eine bundeseinheitliche Lösung gefunden werden kann. Solange diese aber nicht erreicht ist, gebietet uns die staatliche Schutzpflicht, auf das erhebliche Gefahrenpotenzial eine landesrechtliche Antwort zu finden, auch, wenn eine solche von vornherein nur die zweitbeste Lösung sein kann.
Zweitens. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes bestätigt eindrucksvoll das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung. Auch dieses hat der Bund immer wieder bezweifelt. Schon der Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht die zur Prüfung gestellten Landesgesetze eben gerade nicht für nichtig erklärt hat, sondern ihre Anwendung bis zum 30. September 2004 angeordnet hat, beweist die Notwendigkeit einer nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Die bisherige Erfahrung mit den landesrechtlichen Straftäterunterbringungsgesetzen zeigt, dass es tatsächlich einige wenige Verurteilte gibt, gegen die zum Urteilszeitpunkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, die sich aber gleichwohl zum Entlassungszeitpunkt als hochgefährlich darstellen.
So wörtlich das Bundesverfassungsgericht. Diese hochgefährlichen Leute wollen wir nicht frei laufen lassen.
Das überragende Interesse der Allgemeinheit an effektivem Schutz vor bestimmten hochgefährlichen Straftätern hat es für das Bundesverfassungsgericht unerlässlich gemacht, die Fortgeltung der Landesgesetze anzuordnen. Damit ist – entgegen Ihrer Meinung – der bayerische Gesetzgeber in der Sache voll bestätigt. Im Übrigen: Mit der Forderung nach einer Gesamtwürdigung und nach einer starken Gewichtung der Vortaten werden wir quasi dazu ermuntert, unsere Gesetzesinitiativen noch auszuweiten. Herr Schindler, ich meine, dass Sie das nicht richtig gewürdigt haben.
Drittens. Das Bedürfnis nach Schutz vor schweren Wiederholungstaten hochgefährlicher Straftäter ist bundesweit; es beschränkt sich nicht auf einzelne Länder. Deswegen muss auch der Schutz bundesweit gewährleistet werden. Der Wohnsitz der Men
schen kann nicht entscheidend dafür sein, welchen Schutz sie bekommen. Die Bundesministerin der Justiz hat angedeutet, der Bund wolle den Ländern nun durch eine bundesgesetzliche Öffnungsklausel die Kompetenz zu eigenen Regelungen zugestehen, also von der Kompetenz zur konkurrierenden eigenen Gesetzgebung nur eingeschränkt Gebrauch machen. Dem wird die Staatsregierung mit Entschiedenheit entgegentreten. Es darf nicht sein, dass die Bundesjustizministerin schon wieder zurückweicht; vielleicht sollte ich besser sagen: zurückgewichen wird. Wir sind es auch unserer bayerischen Bevölkerung schuldig, sie, soweit wir das nur können, vor Straftätern zu schützen, die in bayerischen Strafanstalten einsitzen und zur Entlassung anstehen, wenn sie Wiederholungsprognosen haben. Wir müssen unsere Bevölkerung auch vor Tätern schützen, die in anderen Ländern, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, entlassen werden und dann nach Bayern ziehen. Deswegen fordern wir eine bundeseinheitliche Regelung.
Viertens. Die Bayerische Staatsregierung hat in der Vergangenheit gehandelt und wird auch in Zukunft handeln. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ich vor allen Dingen der Opposition zur Lektüre empfehle, listet akribisch unsere vielfältigen Aktivitäten und die hartnäckige Ablehnung unserer Vorschläge auf. Der Beitrag der Bundesregierung zum Opferschutz liegt also weitgehend in einer Verweigerungshaltung.
Wegen der Untätigkeit der Bundesregierung hat der Bayerische Landtag, vom Bund auf eine angebliche Länderzuständigkeit verwiesen, das in seiner Macht Stehende getan. Jetzt bedarf es einer bundesgesetzlichen Regelung, spätestens bis zum 30. September 2004, damit bereits untergebrachte hochgefährliche Straftäter nicht entlassen werden müssen und damit auch künftig solche Entlassungen nicht geschehen. Die Bayerische Staatsregierung wartet nicht, bis die Bundesregierung aktiv wird. Sie wird vielmehr eine eigene Bundesratsinitiative ergreifen. Ich werde deshalb bereits am nächsten Dienstag dem Ministerrat einen aktualisierten Entwurf vorlegen, selbstverständlich nicht basierend auf Landesrecht, sondern natürlich basierend auf dem Strafrecht, wie es sein muss. Dieser Entwurf orientiert sich an der letzten Initiative, die noch im Bundestag hängt.
Bis zu einer bundesgesetzlichen Regelung sind nach wie vor Unterbringungen nach dem Bayerischen Straftäterunterbringungsgesetz möglich. Darauf hat das Bayerische Staatsministerium der Justiz unsere Justizvollzugsanstalten hingewiesen. Wir werden dafür Sorge tragen, dass beim Übergang von Landes- zu B u n d e s recht keine Lücken in der Sicherheit für unsere Bürgerinnen und Bürger entstehen. Selbstverständlich haben wir uns in der Vergangenheit nicht auf Sicherungsmaßnahmen beschränkt; das werden wir
auch in Zukunft nicht tun. So haben wir die Zahl der Therapieplätze für Sexualstraftäter seit 1998 von 12 auf 96 gesteigert, und wir werden bis Ende dieses Jahres 24 weitere Plätze zur Verfügung stellen. Therapiewillige und Therapiefähige finden bei uns einen Platz. Frau Stahl, was hier dargestellt worden ist, ist falsch.
Eine fortdauernde Sicherung ist nur dort unabdingbar, wo Therapieeignung oder Therapiewille fehlt. Ich möchte ganz klar darauf hinweisen, dass Gefangene, die Briefe schreiben oder sich auch einmal aufsässig verhalten, deshalb noch lange nicht diese Vorgaben erfüllen. An geeigneten Plätzen für Therapien hat es auch in den in Bayern einschlägigen Fällen nie gefehlt.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in meinen Ausführungen auf den Ablauf in den letzten Jahren kurz eingehen. Die Staatsministerin hat es bereits ausgeführt: Wir haben insgesamt achtmal im Bundesrat den Versuch erleben dürfen, den Täterschutz abzuschaffen und für die Opfer zu handeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren, achtmal musste dieses Thema auf dieser Ebene behandelt werden. Bereits im Jahr 1997 hat Bayern damit begonnen.
Liebe Kollegen, gerade bei einem solchen Thema mit der Bundestagswahl 1998 zu argumentieren, halte ich nicht für richtig; denn man muss irgendwann einmal sehen, dass der Freistaat Bayern eine Initiative gemacht hat. Bei der Verabschiedung standen Ihre Verhaltensweisen hier im Haus dem entgegen. Wir wollen aber tatsächlich die Sache voranbringen und einen Opferschutz erreichen. Ich halte es deshalb auch für notwendig, dieses Thema im Gesamtzusammenhang zu beleuchten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Hauptproblem ist doch, dass wir bei einem Thema, das der Bundeskanzler bundesweit auf der ersten Seite der Bildzeitung angesprochen hat, am Schluss auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten. Es gab acht Initiativen, x Möglichkeiten, dem zuzustimmen, aber letztlich haben die Länder etwas geregelt, und man hat gesagt: Am Schluss entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Einige Länder haben diese Materie aber nicht geregelt. Teilweise haben Abgeordnete hier im Hause keine Verantwortung übernommen. Kollege Hahnzog hatte nicht nur die Bedenken, die Sie vorgetragen haben, sondern noch ganz andere. Er war – ich weiß nicht, ob er es noch ist – immerhin der Bundesvorsitzende der sozialdemokratischen Juristen, und er hat seine Bedenken seitenweise ausgeführt.
(Franz Schindler (SPD): Das Bundesverfassungsgericht teilt jetzt genau die Bedenken, die Kollege Hahnzog hier vorgetragen hat!)
Herr Kollege, Sie berichten nur über einen Teil. Hauptproblem war, dass Kollege Hahnzog das – ich erspare es Ihnen, das deutlich aus den Protokollen zu zitieren –
relativ hart abgelehnt hat, wie auch Frau Kollegin Stahl. Nun ist es wirklich geboten, dass wir noch einmal handeln und das auf den Weg bringen. Es ist notwendig, an diesem Beispiel aufzuzeigen, dass wir nicht immer nur auf das Bundesverfassungsgericht warten können. Ein Land hat auch eigene Möglichkeiten. Wir müssen uns auch einmal trauen, etwas auf den Weg zu bringen.
Sie müssen schon auch zugestehen, dass unseren Aktivitäten mit der Übergangsregelung mehr als nur Recht gegeben worden ist. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es nur, wie Sie hier angeführt haben, wenige Fälle sind, aber genau auf diese Fälle kommt es an. Es ist nicht geboten, hier im Hohen Hause die Einzelfälle vorzutragen, die im Übrigen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von den Beschwerdeführern dargelegt sind. Es ist grausam, wenn man lesen muss, welche Historie dahinter steckt, was diese Menschen Kindern angetan haben.
Frau Kollegin Stahl, man muss handeln. Sie rufen zu, dass Ihnen noch andere Fälle einfallen. Aber gerade deshalb muss man handeln. Wir haben uns das getraut. Ich darf Sie bitten, dies nun zum Anlass zu nehmen, vielleicht auch in dieser Weise tätig zu werden und heute unserem Petitum zuzustimmen. Ich glaube, dass dies das richtige Signal aus Bayern ist. Vor allem aber darf ich Sie bitten, in Zukunft vielleicht auch das eine oder andere Mal den Mut der Bayerischen Staatsregierung und des Landtags zu unterstützen, statt immer nur zu warten, bis uns das Verfassungsgericht Recht gibt.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Bei nüchterner Analyse der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts muss man wohl zu der Feststellung gelangen, dass das Gesetz kein Ruhmesblatt für die bayerische Gesetzgebung war. Deswegen ist für Rechthaberei, wie sie teilweise von der Frau Justizministerin, aber auch von anderen CSU-Kollegen gezeigt wurde, kein Platz. Wir müssen dieses Urteil nüchtern analysieren und daraus die entsprechenden Konsequenzen ziehen.