Protocol of the Session on July 17, 2002

(Dr. Bernhard (CSU): Sie haben doch die Steuern dauernd erhöht, zum Beispiel die Tabaksteuer usw.!)

Dieser wichtigen Herausforderung werden Sie nicht mit einem gesteigerten Wachstum beikommen. Wir brauchen eine Reform des Arbeitsmarktes. Wir müssen aktiv eine Finanzpolitik gestalten, die den Bedürfnissen einer alternden Gesellschaft Rechnung trägt. Wir brauchen eine Unterstützung von Schlüsselfaktoren in Innovation und Bildung. Schließlich brauchen wir Geld, um in diesem globalisierten Wirtschaftswettbewerb Projekte für die Solidarität mit ärmeren Ländern zu fördern. Wir haben hier vieles auf den Weg gebracht. Das Zurückfahren der Neuverschuldung war nicht einfach. Trotzdem konnte Geld „freigeschaufelt“ werden.

Sie sprechen immer wieder – zum Beispiel auch gestern – davon, dass der Haushalt und die Schulden, die wir von Ihnen übernommen haben, unter anderem auch auf die Investitionen für die Wiedervereinigung zurückzuführen seien. Rot-grün hat es geschafft, im Solidarpakt II bis 2050 ohne zusätzliche Neuverschuldung 156 Milliarden Euro in den Aufbau zu investieren. Ist das für Sie kein Ansporn, das auch einmal zu versuchen? Sie sollten nicht immer darauf hinweisen, dass man wegen der Wiedervereinigung nichts machen konnte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sehe diesen Haushalt nicht rosig. Ich will auch überhaupt nichts schönreden. Fakt ist, dass wir von 5 Euro immer noch 1 Euro für Zinszahlungen ausgeben müs

sen. Das darf nicht so bleiben. Wenn ich mir jedoch Ihre Vorschläge und die dazugehörigen Finanzierungsvorschläge ansehe – sofern diese überhaupt vorhanden sind –, glaube ich nicht, dass dieses Ziel mit Ihnen zu erreichen ist. Ich sehe in diesen Vorschlägen eine ganze Reihe von Taschenspielertricks. Sie haben das vorhin uns vorgeworfen. Ich gebe diesen Vorwurf an Sie zurück.

Ich möchte nur einen dieser Tricks nennen: Von den rund 4,5 Milliarden Euro Rückzahlungen der EU will Herr Dr. Stoiber eine Milliarde Euro zur Entlastung der Kommunen verwenden, damit diese wieder investieren können. Das ist ein schönes Ziel. Ich frage mich allerdings, ob er sich das vorher durchgerechnet hat. In der „BildZeitung“ hat er erklärt, für ihn sei das völlig überraschend gekommen. Ich kann dazu nur sagen: Überraschend kommt das dann, wenn man sich mit EU-Finanzen und mit dem Haushalt noch nie auseinander gesetzt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe noch eine Überraschung für Sie: Das Geld ist verplant, weil damit eine Reihe von Steuermindereinnahmen aufgefangen werden muss. Wenn Herr Dr. Stoiber den Bundeshaushalt kennen würde, wüsste er, dass dieses Geld bereits verplant ist. Er weiß es nicht. Das zeigt mir, dass er von diesem Haushalt keine Ahnung hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte jetzt viel zum Familiengeld und dessen Finanzierung, über das gesellschaftspolitische Ziel, das dahinter steht, über Frau Reiche und die Rolle rückwärts, die sie vollzogen hat oder über das Bundesverfassungsgerichtsurteil von heute erzählen. Das sind alles soziale Themen. Ich bleibe aber bei den Steuererleichterungen und den Finanzierungen.

Wenn Sie das finanzieren wollen, der Haushalt aber nicht mehr hergibt, müssen Sie irgendetwas zurücknehmen oder anders machen. Ich frage mich, ob Sie zum Beispiel bei den Steuererleichterungen für Familien Änderungen durchsetzen wollen. Momentan stehen für die Entlastung der Familien bis 2005 56 Milliarden Euro zur Verfügung. Eine Familie mit zwei Kindern und einem durchschnittlichen Einkommen hat dadurch im laufenden Jahr immerhin 2000 Euro mehr in der Tasche. Diese Summe soll auf 2600 Euro steigen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir wegen Ihrer Familienpolitik ein Verfassungsgerichtsurteil bekamen, in dem darauf hingewiesen wurde, dass Familien mit Kindern zu entlasten sind. Das war in Ihrer Regierungszeit nicht der Fall.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß nicht, ob Sie aus diesem Urteil gelernt haben. Ich fürchte, das ist nicht der Fall, nachdem ich heute die Ausführungen von Herrn Dinglreiter gehört habe. Wenn Sie die Steuererleichterungen für Familien nicht zurücknehmen wollen, frage ich mich, ob Sie dann an die ökologischen und sozialen Zukunftsinvestitionen herangehen wollen. Wollen Sie das Hunderttausend-Dächer

Programm zurückfahren, von dem das Handwerk stark profitiert?

Oder wollen Sie nicht in den Schienenverkehr investieren, in den wir investiert haben? Oder wollen Sie die eine Milliarde Euro, die zum Beispiel bei Forschung, Bildung und Wissenschaft draufgesattelt wurde, zurückfahren? Das kann ich mir eigentlich auch nicht vorstellen. Sie wollen diese Dinge anscheinend zu dem, was schon läuft, fördern. Dann müssen Sie aber auch sagen, woher das Geld kommen soll. Genau das tun Sie nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns bewusst, dass die Finanz- und Steuerpolitik, insbesondere die Haushaltspolitik, sehr spröde Themen umfasst. Vor allem in Wahlkampfzeiten ist es nicht immer einfach, die Menschen dafür zu gewinnen, wenn man ihnen sagen muss: Die Mittel sind begrenzt. Natürlich wäre es leichter – man ist sehr schnell versucht, es zu tun – zu sagen: Wir wollen das zusätzlich finanzieren. Man ist versucht, sehr schnell Versprechungen zu machen. Wir warnen aber davor, dies zu tun, wenn man die Versprechungen nicht einhalten kann. Stattdessen fordern wir eine Schwerpunktsetzung, und diese haben wir Ihnen auch mehrfach aufgezeigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Stoiber tritt in diesen Zeiten sehr seriös auf. Er tritt wie ein Buchhalter auf, aber – ich muss das leider feststellen – er ist keiner. Der Kandidat spielte im Laufe seiner politischen Laufbahn schon viele Rollen – wir kennen das von ihm –: Er war schon einmal das blonde Fallbeil – das war die erste Rolle, in der man ihn einmal richtig wahrgenommen hat –, die vorletzte Rolle war die des vergesslichen Spendensammlers im Untersuchungsausschuss Schreiber, und seine letzte Rolle ist jetzt die des zurückhaltenden Familienvaters, der, wenn er losgelassen wird, auch in einer Berliner Disco schon einmal einen drauf macht und Bier aus der Dose trinkt. Aber eine Rolle – das prophezeie ich Ihnen – wird Herr Stoiber nie spielen. Denn für diese Rolle braucht man eine gewisse Fähigkeit zu erkennen, wo die Grenzen des Machbaren liegen. Diese Fähigkeit brauchen Sie für die Rolle des Bundeskanzlers. Herr Stoiber wird niemals Bundeskanzler werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt hat Herr Staatsminister Huber das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in der Tat ermüdend, jeden Tag die gleiche Debatte zu führen. Die SPD hätte den Dringlichkeitsantrag gestern an die Aktuelle Stunde anhängen können.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da waren Sie doch gar nicht da!)

Da war ich da, keine Sorge.

Wir hätten das Thema dann in einem behandeln können. Sie aber wollten im Grunde genommen noch einmal Wahlkampf machen. Frau Kollegin Stahl, ich stelle zunächst einmal fest: Der noch amtierende Bundeskanzler hat den GRÜNEN in dieser Woche bestätigt, den entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, dass die Reformpolitik der Bundesregierung in einem schlechten Licht erscheint.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Das bedeutet, er hat ihnen eigentlich schon den Abschiedsbrief mitgegeben. Dass sie dennoch so tapfer kämpfen, wenn auch vergebens, stelle ich einfach nur fest.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wollen Sie mit uns koalieren?)

Zweitens, lieber Herr Landesvorsitzender Hoderlein: Offenbar war es so, dass der SPD-Generalsekretär die SPD Bayern beauftragt hat, den Stoiber zu stellen.

(Frau Radermacher (SPD): Das ist wahrscheinlich bei Ihnen so!)

Ich bestätige Ihnen gerne, dass zutrifft, was Herr Müntefering gesagt hat. Er hat gesagt, die SPD Bayern habe ihr Bestes gegeben. Aber wissen Sie, was traurig ist? Ich muss sagen: Auch wenn das Ihr Bestes war, handelt es sich um eine mickrige Nullnummer, die Sie hier geboten haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Hoderlein (SPD): Vielleicht machen Sie keinen Wahlkampf!)

Wenn ich Ihre beiden Reden zusammen nehme – Sie müssen nur einmal für 20 Minuten die Bereitschaft haben, das zu überlegen – stelle ich fest: Sowohl Herr Hoderlein als auch Frau Stahl haben nur defensiv und rückwärts orientiert argumentiert. Es war kein einziger Gedanke dabei, den Deutschland in dieser Stunde gebraucht hätte. Es war kein einziger Gedanke dabei, der ausgedrückt hätte, was Rot-Grün in den nächsten vier Jahren machen will.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dazu gab es gestern unseren Entschließungsantrag!)

Sie brauchen sich darüber auch keine Gedanken zu machen, denn eine Chance, Ihre Politik der Flickschusterei der letzten vier Jahre fortzusetzen, werden Sie dank des Wählers nicht haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Entschuldigung, Herr Staatsminister. Herr Dr. Bernhard, habe ich Sie richtig verstanden, dass namentliche Abstimmung beantragt ist?

(Dr. Bernhard (CSU): Ja!)

Ich habe nur wegen der viertelstündigen Wartezeit nachgefragt.

Ich möchte dem Hohen Hause mitteilen: Herr Hoderlein wollte mit seiner Rede wirtschaftspolitische Kompetenz beweisen.

(Lachen bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie sich freuen, dass Kollegen der CSU kommen, dann finde ich das gut. Bei Ihrem Generalangriff war die Präsenz in Ihren Reihen genauso matt wie der Wahlkampf.

(Beifall bei der CSU – Maget (SPD): Die kommen ja nicht wegen Ihnen!)

Herr Hoderlein, ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie als Lehrer von wirtschaftlichen Zusammenhängen offenbar wenig verstehen. Ich werfe Ihnen aber vor, dass Sie dann darüber reden. Ich würde über Dinge, von denen ich nichts verstehe, auch nicht reden.

(Frau Radermacher (SDP): Dann könnten Sie ja nie etwas sagen!)

Im Übrigen habe ich den Eindruck, Sie haben eine Wahlrede der Kampa aus dem Jahr 1980 herausgezogen und wiedergekäut.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Ihre Rede war – ich stelle das objektiv fest – eine Abrechnung mit den letzten vier Jahren der Kohl-Regierung. Ich muss aber sagen: Wer die Wahlkämpfe des Jahres 1998 wiederholt, hat keine Chance, die Probleme des Jahres 2003 zu lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Sie haben hier einen einzigen Blick nach rückwärts demonstriert. Sie haben eine Rechtfertigungsrede nach rückwärts abgegeben.