Protocol of the Session on February 12, 2004

Aber man muss bei der Diskussion die Kirche im Dorf lassen.

Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass jetzt der Bund gefordert ist, bis 30. September zu entscheiden, ob und wie – das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich gesagt – das mit den als verfassungswidrig erklärten Gesetz erstrebte Ziel durch eine nachträglich angeordnete Freiheitsentziehung oder auf andere Weise erreicht werden kann. Sie können sicher sein, dass die Bundesregierung und die Mehrheit im Bundestag alles tun werden, um bis 30.09. dieses Jahres eine entsprechende Regelung zu finden, sodass es einer entsprechenden Bundesratsinitiative Bayerns nicht bedarf.

Gestatten Sie mir zum Schluss noch einige Anmerkungen unabhängig von dem Urteil. Die Diskussion über die Sicherungsverwahrung ist historisch belastet. Historisch belastet deshalb, weil sie in den deutschen Rechtskreis durch das so genannte Gewohnheitsverbrechergesetz vom November 1933 Eingang gefunden hat. Das war eine Zeit, als man nicht mehr unterschieden hat zwischen dem Zweck der Strafe und dem Zweck einer Maßregel der Besserung und Sicherung bzw. einer Sicherungsverwahrung, sondern man hat das quasi gleichbehandelt. Wir müssen schon wegen dieser historischen Vorbelastung jetzt ganz sorgfältig mit dem Institut der Sicherungsverwahrung umgehen, weil es nicht sein darf, dass die Sicherungsverwahrung als Abkehr von der zeitlichen Freiheitsstrafe gewertet wird. Ich gestehe jedem zu, der sagt, wir müssen die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern schützen, die sich nicht bessern wollen. Aber genauso wichtig ist es schon auch, grundsätzlich zu unterscheiden zwischen dem Strafzweck, dass der Täter sühnen muss für eine Schuld, die er auf sich geladen hat, und dem Zweck der Sicherungsverwahrung, nämlich dem Schutz der Allgemeinheit.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb war ich auch sehr unglücklich – dass müssen Sie mir bitte glauben – über flapsige Äußerungen mancher, auch des Bundeskanzlers, der diese Differenzierung leider nicht mehr vorgenommen hat. Es ist unsere Aufgabe, das immer wieder zu beachten. Das macht es uns auch so schwer, und genau das war der Grund, Herr Kreuzer, warum in unserer Fraktion lange diskutiert worden ist. Wir haben das nicht auf die leichte Schulter genommen. Wir haben es hingenommen, dass unsere Fraktion nicht geschlossen abgestimmt hat, nicht weil wir zu wenig Disziplin haben, sondern weil es wirklich um ein grundsätzliches Problem gegangen ist. Das sollte man uns zugestehen. Ich habe immer Angst vor denen, die sich in einer Frage alle hundertprozentig einig sind, weil es den Verdacht gibt, dass man sich nicht so sehr damit befasst hat.

(Beifall bei der SPD)

Letzte Bemerkung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist dann – und nur dann – erforderlich, wenn der Vollzug der Strafe den eigentlichen Zweck des Strafvollzugs, nämlich den Täter in der Haft zu bessern und zu resozialisieren, nicht erfüllt. Natürlich gibt es Fälle, wo dieses Ziel deshalb nicht erreicht wird, weil sich die Täter sperren, weil sie bei Therapieangeboten nicht mitmachen. Aber die Fälle, wo es keine Therapieangebote gibt und wo der Strafvollzug aus unterschiedlichen Gründen so gestaltet ist, dass die Chance zur Besserung des Straftäters gar nicht erst gegeben ist, sind wesentlich häufiger als die anderen, über die wir heute reden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer wirklich einen entscheidenden Beitrag für mehr Sicherheit leisten will, der muss dafür sorgen, dass die Bedingungen im Strafvollzug in unseren Haftanstalten verbessert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das wäre ein wesentlich wichtigerer Beitrag zur Verbesserung der inneren Sicherheit als das, was gelegentlich als dauerhaftes Wegsperren bezeichnet wird.

Allerletzte Bemerkung, meine sehr verehrten Damen und Herren. Gaukeln Sie den Menschen nicht vor, es gäbe hundertprozentige Sicherheit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Hundertprozentige Sicherheit kann es in einem Rechtsstaat, der sich Gott sei Dank, dazu entschieden hat, auf den Vernichtungsstrafvollzug zu verzichten,

(Karin Radermacher (SPD): Rechtsstaat zu sein!)

nicht geben. Wer etwas anderes erzählt, der lügt die Leute an, und das sollten wir bei dieser schwierigen Problematik nicht tun.

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Chris- tine Stahl (GRÜNE))

Als Nächste hat Frau Kollegin Stahl das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Herren und Damen! Einen wunderschönen guten Morgen zu einem schwierigen Thema! Weshalb Sie die nachträgliche Sicherungsverwahrung und die Niederlage, die Sie damit vor dem Bundesverfassungsgericht erlitten haben, zum Thema der Aktuellen Stunde auserkoren haben, erschließt sich mir nicht. Sie sollten zudem leisere Töne anschlagen, was wieder einmal die Schuldzuweisung an die Bundesebene anbelangt.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner- Muggendorfer (SPD) und des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Denn für Ihren Alleingang müssen Sie Lehrgeld bezahlen. Ein Alleingang, der sich zum Beispiel auch daraus ergab, dass es nicht möglich war, mit den anderen Ländern zu einem gemeinsamen Gesetzentwurf zu kommen, weil man die Punkte, die Sie in Ihrem Bayerischen Gesetzentwurf aufgenommen haben, in Teilen gar nicht mittragen wollte.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Zudem interpretieren Sie in die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes unzulässigerweise hinein, dass das bayerische Gesetz verfassungskonform wäre, weil es eben dieses halbe Jahr fortdauern darf. Ich möchte deshalb noch einmal, wie es auch mein Kollege Herr Schindler getan hat, auf das eingehen, was das Bundesverfassungsgericht zur nachträglichen Unterbringung von gefährlichen Straftätern gesagt hat. Im Licht des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Februar muss ein möglicherweise neu zu erlassendes Gesetz gesehen werden.

Eine über zehn Jahre hinausgehende Sicherungsverwahrung kann danach immer nur Ultima ratio sein, weshalb ich in diesem Zusammenhang auch auf die Ausführungen der drei abweichenden Meinungen hinweisen möchte, die sehr gute Gründe für die Meinung hatten, dass eine nachträgliche oder gar lebenslange Sicherungsverwahrung abzulehnen sei.

Die Mehrzahl der Verfassungsrichter hat eine Vielzahl von Bedingungen an eine nachträgliche Sicherungsverwahrung und damit an ein mögliches Bundesgesetz geknüpft, die ich Ihnen noch einmal ins Gedächtnis rufen möchte. Vorab möchte ich aber für die Diskussion, die wir höchst wahrscheinlich erleben werden – anders als Herr Schindler, der bezweifelt hat, ob überhaupt ein Gesetz erlassen wird, denke ich schon, es wird einen Gesetzentwurf geben – schon zu bedenken geben, dass es eben nicht immer nur um die leider häufig politisch instrumentalisierten Fälle der schweren Sexualstraftaten geht, sondern dass ein solches Gesetz auch Straftäter betreffen würde, die andere Delikte, zum Beispiel einen einfachen Raub, begehen. Hier müssen wir uns schon gut überlegen, für welche Fälle so ein Gesetz anzuwenden sein soll.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Außerdem müssen wir in der Diskussion, um neue Gesetze immer auch die tatsächliche Situation im bayerischen Strafvollzug und im Maßregelvollzug im Auge behalten.

Das Bundesverfassungsgericht stellt nach wie vor die Resozialisierung von Straftätern auch bei schweren Delikten in den Vordergrund. Um einen Menschen über den Zeitraum von zehn Jahren hinaus wegsperren zu dürfen, muss es eine Sozialprognose geben, die die zukünftige Entwicklung bzw. das zukünftige Verhalten eines Straftäters beurteilt. In jedem Stadium des Vollzugs muss überprüft werden ob der Strafgefangene auf freien Fuß gesetzt werden könnte.

Der dritte Punkt: Es ist zu überprüfen, ob und welche Haftschäden zu erwarten sind, was natürlich auch von der Situation im jeweiligen Strafvollzug abhängt. Er soll ja kein reiner Verwahrvollzug sein. Wenn man sich die bayerischen Gefängnisse anschaut, bekommt man manchmal einen anderen Eindruck.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Auf keinen Fall zu relativieren oder zu vernachlässigen sind in diesem Gesamtkomplex mögliche Schäden, die ein potenzielles Opfer treffen könnten, wenn bei Straftätern mit einer Wiederholungsgefahr zu rechnen ist. Das bedeutet aber auch, das die Instrumente, die mehr Sicherheit bringen sollen, ernsthaft auf ihren Erfolg hin zu überprüfen sind und darauf, ob sie in unser Rechtssystem passen. Die Sicherungsverwahrung bei Schwerstkriminalität als Allheilmittel anzusehen und darauf zu vertrauen, halte ich für fahrlässig.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Das schwierigste Problem bei der Neufassung eines Bundesgesetzes wäre es sicherzustellen, dass die hohen Anforderungen an die Qualität der gesamten Prognoseentscheidung, die das Bundesverfassungsgericht jetzt fordert, erfüllt werden, und sicherzustellen, dass dem Straftäter im Vollzug auch die entsprechenden Therapie- und Resozialisierungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden. In Bayern fehlen Therapieplätze für Therapiewillige. Es gibt Fälle, in denen der Straftäter beweisen möchte, dass er therapiewillig ist, der beweisen möchte, dass er sich bessern kann, aber er bekommt keinen Therapieplatz oder erst nach vielen Jahren einen. Es gibt auch Straftäter, die eine Therapie bereits in Angriff genommen haben, die aber gehindert werden, diese Therapie ordnungsgemäß zu Ende zu führen, weil es zum Beispiel immer wieder Entweichungen gibt, ganze Abteilungen gesperrt werden und er nicht zu seiner Therapiesitzung kann. Ich denke, das kann auch nicht im Sinne des Therapiegesetzes sein. Wie wollen wir dann die Therapiewilligkeit wirklich objektiv überprüfen, wenn es nur eingeschränkte Angebote gibt?

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wie sieht es mit der Qualität der Gutachten aus? Was können die mit in einer realistischen Prognose überhaupt leisten? Wir wissen aus der Expertenanhörung hier im Landtag im November 2001, dass circa 50 % der Gutachten – das ist gut gerechnet – sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht mit Risiken behaftet sind. Auf den Gutachtern lastet ein enormer Druck.

Ich frage mich persönlich auch, gibt es denn die Fachleute, die das Bundesverfassungsgericht sich vorstellt überhaupt? Es gibt vielleicht eine Handvoll und die sollen dann alle diese ganz schwierigen Fälle schnell und sorgfältig überprüfen.

Im Übrigen stellt das Bundesverfassungsgericht ja auch auf Vollzugslockerungen ab; also die Situatio

nen, wo ein Strafgefangener beweisen soll, ob er besserungsfähig ist. Hiermit sieht es ja in Bayern besonders schlecht aus.

Schwierig ist auch immer die Beurteilung, wie das Verhalten eines Täters im Straf- und Maßregelvollzug zu werten ist. Es gibt Täter – das hatten wir ja auch, Herr Kreuzer, Sie erinnern sich vielleicht an die Beispiele –, die verhielten sich völlig unauffällig und ruhig und dennoch gibt es keine Gewähr dafür – die machen auch ihre Therapie –, dass sie, wenn sie freigelassen werden, nach diesen Maßnahmen nicht doch rückfällig werden. Genauso gibt es die aufsässigen Strafgefangenen. Wir kennen ja diese Briefe, die uns immer wieder erreichen. Aber auch hier gibt es keine Gewähr dafür, und man kann nicht automatisch die Prognose stellen, dass sie, wenn sie freigelassen werden, wieder aggressiv und gewalttätig sind.

Diesen Anforderungen der fünf Verfassungsrichter und Verfassungsrichterinnen wird das Bayerische Gesetz zur nachträglichen Sicherungsverwahrung und die Realität in Bayern nicht in allen Punkten gerecht. Sie haben ja auch einen Dringlichkeitsantrag, dazu werden wir heute Nachmittag noch kommen, wo Sie gerade dieses bayerische Gesetz zur Grundlage für ein weiteres Gesetz machen wollen.

Hierzu kann ich nur sagen: Lassen Sie die Finger davon, denn das bayerische Gesetz entspricht unserer Ansicht nach in vielen Punkten tatsächlich nicht dem, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte dafür natürlich auch Beispiele nennen. Ich schlage mich damit herum, dass es die Möglichkeit enthält, eine unbefristete Sicherheitsverwahrung anzuordnen; ich wiederhole: unbefristete.

(Zuruf des Abgeordneten Alexander König (CSU))

Dazu komme ich noch, Herr König. Wir können gerne dann darüber streiten. Es wird auf „Umstände“ abgestellt, Umstände, die sich während des Strafvollzugs ergeben, woraufhin die Justizvollzugsanstalt einen Antrag auf Sicherheitsverwahrung stellen kann. Der Begriff Umstände, ist ein sehr weiter Begriff. Was sind denn das für Umstände? Ich halte es schon für notwendig, diesen Begriff ein bisschen näher zu erläutern.

Und die JVA-Leitung – jetzt kommt eben der Punkt mit der Überprüfbarkeit – stellt diesen Antrag bei den Strafvollstreckungskammern. Wenn es um Sicherheitsverwahrung geht, sind drei Richter betroffen, das ist richtig, aber ich erwarte in so einem Punkt, wo es derartig massive Eingriffe geht, eigentlich schon, dass man die Sache an eine große Strafkammer gibt und damit die Transparenz wahrt, dass man auch Öffentlichkeit herstellt. Das heißt, drei Richter und zwei

Schöffen. Und ich erwarte, dass die Entscheidungen dort eben nicht nur durch Beschluss getroffen werden, sondern dann gibt es ein Urteil, damit die Dinge überprüfbar sind und damit der Strafgefangene bei einem derartig massiven Eingriff in diesem Falle nicht nur Beschwerde einlegen kann.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Deswegen behaupte ich, dass Ihre Ausführungen, Herr Kreuzer, die Sie zu Beginn machten, dass Ihr Gesetz so toll und verfassungskonform wäre, nämlich nicht zutreffen. Ich sage, dieses Gesetz würde, wenn es inhaltlich überprüft wird, ebenfalls kassiert werden.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Abgeord- neten Alexander König (CSU))

Ja gut, das hatte ich schon. Wir müssen bei der ganzen Diskussion der Angelegenheit immer bedenken: Wir urteilen darüber, dass jemand, der seine Strafe verbüßt hat, unter Umständen und „vielleicht“ wieder rückfällig wird. Denn es wird bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung ja nicht mehr an die Schuld eines Straftäters angeknüpft, sondern an etwas, was „möglicherweise“ geschieht.

Ich kann und will nicht glauben, dass auch nur eine Abgeordnete oder nur einen Abgeordneter hier im Saale gibt, der zu den Verhältnissen vor 1933 zurückkehren möchten und die Vorbeugung nutzen möchte, jemand bereits aus geringem Anlass wegzusperren.

Ich glaube auch nicht, dass Sie nach der Devise „Three strikes and you are out“, wie in es in einigen amerikanischen Bundesländer der Fall ist, handeln wollen. Hier ist es oft schon so, dass dann, wenn einer zweimal vorbestraft ist und er ein drittes Mal straffällig wird, egal was er getan hat, er automatisch für eine lange Zeit hinter Gitter kommt.