Protocol of the Session on June 26, 2002

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Nächste Wortmeldung: Herr Dr. Hahnzog, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Welnhofer, während Sie hier ein Zerrbild von Zuwanderung malen, erfreuen sich auch Ihre Kollegen aus der CSU draußen der positiven Wirklichkeit von Zu- und Abwanderung.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Schauen Sie sich doch einmal die brasilianische Nationalmannschaft an: Mehr als die Hälfte spielt in Europa. Schauen Sie sich die türkische Mannschaft an: Davon sind etliche in Deutschland geboren oder spielen in der Bundesliga, bei Mailand oder sonst wo. Sie haben sich total verrannt.

(Herrmann (CSU): Das heißt aber, dass sie sich nach wie vor ihrer ursprünglichen Nation zugehörig fühlen! – Weitere Zurufe von der CSU)

Schauen Sie doch den Asamoa an. Da sehen Sie schon äußerlich, wie sehr er sich seiner Herkunft verpflichtet fühlt. Herr Herrmann, bei Fußball können Sie mir nichts vormachen.

(Zuruf des Abgeordneten Herrmann (CSU))

Herrn Welnhofer, was Sie hier an Unverschämtheiten gegenüber Staatsorganen anderer Institutionen gebracht haben, ist wirklich einmalig.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Welnhofer (CSU): Nichts ist verletzender als die Wahrheit!)

Ich habe in unserem Antrag darauf hingewiesen, dass renommierte Staatsrechtler, auf die sich früher die CDU und die CSU immer gerne berufen haben, schon sehr lange die Ansicht vertreten, bei der Abstimmung im Bundesrat komme es auf die Stimmführerschaft des Ministerpräsidenten an. Das sollten Sie auch einmal zur Kenntnis nehmen. Sie können weder dem Bundespräsidenten noch Herrn Wowereit einen Vorwurf machen, wenn er – wie die Professoren Klaus Stern und Dieter Blumenwitz, bekannt aus Würzburg und sonst verfassungsrechtlich für vieles aktiv, seit Jahren eindeutig fest

stellen – sagt, es komme auf die Stimmführerschaft des Ministerpräsidenten an.

Das sollten Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CSU: Das muss ja nicht richtig sein!)

Die Leute, die Sie ins Rennen schicken – etwa Isensee oder Badura –, haben aus meiner Sicht nur die Gnade, dass sie bisher nichts darüber veröffentlicht haben; sonst würden sie bei ihrer staatsetatistischen Ausrichtung die gleiche Meinung vertreten. Gerade in Bayern mit einem Ministerpräsident Stoiber entscheidet der Ministerpräsident. Wenn ein Sauter im Bundesrat anders abgestimmt hätte, wären Sie doch die ersten gewesen, die gesagt hätten: Nein, es kommt nur auf Stoiber an.

(Beifall bei der SPD)

Steigen Sie doch ein bisschen tiefer ein: Das ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Damals stand auch eine Senatslösung nach amerikanischem Vorbild mit zwei Mitgliedern aus jedem Land zur Wahl. Dies ist abgelehnt worden, weil man befürchtete, dass die Parteien eine zu große Rolle spielen. Man hat auf Weimar und sogar auf 1871 hingewiesen. Dort war immer klar, dass der Ministerpräsident für die einheitliche Abgabe der Stimme verantwortlich ist. Ich bin also sehr guter Hoffnung, dass Ihr Prozess in die Reihe anderer Niederlagen in Karlsruhe – Lebenspartnerschaft usw. – eingereiht wird.

(Dr. Wilhelm (CSU): Man wird sehen, Herr Kollege!)

Viel infamer – ich muss dieses Wort verwenden – ist, wie Sie Politik auf dem Rücken von sieben Millionen Menschen machen, die zum Teil seit Jahrzehnten auch in der zweiten und dritten Generation bei uns in der Bundesrepublik leben und die ihren wichtigen Beitrag zur Gesellschaft leisten.

(Beifall bei der SPD – Welnhofer (CSU): Das sind ja keine Zuwanderer! Die sind ja schon da!)

Sie wollen Wahlkampf machen und wandeln gefährlich – das sage ich jetzt ganz bewusst – auf den Spuren des Herrn Möllemann

(Welnhofer (CSU): So ein Schmarrn!)

in einem gleichartigen, aber anderen, sehr, sehr sensiblen Bereich, in dem es um Toleranz geht, in dem es um Gleichheit geht, in dem es um Menschenrechte geht. Davon sollten Sie Abstand nehmen.

(Beifall bei der SPD – Welnhofer (CSU): Mit dem will ich nichts zu tun haben, und er mit mir sicher auch nicht!)

Wir nehmen die Ängste ernst, die in der Bevölkerung vielfach vorhanden sind, aber wir halten es für den schlimmsten Weg, diese Ängste zu schüren und damit die Gesellschaft zu teilen und einen so großen Personenkreis, der bei uns lebt, auszugrenzen.

(Beifall bei der SPD)

Fragen Sie doch einmal die Leute: Wann wart ihr denn das letzte Mal im Krankenhaus? Wann habt ihr Verwandte in einem Altenheim besucht, und wen habt ihr dort bei der Verrichtung dieses schweren Dienstes gesehen? Die Leute werden Ihnen sagen: Dort sind ungeheuer viele Menschen ohne deutschen Pass, auch zum Teil mit nichtweißer Hautfarbe, von den Leuten in der Küche über die Pfleger bis hin zu den Ärzten. Sie sollten einmal daran denken: Wenn diese Leute nicht hier wären, würden reihenweise Abteilungen zugemacht werden, und die Deutschen hätten den Schaden. Wenn Sie das wollen – okay; Sie können sich vielleicht teuere Institutionen leisten. Für die normalen Menschen bei uns, für Deutsche und für Ausländer in Deutschland sind die Menschen, die die schweren Dienste in sozialen Einrichtungen, in kulturellen Einrichtungen leisten, unverzichtbar. Dies dürfen wir nicht vergessen.

Wir müssen das Zusammenwachsen stärken. Das verstehen wir unter Integration: keine Vereinnahmung, sondern ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen. Dazu können wir viele Maßnahmen ergreifen. Wir schütten kein Füllhorn von Wohltaten über Menschen ohne deutschen Pass, über neu hinzukommende Migranten aus. Es ist auch Aufgabe der Migranten, das Ihre zu tun. Dazu brauchen wir aber erst einmal die Angebote. Wir haben beim Freistaat Bayern zwar seit Jahrzehnten immer Angebote angefordert, aber Sie haben sich sehr vornehm zurückgehalten. Wir haben das bei anderen Gelegenheiten diskutiert. Im Sozialministerium gibt es eine Miniabteilung, und Minibeträge stehen dafür zur Verfügung. Die Vermittlung von Sprachkompetenz für hier Lebende wird weitgehend auf den Bund abgeschoben – Stichwort Sprachverband in Mainz –, und im Übrigen dürfen das die Kommunen richten. Der Freistaat Bayern schürt unter der Decke die Animosität, weil er sich damit mehr Stimmen bei Landtags- und Bundestagswahlen erhofft.

(Beifall bei der SPD – Hofmann (CSU): Herr Hahnzog, haben Sie den Dringlichkeitsantrag gelesen? Wollen Sie zu ihm sprechen?)

Zu was denn sonst?

(Hofmann (CSU): Sprechen Sie einmal zu dem Dringlichkeitsantrag!)

Lieber Herr Hofmann, Sie haben sich heute Morgen schon so in Zwischenrufen verausgabt. Jetzt sollten Sie ein bisschen ruhiger sein. Unser Dringlichkeitsantrag ist die Antwort auf Ihren Dringlichkeitsantrag. Er stellt das Positive heraus.

(Hofmann (CSU): Reden Sie einmal dazu!)

Er stellt heraus, dass das Zuwanderungsgesetz mit Zustimmung des Bundesrates ökonomisch sinnvolle Zuwanderung steuert und im Übrigen begrenzt, für Flüchtlinge humanitäre Bedingungen verfestigt und endlich Maßstäbe und Maßgaben für Integration schafft.

(Zuruf des Abg. Hofmann (CSU))

Wollen Sie denn wirklich, wenn kritisiert wird, dass geschlechtsspezifische Verfolgung – –

(Hofmann (CSU): Unglaublich!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Kollege Hahnzog, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – In Ihrem Antrag wird beanstandet und kritisiert, dass für geschlechtsspezifische Verfolgung effektiver Schutz gewährt wird. Nehmen Sie das Leid und die Unterdrückung von Mädchen und Frauen in vielen, vielen Ländern dieser Welt nicht wahr?

(Beifall der Frau Abg. Werner-Muggendorfer (SPD))

Sie wollen diese Leute zurückschicken. Das ist doch Ihr Ansatz.

(Welnhofer (CSU): Eben nicht! Das ist die glatte Unwahrheit; das wissen Sie genau! – Hofmann (CSU): Woher nehmen Sie die Feststellung? Dort auf der Zuhörertribüne sitzen Leute, die die Anträge nicht kennen!)

Ich lese Ihnen Folgendes aus Ihrem Antrag vor: „Statt den Asylmissbrauch wirksam zu bekämpfen, enthält das Gesetz weitere Anreize für Zuwanderung durch die Aufwertung des Status von Ausländern, die nichtstaatliche oder geschlechtspezifische Verfolgung geltend machen.“ Das ist doch ganz typisch.

(Hofmann (CSU): Lesen Sie einmal weiter!)

Sie kennen doch die Geschichten aus dem Petitionsausschuss.

(Hofmann (CSU): Lesen Sie doch weiter! – Gegenruf der Frau Abg. Christine Stahl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN): Lesen Sie doch selber! – Glocke der Präsidentin)

Zu Afghanistan hat auch Ihre Seite gesagt: Wir müssen das Militär einsetzen, um die Situation der Frauen dort zu verbessern. Hier sagen Sie aber: Das belastet uns, und wir wollen dagegenhalten. Das ist unüberbietbar scheinheilig.

(Beifall bei der SPD und der Frau Abg. Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hofmann (CSU): Das ist nur Heuchelei!)

Natürlich fällt es Ihnen schwer, die Inhalte dieses Gesetzes zu akzeptieren. Ein langer Diskussionsprozess ist ihm vorausgegangen, viele Kommissionen haben getagt, ewig lange Kompromissverhandlungen haben stattgefunden. Ich hätte mir ein noch besseres Zuwanderungsgesetz vorstellen können und habe dafür gekämpft. Ich akzeptiere aber auch den Kompromiss, der, um es noch einmal zu sagen, von den Kirchen, von den Wohlfahrtsverbänden und von allen Wirtschaftsverbänden getragen wird. Wo ist denn Herr Traublinger, der gesagt hat: Wir brauchen Zuwanderung? Wo sind denn die anderen Wirtschaftsverbände? Wo sind die Initiati

ven, die sagen: Wir brauchen Zuwanderung? – Damit ist Ihre Lebenslüge, mit der Sie monatelang und jahrelang die Stammtische beliefert haben,

(Hofmann (CSU): So ein Quatsch!)