Dringlichkeitsantrag der Abg. Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Maria Scharfenberg u. a. u. Frakt. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unabhängigkeit von Netz und Betrieb bei der Bahn (Drs. 15/9003)
Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Erster Redner ist Herr Kollege Rotter. Bitte schön, Herr Kollege. – Ich bitte, die Plätze einzunehmen.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zur Teilprivatisierung der Deutschen Bahn wird seit Monaten auf Bundesebene und in den Ländern sehr kontrovers diskutiert. Wettbewerber der Bahn fürchten Nachteile. Die Fahrgast- und Verkehrsverbände befürchten Verschlechterungen in der Verkehrsbedienung, und die Länder sehen ihre Positionen im Gesetzentwurf nicht berücksichtigt. Mit dem vorliegenden Dringlichkeitsantrag wollen wir die Staatsregierung und die übrigen Länderregierungen unterstützen, die Länder- und Kundeninteressen in der Privatisierungsdebatte weiter zu vertreten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wird sind davon überzeugt, dass die Teilprivatisierung der DB AG keinesfalls zulasten der Fläche gehen darf. Das Angebot darf hinsichtlich Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Komfort und Bedienungshäufi gkeit keinesfalls schlechter werden.
Zunächst möchte ich einige Anmerkungen zu den Kernpunkten des Privatisierungsgesetzentwurfs, so wie ihn Bundesverkehrsminister Tiefensee eingebracht hat, machen. Zunächst einmal sollen die Infrastrukturgesellschaften – das sind die DB Netz AG, die Station & Service AG und die DB Energie – aus dem DB-Konzern herausgelöst und auf den Bund übertragen werden. Die DB AG darf gleichwohl das Netz für die kommenden 15 Jahre betreiben und bilanzieren. Im Gesetzentwurf wird das als „Sicherungsübertragung“ bezeichnet. Das heißt, dass der Bund nur formal Eigentümer des Schienennetzes bleibt. Damit sollen der Auftrag des Grundgesetzes, in dem es heißt, dass die Bahn dem Wohl der Allgemeinheit und den Verkehrsbedürfnissen zu dienen hat, und die Interessen privater Investoren unter einen Hut gebracht werden.
Den Auftrag des Grundgesetzes kann der Bund aber nur erfüllen, wenn er Zugriff auf das Netz hat. Daher wird ihm das Eigentum formal übertragen. Die Bahn möchte jedoch das Netz wegen des hohen Wertes in der Bilanz haben, wo es nach dem Gesetzentwurf belassen werden soll, obwohl der Bund Eigentümer ist. Faktisch bleibt die DB AG wirtschaftlicher Eigentümer des Netzes. An der DB AG können sich nach dem Gesetzentwurf bis zu 49 % private Investoren beteiligen. Nach 15 Jahren kann der Bund entscheiden – so ist es im Gesetzentwurf vorgesehen –, ob er die bisherige Regelung fortführen will – so wie es für die 15 Jahre geplant ist –, ob er das Netz vollständig an die Bahn übertragen will oder – dritte Alternative – ob er das Netz vollständig zurücknehmen will. Falls der Bund Letzteres will – also das Netz zurücknehmen –, würde ein Wertausgleich fällig, was heißt, der Bund müsste sein eigenes Netz zurückkaufen.
Hierfür wären Mittel in Höhe von bis zu 8 Milliarden Euro aufzuwenden, die natürlich auch in 15 Jahren kein Bundesfi nanzminister ohne Weiteres schultern könnte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesen Ausführungen wird wohl deutlich, dass es bei diesem Gesetzentwurf diverse rechtliche Probleme gibt. Ich war von daher durchaus zufrieden, dass sowohl die Kollegen im Deutschen Bundestag als auch mittlerweile Bundesverkehrsminister Tiefensee signalisiert haben, es bestünde bei der Teilprivatisierung keine Eile. Das heißt, man wird wohl über einzelne Punkte noch reden können.
Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzentwurfes ist immer wieder gestellt worden. Bundesverkehrsminister Tiefensee sagt Ja, ein von den Ländern erst kürzlich in Auftrag gegebenes Gutachten, das mittlerweile vorliegt, sagt Nein und meint damit, der Vorschlag wäre
nicht verfassungskonform. Ich darf im Übrigen daran erinnern, dass auch die Bundesregierung sich zumindest bis vor einem halben Jahr noch nicht ganz einig darüber war. Während das Verkehrsministerium sagte, das Gesetz ist verfassungsgemäß, hatten sowohl das Innenministerium als auch das Justiz- und das Wirtschaftsministerium erhebliche Bedenken.
Selbst wenn der Gesetzentwurf verfassungsgemäß sein sollte, wären nach unserer Überzeugung zentrale Änderungen nötig. Kostensteigerungen durch höhere Trassenentgelte, die schneller steigen als die Regionalisierungsmittel, wären zu befürchten. Sie wären zwar ab dem Jahr 2009 wieder dynamisiert, aber wir befürchten höhere Kostensteigerungen bei den Trassenentgelten. Diese müssten deshalb an die Regionalisierungsmittel gekoppelt werden, sonst würde der Nahverkehr erheblich teurer mit der Folge, dass dort weniger gefahren würde.
Es geht uns um das Mitspracherecht der Länder bei Infrastrukturausgaben. Wir halten dies für unverzichtbar. Bund und Länder müssen bestimmen können, wo investiert wird, das darf nicht allein das Bahnmanagement entscheiden. Ansonsten würde sich das Bahnmanagement auf sehr stark frequentierte und deshalb einnahmeträchtige Hauptverkehrstrassen beschränken, das Netz in der Fläche jedoch verlottern lassen. Das wird vonseiten der Verantwortlichen bestritten. Sie sagen: Wir haben Interesse, wenn bestellt wird, dass auch gefahren wird, deshalb soll auch das Netz in der Fläche ordnungsgemäß erhalten werden. – Ich fürchte aber, das Bahnmanagement wird dann die Hand aufhalten und für jede einzelne Strecke zusätzlich etwas von den Ländern verlangen. Das darf natürlich nicht sein.
Wir sehen bislang die Positionen der Länder in dem Gesetzentwurf nicht ausreichend berücksichtigt und wir haben insgesamt gesehen auch die Sorge, dass das Bahnnetz zu billig abgegeben wird. Deshalb der hier vorliegende Dringlichkeitsantrag, mit dem wir die Staatsregierung auffordern, sich auch weiterhin über den Bundesrat für eine Umsetzung der Länderinteressen bei der Bahnreform einzusetzen. Dabei müssen die Ziele der Bahnreform aus dem Jahr 1994 berücksichtigt werden, insbesondere die Stärkung des Verkehrsträgers Eisenbahn durch eine Stärkung des Wettbewerbs.
Wir haben hier in Bayern bei verschiedenen Ausschreibungsprojekten die erfreuliche Erfahrung gemacht, dass der Betrieb dadurch tatsächlich günstiger wird, dass billiger gefahren wird, dass es mehr Verkehr gibt, häufi g auch mit besserem Komfort, wenn ein Angebot durch private Wettbewerber der DB AG besteht. Andererseits gewinnt auch DB Regio solche Ausschreibungen und strengt sich dann natürlich ganz besonders an, wenn bekannt ist, dass es noch andere Wettbewerber gibt. Das ist für die Kundinnen und Kunden der Bahn natürlich die positive Entwicklung, die wir haben wollen.
Wir wollen folgende Vorraussetzungen für eine Zustimmung zur Teilprivatisierung gewährleistet sehen: Sie darf nicht zulasten des Streckennetzes in der Fläche gehen. Es ist besonders Wert darauf zu legen, dass Bestand und Leistungsfähigkeit der Infrastruktur auch nach einer
möglichen Teilprivatisierung gesichert werden, ebenso wie die verkehrspolitischen Einfl ussmöglichkeiten. Dazu zählen: eine echte Mitsprache der Länder bei Investitionen und eine Weisungsunabhängigkeit der Infrastrukturunternehmen von der Holding. Hierfür besteht Gefahr, wenn beides unter einem gemeinsamen Dach ist. Dazu gehören auch effektive Sanktionen bei Qualitätsmängeln in einzelnen regionalen Netzen, des Weiteren die Sicherung des Eigentums des Bundes durch eine angemessene Wertausgleichsregelung und die Begrenzung der Trassenpreise.
Wir fordern des Weiteren, einen aussagekräftigen Netzzustandsbericht an die Länder zu übergeben. Wir möchten eine unabhängige Überprüfung des Netzzustandes und uns nicht nur auf DB-Netzangaben verlassen müssen.
Wir fordern, dass die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung im Echtbetrieb erfolgreich erprobt wird. Der Bund soll, so ist es im Gesetzentwurf enthalten, weiterhin Jahr für Jahr 2,5 Milliarden Euro dafür an die Bahn bezahlen, dass diese das Netz in Ordnung hält. Dafür wollen wir vorher eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung im Echtbetrieb. Die Sanktionierung der daraus folgenden Pfl ichten und etwaige Anpassungen müssen einbezogen werden.
Schließlich möchten wir zur Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Benutzung der Infrastruktur die Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur deutlich stärken.
Ich möchte noch kurz zu dem nachgezogenen Dringlichkeitsantrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Stellung nehmen. Dieser Antrag wird heute sinnvollerweise auch behandelt. Der Antrag wurde in der letzten Sitzung des Verkehrsausschusses beraten und ist im Übrigen wortgleich mit einem Antrag, der hier im Plenum, vor exakt sechs Jahren, am 10. Oktober 2001, einstimmig verabschiedet wurde.
Ja, Herr Kollege Dr. Magerl, wir haben ein paar Formulierungen geändert. Das ganze Haus hat aber dann zugestimmt. Wir werden diesem Antrag heute aber dennoch nicht zustimmen, wie wir auch im Ausschuss nicht zustimmen konnten. Ich bekenne offen, dass ich mich auch heute noch am liebsten für eine saubere Trennung von Netz und Betrieb aussprechen würde. Das ist für mich persönlich noch immer die beste Lösung.
Auf der anderen Seite muss man realistischerweise sehen, dass diese Forderung nicht durchsetzbar ist. Insbesondere Bundesverkehrsminister Tiefensee hat sich schon sehr stark festgelegt und auch große Teile der SPD
auf Bundesebene sind strikt gegen eine solche Trennung. Die Diskussion in den vergangenen sechs Jahren ist weitergegangen, und die Trennung von Netz und Betrieb ist überhaupt nicht Gegenstand der Gespräche bei den Länderverkehrsministern. Dort werden im Wesentlichen einvernehmlich die Punkte gefordert, die ich zuvor aufgelistet habe. Die Punkte 2 und 3 des Dringlichkeitsantrages der GRÜNEN wären nach unserer Auffassung unproblematisch, wegen Punkt 1 werden wir den Antrag aber ablehnen. Ich bitte aber nochmals um Zustimmung zu unserem Antrag.
(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das ist aber ein spärlicher Beifall!)
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Rotter hat klar und deutlich gesagt, dass er eigentlich nach wie vor für eine saubere Trennung von Netz und Betrieb wäre. Ich meine ebenfalls nach wie vor, dass dies der sinnvollste Weg für die Zukunft der Deutschen Bahn ist.
Das Hohe Haus hat, das hat Herr Rotter gerade berichtet, den hier vorliegenden Antrag schon einmal einstimmig beschlossen. Jetzt geht der Weg auf Bundesebene bedauerlicherweise in eine andere Richtung, deshalb haben wir unsere Forderungen hier noch einmal vorgelegt und wollen, dass noch einmal in diese Richtung abgestimmt wird. Alle Experten, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten zu dem Thema geäußert haben, sei es aus juristischer Sicht – ob Verfassungsrecht oder ähnliches verletzt wird, ist allerdings nicht mein Themenbereich –, oder aus verkehrswissenschaftlicher Sicht, sie alle haben gesagt, wenn man die Bahnreform so zu Ende denkt, wie man sie begonnen hat, dann sollte die Trennung von Netz und Betrieb erfolgen. Wir haben deshalb unseren Antrag vorgelegt, denn wir stehen nach wie vor zu dieser Trennung.
Ich habe ein gewisses Verständnis für die Forderungen im CSU-Antrag. Man versucht, aufgrund der verunglückten Weichenstellung auf Bundesebene zu retten, was zu retten ist.
Aber es ist uns zu wenig. Sehen Sie es uns deshalb nach, dass wir diesem Antrag nicht zustimmen können, weil unserer der weitergehende und meines Erachtens auch der sinnvollere Antrag ist.
Schauen wir uns noch einmal die Zielsetzungen der Bahnreform an. Eine der wesentlichen und wichtigen Zielsetzungen war, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Wird das mit dem, was jetzt diskutiert wird und was sukzessive auf Bundesebene durchsickert, erreicht? Ich meine, nein.
In den heutigen Zeitungen oder der „Financial Times“ von gestern kommt klar und deutlich heraus, dass hier Stilllegung in großem Umfang – ich möchte nicht von einer Stilllegungsorgie sprechen – bei Strecken, die schwach frequentiert sind, und bei Bahnhöfen, die schwach belegt sind, kommen soll.
Ich hoffe natürlich, dass das nicht stimmt, was da veröffentlicht worden ist, aber man muss immer mit dem Schlimmsten rechnen. Da heißt es:
Strecken mit einer Querschnittsbelastung von 1000 Reisenden je Kilometer Betriebslänge, größere Stationen mit ein- und mehrgleisigen Strecken mit aufwendigen Bahnsteigen und barrierefreien Zugängen mit mindestens 1000 Ein-, Um- und Aussteigern
dürfen nicht mehr ausgebaut werden. Bei Stationen, Bahnhöfen mit weniger als 100 Ein- und Aussteigern droht sogar die Stilllegung. Das kann es nicht sein.
Wenn die Zielsetzung lautet: mehr Verkehr auf die Schiene, dann muss alles darangesetzt werden, dass ich auf den Strecken, wo ich um diese Werte herumkrebse, mehr Leute in die Züge bringe.
Da darf nicht irgendwo versteckt eine Überlegung hineingebastelt werden: Dann lege ich halt die Strecke still.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Schienen-Personennahverkehr, in der einiges an Sachverstand sitzt, befürchtet, dass bis zu 9000 Kilometer Strecken stillgelegt werden. Das kann es nicht sein und das darf es nicht sein.
Deswegen müssen wir aus unserer Sicht die Bremse ziehen oder, wie es die „Nürnberger Zeitung“ heute schreibt:
Die Parlamentarier fühlen sich von Tiefensee und der Bahn gelinkt, weil ihnen abermals wichtige Papiere vorenthalten worden seien. „Das ist ein unmöglicher Umgang mit den Fraktionen“, polterte Vize-Fraktionschef Dr. Hans-Peter Friedrich.