Protocol of the Session on July 17, 2002

Deshalb sind wir der Meinung, dass wir ein eigenständiges pädagogisches Konzept mit einem klaren Bildungsauftrag benötigen.

(Siegfried Schneider (CSU): Das haben wir schon!)

Im Mittelpunkt muss die individuelle Förderung, besonders die Sprachförderung der Kinder stehen. – Wenn wir das schon hätten, dann hätte es nicht zu dem Ergebnis kommen können, auch nicht in Bayern.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Es muss gewährleistet werden, dass die Startbedingungen für die Kinder gleich sind. Deswegen ist die Forderung, die Regelung einzuführen, dass das letzte Kindergartenjahr verpflichtend und kostenfrei ist, sinnvoll. Frau Hohlmeier hat dieser Forderung spontan zugestimmt, bis sie – von wem auch immer – zurückgepfiffen wurde.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Wir brauchen eine Veränderung der Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Das wird uns international nicht erst seit heute oder seit der Pisa-Studie gesagt, sondern seit Jahrzehnten. Überall werden die Erzieherinnen und Erzieher auf einem anderen Niveau ausgebildet.

Der Kindergarten muss endlich wieder – nach der Rede von heute weiß ich nicht, ob ich das noch fordern soll – in die Zuständigkeit des Kultusministeriums fallen, weil der Kindergarten nur dann eine Chance hat – trotz Frau Hohlmeier –, eine mit der Grundschule verknüpfte Bildungseinrichtung zu werden.

Wir müssen dafür sorgen, dass alle Jugendlichen einen Schulabschluss erreichen. Ich habe es vorhin gesagt: Wir haben bei allen Abschlüssen eine zu niedrige Quote. Eine Verbesserung kann man nicht erreichen, indem man selektiert, sondern indem man fördert, fördert und nochmals fördert. Das müssen wir immer wieder sagen. Chancengleichheit, Chancengerechtigkeit und eine höhere Bildungsbeteiligung sind nur durch Förderung und nicht durch Selektion zu erreichen. Das zeigen übri

gens alle Pisa-Ergebnisse. International betrachtet gibt es kein anderes Land, das so selektiert wie Bayern; trotzdem haben alle bessere Ergebnisse. Bei aller Freude über das bayerische Ergebnis dürfen wir den internationalen Vergleich nicht aus den Augen verlieren.

Interessant ist übrigens auch – was Sie heute über viele Seiten gerne herbeigeredet hätten –, dass der politische Einfluss, also wer das Land regiert, auf den schulischen Erfolg keinen Einfluss hat. Lesen Sie sich die Interviews mit Prof. Baumert durch, von dem ich annehme, dass er die Pisa-Studie am besten kennt; das wird hier wohl niemand bestreiten. Er sagt immer wieder ausdrücklich: Der Einfluss des politischen Systems ist unerheblich für den Schulerfolg. Das sind ganz andere Faktoren.

(Siegfried Schneider (CSU): Das stimmt doch nicht!)

Genau das wurde heute versucht, auf mehreren Seiten darzustellen.

Herr Baumert fährt fort, dass wir nicht umhin kommen werden, dass Ganztagsschulen eine wesentlich größere Rolle spielen.

Frau Hohlmeier, ich finde, es ist mittlerweile unerträglich, dass Sie sich immer wieder hinstellen und von 10 bis 12 Stunden reden, die die Kinder angeblich in dieser Ganztagsschule sind. Das stimmt einfach nicht, und das wissen Sie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir können uns damit gerne auseinander setzen, aber bitte nicht auf dieser Ebene. Ich denke, das haben wir nicht notwendig, weil wir zu viele Gemeinsamkeiten haben. Über das, was uns trennt, können wir uns streiten, aber bitte nicht intellektuell unredlich.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir die Eltern in die Bildungs- und in die Erziehungsarbeit einbeziehen müssen. Das setzt aber voraus, dass wir es schaffen müssen, die Erziehungskompetenz der Eltern zu stärken. Die Eltern sind die natürlichen Verbündeten der Schulen und der Lehrerinnen und Lehrer, und nicht deren Feinde. Damit in dieser schwierigeren Schulsituation Schüler und Eltern nicht alleine gelassen werden, müssen wir die Erziehungskompetenz stärken. Deshalb müssen wir zum Beispiel die Schulsozialarbeit enorm verstärken.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Da kann ich nur sagen: Es ist lächerlich, wenn Sie – –

(Hölzl (CSU): Das ist aber ein Widerspruch!)

Das ist kein Widerspruch. Wenn Eltern Mängel bei der Erziehungskompetenz haben, verehrter Herr Kollege – Sie haben leider keine Ahnung –, dann muss man ihnen helfen, diese zu überwinden. Dazu ist es zum Beispiel

nötig, dass die Wartefristen in Erziehungsberatungsstellen nicht wochen- oder monatelang sind.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Eine Anlaufstelle ist zum Beispiel die Schulsozialarbeit. Es ist lächerlich, wenn Sie ein großartiges Programm verkünden, es werden 350 Stellen geschaffen. Die Leute rufen an und sind begeistert. Wenn man ihnen dann sagt, „über einen Zeitraum von zehn Jahren“, dann sagen sie, „Ach so“. Das kann keine Alternative sein.

Wir haben im Modellversuch jetzt schon 130 oder 140 Schulen mit Schulsozialarbeit. Wenn wir nur diese übernehmen, dann ist schon der halbe Topf mit den Mitteln für die zehn Jahre aufgebraucht. Das ist doch nur Augenwischerei.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen die Kindertagesstätten und die Grundschulen – davon bin ich überzeugt, gerade wenn wir die Erziehungskraft der Eltern stärken wollen – zu Kompetenzzentren für Erziehung ausbauen. Ich glaube, dass Beratung und pädagogische Gespräche möglichst schnell und vor Ort erfolgen müssen.

Lassen Sie mich noch etwas zur Professionalität der Lehrertätigkeit sagen. Ich denke, hier muss ein Schwerpunkt auf die Lehreraus- und -fortbildung gesetzt werden. Frau Hohlmeier, Sie haben Recht: Es ist nur dem Engagement der Lehrerinnen und Lehrer zu verdanken, dass wir solche Ergebnisse in Bayern haben. All das, was Lehrer in Eigeninitiative gemacht haben, wie Supervision oder schulhausinterne Fortbildung, haben Sie noch vor drei Jahren zu fördern abgelehnt.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie vergessen auch immer, zu erwähnen, dass von 1988 bis 2002 Tausende von Lehrerstellen durch Stundenkürzungen usw. eingespart wurden; Frau Kollegin Schieder wird dazu sicher noch etwas sagen.

Die Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität des Unterrichts ist notwendig. Wir sind uns einig: Verbindliche Standards sind länderübergreifend notwendig. Es darf nur nicht so sein, dass Sie das als Werkzeug für Selektion und nicht für die Qualitätsverbesserung benutzen.

Irgendein Kollege hat einmal das schöne Beispiel gebracht – es ist etwas unpassend, aber eigentlich auch wieder sehr treffend: Ein Schwein wird dadurch, dass man es ständig wiegt, auch nicht fetter, man muss es füttern. Das heißt: Es hilft nichts, dass wir unsere Kinder nur testen. Wir müssen schauen, wo die Mängel sind und was wir an Ressourcen bereitstellen müssen, damit etwas verbessert werden kann.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen alle dazu beitragen, dass Bildung in dieser Gesellschaft wieder einen höheren Stellenwert bekommt. Es kann nicht sein, dass der Ministerpräsident erklärt: „Bildung ist eine Bringschuld des Staates und keine Holschuld“.

Bildung ist eine staatliche Aufgabe, und wir haben dafür zu sorgen, dass alle an dieser Bildung teilhaben können. Das Ziel der Bildungspolitik muss diese bessere Teilhabe sein. Sie können sich nicht hinstellen und sagen, das sei eine Holschuld, wer sich diese Bildung nicht abholt, der hat Pech gehabt.

(Beifall bei der SPD)

Das sind Kinder und Jugendliche, für die wir Verantwortung haben.

Wir brauchen Qualität und Quantität bei der Bildung. Das ist kein Gegensatz, wie uns die Länder Kanada und Finnland und alle, die bei der Studie an der Spitze stehen, zeigen.

Minister Zöllner aus Rheinland-Pfalz hat gesagt: Pisa ist eigentlich keine nationale Katastrophe, sondern es ist schlicht und einfach das Ergebnis einer Studie; dieses Ergebnis sollte uns herausfordern, aus dem vorhandenen Potenzial bei Kindern und Jugendlichen mehr zu machen.

Vielleicht ringen wir uns dazu durch, bei den folgenden Diskussionen im Bildungsausschuss, wenn Beschlüsse gefasst werden, das nicht aus den Augen zu verlieren.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr Kollege Schneider.

Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Radermacher, Sie haben Münchhausen erwähnt. Ich sage Ihnen, Wahrheit muss Wahrheit bleiben, und man muss sie auch aussprechen dürfen. Die Pisa-Ergebnisse haben gezeigt, dass Bayern in allen Bereichen national führend ist und international im oberen Drittel steht. Die SPD-Länder sind in allen Bereichen unter dem OECD-Durchschnitt, und das muss man auch sagen dürfen.

(Beifall bei der CSU)

Die Nebelkerzen, welche Schröder und Frau Bulmahn geworfen haben, können die guten Ergebnisse der unionsregierten Länder und die katastrophalen Ergebnisse der SPD-regierten Länder nicht verschleiern. Der untaugliche Versuch, mit Diskussionen über Bundeszuständigkeiten von diesem Thema abzulenken, ist viel zu durchsichtig. Laut „Süddeutscher Zeitung“ argumentiert Frau Bulmahn, wenn die Schulen in den Ländern den Kindern und Jugendlichen nicht dieselben Startchancen gäben, müsse eben der Bund eingreifen. Das ist eine Aussage von Frau Bulmahn.

Natürlich stellt sich dann eine Reihe von Fragen. Von welchen Ländern ist denn hier die Rede? Welche Länder haben denn versagt? Wer war zu der Zeit, als die Studie erstellt wurde, verantwortlich? Welche Namen haben die Verantwortlichen? – Nennen wir halt einmal Ross und Reiter. Ich zähle einmal ein paar Länder auf. In Bremen heißt der Bürgermeister Scherf. In Niedersachsen gab es einen Ministerpräsidenten Schröder, in Hessen einen Ministerpräsidenten Eichel, in Schleswig-Holstein gibt es eine Ministerpräsidentin Simonis, in Nordrhein-Westfalen gibt es einen Ministerpräsidenten Clement, und früher gab es einen Ministerpräsidenten Rau. In Saarland gab es einen Ministerpräsidenten Klimmt und früher auch einmal einen Ministerpräsidenten Lafontaine. In Rheinland-Pfalz gibt es einen Ministerpräsidenten Beck, und früher gab es auch einmal einen Ministerpräsidenten Scharping. Das „Who is Who“ der deutschen SPD ist verantwortlich für die desaströse Bildungspolitik in diesen Ländern.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, was wäre denn passiert, wenn diese Personen auf Bundesebene Kompetenzen für die Bildungspolitik gehabt hätten? Nicht nur die SPD-regierten Länder hätten ihren jungen Menschen die Zukunftschancen weggenommen, sondern auch wir in Bayern würden vor einem bildungspolitischen Scherbenhaufen stehen. Das ist die Wahrheit, welche ausgesprochen werden muss.

(Beifall bei der CSU)