Protocol of the Session on October 23, 2007

Kolleginnen und Kollegen, mit dem Dreiklang „Prävention, Repression, Hilfe“ war und ist Bayern erfolgreich. Wir werden diesen bewährten Weg konsequent weitergehen, aber wir stehen immer auch vor neuen Herausforderungen, neuen gesellschaftlichen Entwicklungen und neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Gerade die legalen Suchtmittel wie Tabak und Alkohol rücken zunehmend in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Immer jüngere Raucher und bis zur Bewusstlosigkeit trinkende Kinder machen neue Antworten nötig. Deshalb haben wir die bayerischen Grundsätze zu Drogen- und Suchtfragen weiterentwickelt und neu justiert. Dabei haben uns die Suchthilfeorganisationen, allen voran die Koordinierungsstelle der Bayerischen Suchthilfe, tatkräftig unterstützt. Ich möchte allen, die sich daran beteiligt haben, ganz herzlich danken.

Die neuen Grundsätze rücken die Suchtprävention in den Mittelpunkt. Dabei konzentrieren wir uns vor allem auf Nikotin und Alkohol mit dem Hauptschwerpunkt Jugendliche als Zielgruppe. Die Risiken dieser sogenannten legalen Suchtmittel sind erheblich. Eine britische Studie von Ende März dieses Jahres rechnet Nikotin zu den zehn gefährlichsten Substanzen. Neue Schätzungen gehen für Deutschland von jährlich circa 40 000 alkoholbedingten Todesfällen aus.

Kolleginnen und Kollegen, eine glaubwürdige Suchtpolitik muss deshalb die Gesundheitsgefahren von Tabak- und Alkoholsucht offen ansprechen und wirksame Maßnahmen vorsehen. Tabakkonsum ist heute die weltweit größte vermeidbare Ursache für Krankheit und frühen Tod. Wir haben vorhin schon darüber gesprochen. In Bayern sterben jährlich mehr als 16 000 Menschen noch vor dem 65. Lebensjahr an den Folgen des Rauchens.

98 % aller Herzinfarkte vor dem 40. Lebensjahr hängen mit dem Rauchen zusammen. Vor allem Jugendliche rauchen trotz eines inzwischen positiven Trends – auch hier – immer noch in erheblichem Umfang. In Bayern haben wir bei den Fünfzehn- bis Zwanzigjährigen heute rund 59 000 Gewohnheitsraucher, und sicher ist jeder von ihnen einer zu viel.

Dazu kommen die Gefahren des Passivrauchens, die wir vorher besprochen haben. Dieses Risiko trifft 8,5 Millionen Nichtraucherinnen und Nichtraucher am Arbeitsplatz und rund 28 Millionen im Freizeitbereich. Ich habe vorhin schon die Zahl genannt: 8,4 Millionen Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre müssen mit Rauchern im Haushalt leben.

Die Studie, die vom Bayerischen Landesamt für Umwelt durchgeführt worden ist, habe ich bereits erwähnt. Ich will darauf verzichten, sie noch einmal im Einzelnen anzusprechen. Wir haben einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der, so glaube ich, einen wirksamen Nichtraucherschutz ermöglicht. Wir werden noch darüber diskutieren, ob hier weitergehende Anforderungen vernünftig sind.

Meine Damen und Herren, beim Alkohol müssen wir die Situation differenzierter sehen als beim Nikotin. Gefährlich ist der Missbrauch, nicht ein maßvoller Gebrauch. Auch hier haben wir besonders Kinder und Jugendliche im Auge. Jeder zweite Sechzehn- bis Siebzehnjährige trinkt heute mindestens an einem Tag im Monat fünf oder mehr Gläser Bier, Wein oder Schnaps. Vor allem das Komasaufen ist nicht hinnehmbar. Die Zahl der wegen Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingelieferten Jugendlichen ist zwischen 2000 und 2005 um 100 % gestiegen. Das jüngste Alkoholopfer war gerade einmal zehn Jahre alt. Deshalb sind Flatrate-Partys in Diskotheken und anderen Lokalen grob verantwortungslos und müssen unterbunden werden.

Wir haben heute im Kabinett den Gesetzentwurf zum neuen Gaststättenrecht beraten. Auch das neue Gaststättenrecht legt ein großes Augenmerk auf das Thema Alkohol, sowohl bei den Personalkonzessionen als auch bei den Gestattungen. Bayern geht gegen den Alkoholmissbrauch bei Kindern und Jungendlichen vor. Wir haben – das wissen viele von Ihnen – bewährte Präventionsprojekte wie „be hard, drink soft“. Das werden wir fortsetzen. Seit Ende des Jahres 2005 existiert darüber hinaus ein runder Tisch „Alkoholprävention“, der uns sehr wichtig ist und an dem Jugendorganisationen, Alkoholindustrie, Eltern, Schulen und Behörden beteiligt sind und an einem Strang ziehen.

Die Interpellation spricht auch das Thema „Alkoholwerbung“ an. Die letzten Jahre haben gezeigt – auch das ist erfreulich –, dass Investitionen der Branche für Werbung zurückgegangen sind, zwischen 2000 und 2006 um 14 %. Die Staatsregierung hält deshalb ein generelles Werbeverbot nicht für erforderlich, ebenso verbindliche Vorgaben der EU. Wir werden das Geschehen aber beobachten und prüfen, ob Maßnahmen und Regelungen betreffend die Alkoholwerbung gezielt in Richtung der Jugendlichen notwendig sind.

Das bayerische Suchthilfesystem soll gestärkt werden. Bayern lässt, entgegen manchen Behauptungen, Suchtkranke nicht allein. Wir haben schon heute hochprofessionelle und flächendeckende Angebote für Suchthilfe. Für Suchtgefährdete und -kranke stehen rund 180 ambulante psychosoziale Beratungs- und Betreuungsstellen zur Verfügung. Grundsätzliches Ziel der Suchthilfe ist es, betroffenen Menschen ein Leben ohne Drogen – und das ist ein wichtiger Punkt, ich komme nachher noch einmal darauf zu sprechen – zu ermöglichen.

Wir wollen das bayerische Suchthilfesystem natürlich weiter verbessern und Ressourcen noch effizienter einsetzen. Die Prävention und die Suchthilfesysteme werden noch besser vernetzt und sollen noch enger zusammenarbeiten. Evaluation und Qualitätssicherung werden ausgebaut. Darüber hinaus werden wir die Angehörigen – ebenso ein wichtiger Punkt – verstärkt mit einbeziehen und die Suchtforschung verbessern.

Was die JVAs anlangt, die vorher angesprochen worden sind, muss man natürlich berücksichtigen, dass die Sozialpädagogen in den Anstalten einbezogen werden. Als Gesundheitsminister sage ich: Ich würde mir wünschen, dass hier eine personelle Verstärkung möglich wäre.

(Simone Tolle (GRÜNE): Dann machen Sie es halt!)

Bei aller Hilfe für die Betroffenen gilt in Bayern nach wie vor: null Toleranz für illegale Drogen und Kriminelle. Die kriminellen Begleiterscheinungen des Drogenkonsums werden wir weiterhin hart und konsequent verfolgen. Dazu brauchen wir wirksame Instrumente und eine glaubhafte Abschreckung. Drogendealer müssen nach unserer Auffassung härter bestraft werden. Die Strafen werden der Sozialschädlichkeit solchen Verhaltens nicht immer gerecht, vor allem bei der Bandenkriminalität. Darüber hinaus brauchen wir einen drogenpolitischen Grundkonsens in der EU, weil wir hier mit internationalen Phänomenen, wie in allen Bereichen, zu tun haben. Zu liberale Drogenpolitik, wie sie vor allem in den Niederlanden praktiziert wird, konterkariert die Bemühungen der Nachbarstaaten. Gegen falschen Liberalismus im Umgang mit Drogen werden wir uns auch künftig wehren. Gegen Drogenkonsum hilft nur Konsequenz, nicht Verharmlosung.

Die Interpellation lässt in der Art der Fragestellung vermuten, dass die GRÜNEN offenbar immer noch von einer Freigabe von Cannabis träumen. Kolleginnen und Kollegen, so etwas ist mit Bayern nicht zu machen.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Ich nehme das gerne zur Kenntnis, aber es fällt in der Fragestellung auf, dass Sie immer diese Unterscheidung treffen.

Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen klar gegen die Harmlosigkeit dieser Droge. Sehr treffend beweist das die Studie von Professor Dr. Thomasius von der Universität Hamburg. Er hat 7670 Publikationen

dazu ausgewertet. Danach erhöht Cannabis das Risiko für den Konsum weiterer illegaler Drogen. Je früher der Cannabis-Konsum beginnt, desto höher ist das Risiko für Psychosen und Abhängigkeit. Das Rauchen ist häufig der Schrittmacher für den Konsum von Cannabis. Hinzu kommt, dass heute angebaute Pflanzen einen noch wesentlich höheren Wirkstoffgehalt als früher angebaute Pflanzen haben.

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Mütze?

Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, in welchem Teil der Interpellation, in welcher Fragestellung, Sie den Satz gefunden haben „Wir, die GRÜNEN, stehen für die Freigabe von Cannabis“?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das habe ich nicht behauptet.

(Zuruf von den GRÜNEN: Doch!)

Nein, das habe ich nicht behauptet. Ich habe gesagt, dass die Unterscheidung, die Sie bei den Fragen zwischen Cannabis und anderen Drogen vornehmen, möglicherweise darauf hindeutet, dass Sie solche Gedanken haben können.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Möglicherweise! – Widerspruch bei den GRÜNEN)

Kolleginnen und Kollegen, Berichte von Betroffenen zeigen ein völlig anderes Bild, als das Gerede mancher Politiker uns weismachen will.

(Christine Stahl (GRÜNE): Wir entschuldigen uns für unsere Sichtweise!)

Junge Menschen vernebeln sich mit der Haschisch-Pfeife das Gehirn und ruinieren ihre Zukunft. Auch Fixerstuben und Heroin auf Krankenschein sind nach unserer Meinung fatale Irrwege; sie helfen den Betroffenen nicht aus der Sucht, sondern schaffen unter dem Deckmantel der Überlebenshilfe staatlich geduldete Drogenszenen.

Für die Forderung nach Heroin auf Krankenschein gilt – das ist unsere Position –, dass diese Bundesstudie, von der immer gesprochen wird oder die Grundlage dieser Diskussion ist, völlig überinterpretiert wird. Eine ganze Reihe von Fragen in diesem Zusammenhang sind nicht geklärt: Was sind Einschluss- und Ausschlusskriterien für die Teilnahme, wie bewertet man in diesem Zusammenhang das hohe Maß an psychosozialer Betreuung? Es ist zudem ein extrem niedriger Anteil von Probanden, die letztendlich den Weg aus der Drogensucht gehen. Schwerstabhängige brauchen jedoch Hilfe zum Überleben. Das ist ganz selbstverständlich ein zentraler Bestandteil einer kompetenten Suchthilfe.

(Christine Stahl (GRÜNE): Wie schaut die aus?)

Bayern will mit den neuen Grundsätzen zur Drogen- und Suchtpolitik eine moderne Suchthilfe mit hohen Qualitätsstandards schaffen. Dazu stellen wir im Haushalt knapp sechs Millionen Euro bereit. Wir nehmen neue Themenfelder auf. So haben wir im Kabinett beschlossen, dass wir verstärkt ein Augenmerk auf nicht stoffgebundene Süchte wie das Thema „Glücksspiel“ legen. Mit zusätzlichen Mitteln von zwei Millionen Euro werden wir unter anderem eine Landesstelle „Glücksspielsucht“ errichten, Ursachen und Folgen weiter erforschen und unsere Hilfen in diesem Bereich weiter ausbauen.

Ich bitte Sie alle im Hohen Hause um Unterstützung, dass wir in der Drogenpolitik – ich habe eingangs eine ganze Reihe von Erfolgen geschildert – weiter vorankommen, neue Herausforderungen aufgreifen und unser Hilfesystem, so gut es mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen möglich ist, ausbauen, um den Betroffenen zu helfen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Sonnenholzner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Diese Interpellation gibt in der Tat eine gute Gelegenheit, ein wichtiges Thema hier an exponierter Stelle, nämlich im Plenum des Bayerischen Landtags, zu diskutieren. Die Antworten, die Sie von der Staatsregierung auf diese Fragen gegeben haben, sind in der Tat sehr interessant. Es ist interessant, was Sie kundtun, die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, was für uns erkennbar jedenfalls nicht ausreicht in Bayern.

Interessant ist zum Teil auch Ihre Interpretation, wonach die GRÜNEN gar nicht gefragt haben; denn in meinen Augen ist mit diesem Fragenkatalog ein erheblicher Teil der Problematik „Sucht“ gar nicht erwähnt oder erfragt worden. Der Stellenwert, den das Thema für die Staatsregierung und die Mehrheitsfraktion hat – das haben wir im Ausschuss im Juni bereits besprochen –, ist uns viel zu niedrig; denn es gibt eben nur noch diese Grundsätze und nicht mehr wie früher ein Programm, um diesem Themenkomplex gerecht zu werden. Auch das haben wir schon mehrfach moniert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sie stützen Ihre Suchtpolitik – das haben Sie gerade gesagt, Herr Minister Bernhard – auf die Säulen Prävention, Repression, Hilfe und Beratung. In dieser Reihenfolge spiegelt sich auch ihre Herangehensweise an das Thema wider.

Wir möchten die Hilfe an die zweite Stelle und die Repression − die fraglos nötig ist, da gibt es überhaupt keine Debatte − an die dritte Stelle gesetzt haben. Als ich das im Ausschuss gesagt habe, hat das zu einer Riesenaufregung geführt, denn in der Tat ist Ihnen leider die Repression die zweitwichtigste Säule. Das ist bedauerlich.

(Beifall bei der SPD)

Unter den übergeordneten langfristigen suchtpolitischen Zielen findet sich in diesen Grundsätzen – wie es jetzt heißt – die Formulierung: Keine Verharmlosung des Konsums illegaler Suchtmittel. Das wollen wir auch, da sind wir völlig einverstanden. Aber leider reicht das nicht. Warum reicht das nicht? Es geht nicht nur darum, die illegalen Suchtmittel nicht zu verharmlosen, sondern es geht im Wesentlichen auch darum, legale Suchtmittel nicht länger zu verharmlosen. Wenn Sie da mit uns mitmachen würden, dann wären wir endlich auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wenn Sie Ihre eigenen Zahlen in den Antworten lesen, dann können Sie feststellen, dass diese Zahlen genau diese Notwendigkeit belegen.

Zu den Punkten im Einzelnen. Zur Nikotinabhängigkeit möchte ich nur noch wenig sagen. Das meiste haben wir schon im vorausgegangenen Tagesordnungspunkt behandelt. Eines aber doch: Wir haben glücklicherweise insgesamt rückläufige Zahlen von Raucherinnen und Rauchern und ein gewachsenes Bewusstsein der Gesellschaft für die Risiken. Allerdings ist seit dem Mikrozensus 1992 die Zahl der männlichen Raucher zwischen 15 und 19 Jahren von 21 auf 27 % und bei den jungen Frauen im gleichen Alter von 14 auf 21 % gestiegen. Das zeigt gerade, dass die Prävention, die Sie, Herr Minister, so hoch gelobt haben, in Bayern in dem Bereich nicht ausreicht.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ebenso wenig reicht Ihr Verweis auf die Lehrpläne und die Möglichkeit von allgemeinen Lebensfähigkeitsprogrammen, die Sie in der Interpellation nennen. Eben nicht! Denn Fakt ist, dass es, was das Thema Rauchen angeht, nicht nur viel zu wenige Angebote gibt. Fakt ist auch, dass es nicht immer der Verantwortung der einzelnen Schule überlassen werden kann, wie sie diesen Bereich mit sowieso schon absolut unzureichenden personellen Ressourcen irgendwo mit reinquetscht.

Es ist Aufgabe des Freistaats, für umfängliche Präventions- und Aufklärungsprogramme, schon übrigens im Kindergartenalter und gerade im Grundschulalter, mit spezifischen Angeboten, was die Alkoholprävention angeht, zu sorgen; denn gerade in diesem Alter sind die Kinder dafür besonders empfänglich. Hierfür gibt es Untermauerungen durch entsprechende Studien. Und nur zur Erinnerung, Sie haben es auch gerade wiederholt: Prävention ist Ihre wichtigste Säule. Mit Worten alleine geschieht Prävention aber nicht. Es bedarf der Maßnahmen, und die Maßnahmen kosten Geld. Herr Kollege Mütze hat bereits darauf hingewiesen, dass 5,6 Millionen Euro dafür eben nicht reichen.

(Beifall bei der SPD)

Was den Alkohol angeht, so haben Sie davon gesprochen, dass es einen Unterschied zwischen Missbrauch und maßvollem Gebrauch gebe. Das ist richtig. Der Vollständigkeit halber sei nur erwähnt, dass auch der maß

volle Gebrauch zum Beispiel bei Schwangeren Auswirkungen auf das ungeborene Kind hat, also ein Grund mehr, das Thema nicht herunterzuspielen.