Protocol of the Session on July 17, 2002

(Beifall bei der CSU)

Wir sprechen uns für bundeseinheitliche Mindeststandards aus. Diese müssen sich aber an internationalen Maßstäben orientieren. Sie müssen auch mindestens das Niveau der Standards in den unionsregierten Ländern, vor allem in den Ländern Bayern und Baden-Württemberg, haben. Diese Mindeststandards müssen von der Kultusministerkonferenz formuliert und auch evaluiert werden. Hier sind die Länder gefragt und gefordert, hier ist vor allem die KMK gefordert. Eine Zuständigkeit der Bundesregierung – vor allem der jetzigen – ist strikt abzulehnen. Ich sehe dabei in erster Linie die Gefahr einer Nivellierung auf niedrigem Niveau.

Dass diese Sorgen begründet sind, wurde in der Rede der Frau Kultusministerin mehr als deutlich. Staatsminister Hans Zehetmair hat Recht, wenn er davon spricht, mit Schröder würde man in diesen Fragen den Bock zum Gärtner machen. Schröders Grundhaltung ist ja bekannt. Die Lehrer hat er als „faule Säcke“ beschimpft und die „Familie und so ein Gedöns“ abfällig zur Seite geschoben. Als Ministerpräsident von Niedersachsen hat er diese Grundhaltung bis 1998 gezeigt. Er hat Lehrerstellen und Unterrichtsangebote abgebaut, obwohl er wusste, dass Niedersachsen schon damals den Bayern weit hinterherhinkte. Das Zitat seines Nachfolgers Glogowski wurde oft gebraucht: Wenn ein Kind von Bayern nach Niedersachsen zieht, muss es sich erst einmal zwei Jahre hängen lassen, bis es auf das niedrige niedersächsische Niveau kommt. Das alles ist bekannt gewesen.

(Beifall bei der CSU)

Wir können davon ausgehen, dass die Kinder in Niedersachsen nicht dümmer sind, dass die Lehrer nicht weniger engagiert sind und dass auch die Eltern nicht weniger bemüht sind als in Bayern. Frau Radermacher, Sie haben gesagt, der Dank für die Erfolge sei den bayerischen Lehrerinnen und Lehrern zuzurechnen. Diesen Dank gebe auch ich gerne an die bayerischen Lehrerinnen und Lehrer weiter. Wenn Sie diesen Erfolg aber nur auf die Lehrerinnen und Lehrer zurückführen, heißt das, dass die Lehrerinnen und Lehrer in den SPD-regierten Ländern nichts geleistet haben. Nein, dieser Erfolg hat auch etwas mit den politischen Rahmenbedingungen zu tun.

(Beifall bei der CSU)

Die Unterschiede in den Ergebnissen sind begründet in der Arbeit der Politik und den Entscheidungen, die in der Politik getroffen werden.

Darüber hinaus müssen wir auch Folgendes herausstellen: Wir müssen jetzt die bitteren, nicht gut schmeckenden Früchte der 68er-Bewegung ernten. Ein Laisser-faire-Stil, die Verunglimpfung von Arbeitstugenden, das Wegdrücken von Werten, die als Sekundärtugenden verspottet wurden, sind die Früchte, die wir jetzt zu ernten haben.

(Beifall bei der CSU)

Die Pisa-Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Ich nehme nur einmal die Lesekompetenz heraus. Bayern erreicht einen Mittelwert von 510 Punkten. Bremen bildet mit einem Mittelwert von 448 Punkten das Schlusslicht. Ich habe einmal alleine die SPD-Länder zusammengezählt. Hier haben wir einen Mittelwert von 470 Punkten. Das heißt also, die durchschnittliche Lesekompetenz der Fünfzehnjährigen in Bayern liegt um ein bis zwei Jahre über der Lesekompetenz der Fünfzehnjährigen in den SPD-regierten Ländern.

Noch eine Zahl ist interessant. Wenn man die Ergebnisse der Gymnasiasten in Bayern herausrechnet und nur die Ergebnisse der bayerischen Realschüler und Hauptschüler zugrunde legt, kommt man auf einen Mittelwert von 471 Punkten. Dieser Mittelwert liegt höher als der Durchschnitt der SPD-regierten Länder, bei dem die Gymnasiasten mit eingerechnet sind. Das sollte zu denken geben, und das haben Sie in den SPD-regierten Ländern zu verantworten.

Die bayerischen Realschüler und Hauptschüler erreichen zum Teil ein höheres Niveau als Gymnasiasten in den anderen Ländern. Diese Relation würde sich nachweisen lassen, wenn die SPD nicht verhindern würde, dass nicht nur die Gymnasien, sondern auch die Realschulen und die Hauptschulen der einzelnen Länder miteinander verglichen werden. Ich verstehe den Ärger der bayerischen Realschullehrerschaft gut. Ihr Vorsitzender, Herr Peltzer, fordert, die Leistungen der bayerischen Realschulen zu überprüfen und sie mit Leistungen der Gymnasien in anderen Ländern zu vergleichen. Dieses Ergebnis versuchen Sie wohlweislich zu verhindern.

(Beifall bei der CSU)

Sie betrügen sich selbst, wenn Sie als Maßstab für eine erfolgreiche Bildungspolitik nur die Abiturientenquote heranziehen. Die Pisa-Studie stellt eindeutig fest – ich zitiere:

Mit zunehmender Expansion des Gymnasiums sinkt das Niveau, wird es schwierig, ein angemessenes Leistungsniveau zu sichern.

Das ist ein Zitat aus der Pisa-Studie. Die Bremer Pädagogikprofessorin Ursula Carle wird in der „Süddeutschen Zeitung“ folgendermaßen wiedergegeben:

Würde man in Bayern auch jeden auf das Gymnasium lassen, so wäre der Freistaat nicht besser als Bremen.

Das ist die Antwort aus Bremen. Das ist durchaus richtig. Der bayerische Weg sah immer die bestmögliche Förderung gemäß den Fähigkeiten des Einzelnen vor. Dieser Weg hat uns die guten Ergebnisse gebracht, nicht nur für die Leistungsstarken und für die Leistungsschwächeren, sondern auch für Jugendliche aus schwierigerem sozialen Umfeld und vor allem auch für Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die Frau Ministerin hat deutlich gemacht, dass für uns der Mensch nicht mit dem Abitur beginnt, sondern dass eine qualifizierte berufliche Ausbildung einen hohen Stellenwert hat. Sie muss denselben Stellenwert genießen wie die gymnasiale Bildung.

(Frau Radermacher (SPD): Das haben wir schon vor Jahren an euch herangetragen!)

Wo wäre denn die bayerische Wirtschaft ohne die Meister und Techniker? Was wären wir ohne unsere Handwerker? Warum ist bei uns die Jugendarbeitslosigkeit viel geringer als in Ihren Ländern? – Das hat damit zu tun, dass wir großen Wert auf die berufliche Bildung legen.

(Beifall bei der CSU)

Alle, die jetzt mit dem Finger auf Bayern zeigen, die so gescheit oder – besser gesagt – so dumm daherreden, sollen endlich ihre Hausaufgaben machen, um zumindest das bayerische Niveau zu erreichen.

Mit welcher Qualität die SPD-regierten Länder an diese Herausforderungen herangehen, zeigt uns exemplarisch der brandenburgische Kultusminister Reiche. In einem „Bild“-Interview auf die Frage, ob er jetzt bei der bayerischen Kultusministerin Nachhilfe nehme, antwortete er, in Bayern machten nur 20% der Schüler das Abitur, das wäre eine Bildungskatastrophe.

Die Nachfrage von „Bild“ lautete: Aber die machen doch etwas richtig. So gibt es zum Beispiel tausend Stunden mehr Unterricht bis zur Klasse 9. Antwort: Das kommt vor allem von Religion.

(Lachen bei der CSU)

Das ist das Niveau des brandenburgischen Kultusministers. Warum führt Brandenburg dann nicht wenigstens

Religionsunterricht ein? – Vielleicht wäre das dann schon ein Fortschritt.

(Beifall bei der CSU)

In unserem Dringlichkeitsantrag gibt es eine Reihe von Forderungen, und wir haben eine Reihe von Sofortmaßnahmen angemahnt, damit zumindest das bayerische Niveau auf Bundesebene erreicht wird. Wir haben uns bisher in erster Linie in Richtung Bundesebene orientiert. Pisa hat uns bestätigt, dass wir auf Bundesebene unangefochten die Nummer Eins sind.

Wir müssen uns jedoch der Herausforderung stellen, an die internationale Leistungsspitze zu gelangen. Wir befinden uns in dieser Beziehung in einer ähnlichen Situation, in der sich der FC Bayern beim Fußball befindet. Wir müssen uns fragen, was die Spitzenländer auf internationaler Ebene gemeinsam haben und was sie unterscheidet. An der Beantwortung dieser Frage müssen wir unsere Handlungsfelder ausrichten. Die Schulen besitzen eine große Selbständigkeit und eine klare Ergebnisverantwortung. Der Staat setzt verbindliche Standards fest und evaluiert sie. Die Länder verlangen das Beherrschen der Landessprache vor dem Schuleintritt. Sie setzen auf frühe Förderung, auf frühen Defizitausgleich und auf individuelle Förderung. Sie haben eine ausgeprägte Lern- und Leistungskultur. Elternhaus und Gesellschaft räumen der Bildung einen hohen Stellenwert ein.

Das sind die Handlungsfelder, mit denen wir uns intensiv auseinander setzen werden. Wir werden die bereits eingeleiteten Initiativen weiterentwickeln. Das bedeutet nicht automatisch mehr Geld. Aber, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, auch wenn ich wie viele andere in diesem Hause davon überzeugt bin, dass Sie ab dem 22. September nicht mehr in München Verantwortung tragen, sondern in Berlin – –

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Das heißt aber auch, dass nicht alles ohne Geld zu machen ist. Deshalb möchte ich zum Schluss noch einmal auf den FC Bayern verweisen. Wenn man in der Leistungsspitze sein will, dann muss man auch einmal auf den Transfermarkt gehen, investieren und sich einen Ballack, einen Deisler oder einen Zé Roberto leisten. Wir werden Bildungspolitik nach wie vor als höchste Priorität in diesem Landtag behandeln.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Jetzt hat Frau Kollegin Münzel das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Was Sie uns heute geboten haben, Frau Ministerin, war nicht die Rede der Bildungsministerin Monika Hohlmeier, sondern das war die Rede der Wahlkämpferin Monika Hohlmeier.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wider- spruch bei der CSU)

Das war keine Rede aus der Feder des Kultusministeriums, es war eine Rede aus der Feder der Staatskanzlei.

(Lachen bei der CSU)

Es war keine Rede, die dem großartigen Titel, den diese Regierungserklärung eigentlich hat, nämlich dem Titel „Bayerische Bildungspolitik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“ gerecht wird. Es war eine rückwärts gewandte Rede, in der die Schlachten aus den 1970er Jahren geschlagen wurden.

40 Minuten lang beschäftigte sich die Ministerin mit der KMK. Sie beschäftigte sich mit anderen Bundesländern, oftmals in schamloser Art und Weise.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wider- spruch bei der CSU – Zuruf des Abgeordneten Hölzl (CSU))

Sie zitierte aus Richtlinien der 1970er Jahre, wobei die Schülerinnen und Schüler von damals übrigens gar nicht an der Pisa-Studie teilgenommen haben. In dem kläglichen Rest ihrer Redezeit, der etwa acht Minuten betrug, erzählte sie uns, was sie bereits getan hat, den zukunftsweisenden Weg ins 21. Jahrhundert zeigte sie uns heute aber nicht. Wahrscheinlich muss man dazu ins Internet schauen, wenn es überhaupt schon Vorstellungen von der Zukunft gibt. Es ist offensichtlich Wahlkampf. Da kann man wohl nichts anderes erwarten. Zum Wohl unserer Kinder ist das jedenfalls nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Uns ist viel wichtiger, den Blick auf unsere bayerischen Schülerinnen und Schüler zu lenken. Wir wollen dem Titel „Bayerische Bildungspolitik auf dem Weg ins 21. Jahrhundert“ gerecht werden. Wir möchten uns damit beschäftigen, was bei uns in Bayern getan werden muss. Wir möchten den Weg andeuten, den wir in Bayern gehen müssen.

Pisa und Pisa-E haben den Blick der Bildungspolitiker und Bildungspolitikerinnen neu auf drei zentrale Leistungsbereiche gelenkt: die Lesekompetenz, die mathematische Kompetenz und die naturwissenschaftliche Kompetenz. Es ist ein eingeschränkter Blick auf Schule, den uns Pisa präsentiert. Das muss uns immer bewusst sein. Die Ergebnisse von Pisa sind bekannt und werden seit Wochen heftig diskutiert. Heute sind sie zum Wahlkampf missbraucht worden.

Aus GRÜNER Sicht ist das Ziel bayerischer Bildungspolitik als Konsequenz aus Pisa klar: Ziel müssen die internationale Spitze und Bildungsgerechtigkeit sein. Beides ist für uns untrennbar miteinander verbunden, und genau hier liegt der Schwachpunkt der bayerischen Bildungspolitik. Wir mögen zwar im Lesen und in der Mathematik fast so gut sein wie die Schweden; in einem entscheidenden Punkt aber sind uns die Schweden überlegen. Dort sind die Leistungsunterschiede zwischen den Schülerinnen und Schülern viel geringer, und

die soziale Herkunft schlägt weniger zu Buche. Das schreibt uns Herr Baumert vom Max-Planck-Institut in Berlin sehr deutlich ins Stammbuch.

Eine Zahl, die eine deutliche Sprache spricht, wurde in diesem Haus schon mehrfach genannt. Ein Akademikerkind hat eine mehr als zehnfach so große Chance, ein Gymnasium zu besuchen, wie ein Arbeiterkind. Dieser Punkt ist nicht so unerheblich, wie uns die CSU und die Frau Staatsministerin immer weismachen wollen.

(Herrmann (CSU): Es hat keiner behauptet, dass das unerheblich sei!)

Dieser Punkt ist deshalb nicht unerheblich, weil der schulische Erfolg, ablesbar an dem Zeugnis, das man in der Hand hält, über den Einstieg in eine qualifizierte Berufsausbildung entscheidet und die Grundlage zum Beispiel dafür legt, ob die Wahrscheinlichkeit, dass man arbeitslos wird, groß oder klein ist. Was in den vergangenen Wochen in allen Diskussionen über Pisa aber an den Rand gedrängt wurde, ist die Tatsache, dass der Mensch nicht nur aus Lesen, Schreiben, Rechnen und Kenntnis der Naturwissenschaften besteht.