Im Zusammenhang mit den Gymnasien wird regelmäßig ein Argument vorgebracht. Frau Münzel, Sie haben diese Behauptung auch wieder aufgestellt. Es ist das Argument, dass wir angeblich eine so geringe Abiturientenquote hätten usw. Als Erstes bitte ich Sie, sich einmal zu vergegenwärtigen, dass bei den Neuntklässlern Niedersachsen und ein weiteres Land unterhalb der Gymnasialquote Bayerns liegen.
Wir haben hier zunächst einmal die Ergebnisse der Fünfzehnjährigen gemessen. Jetzt komme ich zum Abi
tur, Herr Dürr, und da werde ich ziemlich deutlich werden. Erstens haben wir nicht eine Abiturientenquote von 20%, sondern eine von über 30%. Was mich empört, ist der Umstand, dass Sie stets nur den Weg über das Gymnasium sehen. Ich ziehe einmal einen Vergleich mit Baden-Württemberg.
(Zurufe der Frau Abgeordneten Münzel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und des Abgeordneten Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Wenn die Fachoberschule ein Gymnasium wäre, würde das jeder als ordentliches Abitur anerkennen. Da aber von vielen der Weg zur Fachhochschulreife, aufbauend auf Realschule und Hauptschule, durch das Berufsausbildungswesen gewählt wird, zählt dieser Weg plötzlich nicht mehr, Herr Dürr. Ich halte es für eine Unverschämtheit gegenüber allen Abiturienten aus dem beruflichen Bereich, dass sie von Ihnen so diskreditiert werden.
Des Weiteren würde ich beim Zugang zum Gymnasium auch einen deutlichen Unterschied zwischen einer Großstadt wie München und Landkreisen sehen, in denen ganz bewusst Eltern ihre Kinder auch mit einem guten Notendurchschnitt an Hauptschule und Realschule geben. Das ist eine etwas andere Situation, als das bei Ihnen der Fall ist. Ich halte es für unerträglich, wie jedes Mal wieder die Schülerinnen und Schüler von Hauptschulen und Realschulen in der Öffentlichkeit als nicht gebildet dargestellt werden und von einem schlechten Zugang zur Bildung gesprochen wird. Das halte ich für eine unglaubliche Verunglimpfung.
Das, was ich mir in den letzten Tagen dahin gehend habe anhören müssen, dass letztlich die Abiturientenquote über das Bildungsniveau eines Landes entscheide, halte ich für eine Unverschämtheit angesichts der Vielfältigkeit von Begabungen unserer jungen Menschen.
Ich will dem gleich noch etwas hinzufügen. Neben einem funktionierenden dualen Berufsausbildungssystem gibt es hierzulande mit Berufs- und Fachoberschulen/Fachakademien ein breites Angebot der beruflichen Bildung und auch der allgemeinen Weiterbildung. Jeder kann sich seinen Begabungen entsprechend auf einen Beruf oder auf eine weitere schulische Qualifizierung vorbereiten. Dass dieses System funktioniert, zeigt ein Blick auf die absoluten Zahlen.
Zirka 40000 Schülerinnen und Schüler erwarben in Bayern im Jahr 2000 die allgemeine oder fachgebundene Hochschulreife. Dies entspricht etwa einem Drittel des Jahrgangs. Zusätzlich erwarben in diesem Jahr – ich bitte, sich das sehr genau anzuhören – zirka 23000 junge Menschen eine berufliche Zusatzqualifikation, zum Beispiel Handwerksmeister, Industriefachmeister, Fachkraft für Datenverarbeitung, das heißt in weiterbildender Form, das heißt in eine höhere Qualifikation, die
zu einem erheblichen Teil auch die Möglichkeit zu einem Zugang zum Studium gibt, wenn die Betreffenden es wünschen. Das bedeutet, dass in Bayern über 50% der jungen Menschen eine Möglichkeit haben, eine hohe Qualifikation zu erreichen, die zum Teil noch über dem Abitur liegt und auch Zugang zu den Hochschulen ermöglicht.
Ich stelle mir die Frage, warum das von der Bundesministerin Bulmahn in der Öffentlichkeit nicht dargestellt wird, warum in der Öffentlichkeit anscheinend nur der direkte Weg über das Gymnasium, der auch ein wichtiger Weg ist, zählt. Ich kann das nur unter der Rubrik werten: Pisa-Ergebnisse verschleiern, möglichst die eigenen schlechten Ergebnisse verdecken und versuchen, eine Pseudodiskussion in der Öffentlichkeit zu führen, damit man sich über die wahren Inhalte nicht unterhalten muss. Das ist mein Eindruck.
Zum Abschluss möchte ich in diesem Zusammenhang sagen, dass unser Bildungswesen auch mit der geringsten Jugendarbeitslosigkeit verbunden ist, nämlich mit einer Rate von 4,9%, der geringsten Rate in ganz Deutschland. Wenn man von Lebenschancen spricht, muss man auch die Arbeitslosigkeit betrachten. Man muss betrachten, welche Chancen jungen Menschen wirklich mitgegeben werden. Vor dem Hintergrund von 20 oder 25% Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen interessiert weniger, wie abstrakt gebildet jemand zu sein scheint. Man muss alles im Zusammenhang miteinander sehen, Bildungs-, Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik. Dies scheint in Bayern exakt zusammenzupassen. Am nächsten ist hierbei Baden-Württemberg mit 5,5%.
Es ist für mich auch seltsam, dass es gerade unionsgeführte Länder wie Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen sind, die in den breiten Feldern von Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften bei den Fünfzehnjährigen an der Spitze stehen. Vier unionsgeführte Länder! Irgendwie muss das doch etwas mit der Bildungspolitik zu tun haben.
Ich darf Sie bitten, das, was bei uns in Bayern an Bildung aufgebaut worden ist, auch einmal als Standard für SPDregierte Länder zugrunde zu legen. Ich will gar keine Systeme übertragen, aber die Standards in der Leistung und im Niveau sollten wenigstens auch als Anspruch in SPD-regierten Ländern gelten.
Es geht nicht an, dass man da zehn Entschuldigungen findet. Dazu gehört einfach, dass man begabungsgerechte Differenzierungen vorsieht, Leistungsorientierungen mit hohen Standards, verbindliche Lehrpläne, zentrale Prüfungen, breite Allgemeinbildung und insbesondere wertorientierende Erziehung. Das sind die Grundmaßstäbe, auf denen wir aufbauen. Außerdem verlange ich von SPD-regierten Ländern, dass wir uns endlich län
derübergreifend auf die Qualitätsstandards einigen, die Bayern bereits seit langer Zeit verlangt hat, dass wir endlich gemeinsam länderübergreifend das hohe Niveau gestalten, aber dann bitte auch überprüfen.
Wenn wir das überprüfen, muss das Ergebnis in die Öffentlichkeit getragen und transparent dargestellt werden.
Besonders wichtig ist mir dabei Folgendes: Ich will nicht nur die Standards überprüfen, sondern ich möchte auch gerne, dass wir das Prüfungsniveau klar definieren. Man kann schöne Standards formulieren. Diese helfen wenig, wenn sich das Aufgabenniveau und das Prüfungsniveau dezidiert voneinander unterscheiden. Ich nenne ein wunderschönes Beispiel, das wir in den vergangenen Jahren erlebt haben, damit man weiß, wovon man redet.
In einem Leistungskurs Deutsch in einem großen SPDregierten Land in Deutschland – vielleicht erinnert sich noch jemand an die Diskussion von vor zehn Jahren; man sollte sich daran erinnern – wurde vorgeschlagen, dass die Jugendlichen ein Kinderbuch lesen sollten. Dieses Kinderbuch sollte die Jugendlichen an die Problematik der Textanalyse heranführen. Dabei kam der Vorschlag, man möge doch das Kinderbuch „Struwwelpeter“ wählen. Stellen Sie sich einmal vor, dass Neunzehnjährige den Text „Struwwelpeter“ im Leistungskurs Deutsch als Abiturniveau wählen! Ich kann Ihnen nur sagen: Ich glaube, dass wir uns auf andere Standards verständigen müssen, auf internationale Standards. Wir sind diesbezüglich nicht selbstzufrieden, aber wir lassen uns auch nicht dafür beschimpfen, dass wir die Ersten innerhalb Deutschlands sind.
Ich werde zu einem anderen Zeitpunkt, der hier im Parlament in der Sommerpause noch festzulegen ist, über die Konsequenzen, die wir zum Teil schon gezogen haben, Rechenschaft ablegen. Heute wollte ich nur einen Bericht geben und auch klar verdeutlichen, dass sich Bayern nicht zu verstecken braucht, auch wenn manche öffentliche Diskussion in die Richtung geht, den Ersten anzugreifen und das Ergebnis des Sechzehnten tunlichst in den Hintergrund zu schieben. Ich glaube, das ist nicht der richtige Weg. Jedes Land wird sich ansehen müssen, wo es Probleme hat. Aber ich glaube, dass es für Bayern leichter werden wird, ganz an die Spitze vorzustoßen, wobei man bei dieser Spitze schon einiges berücksichtigen muss. Andere Länder werden sich schwerer tun. Bei der Bewertung der Spitze des internationalen Feldes muss man berücksichtigen, dass zum Beispiel ein Land wie Finnland keinerlei Zuwanderung hat, das heißt eine ganz geschlossene Population von Schülerinnen und Schülern, und damit mit den deutschen Schülern und Schülerinnen zu vergleichen ist.
Darauf komme ich gleich zu sprechen; Sie bekommen alles, Herr Dr. Dürr, keine Sorge! Die Pisa-Studie habe ich wahrscheinlich etwas genauer durchgelesen als Sie.
Die Schülerpopulation in Finnland wäre es mit den deutschen Schülerinnen und Schülern zu vergleichen. Dabei sind darunter auch eine ganze Menge von Schülern, die zwar bereits die deutsche Staatsangehörigkeit haben, aber eigentlich Migrationshintergrund besitzen, weil ihre Großeltern ursprünglich aus anderen Ländern gekommen sind, in denen Integration offensichtlich funktioniert hat. Da liegen wir hinter Finnland, das absolut an der Spitze ist, zum Teil nur mit zehn bis fünfzehn Punkten.
Man muss sich also die Dinge schon etwas genauer ansehen. – Ich nehme Kanada. Kanada hat ein sehr föderales Schulsystem – im Gegensatz zu dem, was Ihre Bundesministerin jetzt fordert. Das System ist föderal aufgebaut, es ist ein wettbewerbsmäßig aufgezogenes Bildungswesen, das hervorragend funktioniert. Ich wehre mich gegen jegliche Form von Einheitszentralismus von Berlin aus, weil uns der in Deutschland nicht weiterbringen wird.
Kanada hat schwerpunktmäßig eine Zuwanderung aus dem asiatischen Raum, die zudem streng gesteuert ist. Das bedeutet: Wenn ich unsere asiatischen Kinder in Bayern nehmen würde, dann hätten die einen deutlich überdurchschnittlichen Bildungsgewinn und ein deutlich überdurchschnittliches Bildungsniveau.
Es hängt also auch von der Art der Zuwanderung ab, welches Niveau die Kinder und Jugendlichen erreichen, von ihrem kulturellen Hintergrund und davon, ob ihre Eltern aus bildungsfernen Regionen stammen oder nicht.
Zuletzt möchte ich den Vergleich mit Australien nennen, das ebenfalls mit an der Spitze liegt. Auch Australien hat eine Zuwanderung, aber sie ist so streng reglementiert, dass keinerlei Armutszuwanderung stattfindet. Es gibt auch keinerlei Asylrecht, und keinerlei Familiennachzug in der Form, wie bei uns – mit der Konsequenz, dass die Zuwanderung eine gänzlich andere ist: streng gesteuert, ausgewählt nach Spitzenkräften.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Ihnen allen zunächst einen wunderschönen guten Morgen wünschen.
Ich freue mich, dass trotz der Tatsache, dass dies der erste Tagesordnungspunkt ist, es doch so viele sind, die gekommen sind, um über dieses nicht nur für die Zukunft unserer Kinder und jungen Menschen, sondern für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes insgesamt wirklich sehr wichtige Thema miteinander zu diskutieren.
Dabei muss uns allen klar sein, dass eine wirklich detaillierte Analyse der Ergebnisse und eine in die Tiefe gehende Diskussion über die daraus abzuleitenden Ergebnisse heute und im Rahmen einer Aktuellen Stunde wohl nicht erfolgen kann; denn dazu war die Zeit einfach zu kurz, und wir haben leider kein Ministerium, das sich tagelang mit den Ergebnissen – –
Also, Kolleginnen und Kollegen, ich bitte doch, jetzt nicht in Unverschämtheiten abzugleiten. Es sind immerhin 250 Seiten mit wirklich detaillierten Angaben.
Da wird niemand behaupten können, dass man die in einem oder zwei Tagen wirklich gründlich analysieren kann.